Das Schwarze Lied (eBook)
592 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-11670-0 (ISBN)
Anthony Ryan ist New York Times-Bestsellerautor. Aus seiner Feder stammen die Rabenschatten-Romane: Das Lied des Blutes, Der Herr des Turmes und Die Königin der Flammen. Außerdem verfasste er die Draconis Memoria-Serie. Anthony Ryan lebt in London, wo er an seinem nächsten Buch arbeitet.
Anthony Ryan ist New York Times-Bestsellerautor. Aus seiner Feder stammen die Rabenschatten-Romane: Das Lied des Blutes, Der Herr des Turmes und Die Königin der Flammen. Außerdem verfasste er die Draconis Memoria-Serie. Anthony Ryan lebt in London, wo er an seinem nächsten Buch arbeitet. Sara Riffel studierte Amerikanistik, Anglistik und Kulturwissenschaft in Berlin. Sie übersetzt u. a. William Gibson, Tim Burton, Peter Watts und Joe Hill. 2009 erhielt sie den Kurd-Laßwitz-Preis.
Obvars Bericht
Luralyn fragte mich einst: »Was ist es für ein Gefühl zu sterben?«
Ich spürte den Wunsch nach Trost, der hinter dieser Frage stand, deshalb sagte ich: »Man hat das Gefühl zu fallen. So als würde die Welt zu einem winzigen Lichtpunkt zusammenschrumpfen, während man selbst in einen ewigen Abgrund stürzt. Dann … ist auch der verschwunden, und um einen herum ist nichts mehr.«
Diese reichlich poetische Antwort war jedoch, wie ich gestehen muss, eine Lüge. Natürlich kann ich nur für mich selbst sprechen – für andere gleicht der Tod womöglich einem sanften Hinübergleiten in einen endlosen Schlaf. Mein Tod allerdings bot keinen solchen Trost.
Schon als ich spürte, wie Al Sornas Klinge meine Wirbelsäule traf und am Rücken wieder austrat, wusste ich, dass die Wunde tödlich war. Der Schmerz war genauso quälend, wie man ihn sich vorstellt. Doch Schmerz war mir vertraut. Immerhin war ich Obvar Nagerik, erwählter Kämpe der Dunkelklinge, und an Ruhm unter den Stahlhast nur von ihm selbst übertroffen. Zahlreich waren meine Schlachten, und ich kann ohne Prahlerei behaupten, dass ich nicht mehr wusste, wie viele Menschen ich schon getötet hatte. Ich weiß es bis heute nicht. Ein solches Leben geht nicht ohne unzählige Verletzungen einher, wobei manche sich stärker ins Gedächtnis einprägen als andere. Der Pfeil, der in der Schlacht der drei Flüsse meinen Arm bis auf den Knochen durchbohrte. Der Schwerthieb, der an dem Tag, als wir das erste große Heer des Kaufmannskönigs zerschlugen, mein Schlüsselbein traf. Doch keine Wunde schmerzte so sehr wie die, die Al Sorna mir zufügte, oder verletzte so tief meinen Stolz. Nach all den Jahren bin ich mir immer noch nicht sicher, was mehr wehtat: durch die Brust aufgespießt zu werden oder das sichere Wissen, dass ich durch die Hände dieses verfluchten Eindringlings, dieses Namensdiebes sterben würde. Seine Worte hatten mich wütend gemacht, und damals kam niemand, der meinen Zorn erregte, mit dem Leben davon.
Er ist kein Gott. Du bist kein Teil einer göttlichen Mission. All das Gemetzel, das du angerichtet hast, ist wertlos. Du bist ein Mörder im Dienst eines Lügners … Das waren seine Worte. Verhasste Worte, die mich rasend machten. Schlimmer wurden sie noch durch die Wahrheit, die in ihnen lag und die das Lied der Jadeprinzessin mir offenbart hatte, auch wenn ich sie im Herzen schon weit länger kannte.
Damals klammerte ich mich wohl nur aus blankem Zorn an mein Leben, als das Blut in meiner Kehle hochsprudelte und meinen Lungen die Luft nahm. Als mich der Schmerz von Kopf bis Fuß durchzuckte und meine Gedärme sich entleerten und mir nur allzu bewusst wurde, dass der einst mächtige Obvar bald bloß noch ein mit Exkrementen besudelter Leichnam im gleichgültigen Angesicht der Eisensteppe sein würde. Selbst da ließ ich meinen Säbel nicht los, und meine Arme besaßen noch genügend Kraft, um die Klinge aus Al Sornas Fleisch zu ziehen. Er blieb aufrecht stehen, während ich schwankend einen Schritt zurück machte und dabei irgendetwas brabbelte. Wut und Schmerz ließen mich vergessen, was genau ich damals sagte, doch ich möchte gerne glauben, dass es etwas Trotziges, vielleicht sogar Erhabenes war. An der bleichen Farbe seiner Haut erkannte ich, dass auch er sterben würde. Keine Furcht, dachte ich, als ich den Säbel hob, um ihm den letzten Hieb zu verpassen. Zumindest darin lag eine gewisse Befriedigung. Obwohl ich wohlverdient in dem Ruf stand, grausam zu sein, hatte ich nie gerne Menschen getötet, die um ihr Leben bettelten.
