Das Rot der Nacht (eBook)
290 Seiten
tolino media (Verlag)
978-3-7521-2310-4 (ISBN)
KATRIN ILS lebt und schreibt in Wien, wo sie sich ihre Wohnung mit Magiern, Antihelden und Avocadobäumen teilt. Ganz den österreichischen Autorenkonventionen folgend, schreibt sie besonders gerne im Kaffeehaus, wobei böse Zungen behaupten, dass das eher an ihrer Schwäche für Malakofftorte liegt.
KATRIN ILS lebt und schreibt in Wien, wo sie sich ihre Wohnung mit Magiern, Antihelden und Avocadobäumen teilt. Ganz den österreichischen Autorenkonventionen folgend, schreibt sie besonders gerne im Kaffeehaus, wobei böse Zungen behaupten, dass das eher an ihrer Schwäche für Malakofftorte liegt.
KAPITEL EINS
Der Wald war unheimlich still. Schnee knirschte unter ihren Stiefeln, und Belanca schob die Hände tiefer in die Manteltaschen, die Faust fest um den schmalen Streifen Papier geschlossen, den ihr der Pfarrer mitgegeben hatte. Der Segensspruch sollte sie vor dem Bösen beschützen, das vor ihr lag. Ob es auch gegen die Wölfe helfen würde, deren vereiste Spuren immer wieder den schmalen Pfad kreuzten? Sie meinte, etwas Feindseliges im Schweigen der Bäume zu spüren, deren dichtes Geäst das bleiche Tageslicht nur widerwillig passieren ließ.
Die Gerüchte von Hexen, die in den Wäldern ihr Unwesen trieben, waren wieder lauter geworden in diesem langen Winter, und Belanca hoffte inständig, dass es nur Gerede war. Die letzte Teufelsbraut von Wolffstedt war bereits vor Jahren hingerichtet worden, und das Übernatürliche scheute die geweihten Dorfgrenzen seither. Doch außerhalb des heiligen Schutzes verschwanden immer wieder Menschen in den Wäldern, und auch wenn die meisten Opfer wilder Tiere geworden waren – der Teufel lebte und wer töricht genug war, sich in die Tiefen des Forstes vorzuwagen, bezahlte diesen Hochmut allzu oft mit seiner Seele.
Wind kam auf und strich eisig über ihre Wangen. Belanca schauderte. Es klang wie ein Wispern, ein Flüstern von Hexen, die in Tiergestalt mit dem Teufel buhlten, von Flüchen, die die Toten aus ihren Gräbern holten, von Schadenszaubern, von Trugbildern und Irrlichtern, die Unschuldige in den Wald lockten, wo die Wölfe sie zerrissen. Kehre um, schienen die Bäume zu ächzen, kehre um, der Wind zu pfeifen, als er mit kalten Fingern an ihrem Mantel zog. Doch Belanca ging weiter.
Irgendwo in diesem dunklen Wald stand ein Turm, und wenn Vater Wolff die Wahrheit gesprochen hatte, wartete in ihm Belancas Rettung. Oder mein Verderben.
Hin und wieder brachten Krähen die schneebedeckten Zweige ins Schwanken. Ihre weiße Last fiel kalt und nass in Belancas Kragen, und sie ging schneller und versuchte, nicht an die Krähenhexe zu denken, die seit dem letzten Vollmond im Nachbardorf umging. Die heiseren Rufe der schwarzen Vögel folgten ihr spöttisch, und Belanca gab die Wärme der Manteltasche auf, um das Amulett um ihren Hals zu umklammern. Die weißen Wolken ihres Atems blieben in den dürren Zweigen hängen, als ihre kalten Lippen wieder und wieder die Worte der Gebete formten.
Doch so sehr Belanca sich auch bemühte, an die Kraft der heiligen Formeln zu glauben, die Bekenntnisse zu Gott und Maria hallten schal in ihr wider. Sie konnte nicht glauben, so sehr sie sich auch bemühte, und es war ihr dunkles Geheimnis, das sie vor allen in Wolffstedt verbarg. Denn etwas musste falsch sein an ihr, an ihrem Herzen, dass sie es Gott nicht öffnen konnte. Trotzdem betete sie weiter, ließ die Phrasen schwer von ihrer Zunge fallen, als der Schnee um sie herum fiel und die Nässe durch die dünn gewordenen Flicken des Mantels drang.
