Das Haus Zamis 26 (eBook)
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-2351-0 (ISBN)
Georg Zamis wusste nicht, wie viel Zeit er schon hier unten in diesem nassen, glitschigen Gefängnis verbracht hatte.
Es war kalt, schrecklich kalt und fast dunkel. Abwärts von der Hüfte hatte er kein Gefühl mehr, er war der Mann ohne Unterleib, wie er sich selbst verspottete: Wenn die Flut kam, reichte das Wasser bis zur Hüfte. Dann floss es langsam wieder ab, bis knapp unterhalb der Waden, doch kaum war es so tief gesunken, da kam schon der nächste Schwall in die Kammer geschossen.
Es war ein runder, höhlenartiger Raum, ähnlich einem Brunnenschacht, ohne Vorsprung, auf den man sich wenigstens für kurze Zeit retten konnte. In dem trüben Zwielicht war nicht viel zu erkennen; verschwommen sah Georg ein Gitter über sich, in ungefähr fünf Metern Höhe. Unerreichbar für ihn, in seinem Zustand ...
2. Kapitel
USA
Eve Richards ging beschwingt die Straße entlang. Es war eine gute Nacht gewesen auf der »Hopp Street«, wie die Erotikmeile genannt wurde. Zum Glück waren in der Nacht alle Katzen grau, weswegen man Eve ihre fünfunddreißig Jahre in der schlechten Straßenbeleuchtung nicht sofort ansah. Die meisten Freier wollten junge Mädchen, höchstens Anfang zwanzig. Aber wenn Eve erst mal mit einem Interessenten ins Gespräch gekommen war, hatte sie meistens Erfolg. Sie verstand etwas von ihrem Geschäft. Es war das Einzige, was sie konnte.
»Hi, Eve!« Der Türsteher der Diskothek Csabas Nights, der genauso gut als Wrestler sein Geld hätte verdienen können, kannte sie und ließ sie anstandslos ein; er wurde regelmäßig von ihr geschmiert.
»Hi, George«, gab sie zurück. »Geht was ab?«
»Ja, mir, wenn ich dich sehe ... Drinnen ist es wie immer.«
Manchmal riss Eve auch heute noch einen Freier in der Diskothek auf, wenn die New Yorker Nächte einfach zu kalt zum stundenlangen Herumstehen im Freien waren. Aber sie durfte sich nicht dabei erwischen lassen, denn das war Wilderei im fremden Revier. Für den Innendienst war Eve zu alt.
Es war dunkel, laut und die Luft nikotingeschwängert. Auf den Tanzflächen, umgeben von Gogos, bewegten junge Menschen und solche, die sich dafür hielten, ihre sorgfältig gestylten Körper, stets darauf bedacht, sich im umherschweifenden Scheinwerferlicht von der besten Seite zu zeigen. Eve Richards drängelte sich durch die herumstehenden Zuschauer zur großen Theke.
»Hi, Eve, was gibt's?« Rod, der Barmann, ein haarloser Fleischberg im Netzhemd, kam zu ihr.
»Gib mir einen Manhattan«, bestellte Eve. Den hatte sie sich verdient. Außerdem bekam sie den Cocktail perfekt gemixt um fünfzig Prozent billiger, denn Rodney und sie kannten sich schon sehr lange. »Alles okay bei dir?«
»Sicher. Machst du Schluss für heute?«
»Yeah. War eine gute Schicht. Ich möchte etwas früher ins Bett, weil ich morgen einiges besorgen muss.« Sie nahm einen tiefen Zug und ließ den Alkohol langsam ihre Kehle hinabrinnen.
Rods Gesichtsausdruck wandelte sich schlagartig. »Achtung, Gefahr auf vierzehn Uhr!«, flüsterte er Eve zu, bevor er sein professionelles Lächeln wieder aufsetzte. »Toothy, wie geht's, Mann?«
Eve fuhr herum.
