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DIE LÜGEN (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
336 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-44012-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

DIE LÜGEN -  LESLEY KARA
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Zwei Freundinnen, ein Todesfall, keine Erinnerung Sie waren unzertrennliche Freundinnen, Lizzie und Alice. Dann: die Tragödie bei einem Spaziergang auf den Gleisen. Doch bis heute hat Lizzie keinerlei Erinnerung an das Zugunglück, bei dem Alice mit 13 ums Leben kam. Sie ist nicht einmal sicher, ob es wirklich ein Unglück war - oder ob sie selbst schuld am Tod ihrer Freundin ist. Die Ungewissheit belastet sie auch als Erwachsene noch zutiefst. Aber jetzt endlich scheint es möglich, ein neues Kapitel aufzuschlagen und die Vergangenheit ruhen zu lassen. Da bekommt sie plötzlich unheimliche Nachrichten und Drohungen von jemandem, der zu wissen scheint, was damals wirklich passiert ist. »Kara lenkt einen geschickt auf die falsche Fährte und feuert dann eine Reihe von unerwarteten Twists ab, dass man nicht mehr weiß, wo einem der Kopf steht.« DAILY MIRROR »Dieser wendungsreiche Psychothriller schlägt einen sofort in Bann.« THE OBSERVER »Psychospannung, die unter die Haut geht. Schlaflose Nächte garantiert!« HEAT

Lesley Kara hat als Krankenschwester und Sekretärin gearbeitet, Englisch studiert, eine Zusatzausbildung zur Lehrerin gemacht und als Dozentin und Managerin im Bereich Further Education gearbeitet. Sie lebt in einer englischen Kleinstadt an der Küste von Essex.

Lesley Kara hat als Krankenschwester und Sekretärin gearbeitet, Englisch studiert, eine Zusatzausbildung zur Lehrerin gemacht und als Dozentin und Managerin im Bereich Further Education gearbeitet. Sie lebt in einer englischen Kleinstadt an der Küste von Essex.

2


Jetzt

Mittwoch, 13. März 2019

Irgendetwas im Zimmer hat sich verändert. Vielleicht liegt es am Tonfall des Nachrichtensprechers. An diesem ernsten Ton, den sie anschlagen, wenn etwas Schreckliches passiert ist. Möglicherweise auch an den Worten selbst, die sich einen Weg durch die Selbstschutzfilter in meinem Kopf bahnen.

Meine Schultern verspannen sich. Ein tödlicher Unfall an einem Bahnübergang. Ein Mädchen.

Ihr Gesicht blitzt in der Ecke des Bildschirms auf, bevor ich wegsehen kann. Ein freches kleines Lächeln. Grübchen in den Wangen. Sie war erst elf. Zwei Jahre jünger als Alice. Sie heißt Elodie. Hieß Elodie. Was für ein hübscher Name.

Ich greife nach der Fernbedienung und schalte den Fernseher aus, doch das Bild ist immer noch da, die Worte hallen wie ein Echo in meinem Kopf. Nur dass es nicht die Szene ist, die ich eben auf dem Bildschirm gesehen habe – den abgesperrten Bahnübergang, den Einsatzwagen, den ernst dreinblickenden Journalisten, der die Nachrichten vorträgt. Es ist das Bild, das immer da ist, hinter meinen Augen, und das nur darauf wartet, sich ohne Vorwarnung vor mir zu materialisieren und mich wieder hineinzuziehen.

Ross schaut überrascht auf.

»Es ist zu viel«, sage ich zu ihm. »Die schlechten Nachrichten.«

Er kratzt den letzten Rest seines Rühreis mit einem Teelöffel zusammen. »Sie dürfte nichts gespürt haben. Was vermutlich der einzige Trost für ihre Eltern ist. Selbst bei relativ geringer Geschwindigkeit hat ein Zug so viel Masse und Kraft, dass es einen Körper normalerweise sofort zerreißt.«

Ich trage meinen leeren Becher in die Küche und spüle ihn aus. Meine Brust fühlt sich eng an, als wären meine Lungen zusammengeschnürt. Ich will ihn fragen, ob er das wirklich glaubt: dass das Wissen, ihre Tochter sei sofort in Stücke gerissen worden, ein Trost für ihre Eltern ist. Doch ich lasse den Augenblick kommentarlos verstreichen. Ich will kein Gespräch darüber führen. Jetzt nicht. Später nicht. Niemals.

Ich versuche, nicht zu denken, aber das ist unmöglich. Ein weiteres Leben ausgelöscht in Sekunden. Eine weitere trauernde Familie.

