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Der Mauersegler (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
240 Seiten
Eichborn AG (Verlag)
978-3-7517-0947-7 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
4,99 inkl. MwSt
(CHF 4,85)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
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Menschen träumen vom Fliegen, wovon träumt ein Mauersegler? Vielleicht vom Fallen, so wie wir an der Grenze zwischen Wachsein und Schlaf.
Im freien Fall befindet sich auch Prometheus nach dem Tod seines besten Freundes. Wir treffen ihn, als er nach einer überstürzten Flucht vor Polizei, Familie und sich selbst am dänischen Strand aufschlägt. Der Mauersegler erzählt von einem Mann, der unter seiner Schuld zu zerbrechen droht. Und von zwei Frauen, die wenig Fragen stellen - wie alle Menschen, die ihre eigenen Geheimnisse haben.



Jasmin Schreiber, geboren 1988, ist studierte Biologin und arbeitet als Schriftstellerin. Ihr Roman MARIANENGRABEN war eines der erfolgreichsten Debüts 2020, 2021 folgte ihr Sachbuch ABSCHIED VON HERMINE. Im Wissenschaftspodcast BUGTALES.FM erzählt sie von Nacktmullen und Bärtierchen. Gemeinsam mit sehr vielen Tieren lebt sie in Frankfurt a.M. und macht das Internet unter @LaVieVagabonde unsicher.

Jasmin Schreiber, geboren 1988, ist studierte Biologin und arbeitet als Schriftstellerin. Ihr Roman MARIANENGRABEN war eines der erfolgreichsten Debüts 2020, 2021 folgte ihr Sachbuch ABSCHIED VON HERMINE. Im Wissenschaftspodcast BUGTALES.FM erzählt sie von Nacktmullen und Bärtierchen. Gemeinsam mit sehr vielen Tieren lebt sie in Frankfurt a.M. und macht das Internet unter @LaVieVagabonde unsicher.

Kapitel 2


1


»Vielleicht brauchen wir noch mehr Grillanzünder.«

»Meinst du?«

»Keine Ahnung, aber es klappt ja nicht«, sagte Prometheus, schaute auf das Päckchen Streichhölzer in seinen Händen hinab und heftete dann seinen Blick wieder auf Jakobs Gesicht, das im Feuerschein flackerte und ihn dadurch irgendwie an Halloween erinnerte.

Prometheus war neun Jahre alt und hieß eigentlich Marvin, das andere war nur sein Zweitname. Seine Mutter, eine Hebamme, las ihren Gebärenden zur Beruhigung beim Warten auf die nächsten Wehen gerne altgriechische Sagen und Heldengeschichten vor, und die Sage um Prometheus hatte sie damals besonders mitgerissen. Ein Mann, der die Menschen erschuf, ihnen helfen wollte, die Geduld der anderen Göttinnen und Götter jedoch überstrapazierte, als er das Feuer vom Olymp stahl und auf die Erde brachte. Als Strafe landete er dann festgekettet in einem Gebirge, in dem er sich jeden Tag aufs Neue von einem Adler die Leber herausreißen lassen musste. Welch herzerwärmende Geschichte, wer würde seinen Sohn nicht so nennen wollen? Das war aber natürlich nicht der Grund für die Namensgebung. Seine Mutter war fasziniert von dieser Figur, weil sie den Menschen Gutes tun wollte und dafür sogar Strafe in Kauf nahm. Für sie ging es hier um Zuneigung, Opferbereitschaft, Heldenmut. Prometheus selbst fand die Sache mit dem Adler einfach krass, deshalb mochte er den Namen.

Marvin war schlimmer als Prometheus, also das fand er selbst und die Mutter wohl auch, und so war der kleine Junge schon nach ein oder zwei Jahren nur noch Prometheus genannt worden. Wenn neue Lehrer in die Klasse kamen, lasen sie immer erst Marvin vor, doch Prometheus war schon als Kind sehr selbstbewusst (seine Mitschüler hätten wohl gesagt: eingebildet) gewesen. Entschuldigung, sagte er dann, und: Ich werde Prometheus genannt. Drunter geht’s wohl nicht, Herr Protz, hatte ein Lehrer mal gesagt und sich geweigert, den Namen zu verwenden. Doch als Marvin (Prometheus!) auf diesen Namen ein ganzes Halbjahr nicht reagiert hatte, war auch er eingeknickt. Das von seinem Vater als Vorname ausgesuchte Marvin war damit vom Adler davongetragen worden und wurde nie wieder abseits von Behördenschriftstücken oder Schulzeugnissen erwähnt.