Toothy, wegen seines Pferdegebisses so genannt, hatte für Rod keinen Blick übrig, sondern ging sofort auf Eve los: »Du blöde Schlampe, was machst du hier?«
»Ich mache Pause ...«
»Pause? Hast du sie noch alle? Da draußen laufen Hunderte Kunden rum, und du machst hier einen auf Faulpelz? Wofür bezahle ich dich, blöde Kuh?«
Toothy holte aus und schlug Eve mit der flachen Hand, aber mit voller Wucht ins Gesicht.
Die Frau wurde gegen die Theke geschleudert, ihr weißblond gefärbtes langes Haar wehte ihr vors Gesicht. Sie schaffte es gerade noch, sich festzuhalten, um nicht vom Hocker zu stürzen. Sie hielt sich die schmerzende Wange, ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Ihr Zuhälter beschimpfte sie weiterhin, aber sie konnte es kaum verstehen, denn von dem Schlag klingelten ihre Ohren. Krampfhaft unterdrückte sie ein Schluchzen.
»Hey, Toothy, nun lass mal gut sein«, sagte Rod beschwichtigend.
»Halt's Maul, Blödmann!« Der Zuhälter zeigte drohend auf den Barmann. »Das hier ist New York, schon vergessen? Hier kümmert man sich um seinen eigenen Dreck.«
Damit hatte er ganz recht. Toothys Auftritt war selbstverständlich nicht unbemerkt geblieben, aber niemand sah zu den beiden oder fühlte sich bemüßigt, sich einzumischen. Es war ja nur eine Auseinandersetzung zwischen einer Nutte und ihrem Zuhälter; die eigene Haut dafür zu riskieren, war es nicht wert.
»Ich will hier drinnen keinen Ärger, klar?«, erwiderte Rod. »So was ist nicht gut fürs Geschäft.«
»Und für mein Geschäft ist es nicht gut, wenn meine Pferdchen nicht spuren.« Toothy holte aus und schlug Eve mit den Handrücken auf die andere Wange. Doch diesmal war sie vorbereitet gewesen und hatte den Kopf bereits weggedreht, so dass die Ohrfeige sie nur mit halber Wucht traf. Aber es war trotzdem noch schmerzhaft genug, und ihr entfuhr ein schmerzliches Keuchen.
»Es reicht jetzt!« Rod machte Anstalten, hinter der Theke hervorzukommen. Bei seiner Größe und seinem Gewicht brauchte er keine Angst vor dem Zuhälter zu haben, er musste nur darauf achten, außer Reichweite seines Messers zu bleiben.
»Ja, schon gut!« Toothy hob beschwichtigend die Hand. »Manchmal ist es einfach notwendig, disziplinierende Maßnahmen zu ergreifen, sonst geht mein Geschäft pleite.« Er drehte sich zu Eve. »Verstanden, Schlampe?«, schnauzte er sie an.
Sie wich vor ihm zurück und hielt die Hände vors Gesicht.
»Ich hör nichts!«, brüllte Toothy.
»Ja, ich hab ja verstanden!«, stieß Eve schluchzend hervor. »Hör auf, mich zu schlagen!«
»Ich hör dann auf, wenn du aufhörst, Zicken zu machen! Und flenn hier nicht herum! Leer lieber deine Taschen aus!« Er zerrte daran, doch sie hielt sie eisern fest.
»Jetzt warte doch!« Eve öffnete ihre Tasche und gab ihrem Zuhälter den heutigen Verdienst. »Bitte gib mir meine Provision gleich, ich muss morgen ein paar Besorgungen machen«, bat sie.
»Auch noch Ansprüche stellen«, knurrte er, zählte aber immerhin einige Scheine ab und stopfte sie in die Tasche zurück. »Hier, und jetzt geh ins Klo und richte dich her, du siehst zum Davonlaufen aus! So kann man kein Geld verdienen, außerdem schadet es meinem Ruf.« Toothy packte Eve am Arm und zerrte sie mit sich zu den Toiletten. Er öffnete die Tür und schubste sie hinein. »Du hast fünf Minuten! Ich warte hier. Und dann wirst du perfekt lächelnd wieder herauskommen und deinen Job machen, oder du wirst mich erst richtig kennenlernen.«
Eve verschwand wortlos.
