Die letzte Kosmonautin (eBook)
416 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491490-9 (ISBN)
Brandon Q. Morris ist Physiker und beschäftigt sich beruflich und privat schon lange mit Weltraum-Themen. Er wäre gern Astronaut geworden, musste aber aus verschiedenen Gründen auf der Erde bleiben. Sein Ehrgeiz ist es deshalb, spannende Science-Fiction-Geschichten zu erzählen, die genau so passieren könnten. Was seinen Besuch im All betrifft: Er arbeitet daran.
Brandon Q. Morris ist Physiker und beschäftigt sich beruflich und privat schon lange mit Weltraum-Themen. Er wäre gern Astronaut geworden, musste aber aus verschiedenen Gründen auf der Erde bleiben. Sein Ehrgeiz ist es deshalb, spannende Science-Fiction-Geschichten zu erzählen, die genau so passieren könnten. Was seinen Besuch im All betrifft: Er arbeitet daran.
›Die letzte Kosmonautin‹ ist ein deutscher Hard-SF-Roman, der neben Spannung, Humor und tollen Ideen glaubhafte Charaktere und eine gut konstruierte Geschichte bietet. Lesenswert!
interessante[r] und in sich schlüssige[r] Alternativweltroman.
die liebevoll ausgestaltete Ostpatina bringt großes Vergnügen. […] Wer tiefer in die Welt einer Zukunfts-DDR eintauchen will, der wird große Freude haben.
5. Oktober 2029
Erdorbit
Sie verankert ihre Stiefel in den Fußrasten und legt den Kopf in den Nacken, damit ihr die Lüftung den Schweiß nicht mehr direkt in die Augen treibt. Schon beim Training hat sie es Heiner gesagt: Es war ein Konstruktionsfehler, den Ventilator im Helm oberhalb der Hutlinie anzubringen. Wehe, die Missionskontrolle macht ihr deshalb Ärger. Die haben gut reden! Sollen sie doch selbst weniger heiße Luft absondern, statt ihr vorschreiben zu wollen, wie sie Ressourcen zu sparen hat. Mandy atmet absichtlich mehrmals tief ein und aus, bis ihr schwummrig wird.
Pause. Sie lässt das Kabel mit den elektrischen Kerzen los. Eine leichte Bewegung geht durch die schlangenförmige Kette, die in der Schleuse der RS Völkerfreundschaft endet. Dadurch wirkt sie fast lebendig, wie ein überdimensionaler Zitteraal. Das Tier hatte ihre Zwillinge sehr beeindruckt. Sie sieht sich mit den beiden Mädchen an der Hand durch den Leipziger Zoo spazieren.
Noch zwei Wochen, dann kommt die Ablösung. Sie muss sich auf die Realität konzentrieren. Tief unter ihr versetzt gerade der Stiefel des italienischen Festlands der Insel Sizilien einen Tritt. Ihre Stirnhaut spannt sich. Mandy würde sich gern kratzen. Sie versucht, den Kopf so weit nach unten zu drücken, dass der Flüssigkeitsspender die Stirn erreicht, damit sie sich daran reiben kann. Aber dafür ist der Helm nicht groß genug.
»Geht es dir gut?«
Das ist Bummi, der Roboter, ihr einziger Begleiter. Der Name, der von dem Bärenmaskottchen der Kinderzeitschrift stammt, passt überhaupt nicht zu ihm. Bummi sieht aus wie eine vierbeinige Spinne, weil sein Körper im Vergleich zu seinen fast zwei Meter langen Gliedern klein ist. Aus den Augenwinkeln sieht Mandy, wie er zu ihr gekrochen kommt. Er benutzt abwechselnd seine Arme und Beine, um sich über die Außenhaut der Völkerfreundschaft zu bewegen.
»Ja, ich lege nur eine kleine Pause ein«, sagt Mandy.
»Du solltest die Außenbordaktivität so kurz wie möglich halten.«
»Ich weiß, Bummi, ich soll Sauerstoff sparen.«
»Genau, aber mir geht es auch um dich. Jede Minute hier draußen vergrößert dein Unfallrisiko.«
»Ich weiß, du willst nur mein Bestes.«
Bummi antwortet nicht. Er antwortet nie auf Sätze, die nur das Offensichtliche feststellen. Manchmal traut ihm Mandy zu, dass er sich insgeheim für viel schlauer hält und von oben auf sie herabsieht, aber äußern würde sich der Roboter so nie. Sie löst den Blick von der Erdkugel, die ihr inzwischen den Atlantik zeigt. Als sie ihren Rumpf nach vorn beugt, um die Sicherungsleine an einer anderen Querstrebe einzuhaken, wird ihr kurz übel. Sie hat ihrem Körper zu lange das Gefühl gegeben, mit dem Kopf nach unten zu hängen, obwohl Raumrichtungen in der Mikrogravitation keine Rolle spielen.