Ob Vater Wolff wusste, worum sie den Unsterblichen bitten würde, sobald sie ihn befreit hatte? Der Papierstreifen lag rau zwischen ihren kalten Fingern. Zumindest ahnen muss er es. Der Pfarrer hatte den Weg zum Turm zwar als eine Pilgerfahrt beschrieben, als einen Weg, der Belanca dabei helfen sollte, ihre Gedanken vom sündhaften, irdischen Begehren zu lösen und sie Gott zuzuwenden. Doch vielleicht war dies ihre Prüfung! Eine Krähe krächzte missmutig über ihr, Schnee rieselte auf Belanca herab, als der Vogel den Ast wechselte, doch Belanca beachtete es nicht. Meine Prüfung. Eine Möglichkeit, die der Dorfpfarrer ihr zugestand, um zu beweisen, dass sie doch eine würdige Braut für Simon war, dem Standesunterschied zum Trotz! Hoffnung stieg in ihr auf und wärmte sie. Sie hatte gebeichtet, einmal im vergangenen Jahr, dass sie Simon liebte, und Pater Wolff hatte deutliche Worte für ihre Unverfrorenheit gefunden. Doch als sie heute Morgen zu ihm gekommen war, weinend, dass sie Simon immer noch liebte, dass sie seine Verlobung nicht ertrug – da war auf einmal Mitleid in seiner Stimme gewesen. Als er begann, von dem Turm im Wald zu sprechen und von dem unsterblichen Dämon, der ihn behauste, hatte Belanca anfangs gedacht, er würde ihr ein Gleichnis erzählen, auch wenn sie es nicht verstand. Doch es war keine Fabel. Es war das dunkle Geheimnis des Waldes um Wolffstedt.
Ihr Herz tat einen schmerzhaften Sprung, als sie eine dunkle Säule zwischen den Bäumen zu erkennen glaubte, doch es war nur eine dunkle Tanne, die sich über ihre Artgenossen erhoben hatte. In der Ferne ließ ein Wolf sein Klagen vernehmen; der unheilvolle Laut hallte verloren durch das Schneetreiben und fand sein Echo in den Schreien der Krähen. Unruhig warf Belanca einen Blick über ihre Schulter. Sie konnte Schatten zwischen den Bäumen sehen, war sich sicher, dass es Wölfe waren. Doch die Tiere wagten sich nicht weiter vor, obgleich sie leichte Beute war. Sie schluckte. Lag es an der unheimlichen Stimmung in diesem Teil des Waldes? Oder beschützten sie die Gebete des Paters? Irgendwo knackte ein Zweig, und sie zuckte zusammen. Wäre es nur um sie gegangen, Belanca wäre umgekehrt. Du tust es für euch, erinnerte sie sich selbst. Für Simon und dich. Simon. Sie meinte, ihn neben sich gehen zu sehen, seine warmen blauen Augen und das hellbraune Haar, sein verschmitztes Lächeln und seine starken Hände, so rau von der Arbeit wie ihre auch.
Aber an diesem düsteren Tag, an dem die Welt außerhalb der Bäume nicht zu existieren schien und das Krächzen der Krähen wie dunkle Flüche durch die eisige Luft trieb, erschien ihr ihr Vorhaben selbstsüchtig und sündhaft. Nichts konnte die Furcht vertreiben, die wie ein Dorn in ihrem Herzen saß. Simon war nicht für sie bestimmt. Was sie sich auch gegenseitig versprochen hatten: Als Sohn des reichsten Bauern in Wolffstedt stand er so weit über einer Tagelöhnerin wie ihr, dass sie nicht einmal an ihn denken durfte.
