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Stille Befreiung (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
432 Seiten
Diana Verlag
978-3-641-28999-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Stille Befreiung -  Petra Hammesfahr
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Mit achtzehn will Sandra unbedingt der Bevormundung durch ihr Elternhaus entfliehen. Ronnie scheint dafür genau der richtige Mann zu sein. Die Warnungen ihrer Familie schlägt sie in den Wind, realisiert aber schon kurz nach der Hochzeit, dass sie einem Blender auf den Leim gegangen ist. Erst zwei Jahre nach der Geburt ihrer Tochter schafft sie den Absprung. Mit der Kleinen zieht Sandra als Pflegerin für die schwerstbehinderte Rebekka in deren Haus. Jedoch die Hoffnung auf ein neues Leben zerbricht, als sie dort eines nachts überfallen wird. Noch ahnt sie nicht, dass der wahre Albtraum erst begonnen hat ...

Petra Hammesfahr wurde mit ihrem Longseller »Der stille Herr Genardy« einem großen Lesepublikum bekannt. Seitdem erobern ihre Spannungsromane die Bestsellerlisten, sie wurden mit Preisen ausgezeichnet und verfilmt. So ist die erfolgreiche Netflix-Serie »The Sinner« mit Bill Pullman in der Hauptrolle auf der Grundlage von »Die Sünderin« entstanden.

Ein gutes Angebot

Drei Wochen nach Oma Finchens Beerdigung saß ich montags wieder in der Küche meiner Eltern. Josie hatte wie so oft nicht mitkommen wollen, war lieber bei ihrer Oma geblieben, als hätte sie nur die eine. Meine Mutter störte das nicht, im Gegenteil. Wenn ich alleine kam, konnten wir uns wenigstens in Ruhe unterhalten, während Julia ihre Hausaufgaben machte und vermutlich aufmerksam zuhörte.

Mama beschäftigte sich mit der Garderobe ihrer Mutter, die sie in den nächsten Tagen zur Kleiderkammer der Caritas bringen wollte. Einen ganzen Wäschekorb voll guter Sachen hatte sie aussortiert, manche wie neu. Oma Finchen hatte in ihren letzten Lebenswochen nur unzählige Knöpfe abgedreht oder so stark gelockert, dass sie nur noch an einem Faden baumelten und wieder festgenäht werden mussten. Schadhafte Kleidungsstücke zu spenden wäre für meine Mutter niemals infrage gekommen.

Während sie den oberen Knopf an eine Strickjacke nähte, erzählte sie von einer früheren Nachbarin ihres Bruders. »An die Elisabeth müsstest du dich eigentlich noch gut erinnern. Wir haben Onkel Fritz und Tante Annemie doch oft besucht, als sie noch neben dem alten Kino wohnten.«

Zu der Zeit war ich noch nicht zur Schule gegangen. Wie sollte ich mich da an eine Nachbarin von Onkel und Tante erinnern? Und das auch noch gut. Abgesehen davon erzählte Mama mir regelmäßig von Leuten, die mich nicht interessierten. Manche hatten geheiratet, andere sich getrennt, manche bekamen Nachwuchs, andere waren gestorben.

Ich hörte nicht mal richtig zu. Meine Gedanken kreisten wie so oft in letzter Zeit wie schillernde, bunte Blasen an der Oberfläche eines schmutzigen Tümpels um einen Dämon mit raspelkurzen Haaren, der teuflisch gut küsste, jedenfalls viel besser als Ronnie. Und das war mir nicht nur so vorgekommen, weil ich nicht wusste, wann mein Mann mich zuletzt geküsst hatte. Ich erinnerte mich noch gut an Ronnies ersten Kuss, den ich mit achtzehn als toll empfunden hatte, weil meine damaligen Erfahrungen sich auf zwei grüne Jungs beschränkten. Jetzt wusste ich es besser.

Schon seltsam, was ein einziger Kuss aufwühlen und auslösen kann. Ich fühlte mich ein bisschen wie Dornröschen, das aus dem hundertjährigen Schlaf gerissen worden war. Nur war Klaus kein Prinz, sondern ein Schlitzohr, dem ich alles zutraute, vor allem das, was er vehement bestritt.

Er hatte mich auch nicht wachgeküsst, sondern wachgerüttelt und erkennen lassen, wie viel kostbare Lebenszeit ich bereits verschleudert hatte. Beinahe fünf Jahre mit Ronnie. Was hätte ich in dieser Zeit alles erreichen können, wenn ich mich nicht mit ihm eingelassen hätte? Ich hätte kein Kind, das sich lieber bei einer verrückten Großmutter aufhielt. Stattdessen hätte ich wahrscheinlich eine feste Anstellung in einer Rehaklinik oder einer Praxis wie der von Markus Hengelmann, wo es mir gut gefallen hatte.

