Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de

Ist der Lack ab, streu Konfetti drauf (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
446 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7517-0394-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ist der Lack ab, streu Konfetti drauf -  Tanja Huthmacher
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
(CHF 9,75)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Die Kinder sind groß, die Ehe ist in die Jahre gekommen, und die 46-jährige Natalie fragt sich: Was nun? Umso mehr, als sie vor dem Überraschungsgeschenk ihres Gatten Julian zum zwanzigsten Jahrestag steht: eine Ackerscholle zum Selbstbepflanzen. Dabei ist sie zur Gartenfee nun wirklich nicht berufen. Lieber erfüllt sie sich endlich ihren lang gehegten Traum und tritt einer Theatergruppe bei. In Gesellschaft von sechs ganz unterschiedlichen Frauen nimmt schon bald ein furioses Stück Gestalt an. Natalie entdeckt sich selbst neu und blüht auf, während ihre Ehe im Sinkflug begriffen ist. Bis ein unerwartetes Ereignis sie vor eine folgenreiche Entscheidung stellt ...

Tanja Huthmacher, Jahrgang 1965, studierte Germanistik, Journalistik und Kunstgeschichte in Bamberg. Sie ist Drehbuchautorin, schreibt für TV, Hörfunk und Print und hat mehrere Romane veröffentlicht, teilweise unter Pseudonym. Sie lebt mit ihrer Familie in München.

Tanja Huthmacher, Jahrgang 1965, studierte Germanistik, Journalistik und Kunstgeschichte in Bamberg. Sie ist Drehbuchautorin, schreibt für TV, Hörfunk und Print und hat mehrere Romane veröffentlicht, teilweise unter Pseudonym. Sie lebt mit ihrer Familie in München.

1. KAPITEL


»Gleich sind wir da, Schatz, gleich!«

Diese freudige Erregung in seiner Stimme ist mir sehr vertraut. Und sie bedeutet nicht immer etwas Gutes. Dennoch grinse ich in mich hinein und ertrage weiter die dunkle Augenbinde, die mich am unteren Rand gerade mal den geblümten Stoff meines Sommerkleides erkennen lässt.

Abrupt bremst er den Wagen und setzt ein Stück zurück.

»Hier muss es irgendwo sein … ah, ja!«

Es geht wieder drei Meter vorwärts, dann ein scharfer Ruck nach links, offenbar in eine Parklücke.

Wir feiern heute unseren zwanzigsten Kennenlerntag, und nach diesen vielen Jahren vertraue ich Julian eigentlich blind. Das sollte ich nun überdenken. Aber er hat mir unter Androhung höchster Strafe (»Eine Woche kein Netflix, wenn du spickst!«) befohlen, mich einfach mal überraschen zu lassen. Zuerst habe ich noch rumgenölt, dass ich solche Spielchen nicht leiden kann und in unserem Alter Überraschungen doch kindisch sind, aber er hat nicht nachgegeben.

»Lass dich einfach drauf ein, komm schon«, hat er gemeint. »Heute habe ich mal das Kommando. Wo du mir auch schon die Wahl des Restaurants für heute Abend überlassen hast, ist das nur eine weitere gute Übung für dich.« Ich sehe sein leicht spöttisches Lächeln trotz der Augenbinde geradezu vor mir und fühle mich ertappt.

Ja, zugegeben, ich halte gerne die Fäden in der Hand. Aber sind wir damit nicht gut gefahren in den letzten zwanzig Jahren? Also bitte! Ich verkneife mir, richtigzustellen, dass ich ihn gebeten habe, einen Tisch im TIAN zu reservieren, und dass das keineswegs etwas mit »Auswählen« zu tun hat. Ich bin ja lernfähig. Und außerdem bin ich jetzt hibbelig und total gespannt, was ich vor mir sehen werde, wenn er mir die Augenbinde abnimmt.

Ich höre, wie Julian den Motor abstellt, den Gurt löst und aussteigt. Was wird es also sein? Der Eingang zu meiner kleinen Lieblingsboutique, verbunden mit einem dicken Gutschein? Oder zu der Parfümerie zwei Häuser weiter? Oder führt er mich in die Oper? Mit Julian an meiner Seite statt vor mir an der Trompete im Orchestergraben. Und Jonas Kaufmann singt. Nur für mich. Hach …

»So, Schatz, jetzt darfst du schauen.« Er zieht mich an einer Hand aus dem Auto, und ich spüre die Wärme der Sonne in meinem Gesicht. Wir sind irgendwo mitten im Freien. Ich nestle die Augenbinde herunter und bin komplett geblendet. In den Millisekunden, die ich es schaffe, die Lider zu heben, sehe ich Julians wohlgeformten, haupthaarlosen Kopf vor mir und sein breites, zufriedenes Lachen, das diese hübsche Reihe strahlend weißer gerader Zähne freilegt. Seine stahlblauen Augen funkeln amüsiert.