Ross kommt hinter mir her und lächelt mich verlegen an. »Sorry, aber so arbeitet mein Gehirn nun mal.«

Ich schüttele den Kopf. »Erzähl es mir ruhig.«

Was Ross nicht ahnt: Ich weiß ganz genau, was mit einem Körper passiert, wenn ein Zug ihn erfasst. Ich habe es nachgeschlagen, vor langer Zeit. Konnte mich nicht zurückhalten. Es hängt davon ab, wie schnell der Zug fährt und ob der Körper beim Aufprall aufrecht steht oder auf dem Gleisbett liegt, aber im Wesentlichen zerreißt es beim Aufprall alle lebenswichtigen Organe und die großen Blutadern. Manchmal wird der Körper durch die Luft geschleudert, manchmal von den Rädern ergriffen und in kleine Stücke zerhackt. Gebrochene Knochen. Verstümmeltes Fleisch. Abgerissene Gliedmaßen.

Ich musste es einfach wissen. Und dann habe ich diese Informationen irgendwo in mir abgelegt und nie wieder hervorgeholt. Aber sie sind immer da, allzeit bereit, in mein Bewusstsein hineinzusickern, wann immer ein Zugunfall passiert. Vor allem, wenn Kinder beteiligt sind. Vor allem, wenn es ein Mädchen ist. So wie Alice.

Ich blinzle, um das Bild zu vertreiben, das gerade in meinen Kopf gelangt ist, und betrachte Ross, wie er da in der Küche steht und in den Garten hinausschaut, auf die vielen Osterglocken im Gras. Er trägt noch seine Loungehose und ein T-Shirt, und in dem frühmorgendlichen Sonnenlicht leuchtet seine helle Haut. Er hat etwas Geschmeidiges, etwas Formbares an sich an diesem Morgen, wie ein Student, ein Vertriebsassistent oder ein junger Typ hinter dem Bartresen. Doch in weniger als einer halben Stunde wird er sich wieder in einen Arzt verwandelt haben, in Gedanken bereits bei dem Tag, der vor ihm liegt. Erstarrt zu einer »Säule der Gesellschaft«, wie ich es scherzhaft nenne.

Ich will ihm immer von Alice erzählen – er ist schließlich mein Verlobter –, aber irgendwie scheint dafür nie der richtige Zeitpunkt zu sein. Und außerdem, wenn ich es ihm erzähle, könnte er mir Fragen stellen, die ich nicht beantworten kann.

»Lass dir Zeit und erzähle uns genau, was passiert ist.« Das haben die Polizisten gesagt. Aber egal, wie oft sie mich gefragt haben, meine Antwort war immer dieselbe.

»Ich weiß es nicht. Ich kann mich nicht erinnern.«

Über die Jahre hinweg haben verschiedene Neurologen mir zu erklären versucht, dass nicht immer genug Zeit bleibt, damit das, was unmittelbar vor einem Anfall passiert, vollständig ins Gedächtnis einfließen kann. An manchen Tagen frage ich mich, wie es wohl wäre, wenn meine verlorenen Erinnerungen zurückkehrten. Wie fehlende Puzzleteile, die ihren Platz einnehmen. Die mich wieder ganz machen.

An anderen Tagen frage ich mich, ob es vielleicht besser ist, dass ich mich nicht erinnere.

Ross trinkt seinen Kaffee aus. »Übrigens, ich habe mit unserer Verwaltungsleiterin über diesen Teilzeitjob am Empfang gesprochen. Sie sagt, du sollst sie anrufen, wenn du Interesse hast.«

Ich räume die restlichen Sachen unseres Frühstücks ab, erleichtert, dass er das Thema gewechselt hat. »Ich habe noch mal darüber nachgedacht«, erwidere ich. »Vielleicht sollte ich mir lieber etwas in Vollzeit suchen. Etwas Interessanteres.«

Ross runzelt die Stirn. »Bist du sicher, dass das klug ist? Du willst dich doch nicht so fordern.«

»Aber so ist es nun mal. Ich will es. Wenn ich den ganzen Tag hier herumhänge, werde ich noch verrückt.«

Mit einem Studienabschluss in der Tasche hätte ich vermutlich längst eine vernünftige Stelle. Ich habe wegen meiner Epilepsie so oft in der Schule gefehlt, dass ich erst zwei Jahre später als alle anderen die mittlere Reife und dann das Abitur gemacht habe. Und das Letzte, was ich nach alldem wollte, war noch mehr lernen. Inzwischen wünsche ich mir allerdings, ich hätte die Universität besucht. Bis jetzt hatte ich nur langweilige Jobs in Büros oder als Rezeptionistin. Ich befürchte, dass ich den Gedanken an einen weiteren Job dieser Art nicht ertrage, aber trotzdem, irgendetwas muss ich tun. Mir fällt die Anzeige wieder ein, die ich letztens in der Stadtteilzeitung gesehen habe, die für den Tag der offenen Tür an der Universität Greenwich. Vielleicht sollte ich dort mal hingehen und mich erkundigen.