Ich würde nicht üppig verdienen, aber genug, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten und mich keinem Menschen zu Dank verpflichtet zu fühlen. Vielleicht hätte ich inzwischen einen Freund wie Carina. Natürlich keinen, der erst noch geschieden werden musste. Er sollte ledig sein, einen gut bezahlten Job haben, keine Luftschlösser bauen und keine erotischen Filme als Anleitung brauchen.

Dass ich mich in letzter Zeit oft in romantischen Vorstellungen verlor, lag nur daran, dass es absolut unromantisch war, eine Ehe nach den Gegebenheiten der Realität zu beenden, um doch noch irgendwie die Kurve zu kriegen. Wie denn? Wo sollte ich mit Josie hin, wenn ich Ronnie verließ? Wovon sollten wir leben? Von Hartz IV? Oder von Papas Geld, unter Papas Dach, und mir täglich Vorträge von Mama anhören? Nein, das auf gar keinen Fall.

Bei der Sache war ich wirklich nicht. Als ich nur nichtssagend mit den Achseln zuckte, fuhr meine Mutter fort: »Ist ja egal. Elisabeth konnte sich jedenfalls noch sehr gut an dich erinnern. Letzten Freitag habe ich sie auf dem Friedhof getroffen. Thelen heißt sie jetzt, kommt noch regelmäßig zum Grab ihrer Eltern, obwohl sie jetzt mit ihrer Familie hinter Düren wohnt. In der Nähe von Zülpich. Ich komm grad nicht drauf, wie der Ort heißt. Zusammen mit ihrem Mann und ihrem Sohn betreibt sie eine Künstleragentur in Euskirchen. Sie managen Schauspieler und Musiker. Eine Tochter hat sie auch, Betty, sie ist ein Pflegefall. Letzten Sommer hat sie einen Schlaganfall erlitten, mit gerade mal achtzehn. Ist das nicht furchtbar? Sie wird zu Hause betreut. Nie und nimmer würde sie Betty in ein Heim abschieben, sagte Elisabeth.«

Meine Mutter seufzte, trennte den Faden dicht am Knopf ab, machte am Fadenende einen neuen Knoten und sprach weiter: »Früher hat Curd mit angepackt, Elisabeths Sohn. Sie hat ihn sehr jung bekommen, bevor sie geheiratet hat. Er heißt aber auch Thelen. Vielleicht erinnerst du dich eher an ihn, du hast ihn damals bestimmt mal auf der Straße gesehen. Er müsste jetzt um die dreißig sein. Und so ein junger Mann will irgendwann eine eigene Familie gründen, nicht wahr. Das muss man verstehen, sagte Elisabeth.« Darauf folgte noch ein Seufzer, als wäre meine Mutter von den Wünschen dieses jungen Mannes persönlich betroffen.

Ich erinnerte mich auch nicht an Curd. Mama setzte die Nadel am zweiten Knopf an und fuhr fort. »Nachdem Curd ausgezogen war, haben sie eine Pflegerin eingestellt. Eine Polin, und die ist vor zwei Wochen einfach abgehauen. Stell dir das vor, sie hat nichts gesagt, nur ihren Kram gepackt und das Haus bei Nacht und Nebel verlassen. Das ist ja nun wirklich keine Art. Man kann doch wenigstens etwas sagen, damit die Leute sich beizeiten nach einem Ersatz umsehen können, oder nicht?«

Ich nickte und sah im Geist Klara auf nächtlicher Straße in ein Taxi steigen. Das war auch keine Art. Und seit ich den Job bei Markus Hengelmann endgültig verloren hatte, war Klara nicht mehr verreist. Als ob es nur darum gegangen wäre, mich ans Haus zu ketten. Wie hatte sie bei der Hochzeit gesagt? »Dass man Schritte hört, weil da oben tatsächlich jemand umhergeht, und nicht, weil man sich das einbildet.«

Ich war in den letzten Tagen viel umhergegangen, hatte versucht, all das zu sortieren, was mir durch den Kopf ging. Konnte Klaus tatsächlich so fies gewesen sein, Ronnie systematisch an die Wand zu spielen und ihm die finanzielle Lebensgrundlage zu entziehen, nur um mich für sich zu gewinnen?