»Schön, oder?« Er dreht mir nun den Rücken zu, verdeckt aber noch immer alles hinter sich. Okay … Als ich die Augen endlich offen halten kann, wird mir klar, allzu viel zu verdecken gibt es nicht. Denn vor mir erstreckt sich ein Acker. Ein riesiger Acker, auf dem ein paar versprengte Menschen herumwuseln.

»Und das gehört jetzt dir«, verkündet er feierlich.

Ich erstarre. Was genau gehört mir? Der Acker? Der ganze riesige Acker? Ich blicke Julian fassungslos an. Hat er ein Grundstück erworben? Damit wir ein Haus bauen können? Hallo, das hier ist München, mahnt mich meine innere Stimme. Hier frisst das Wohnen in einem Monat mehr auf, als eine zehnköpfige Familie in einem Jahr futtern könnte. Und eigentlich fühle ich mich in unserer Wohnung mit der Dachterrasse und dem herrlichen Ausblick auf die Berge ziemlich wohl. Seit Antonia ausgezogen ist, haben wir sogar mehr Platz als vorher. Julian nimmt mich wieder an die Hand, als seien wir altersmäßig irgendwas mit einer Zwei davor und frisch verliebt.

»Also, dir gehört natürlich nicht der ganze Acker«, erklärt er endlich, und meine Sprachlosigkeit scheint ihm komplett zu entgehen. »Aber ich habe für dich einen Krautgarten gepachtet. Sechzig Quadratmeter, wo du nach Herzenslust säen und jäten und ernten kannst. Ist das nicht toll?«

Ich sage es doch: Ich hasse Überraschungen! Und diese hier ganz besonders. Aber das beichte ich ihm natürlich nicht. Stattdessen bemühe ich mich, meine Lippen zu einem breiten Ahhh und nicht zu einem lang gezogenen Ohhhh zu formen. Ich lächle. Dümmlich vermutlich, doch er wird glauben, ich sei gerührt. Ob seines Einfallsreichtums! Ich hätte mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können, dass er sich so lange Gedanken über mich macht, bis am Ende ein Gartenbeet dabei herauskommt. Er denkt sich viel aus, wenn der Tag lang ist, aber so etwas …

»Weißt du, Nat«, Julian stemmt die Hände in die Hüften und blickt wie ein Großgrundbesitzer über 200 vollblütige Stiere auf den frisch erworbenen Landbesitz, »ich finde, du hast in den letzten Jahren immer nur an uns gedacht – an Antonia, an Finn und natürlich auch an mich –, aber jetzt ist es an der Zeit, dass du mal an dich denkst.«

»Und an einen Acker?«

»Einen Garten. Einen richtigen Garten – das hast du dir doch so gewünscht. Mit welcher Wonne bretterst du immer mit dem Aufsitzrasenmäher über die Wiese deines Vaters. Geradezu amazonengleich!«

Ja, mit dem Angeberteil herumzudüsen hat mir schon Spaß gemacht, das muss ich zugeben. Aber nur, weil das Mähen damit so schnell erledigt ist und man dabei irgendwie so, ich weiß nicht, verwegen aussieht. Kann schon sein, dass mein Mann diese Begeisterung als allgemeine Liebe zum Gärtnern gedeutet hat. Dabei sollte ihm doch alles klar sein, wenn er nur unsere Dachterrasse anguckt. Was vom Wind angeweht wird und sich selbst aussät, darf gerne bleiben, ansonsten pflanze ich da nur Dinge wie Girlanden, Windräder, Lampions und anspruchslose Kakteen. Aber ihm diese Feinheiten zu erklären wäre fruchtlos. Und jetzt ist es eh zu spät. Also schlinge ich wortlos die Arme um seinen Hals und küsse ihn auf den gepflegten Dreitagebart. »Danke, Schatz«, flüstere ich und hoffe, es klingt aufrichtig. »Und was mache ich jetzt hier?«

Julian hat sich perfekt vorbereitet. Er weiß alles. Kein Wunder, schließlich war er sogar bei der Infoveranstaltung der Stadt zum Thema »Krautgarten und ökologischer Landbau« und letzte Woche bei der Verlosung der Parzellen. Von wegen Extraprobe am Samstagnachmittag.