»Vielleicht hätten wir noch den Schnaps von deinem Vater nehmen sollen? Schnaps brennt doch gut, glaube ich«, murmelte Jakob.

Sie blickten beide hoch, als ein leises Rauschen aufkam, fast wie ein leiser Wasserfall, fast wie die Brandung des Meeres. Die Mauersegler hatten ihre allabendliche Jagdrunde begonnen und flogen unglaublich nah an ihnen vorbei. In halsbrecherischen und kunstvollen Manövern schraubten sich die Vögel, die im Dämmerlicht Schwalben zum Verwechseln ähnlich sahen, durch die Luft, sie wichen Ästen aus und umtanzten Baumwipfel, flogen mit ihren braunen, gebogenen Schwingen scharfe Kurven und jagten Fluginsekten hinterher, die so schnell in den kleinen Schnäbeln landeten, dass sie gar nicht wussten, wie ihnen geschah. Die Tiere bewegten sich so rasant, dass sie vor den Augen der Jungen verschwammen und zu gespenstischen Schatten oder flatterigen Waldgeistern wurden.

»Weißt du, dass Mauersegler immer in der Luft sind, also ihr ganzes Leben? Ununterbrochen?«, fragte Jakob.

»Quatsch!«, antwortete Prometheus.

»Doch, wirklich, das hat mir meine Mutter erzählt. Die schlafen sogar im Fliegen, und wenn die alt sind und versehentlich am Boden landen, kommen die nicht mehr hoch.«

»Und wenn die tot sind? Dann fliegen die aber nicht mehr, oder?«

Prometheus bekam eine Gänsehaut, als er sich vorstellte, dass einige der Mauersegler hier vielleicht tot sein könnten. Geister zum Anfassen, Geister, die vielleicht auch mal in ein Kinderzimmerfenster hineinflattern konnten, wenn die Mutter es, wie so oft im Sommer, nachts offen stehen ließ. Er stellte sich abgefressene fliegende Skelette vor, tote Augen, knorrige, gebrochene und verbogene Klauen, die blind nach ihm griffen. Seine Hände wurden schwitzig.

»Neeee, natürlich nicht. Stell dir das mal vor, da wäre ja der ganze Himmel voll toter Vögel!«, antwortete Jakob.

Die Jungs traten jetzt einen Schritt zurück, weil ihnen der dunkle Rauch der kokelnden, etwas zu feuchten Äste in den Augen brannte. Sie blinzelten ins Feuer, das die Dämmerung mit seinen Flammen abtastete und spielerisch zurückdrängte.

Auf einer kleinen Lichtung zwischen ein paar Tannen hatten die Kinder eine Art Scheiterhaufen errichtet, lange hatten sie dafür nach trockenem Totholz gesucht, jedoch keine zufriedenstellende Menge gefunden. Stattdessen hatten sie einfach Äste von Büschen abgeschnitten und auch noch Zeitungen und Zeitschriften dazwischengesteckt, um der ganzen Konstruktion mehr Volumen zu geben. Herausgekommen war ein etwa kniehoher Scheiterhaufen mit einem abgeflachten Plateau. Und auf diesem Plateau lag Schnuffelchen.