»Ich will dich, Sandra!«

Daran hatte ich keine Zweifel. Aber wollte ich ihn? Das wusste ich nicht. Ich wäre auf der Stelle mit ihm ins Bett gestiegen, wenn ich die absolute Gewissheit bekommen hätte, dass niemand davon erfuhr. Ich hätte mich gerne mal in eine ausgehungerte Wölfin verwandelt und ihn machen lassen, nur um einmal am eigenen Leib zu erfahren, ob man tatsächlich in einen Zustand der Raserei geriet, wenn die Chemie stimmte. In Filmen sah das immer so aus. Und bei seinem Kuss hatte die Chemie gestimmt.

Aber mit Küssen kam man im Leben nicht weiter, mit wildem Sex auch nicht. Ich war nicht mehr achtzehn, nicht mehr mit einem geleasten BMW zu beeindrucken. Ich wusste nun, wie sich ein Leben ganz unten anfühlt, und wollte etwas Solides, einen Mann, auf den ich mich verlassen konnte. Sicherheit, darum ging es. Nach dem desaströsen Reinfall mit Ronnie wollte ich für den nächsten Versuch eine Garantie und wusste, dass kein Mensch mir eine geben konnte.

Und vielleicht ging es Klara gar nicht um die Schritte über ihrem Kopf, sondern ums Enkelkind, das sie nicht mehr täglich um sich hätte, wenn ich mich aus meiner Ehe befreite, was mir mit einem Job leichter gefallen wäre. Mit Klaus wäre es noch leichter und ginge auch schneller. Aber damit würde ich mich in eine neue Abhängigkeit begeben. Und wenn Klaus tatsächlich dachte, ich hätte in Ronnie früher einen Dukatenesel gesehen … 

Vor der Hochzeit hätte ich das vehement bestritten, inzwischen war ich nicht sicher, ob es nicht vielleicht doch so gewesen war. Oder ob ich Ronnie irgendwie geliebt hatte. Nur irgendwie, wie eben Achtzehn-, Neunzehn-, Zwanzigjährige lieben, überschwänglich vielleicht und blind für die Realität, unerfahren und oberflächlich, ohne Verantwortungsgefühl, bei Weitem nicht so tief und selbstlos wie die Frauen in all den Romanen, die ich inzwischen gelesen hatte. Dann würde ich in Klaus vielleicht nur einen neuen Esel sehen. Vielleicht hatte ich aber auch einfach nur zu viele solcher Geschichten gelesen und machte mir viel zu viele Gedanken.

»Jetzt haben sie einen Pflegedienst beauftragt«, durchtrennte meine Mutter das wirre Knäuel in meinem Hirn, ehe ich mich vollends darin verheddern konnte. »Morgens kommt jemand, um Betty zu waschen und anzuziehen. Das Füttern übernimmt die Haushälterin. Die geht aber nach Mittag, dann ist das arme Ding ganz alleine, bis Elisabeth nach Hause kommt. Sie versucht immer, es bis vier oder fünf Uhr zu schaffen, sagte sie. Das klappt nur leider nicht jeden Tag. Allein deswegen ist das keine Dauerlösung. Hinzu kommt, dass sie Probleme mit dem Pflegedienst haben. Glaub nicht, dass für die Körperpflege jeden Tag dieselbe Frau kommt. Manche stehen da wie der Ochs vorm Berg und haben keine Ahnung, wie sie mit Betty umgehen müssen. Das ist eine Zumutung für das hilflose Geschöpf, sagte Elisabeth. Letzte Woche hat tatsächlich eine gefragt, warum das Mädchen denn nicht ins Bad geht. Jetzt bleibt Elisabeth morgens dabei, muss dafür geschäftliche Termine verschieben oder ganz absagen. Geschäftsreisen kann sie gar keine mehr machen, und gerade das wäre so wichtig, sagte sie. Bei Verhandlungen müsste sie eigentlich dabei sein, ebenso wenn ihre Künstler Premieren oder Events haben. Wäre das...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2022 • eBooks • Frauenkrimi • Grande Dame Thriller • Ingrid Noll • Iris Berben Der stille Herr Genardy • Köln Krimi • Krimi-Bestseller-Autorin • menschliche Abgründe Krimi • Neuer Krimi Hammesfahr • Neuerscheinung • Neues Buch Hammesfahr • Psychospannung • Psychothriller • Roman häusliche Gewalt • Sebastian Fitzek • The Sinner Netflix • Thriller • toxische Beziehung Roman
ISBN-10 3-641-28999-8 / 3641289998
ISBN-13 978-3-641-28999-7 / 9783641289997
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