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Die Geister von New York (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022
576 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-27806-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Geister von New York - Craig Schaefer
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Lionel Page hat es sich zur Aufgabe gemacht, all die Scharlatane und Wunderheiler zu entlarven, die anständigen Leuten das Geld aus der Tasche ziehen wollen. An übernatürliche Phänomene glaubt der gerissene Reporter nicht.

Doch als er eines Tages in New York ein verschollenes Manuskript von Edgar Allan Poe aufspüren soll, muss Lionel feststellen, dass offenbar nicht alles, worüber der Horror-Großmeister geschrieben hat, seiner Fantasie entsprungen ist - und dass Lionel selbst dem Übernatürlichen bereits näher gekommen ist, als er geahnt hat ...

Craig Schaefer ist das Pseudonym der Autorin Heather Schaefer. Sie lebt in North Carolina, wo sie sich gerne in Museen, Büchereien, an einsamen Kreuzungen mitten im Nirgendwo und ähnlichen Orten aufhält, wo sich Autor*innen düsterer Fantasy gerne versammeln.

Eins


Lionel Page trug einen Plastikknopf im Ohr, hatte in seiner Hemdtasche eine Kamera versteckt und genoss in der ersten Reihe eine ungehinderte Aussicht auf den Schauplatz eines Verbrechens. Unzählige Personen drängten sich in dem großen Saal; sie schwitzten unter den harten weißen Lichtern und stampften mit den Schuhen auf die körnigen alten Dielenbretter. Lionel saß Schulter an Schulter mit seinen Nachbarn, und als die gesamte Masse auf den Zuschauerrängen mit einem vereinten Schrei der Ekstase hochsprang, zerrte sie ihn mit sich. Es war eine menschliche Flutwelle, durchtränkt von Körpergerüchen und dem Gestank billigen Parfüms.

»Seid ihr gerettet?«, kreischte der Mann der Stunde. Der Reverend Wright beherrschte die Bühne – ein wirbelnder, in sein Mikrofon heulender Derwisch in einem cremefarbenen Baumwollanzug. Die Menge heulte zurück.

»Seid ihr erlöst?«, verlangte er zu wissen. »Ja«, brüllten die Gläubigen zurück. Sie streckten die Hände den heißen Lichtern entgegen, als wollten sie versuchen, in den Himmel zu klettern. Der Mann links von Lionel rollte wie in einem Anfall mit den Augen, bis nur noch das blutunterlaufene Weiße zu sehen war, während er den Kopf nach oben und unten warf. Als die Rufe verblassten und erstarben, knisterte plötzlich eine weibliche Stimme in Lionels rechtem Ohr.

»Das war das letzte Mal, dass ich an dir gezweifelt habe.«

Lionels Blick fiel auf den Mittelgang. Eine lange Reihe von Gemeindemitgliedern, die Hälfte mit Stöcken oder Rollatoren, wartete darauf, ins Scheinwerferlicht zu treten. Reverend Wright winkte eine der Personen auf die Bühne. Es war eine ältliche Frau mit einer Sauerstoffflasche, die sie hinter sich herzog wie ein Gefangener die Eisenkugel an seinem Fuß. Beiläufig hob Lionel sein Handgelenk an den Mund. Ein winziger grauer Plastiktropfen baumelte nun vor seinen Lippen, und ein Draht lief den Arm hinauf. Ein größer werdender Fleck aus feuchtem Schweiß klebte ihm das Hemd an den Rücken.

»Das hast du schon beim letzten Mal gesagt«, murmelte er. »Erzähl mir etwas Positives.«

»Die ganze Operation verläuft genau so, wie du es erwartet hast.«

Zum ersten Mal an diesem Tag lächelte Lionel. »Haben wir Ton?«

»Deutlich genug, um ihn zu kreuzigen. Verschwinde, bevor dich jemand erkennt. Ich habe zwei weitere Jungs in der Menge, und einer filmt auf der Empore.«

Die Zuhörer verstummten, als der Reverend die Hände auf das verfilzte struppige Haar der ältlichen Frau legte. Er schaute hoch zu den Lichtern, und sein verschwitztes Gesicht schimmerte.