Toothy postierte sich vor der Tür und taxierte jedes weibliche Wesen, das vorbeikam. Einigen gefiel das, einige straften ihn mit verächtlichen Blicken, die meisten achteten jedoch nicht auf ihn. Der Zuhälter merkte sich die Gesichter der Frauen, denen seine Blicke gefallen hatten, um sie später mit Charme »anzuwerben«.
Darüber verging die Zeit schnell, und als er das nächste Mal auf die Uhr schaute, waren bereits zehn Minuten vergangen. In Toothy kochte die Wut hoch. Es wurde Zeit, dass er Eve Richards in Rente schickte, die dumme Pute taugte einfach nichts mehr. Sie wurde zu alt und zu aufsässig. Allerdings verdiente sie immer noch gut. Ich muss eben strenger zu ihr sein und darf ihr nicht mehr so viel durchgehen lassen, dachte er aufgebracht. Das nächste Mal prügle ich sie windelweich, dann wird sie es sich überlegen, ob sie so weitermachen will.
Das nächste Mädchen, das aus dem Raum kam, sprach er an: »Hast du da drin eine ältere Platinblonde gesehen? Aufgedonnert wie eine Nutte?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf.
»Wie viele Klos waren besetzt?«
Sie hob die Schultern. »Schau doch selbst nach, ich bin kein Auskunftsbüro.«
Genau das machte Toothy. Er steckte den Kopf zur Tür hinein. »He, Eve! Soll ich hier draußen Wurzeln schlagen, oder was? Mach gefälligst, dass du wieder raus an die Arbeit kommst! Zeit ist Geld!«
»Du hast dich wohl in der Tür vertan!«, schnauzte ihn eine junge Frau an. »Hau bloß ab!«
»Kümmere dich lieber um deinen verschmierten Lippenstift!« Toothy ging in den Waschraum und schubste die Frauen, die gerade hinauswollten, beiseite. Alle fünf Toiletten waren besetzt, an den Becken standen zwei Frauen. Es gab kein Fenster und keinen Hinterausgang, also totale Sackgasse für jemanden, der auf der Flucht war. Wobei Toothy sich nicht vorstellen konnte, dass Eve tatsächlich so dumm wäre, einfach so abzuhauen.
Tatsache war aber, dass er sie selbst hier abgeliefert hatte, und sie war verschwunden. Wo konnte sie nur stecken?
Ohne sich um die empörten Frauen zu kümmern, kniete Toothy sich hin und schaute unter den Toilettentüren durch. Einmal entging er knapp einem spitzen Absatz, der sich gerade in sein Gesicht bohren wollte.
»Hau ab, du Spanner!«
Keine Eve.
»Hast du's bald, Mann?« Die Frau mit dem spitzen Absatz kam heraus. »Deine Süße hat dir wohl den Laufpass gegeben? Recht hat sie.«
Toothy richtete sich auf. »Eve!«, brüllte er mit einem seltsam flehenden Unterton. »Verdammt, wo steckst du? Glaub nur nicht, du kannst mir entkommen! Ich finde dich, in der Hölle, wenn's sein muss! Niemand verlässt Toothy ohne seine Einwilligung!«
Italien
Pater Foligni tupfte sich mit dem Taschentuch die Stirn ab. Obwohl erst zehn Uhr vormittags, war es bereits brütend heiß. Die Sonne verdampfte die wenigen nächtlichen Tautropfen und brachte den Asphalt...
Erscheint lt. Verlag | 12.10.2021 |
---|---|
Reihe/Serie | Das Haus Zamis |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Coco Zamis • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • Dorian Hunter • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Spin-Off • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond |
ISBN-10 | 3-7517-2351-X / 375172351X |
ISBN-13 | 978-3-7517-2351-0 / 9783751723510 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopierschutz. Eine Weitergabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persönlichen Nutzung erwerben.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich