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Den Sturm ernten (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
385 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-76948-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Den Sturm ernten -  Phil Klay
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Phil Klay verwandelt seine Erfahrungen als US-Marine in eine weltumspannende Geschichte des Krieges. Er legt ein brillantes erzählerisches Zeugnis ab von den Verheerungskräften der Zivilisation, von Liebe und Hass, Schuld und Stolz in einer globalisierten Welt.

Am Ende zählt nur eins: auf der richtigen Seite stehen. Doch für die vier Menschen in dieser Geschichte, alle aus Idealismus an einen Ort der Gewalt im kolumbianischen Dschungel gekommen, ist die Grenze zwischen Gut und Böse längst verronnen. Sie setzen ihr Leben ein - als Mitglied der US-Special-Forces, als Journalistin, Patriot, Paramilitär -, sie kämpfen um das Schicksal eines Landes, dessen Fundamente abgetragen wurden, von falschen Freunden in Washington, den Drogen, jahrzehntelangen Heilsversprechen. Und sie suchen mit aller Kraft Antworten auf eine Frage: Was heilt die Wunden der Geschichte, was lässt den Schmerz vergessen und an das Gute glauben?



<p>Phil Klay, geboren 1983, diente von Januar 2007 bis Februar 2008 als US-Marine in der irakischen Provinz Al-Anbar. Sein Deb&uuml;t <em>Wir erschossen auch Hunde</em> war ein <em>New-York-Times</em>-Bestseller, wurde mit dem National Book Award in der Kategorie Fiction ausgezeichnet und in deutscher Sprache als &raquo;ein Buch wie ein Kugelhagel&laquo; (<em>S&uuml;ddeutsche Zeitung</em>) zu einem vielbeachteten Erfolg. Seine Beitr&auml;ge zum Krieg im Nahen Osten, zur PTBS, zum sogenannten Islamischen Staat erfahren seither weltweite Beachtung.</p>

1


ABEL1986-1999


Mein Dorf befand sich auf einem kleinen Hügel am Fluss, an dessen Ufern nichts als Sand lag. Mittags musste man schnell gehen, um sich nicht die Füße zu verbrennen, aber wenn es regnete, machte das Hochwasser unsere Hauptstraße zu Schlamm. Wir Kinder liefen dann alle nach draußen, rutschten herum und schubsten einander, spielten im Matsch, bevor die Sonne ihn hart werden ließ und der Wind ihn als Staub davontrug.

Von diesem Teil meines Lebens zu reden ist, als spräche ich von einem anderen Menschen, von der Figur einer Geschichte, einem Jungen mit einem Vater, einer Mutter und drei Schwestern, eine hübsch, eine klug und eine gemein. Einem Großvater, der zu viel trank und alle beim Domino schlug. Einem Lehrer, der glaubte, der Junge habe Talent. Einem Pfarrer, der ihn für gottlos hielt. Von Freunden und Klassenkameraden und Feinden und Mädchen, die er mit immer größerem Staunen beobachtete, wie Jimena, die dichte Locken und helle Haut hatte und von einem der örtlichen Guerilleros schwanger wurde. Die meisten glauben, ein Mensch sei das, was man in Fleisch und Blut herumlaufen sieht, aber das ist dumm. Knochen und Fleisch und Blut existieren, aber existieren heißt nicht leben; Knochen, Fleisch und Blut allein machen nicht den Menschen aus. Ein Mensch entsteht, wenn es eine Familie gibt, ein Dorf, einen Ort, an dem die Leute einen kennen. Wo jeder, der einen kennt, einen kleinen, unsichtbaren Spiegel hält, und jeder einzelne Spiegel von Verwandten, Freunden und Feinden ein anderes Bild zurückwirft. Der eine Spiegel zeigt den lieben, dicken Jungen, der ich für meine Mutter war. Ein anderer den kleinen Racker, den mein Vater kannte. Wieder ein anderer zeigt die fürchterliche Nervensäge, die ich für Gustavo war. Ein Mensch entsteht, wenn sich all diese Spiegelungen um einen Körper versammeln. Aber was passiert, wenn einem jeder dieser Menschen einer nach dem anderen genommen wird? Ganz einfach. Der Mensch stirbt. Und Knochen und Fleisch und Blut existieren weiter, wandeln auf Erden, als gäbe es den Menschen noch, obwohl Gott und die Engel wissen, dass es nicht so ist.

Also sprechen wir nicht von dem Jungen, als wären er und ich derselbe Mensch anstatt zweier Fremder, von denen der eine vor der Verbrennung mit diesem Körper herumlief und der andere danach. Sprechen wir von diesem Jungen, dessen Erinnerungen und Gesicht ich teile, wie von dem toten Kind, das er ist. Nennen wir ihn Abelito.

Abelito war ein beliebter, dicker Junge. Jeden Tag ging er zu Fuß ins Nachbardorf zur Schule der Männer aus Amerika, die den Kindern Mathematik und Lesen beibrachten, ihnen aber auch von der persönlichen Beziehung zu Jesus erzählten und von einer Gruppe Pfarrer, die Jesuiten hießen und die Bibel gestohlen hätten, um die Worte zu ändern, damit die Menschen dem Teufel in die Arme liefen. Der HERR werde obsiegen und uns erretten, wenn wir nur glaubten, sagten sie, und dieses Glauben sei ein Augenblick, in dem es vom Himmel herniederstrahlte und wir wüssten, dass wir erlöst seien. Mona, die gemeine Schwester, sagte, sie sei errettet und es sei wunder-wunderschön, aber dass Abelito dies selbst nicht spüre, bedeute, er komme in die Hölle. Zwei Wochen später ging seine Mutter mit ihm ins übernächste Dorf zur Beichte, und als Abelito Pater Eustacio von Monas Errettung erzählte, hatte der alte Pfarrer das Gesicht verzogen und all das dumm genannt, denn nur ein grausamer Gott würde auf eine so alberne Art und Weise verdammen und erretten, und Gott sei nicht grausam, sondern in Wahrheit gewaltige, furchteinflößende Liebe. Dann holte er den kleinen Jungen aus dem Beichtstuhl und zeigte ihm den Haut-und-Knochen-Jesus über dem Altar, einen leidenden Christus aus Holz mit in Qualen verkrampften Muskeln und einer blutigen Wunde in der Seite, die aufklaffte, als wollte sie einen verschlingen. Abelito hatte Albträume von diesem Bildnis, aber Pater Eustacio sagte, er solle sich das Leiden anschauen und darin die Liebe Gottes sehen, der Seinem Sohn so etwas angetan hatte. Gott ist Liebe, sagte Pater Eustacio, und Er verteilt keine Errettung, damit man sie sich wie eine Krone aufsetzt. Und Abelito sagte, Also ist meine Schwester gar nicht errettet? Und Pater Eustacio sagte, Nein, was Abelito sehr froh stimmte. Und von dem Tag an nickte Abelito zwar, wenn die Missionare vom persönlichen Jesus erzählten, der zu ihnen kommen und sie wiedergeboren machen würde, aber insgeheim wusste er, dass er dem furchterregenden Christus von Cunaviche treu bleiben würde.

An manchen Tagen nahm Abelitos Großvater ihn und seine schlaue Schwester Maria mit und zeigte ihnen, wie man Boote aus Chachajo schnitzt, einem guten, harten Holz, aus dem auch die besten Kreisel waren, und dann setzten sie sie in den Fluss und schauten ihnen hinterher, wie sie flussabwärts trieben. Abelitos Großvater sagte, alles Wasser fließe zum Ozean, und eines Tages werde er selbst zum Sterben dorthin gehen, wo am Ende alles ankommt.

Maria schnitzte ihre Boote aus Balsa, das einfacher zu bearbeiten ist, aber Abelito nahm lieber das härtere Holz, weil er wollte, dass seine Boote den Ozean erreichten. Abelitos Großvater war weit gereist und erzählte ihm wundersame Geschichten über die Gegenden weit, weit flussabwärts, jenseits der Berge und bis in die Küstenregionen, wo die Leute faul und dumm seien und ein Spanisch sprächen, das klang, als hätten sie Kieselsteine im Mund, wo es Schlangen gebe, die mit einem Biss einen Ochsen töten könnten, und Menschen mit pechschwarzer Haut und noch viele andere erstaunliche Dinge.

Den Tod lernte Abelito kennen, als Marta, seine schöne Schwester, krank wurde und weder der Pfarrer noch die Missionare sie retten konnten, weil sie mit dem bösen Blick belegt worden war. Nach ihrem Tod gab Abelitos Vater den Kindern Armbänder, in die ein winziges Holzkreuz eingewoben war. Es wird euch beschützen, sagte er. Damals verstand Abelito nicht, warum irgendjemand einen anderen mit dem bösen Blick belegen sollte, besonders jemanden wie Marta, die so schön war, dass es immer alle erwähnten, was für ein schönes Kind. Wenn Abelito durchs Dorf ging, schaute er den alten Frauen tief in die Augen, um zu sehen, ob sie gut oder böse waren, aber er konnte es nie erkennen und sich schlicht nicht vorstellen, wie irgendjemand Freude daran haben konnte, Kinder zu töten.

Abelitos Vater spielte gern Spiele mit seinen Kindern. Eins davon hieß »Bär«; dabei stand er bedrohlich brummend am Fluss, und die Kinder mussten heranlaufen, um ihn zu kitzeln, und wen er erwischte, den warf er ins Wasser. Ein anderes war »Pferd«, dabei kletterten sie ihm auf den Rücken und er rannte wiehernd die Straße entlang. Abelito spielte auch Cinco Huecos mit den anderen Kindern von Sona. Sie zeichneten mit einem Stock ein großes Quadrat auf die Straße und dann kleinere Quadrate hinein. Jedes Kind schrieb einen kleinen Buchstaben in sein Quadrat. Ein A für Abelito. M für Maria, die überhaupt nicht gut in dem Spiel war. F für Franklin, der stark und geschickt war und gerne prahlte und die anderen Kinder verhöhnte, bevor er den Ball warf. Dann drehten sie sich um, in der einen Hand einen Ball, in der anderen ein Stöckchen, und sie warfen sich das Stöckchen über die Schulter. Wenn es in ihrem Quadrat landete, versuchten sie, die anderen mit dem Ball abzuwerfen. Ich weiß nicht mehr, wer es sich ausgedacht hatte, aber es war Abelitos Lieblingsspiel. Manchmal kamen Männer auf Motorrädern vorbeigefahren, und die Reifen machten ihre Quadrate kaputt, aber die Kinder durften nichts sagen und nicht mal böse schauen, weil ihre Eltern ihnen gesagt hatten, dass die Männer zu den Paracos gehörten.

Noch besser als die Spiele gefiel es Abelito aber, mit seinem Vater an ihrem Haus zu arbeiten. Seit Abelito denken konnte,...

Erscheint lt. Verlag 12.9.2021
Übersetzer Hannes Meyer
Sprache deutsch
Original-Titel Angabe fehlt
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Afghanistan • aktuelles Buch • Amerika • bücher neuerscheinungen • Chautauqua Prize 2015 • Imperialismus • Irakkrieg • John Leonard Prize 2014 • Journalismus • Kolumbien • Krieg • Kriegsjournalismus • Lateinamerika • Marines • Militär • National Book Award • national book award 2014 • Neuerscheinungen • neues Buch • New York Times Bestseller • Soldat • ST 5289 • ST5289 • Südamerika • suhrkamp taschenbuch 5289 • Trauma • USA • Vereinigte Staaten von Amerika USA
ISBN-10 3-518-76948-0 / 3518769480
ISBN-13 978-3-518-76948-5 / 9783518769485
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