»Du musst um den Bug herum«, sagt Bummi. »Oder soll ich das lieber übernehmen?«
»Nein danke, das schaffe ich schon.«
Mandy stößt sich ab und arbeitet sich in Richtung Bug voran, wo die Raumstation sich deutlich verjüngt. Daran merkt man am deutlichsten, dass sie aus einer ehemaligen Raketenoberstufe gebaut wurde. Das hatte sich als kostengünstigster Weg erwiesen, die im Rahmen des vierzehnten Fünfjahrplans zu errichtende erste Raumstation der DDR in den Erdorbit zu bekommen. Die Einweihung ist nun fünfzehn Jahre her. Damals hatte Mandy gerade die Kinder- und Jugendsportschule abgeschlossen. Die Offiziersausbildung bei den Luftstreitkräften war ihr als einziger Weg erschienen, selbst einmal als Kosmonautin ins All fliegen zu können.
Hätte ihr damals jemand erzählt, sie würde heute als schwebender Elektriker eine Festbeleuchtung installieren, hätte sie nur laut gelacht oder diesen unverschämten Menschen als Republikfeind gemeldet.
»Vorsicht bei der Antenne«, sagt Bummi.
Mandy hakt die Sicherung ein, dreht sich um – und erschrickt. Der Roboter ist direkt hinter ihr. Er hat den linken Arm erhoben und hält seine Klaue über sie, als wolle er gleich zuschlagen.
»Was tust du da?«, fragt sie.
»Ich sichere dich. Dein Herzschlag hat sich beschleunigt, so dass ich von zunehmender Erschöpfung ausgehen muss.«
»Das ist nicht nötig. Es geht mir sehr gut.«
»Ich glaube, ich weiß besser …«
»Ich befehle dir, diese unnötige Verschwendung von Ressourcen einzustellen.«
Der Roboter nimmt seinen Arm herunter.
»Was soll das?«, fragt Mandy. »Deine ganze Anwesenheit hier draußen ist überflüssig.«
»Jawohl.«
Bummi dreht sich um. Sein eiförmiger Körper schwingt durch, während er neben ihr her über die Außenhaut kriecht. Mandy bekommt eine Gänsehaut. Sie hat Spinnen noch nie gemocht. Sie traut dem Roboter nicht. Er hat zu oft seinen eigenen Kopf. Angeblich verfügt er über ein gewisses Maß an autonomer Intelligenz, etwa auf dem Niveau eines Schimpansen. Aber er erscheint ihr oft deutlich klüger. Bummi erinnert sie ein bisschen an den Stasihauptmann in ihrer Ausbildungseinheit. So wie der Zugriff auf alle Personalakten hatte, kontrolliert der Roboter sämtliche Systemdaten, darunter auch die Sensoren in ihrem Raumanzug.
Am Bug der Raumstation befindet sich eine große, drehbar gelagerte Antenne. Mandy verlegt die Kette mit den Leuchtkerzen in ausreichendem Abstand zu ihr, denn sie ist ihre einzige Verbindung zur Erde. In ein paar Stunden müsste sie wieder in Reichweite der Kontrollstation auf dem Brocken kommen. Dann kann sie endlich länger mit Susanne und Sabine sprechen. Drei Monate ohne ihre Süßen sind doch eine verdammt lange Zeit.
Mandy setzt ihren Weg um die Station fort. Wie eine seltsame Schnecke hinterlässt sie dabei eine Spur aus einem dunkelgrünen Kabel, an dem etwa alle hundert Zentimeter eine kerzenförmige elektrische Lampe hängt. Dass sie die Kabeltrommel über den Rücken geschnallt hat, trägt sicher zu diesem Eindruck bei. Tatsächlich kommt sie nur im Schneckentempo voran. Jeder Schritt in der Schwerelosigkeit stellt eine Herausforderung dar. Es gibt nur totales Schwarz und blendende Helligkeit, und wenn sie einen einzigen Schritt ohne Sicherungsleine wagte, würde sie damit ihr Leben riskieren.