Der eisenbeschlagene Huf des Hengstes traf meinen Oberschenkel und brach den Knochen wie trockenes Reisig. Ich stürzte zu Boden. Mir blieb keine Zeit, mich abzurollen, selbst wenn ich die Kraft dazu besessen hätte. Die Tritte des Pferdes prasselten einem Eisenregen gleich auf mich ein, zerschmetterten Knochen und rissen mir das Fleisch auf. Ich hatte geglaubt, der Schmerz von Al Sornas Todesstoß wäre das Schlimmste, was mir je widerfahren könnte. Ein Irrtum. Ich hatte nicht das Gefühl, als würde ich fallen. Ich sah keinen schrumpfenden Lichtpunkt, der mich in wohltuende Leere hinabsandte. Stattdessen spürte ich nur das Entsetzen und die Qualen eines Mannes, der von einem wütenden Pferd zu Tode getrampelt wird. Dann zog etwas an mir, und ich empfand eine neue Art von Schmerz, tiefer, allumfassender – ein Schmerz, der nicht nur meinen Körper erfasste, sondern sich bis in mein tiefstes Innerstes brannte. Irgendwie begriff ich, dass mir die Essenz meiner Seele herausgerissen wurde, wie Fleisch, das von Knochen gekratzt wird.
Bald ging die Empfindung in ein übelkeitserregendes, zermürbendes Gefühl der Orientierungslosigkeit über. Im Gegensatz zu der Lüge, die ich Luralyn erzählte, fiel ich nicht, als ich starb, sondern geriet ins Taumeln. Ein ganzer Schwarm Bilder und Gefühle strömte auf mich ein und ließ keinen Platz mehr für zusammenhängende Gedanken. Auch wenn ich keine körperlichen Qualen empfand, war dies in vielerlei Hinsicht schlimmer, denn es brachte meine tiefsten Ängste zum Vorschein, die panische, verzweifelte Erkenntnis, dass nach dem Leben nichts als ewiges Chaos folgte. Die Panik ließ jedoch nach, als sich aus dem Wirbeln der Bilder allmählich eine klare Erinnerung herausschälte. Ich schaute mit dem Blick eines Kindes in die kalten, wütenden Augen meiner Mutter hoch. Du frisst mehr als die verfluchten Gäule, schimpfte sie und schubste mich weg, als ich nach den Haferfladen greifen wollte, die sie gebacken hatte. Andere Mütter sind mit Nachkommen von göttlichem Blut gesegnet, aber ich bringe einen Fresssack zur Welt. Sie warf eine Pfanne nach mir und jagte mich aus dem Zelt. Geh und stiehl Essen von den anderen Bälgern, wenn du so hungrig bist! Komm ja nicht vor Einbruch der Nacht wieder.
Die Erinnerung zersplitterte, ging ein weiteres Mal in Chaos über, bis erneut ein vertrautes Bild vor mir auftauchte. Luralyns Gesicht an dem Tag, als ich gegen Kehlbrand kämpfte. Diese Erinnerung kannte ich gut, weil ich so oft zu ihr zurückgekehrt war, oder ich glaubte zumindest, sie gut zu kennen. Früher hatte in meiner Erinnerung stets der Kampf im Mittelpunkt gestanden, das Gefühl, wie Fäuste auf Fleisch trafen, der Eisengeschmack meines Blutes, als Kehlbrand mir die heftigste Tracht Prügel meines gesamten Lebens verabreichte. Aber diesmal war es anders – ich sah nur Luralyns Gesicht, in hilfloser Wut verzerrt und von Tränen überströmt. Kehlbrands Schläge waren dagegen bloß Ablenkung. Dann veränderte sich ihr Gesicht, rundete sich zu dem einer erwachsenen Frau, rief die ärgerliche, aber hartnäckige Mischung aus Lust und Verlangen in mir wach.
Du bist widerlich, Obvar.
Ihre Miene war jetzt herablassend, halb von der untergehenden Sonne und dem trüben Flackern der unzähligen Feuer im Lager am Großen Felsen beleuchtet. Ich erinnere mich, wie ansprechend sich die changierenden Farben auf der glatten Rundung ihres Gesichts ausnahmen. Auf meiner Zunge lag der Geschmack von cumbraelischem Wein, auch wenn ich damals noch nicht wusste, woher er stammte, und es mich auch nicht kümmerte. Hinter ihr sah ich die großgewachsene Gestalt ihres Bruders, der sich über den Leichnam auf dem Altar beugte. Tehlvar war im Tod nackt, wie es die Tradition gebot; sein muskulöser Körper ein bleiches, schlaffes Ding, mit verkrustetem Blut beschmiert, das aus der Messerwunde in seiner Brust ausgetreten war. Der Tag, an dem der Große Priester Tehlvar die zweite Frage stellte, erkannte ich und sah, wie Luralyn zögernd einen Schluck aus dem Weinschlauch nahm, den mein jüngeres Ich ihr hinhielt. Der Tag, als alles begann.
Die Erinnerung entfaltete sich vor mir, und ich tauchte erneut in ein Wechselbad der Gefühle ein. Das Aufflammen von Wut und Lust bei Luralyns inzwischen gewohnter Ablehnung. Gefühle, die noch stärker wurden, als Kehlbrand sie zu sich rief und mich wegschickte. Was die beiden zu bereden hatten, war für meine Ohren nicht bestimmt. Und warum auch? Was hätte ich schon dazu sagen können? Ich sollte der Kämpe der Dunkelklinge werden, aber niemals sein Ratgeber. Die seither vergangenen Jahre liefern...
Erscheint lt. Verlag | 21.8.2021 |
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Übersetzer | Sara Riffel |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Banditen • Blutmagie • Held • High Fantasy • Kämpfe • Kriege • Magie • Schicksal • Tapferkeit |
ISBN-10 | 3-608-11670-2 / 3608116702 |
ISBN-13 | 978-3-608-11670-0 / 9783608116700 |
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