»Ich erhalte ein … O Herr, hier kommt es«, sagte er. »Ja. Mabel. Dein Name ist Mabel, nicht wahr?«

Ihr Ruf »Das stimmt!« war unter dem einsetzenden Jubel und Applaus kaum zu hören. Sie sah den Reverend an, als wäre er eine Erscheinung des Herrn, während Lionel auf seinen harten Holzstuhl zurücksank. Er verschränkte die Arme vor der Brust, und seine Gedanken kreisten wie ein Hai in dunklem Gewässer, während er weiter die Show beobachtete.

»Mabel. Wundervolle gesegnete Mabel.« Wright drückte sich den Handballen gegen die Stirn und schloss die Augen. »Der Herr sagt mir, dass du kämpfst. Du hast einen Dämon in deiner Lunge, der die gute, süße Luft erstickt. Es ist ein Emphysem, nicht wahr? Sie haben es erst im letzten Jahr diagnostiziert. Aber die Ärzte wissen nicht alles. Nein, Madam, das tun sie nicht.«

Lionel hob wieder den Ärmelaufschlag an seinen Mund.

»Hast du die Technik-Zwillinge bei dir im Wagen?«

»Wie immer«, antwortete die Stimme der Frau.

»Können sie in das Lautsprechersystem hier eindringen?«

»Ich glaube, sie haben schon …« Sie hielt inne. »Warte. Lionel, was hast du vor?«

Auf der Bühne salbte der Reverend Mabels Stirn mit Wasser aus einer glänzenden Plastikflasche – Wunderwasser, das gratis für eine Spende von zwanzig Dollar oder mehr ausgeteilt wurde. Der Hai in Lionels Gedanken kreiste schneller, er hatte Blut gerochen.

»Ich habe es satt, das mitansehen zu müssen« sagte er. »Gebt mir Deckung. Macht den Ton bereit.«

»Nein.« Ihre Stimme klang rasiermesserscharf. »Nein. Du bist von etwa achthundert fanatischen Anhängern von Reverend Wright umgeben, die ganz in seiner Gewalt sind. Jetzt ist nicht die Zeit, Des Kaisers neue Kleider zu spielen. Sie werden die Wahrheit genauso erfahren wie alle anderen, nämlich aus den Neun-Uhr-Nachrichten. Verschwinde endlich.«

Er war bereits auf den Beinen, hatte sich zusammen mit der Menge erhoben, und ein donnernder Jubel schob ihn voran. Mabel umschlang Wright mit gebrechlichen, vogelartigen Armen, während Tränen über ihr Gesicht strömten.

»Diese Menschen werden ausgeraubt«, keuchte Lionel in sein verstecktes Mikrofon. »Sie haben die Wahrheit verdient. Hier und jetzt.«

»Du bringst dich in Lebensgefahr. Lionel!«

Mabel humpelte von der Bühne herunter, und Wright breitete die Arme aus, als wollte er den ganzen Saal umarmen.

»Ein weiteres Wunder beginnt! Vergesst nicht, Leute, dass ich kein Heiler bin. Nein, Sir. Nein, Madam. Ich bin nur ein Gefäß für die himmlische Wahrheit Gottes. Es ist euer Glaube, und es ist die Liebe zum Herrn, die euch befreien werden. Bekomme ich ein Halleluja?«

Lionel rannte los. Er sprang auf die Bühne, wirbelte herum und warf die Hände in die Luft.

»Halleluja«, brüllte er, während die Menge nur noch ein verwirrtes Murmeln von sich gab. Er grinste wie ein Wahnsinniger und sprang an Wrights Seite. Dann vollführte er einen kleinen Stepptanz, schnippte mit den Fingern und zeigte auf den Reverend. »Halleluja, preiset den Herrn und preist den guten Reverend Wright. Meine Damen und Herren, ich heiße Lionel Page. Ich bin Reporter bei Channel Seven News, und ich hatte die Ehre, die unschätzbare Ehre, vorhin mit dem Reverend und seiner wunderbaren Frau Marise ein Interview führen zu dürfen. Es war offen und herzlich, und ich hoffe, Sie alle werden einschalten und es sich ansehen.«

Wright glotzte ihn an. Er, der Showmaster, war plötzlich aus dem Gleichgewicht gebracht und an den Rand der Bühne gestoßen worden. »Ich … also, ja, das stimmt, und Mr. Page war ein sehr guter Interviewer. Aber ich bin nicht sicher, ob das jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um …«