Aber vermutlich kann sie das gar nicht. Sie musste die Abläufe im Wasserbecken des Sternenstädtchens so oft trainieren, dass sie ohne bewusstes Überlegen ablaufen. Zu gehen heißt, sich zu bücken und sich wieder aufzurichten, ohne darüber nachzudenken. Mandy lacht. Das könnte das Motto für ihr ganzes Leben in ihrem Heimatland sein.
Sie wischt den Gedanken beiseite. Er ist nicht hilfreich. Bummi streckt ihr einen Arm entgegen. Sie greift nach der Klaue, dem Universalwerkzeug am Ende des Arms, das sich auch prima als Waffe eignen würde. Sie muss aufpassen, dass sie mit dem Handschuh nicht die scharfe Schneide erwischt.
»Keine Sorge«, hört sie den Roboter im Helmfunk. »Ich habe den kleinen Finger über die Schneide gelegt. Dir kann nichts passieren. Vertrau mir.«
Kann man einer Maschine vertrauen? Unbedingt, und sie hat Übung darin. Mandy musste ihr ganzes Leben lang Maschinen vertrauen. Erst dem Motorrad, das sie sich als ehemalige Turnerin von den Prämien für ihre Siege bei DDR- und Europameisterschaften geleistet hat. Dann dem Trainingsflugzeug aus tschechischer Produktion, später kurz dem russischen und denn dem saudi-arabischen Kampfjet, den die NVA angeschafft hat, und schließlich der von DDR-Ingenieuren entwickelten dreistufigen Rakete, die sie vom Weltraumbahnhof Peenemünde in den Erdorbit und schließlich zur Raumstation Völkerfreundschaft gebracht hatte.
Also greift sie herzhaft zu. Bummis Klaue schließt sich um ihre Hand.
»Ich habe dich«, sagt der Roboter. »Du kannst die Sicherungsleine jetzt ausklinken.«
Sie öffnet erst den Karabiner der einen, dann den der anderen Leine. Die beiden Seile tanzen um sie herum. Der Schwung, den sie dem Karabiner an ihrem Ende verliehen hat, bewegt sich als stehende Welle auf der Dederonschnur hin und her. Dann fliegt sie. Bummis langer Arm beschreibt einen großen Bogen. Sie entfernt sich einen, dann zwei Meter vom Schiff.
Mandy jauchzt. So hat es sich angefühlt, wenn ihr Vater sie in die Luft geworfen hat, als sie klein war. Ließe Bummi jetzt los, würde sie die Raumstation nie wieder erreichen. Ganz kurz gelingt es ihr, die Station komplett in ihr Blickfeld zu bekommen. Bummi muss mit einem anderen seiner Glieder das Kabel der Festbeleuchtung angeschlossen haben, denn die Völkerfreundschaft blinkt nun mit allen achtzig Kerzen wie ein Weihnachtsbaum. Eine Träne wird vom Impuls der Bewegung durch den Helm geschleudert. Es ist wunderschön.
Von der Erde aus wird diese Festbeleuchtung natürlich nicht zu sehen sein. Ihre Aufgabe ist es, morgen eine fliegende Kamera abzuschießen, die die Völkerfreundschaft mehrmals aus allen Richtungen filmen wird. Die Bilder sollen dann bei der zentralen Festveranstaltung in Berlin auf riesigen Projektionsschirmen gezeigt werden. Mandy Neumann, Heldin der DDR. Die Mädchen werden sich daran gewöhnen müssen, dass ihre Mutter berühmt ist. Hoffentlich müssen sie nicht darunter leiden.
»Ich setze dich jetzt in der Schleuse ab«, sagt der Roboter.
»Könntest du vorher etwas für mich tun?«
»Natürlich. Ich warte auf deine Befehle.«
»Schwenk mich noch einmal, wie du es gerade getan hast. Ich möchte die Wirkung der achtzig Kerzen prüfen.«
»Ich messe ihren Stromverbrauch und kann dir versichern, dass keine ausgefallen ist.«
»Es geht um die Wirkung. Das ist etwas Persönliches, das Maschinen nicht zugänglich ist.«
»Natürlich,...
Erscheint lt. Verlag | 30.3.2022 |
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Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
Schlagworte | Alternative Geschichte • Astronauten • Dresden • Hard SF • Harte Science Fiction • Kosmonauten • Neue Science Fiction 2022 • Picknick am Wegesrand • Raumfahrt • Raumstation • Science Fiction • science fiction bestseller • Stalker |
ISBN-10 | 3-10-491490-7 / 3104914907 |
ISBN-13 | 978-3-10-491490-9 / 9783104914909 |
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