Aber ich kann mehr sein als nur das. Die Kälte kroch unter ihren Mantel, und Belanca lenkte ihre Gedanken zu all den Dingen, die das Monster im Turm ihr gewähren konnte. Eine Mitgift, die auch Simons Vater milde stimmen würde, oder vielleicht sogar die Offenbarung, dass sie die verschwundene Tochter eines Grafen war, oder …
»Nur ein reines Herz kann das Mal Satans von dem Scheusal nehmen und es erlösen«, klangen die Worte von Vater Wolff auch jetzt noch in ihr nach. »Im Wald steht ein Turm, den niemand betritt, in ihm haust die unglückliche Seele. Christenmenschen haben sie dort angekettet und sie in Dunkelheit versiegelt, um das Land vor ihr zu schützen. Dort wartet der Unsterbliche immer noch, und wer seine Seele aus den Klauen des Bösen rettet, dem gewährt er einen Wunsch.«
»Jeden Wunsch?«
»Was immer das reine Herz begehrt.«
Aber ist mein Herz rein? Seit sie ihre Liebe zu Simon in der Beichte gestanden hatte, hatte Vater Wolff sie davor gewarnt, dem Hochmut und der Unkeuschheit zu verfallen, die der Teufel in ihrem Herz hatte keimen lassen. Und nun dieser Bericht, über einen von Gott Verdammten, der ihre Zukunft mit Simon in seinen Händen hielt. Keines der üblichen Teufelskinder, keine böse Zauberin oder ein Gestaltwandler, nein, eine andere Kreatur, wie Kain zur Unsterblichkeit verflucht. Sie sah Pater Wolffs hageres Gesicht vor sich, seine ernsten Augen, als er gesagt hatte: »Versprich mir, dass du darüber schweigst, selbst wenn du den Turm nicht betrittst. Es gibt Hoffnung für diesen armen Sünder, doch das einfache Volk würde es nie verstehen und ihn dem Galgen übergeben wie die Hexen und Wandler.«
Belanca hatte es geschworen. Doch ihr Herz klopfte schnell bei dem Gedanken daran, diesem Unsterblichen schon bald gegenüberzustehen. Hexen, Werwölfe – all diesen Kreaturen konnte sie zu entkommen hoffen, hatte es bereits als kleines Kind gelernt wie alle anderen auch. Sie wusste, dass die Wölfe Silber scheuten und die Teufelsbräute kaltes Eisen, dass manche Zeichen das Böse riefen und andere es abwehrten. Deswegen trug auch sie als arme Tagelöhnerin ein einfaches, geweihtes Messingamulett über ihrem Mantel, dessen eingeprägter Drudenfuß sie vor dem Bösen schützen sollte. Im Weiß des Waldes war das rote Metall der einzige Tupfen Farbe, eine tröstliche Erinnerung an das Licht und Leben, die im Dorf auf sie warteten.
Der kalte Wind fuhr durch die Bäume und Belanca meinte zu spüren, wie er direkt in ihr Herz fuhr. Sie kam sich klein und unbedeutend vor, als sie unter den dunklen Tannen weiterging. Altvertrauter Zweifel regte sich wie Gift in ihr. Wie sollte sie ein Schmuckstück und ein Streifen Papier beschützen? Aber ich muss es wagen, ich – Ein Krächzen schreckte sie auf.
Eine Krähe flog an ihr vorbei, so nahe, dass sie den Wind der Schwingen auf ihrer Wange spürte. Nur zwei Schritte entfernt landete sie und musterte Belanca mit kohlschwarzen Augen. Die Intelligenz in ihnen schien Belanca mehr als die eines Tieres zu sein. War die Krähenhexe schon in die Wälder um Wolffstedt vorgedrungen? Sie bekreuzigte sich mit bebenden Fingern.
Zum ersten Mal, seit sie aus dem Dorf aufgebrochen war, wurde ihr wirklich bewusst, was sie tat: Sie war im Wolfwald, über dem die Wintersonne bereits gefährlich tief stand, und jagte...
Erscheint lt. Verlag | 23.11.2020 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Fantasy • Hexen • historisch • Märchen • Märchenadaption • Mittelalter • Vampir |
ISBN-10 | 3-7521-2310-9 / 3752123109 |
ISBN-13 | 978-3-7521-2310-4 / 9783752123104 |
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Größe: 1,1 MB
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