»Ich würde mir wünschen, dass Sie einschalten könnten«, sagte Lionel, »aber dieses Interview wird nie gesendet werden. Ich glaube nicht einmal, dass die Kamera es aufgezeichnet hat. Nein, es war eine List – eine Lüge, um es ehrlich zu sagen –, damit wir einen Blick hinter die Kulissen werfen konnten. Dort habe ich die Runde gemacht und etliche meiner kleinen Lauschgeräte angebracht.«

Das heilige Glänzen auf Wrights Gesicht verblasste, während ihm das Blut in die Füße sackte. Das Mikrofon in seiner Hand sank immer tiefer, wie in Zeitlupe. »Was?«, sagte er so leise, dass es kaum zu hören war. Die Menge murmelte, regte sich unsicher und warf Lionel böse Blicke zu. Sie wussten nicht, was hier vorging, aber sie stimmten allesamt darin überein, dass es ihnen nicht gefiel.

»Wissen Sie, ich bin von Natur aus neugierig«, sagte Lionel zu dem Meer wütender Gesichter. »Wenn ich einen Magier sehe, will ich stets erfahren, wie seine Tricks funktionieren. Und in diesem Fall … nun, es ist ganz gewiss keine Magie.«

In den Lautsprechern knisterte und kreischte es, dann drang eine blecherne Stimme heraus; sie gehörte der Frau des Reverends, war heimlich hinter der Bühne aufgenommen.

»Als Nächstes kommt … mal sehen … Mabel Abrom… Abromo… Gütiger Gott, irgendein langer polnischer Name. Nenn sie einfach Mabel. Sie hat im letzten Monat eine Gebetskarte geschickt und um Hilfe bei ihrem Emphysem ersucht. Mein Gott, diese dumme Frau hat danach einfach weitergeraucht. Sag ihr, dass Jesus ihr befiehlt, damit aufzuhören, und nimm den Nächsten dran, sonst sind wir noch die ganze Nacht hier.«

Wright stolperte einen Schritt zurück und starrte die Lautsprecher mit großen Augen an. Ein Schatten fiel über die Menge; die Stimmung wandelte sich von Verwirrung in langsam aufkochende Wut. Lionel spürte erregt, wie die Aufmerksamkeit der Angestachelten zwischen den beiden Personen auf der Bühne hin- und herpendelte. Wrights hintergangene Gläubigenschar überlegte wie ein Heckenschütze, wen sie aufs Korn nehmen und abschießen sollte. Die Vorhänge hinter der Bühne lockten; sie waren Lionels letzte Aussicht auf ein Entkommen. Aber er stellte sich breitbeinig auf die Dielenbretter.

»Er hat keinen heißen Draht zu Gott, Leute.« Lionel klopfte gegen seinen Ohrhörer. »Nur zu der lieblichen Marise, die euch von Informanten in der Warteschlange ausspionieren lässt, die eure Karten und Briefe durchforstet und dann ihrem Mann all die wundersamen Informationen ins linke Ohr spricht.«

Das Lautsprechersystem schrillte wieder, und weitere mitgeschnittene Informationen drangen heraus.

»Du machst es großartig heute Abend«, sagte Marise. »So, das hier ist Chester. Chester hat einen offenen Facebook-Account. Gütiger Gott, was haben wir bloß vor den sozialen Medien gemacht? Sie erleichtern uns die Arbeit so sehr. Oh, wie nett. Seine Ex-Frau ist eine Schlampe, und sein Neffe ist drogenabhängig. Erwähne die Frau nicht, sondern sag ihm nur, dass sein Neffe Billy mit Gott ins Reine kommen und aufhören muss, mit dieser Bande herumzuziehen.«

Vor zwei Jahren hatte Lionel aus der Mitte eines Aufruhrs während eines Stromausfalls berichtet. Er hatte nie das Gefühl gewalttätiger...

Erscheint lt. Verlag 11.7.2022
Reihe/Serie Die Geister von New York
Die Geister von New York-Reihe
Die Geister von New York-Reihe
Übersetzer Michael Siefener
Sprache deutsch
Original-Titel Ghosts of Gotham
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte 2022 • Buch über Bücher • Dark Fantasy • eBooks • Edgar Allan Poe • Fantasy • Geister • Horror • Neuerscheinung • New York • Noir • Übersinnlich • Urban Fanatsy • Urban Fantasy
ISBN-10 3-641-27806-6 / 3641278066
ISBN-13 978-3-641-27806-9 / 9783641278069
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