So feierlich, als sei es eine Ernennungsurkunde zum Bundespräsidenten, überreicht er mir ein Zettelchen mit der Nummer 20 – »passend zu unserem Jahrestag« – für meine Parzelle. Er erläutert und deutet hierhin und dahin, während er am Ackerrand entlangschreitet, und ich komme kaum hinterher. Ein Teil des Saatguts ist bereits im Boden eingebracht, den Rest bekomme ich gestellt, erfahre ich, und dann kann es losgehen mit der Anzucht von Kartoffeln und Kohl und Karotten und Kartoffelkäfern. Äh, nee, die Käfer sind natürlich nur ein Nebeneffekt, den bitte alle Gärtelnden im Zaum halten sollen, sprich: einsammeln und entsorgen. Ebenso wie die Schnecken und das Unkraut, nein, Beikraut, klingt positiver. Wasser gibt’s an der Pumpe, die ist von hier aus nicht zu sehen, aber angeblich nur fünfzig Meter von meinem Ackeranteil entfernt. Gießkannen stehen bereit.

»Super für deinen Trizeps«, verspricht der Mann, und ich starre sofort wie ertappt auf meine Oberarme. Ansätze von Winkefleisch sind wahrlich noch nicht zu entdecken, aber vielleicht sieht er mehr als ich? Da muss ich zu Hause vor dem Spiegel mal eine Testreihe starten, um herauszufinden, ob da etwa schon was winkt. Falls ja, kenne ich nun glücklicherweise das Gegenmittel – Wasser pumpen und Gießkannen schleppen.

»Und wenn ich mal keinen Dienst habe, dann helfe ich dir auch. Vor allem beim Ernten. Und dann bring ich ein paar von den Jungs mit, und wir machen ein Ackerkonzert, so richtig bayerische Stubenmusi, das wird super!«

Er meint das liebevoll und hält es für eine prima Idee. Ich kenne ihn seit zwanzig Jahren, er ist ganz arglos, und er hat ständig tolle Ideen. Und er käme nie auf den Gedanken, dass er mir keinen Gefallen tut, wenn er mir noch mehr Arbeit aufhalst. Das hier ist pure Entspannung für mich, glaubt er ernsthaft. Ist es nicht. Punkt. Aber wie sage ich ihm das? Will ich der Grund sein, dass diese kindliche Freude in seinen Augen erlischt? Dass sein genialer Einfall, mir Gutes zu tun, verdörrt wie junge Salatpflänzchen in der prallen Sonne? Das bekomme ich einfach nicht hin. Meine älteste Freundin Sara, die mich seit dem Sandkasten kennt, sagt immer, ihr falle außer mir niemand ein, der es schafft, selbst unangenehme Dinge so begeistert aufzunehmen, dass der andere niemals darauf käme, er habe etwas Falsches gesagt oder getan. Und so ist es auch jetzt. Ich meine die synthetische Zuckrigkeit meines Lächelns beinahe auf der Zunge zu schmecken, aber Julian ist einfach nur stolz angesichts seiner vermeintlich famosen Idee. Und ich bin auch ein bisschen stolz, weil er mir wirklich glaubt, tatsächlich so begeistert zu sein.

»Ich wusste es!« So wie er jetzt strahlt und mich anschaut, sehe ich wieder den 28-Jährigen in seinen blauen Augen. Den Mann, in den ich mich damals verliebt habe, und ich kann ihm weder böse sein, noch kann ich ihm die Wahrheit sagen.

»Hach, was für ein toller Garten«, bringe ich heraus, und dann küsse ich ihn schnell, damit meine Flunkerei nicht auffliegt.

Kaum lösen wir uns voneinander, wandert Julians Blick wieder über die Ackerfurchen. Hoffentlich erwartet er nicht, dass ich jetzt und sofort mit dem Gärtnern loslege. Zumal ich ja noch nicht mal weiß, welches Teilstück mir gehört. Aber nun hebt er grüßend die Hand, und ich erkenne im Gegenlicht einen großen, schlanken Mann, der auf uns...

Erscheint lt. Verlag 27.8.2021
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Affäre • Ehe • Eltern-Kinder • Familie • Flirt • Flügge • Frauenfreundschaft • Freundschaft • Gartenfee • Gärtnern • grüner Daumen • Hobby • Humor • Improvisieren • Lack ist ab • Lebensinhalt • Lebenstraum • Leeres Nest • Lee Strasberg Institute • Liebe • Liebesgeschichte • Liebesroman • Mitten im Leben • Moderne Beziehung • München • Musik • New York • Orchester • Romantik • romantische Liebesgeschichte • Schauspiel • Schmetterlinge im Bauch • Seitensprung • Selbstfindung • Selbstironie • Selbstzweifel • Teenager • Theater • Theatergruppe
ISBN-10 3-7517-0394-2 / 3751703942
ISBN-13 978-3-7517-0394-9 / 9783751703949
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Ohne DRM)

Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopier­schutz. Eine Weiter­gabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persön­lichen Nutzung erwerben.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
CHF 20,50