Ross schlingt von hinten die Arme um mich, während ich beim Abwaschen bin, und küsst meinen Nacken. Seine Hände wandern von meiner Taille aufwärts, und ich spritze mit der Spülbürste über die Schulter Seifenwasser auf ihn.

»Spielverderber!«, ruft er und wischt sich Schaum aus den Augen. »Überhaupt, wenn du den Job in der Klinik annimmst, würdest du ja gar nicht den ganzen Tag hier herumhängen. Noch dazu könntest du dem fabelhaften Dr. Ross Murray verführerische Blicke zuwerfen, wenn er ins Wartezimmer kommt.«

Ich lache schnaubend. »Das ist also einer der Vorteile des Jobs?«

»Und ob.«

»Aber im Ernst«, sage ich. »Die Bezahlung ist miserabel. Das hast du selbst gesagt.«

»Aber es geht doch gar nicht ums Geld, oder? Es geht um deine Gesundheit. Wir kommen prima mit meinem Gehalt aus.«

Ich seufze. Nicht das schon wieder. »Meine Gesundheit ist inzwischen bestens, Ross. So gut wie noch nie. Ich habe seit fast zwei Jahren keinen schweren Anfall mehr gehabt.«

Das spreche ich normalerweise nicht laut aus, denn ich will das Schicksal nicht herausfordern, vor allem jetzt nicht, wo ich endlich ein Leben habe. Nicht, dass ich an Schicksal glaube. Nicht wirklich. Trotzdem klopfe ich auf den Holztresen, nur um auf der sicheren Seite zu sein.

Hin und wieder habe ich noch fokale Anfälle – kurz und herdförmig begrenzt. Flüchtige Momente der Abwesenheit, die mich ehrlich gesagt gar nicht stören. Es sind die anderen, die sie bemerken, nicht ich. Dann flattern meine Augenlider, und ich bin ein paar Sekunden lang nicht ganz bei mir. Das jedenfalls erzählt man mir.

»Dir geht’s so gut wie noch nie, weil du entspannt bist und richtig auf dich aufpasst«, sagt Ross. »Du darfst nichts übertreiben.«

Ich schrubbe die Eierteller etwas zu heftig mit der Spülbürste. Er hat recht. Natürlich. Der letzte Job, den ich hatte, war ein Fehler. Damals wohnte ich noch zu Hause bei Mum und Dad und pendelte jeden Tag in die Stadt. Ich hätte auf sie hören sollen. Es war zu viel für mich – ich war erschöpft. Doch jetzt wohne ich in London, mit Ross zusammen, da wird es sehr viel leichter sein. Und ich nehme genau die richtige Kombination an Medikamenten. Das verhindert die wirklich schweren Anfälle – die, bei denen ich zu Boden gehe und mich vor allen lächerlich mache –, ohne dass meine Wahrnehmung ständig getrübt ist.

»Ich hab’s nur satt, dass sich alles immer um meine Epilepsie dreht. Ich bin doch keine Invalide!«

Ross dreht mich an den Schultern zu sich herum und schaut mir tief in die Augen. »Ganz genau. Du bist eine wunderbare, sexy Frau und störrisch wie ein Esel.«

Wir küssen uns so lange, dass wir danach vergessen haben, worum es bei unserer Streiterei ging. Oder wir tun vielmehr so, als hätten wir es vergessen.

Wir haben uns in einem Café in Dovercourt kennengelernt, der kleinen Küstenstadt in der Nähe von Harwich, in die meine Eltern und ich nach Alice’ Tod gezogen sind. Er rempelte mich aus Versehen an, und sein Kaffee schwappte auf meine Wildlederstiefel. Daraufhin entschuldigte er sich...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2022
Übersetzer Britta Mümmler
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte Amnesie • beste Freundinnen • Drohungen • England • Familiengeheimnis • Frauen-Spannungsroman • Frauen-Thriller • Freundinnen • Gedächtnisverlust • Großbritannien • Psycho-Spannungsroman • Psychothriller • Psycho-Thriller • Psychothriller England • Psychothriller Romane • Rache • Spannende Bücher für Frauen • Teenager • Thriller England • thriller neuerscheinung • Thriller und Psychothriller • Unglück • Weihnachtsgeschenke • Zugunglück
ISBN-10 3-423-44012-0 / 3423440120
ISBN-13 978-3-423-44012-7 / 9783423440127
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