2


Das Beste daran, wenn die Eltern nicht zu Hause waren, war, dass Prometheus so viel Fernsehen schauen konnte, wie er wollte. Am liebsten sah er die Bugs Bunny Show und fieberte mit dem titelgebenden Hasen mit, während ihm der Jäger Elmer immer wieder auf die Spur kam, ihn dann aber doch nie erlegen konnte. Er flog mit Captain Future im Raumschiff durch die Weiten des Alls und stellte sich vor, dass auch seine eigenen Eltern Wissenschaftler wären, doch wären sie in seiner Vorstellung nicht tot, wie beim Titelheld der Serie, sondern einfach nur sehr beschäftigt, sodass er auf sich allein gestellt wäre. Er hätte ebenfalls ein richtig tolles und superschnelles Raumschiff, vielleicht in Silber oder Knallrot. Mit dabei wäre auf jeden Fall der Android Otto, jedoch nicht Joan Landor, sondern stattdessen Prometheus’ bester Freund Jakob. Oft stellten sich die beiden Jungs gemeinsam in ihrem Geheimversteck, einem großen Busch, vor, wie sie die Welt vor dem Bösen retten würden – sie würden Kriege abschaffen und die Schule gleich mit, alle Menschen wären frei und glücklich, und man dürfte so viele Kellogg’s Froot Loops ohne Milch essen, wie man wollte. Ja, auch mitten am Tag und nicht nur morgens!

Am allerliebsten jedoch schaute Prometheus Sindbad. Die Serie erzählte die Geschichte eines Jungen, der mit seinem besten Freund Hassan wilde Abenteuer erlebte, irgendwann sogar als blinder Passagier auf dem Schiff seines Onkels Ali landete und ab da die Welt bereiste. Das konnte sich Prometheus auch sehr gut für sich vorstellen: Erstens hatte er auch einen ungewöhnlichen Namen, also nicht Marvin, sondern Prometheus. Das klang ja schon nach Abenteuer und Sage, das gehörte einfach zusammen, oder? Zweitens hatte auch er, wie eben schon erwähnt, einen besten Freund, den er mindestens genauso cool wie Hassan fand. Drittens lebte er ja an der Ostsee, es war also durchaus Erfahrung mit dem Meer, Schiffen und Ähnlichem vorhanden. Und viertens war er richtig mutig (fand er) und hatte vor nichts und niemandem Angst. Außer vor Geistern und dem Sensenmann, aber die gab es ja hoffentlich nicht auf dem Meer. Nahm er all das zusammen, hatte Prometheus definitiv das Zeug zum Seemann, und er hatte sich vorgenommen, das später vielleicht auch einfach zu werden, also so als Beruf. Er wollte ein eigenes, großes Schiff haben, mit dem er die Weltmeere umsegeln könnte, er würde Jakob mitnehmen und seine Eltern auch, schließlich konnte er sie ja nicht einfach so allein zurücklassen. Gut, er hatte eventuell auch ein mulmiges Gefühl bei der Vorstellung, so ganz ohne Eltern unterwegs zu sein.

An all das dachte Prometheus gerade wieder, während er sich im Wohnzimmer auf dem braunen Cord-Sofa fläzte und Sindbad dabei zusah, wie er eine Dürre in seiner Heimatstadt Bagdad besiegen wollte, indem er mithilfe von Meerestieren einen Eisberg nach Hause holte. Prometheus fand das ziemlich klug. Da hörte er ein vertrautes Klimpern: Schnuffelchen war aus seinem Körbchen aufgestanden und tapste auf ihn zu. Der altersgemütliche Hängebauch des 16-jährigen Beagles berührte fast den Boden, während die kleinen, festen Beinchen auf das Sofa zutippelten. Schlupp, schlupp, schlupp, die großen Ohren wippten vor und zurück. Prometheus ließ die Hand hinabhängen, damit der Hund sie ablecken konnte, sobald er bei ihm angekommen wäre. Doch als Schnuffelchen (der eigentlich Karl hieß) am kleinen Fliesentisch vorbeigelaufen war, blieb er ungefähr einen halben Meter vor dem Jungen stehen, brummte kurz, taumelte – und fiel um.

Prometheus setzte sich auf.

»Schnuffelchen?«

Der Beagle reagierte nicht. Ungelenk rutschte der Junge vom Sofa und stolperte kurz, weil sein rechtes Bein eingeschlafen war, er humpelte zum weichen Hundekörper und legte die Hand auf die zitternde und zuckende Flanke des Tieres. Schnuffelchen atmete hastig und stoßweise, die Augen waren aufgerissen, plötzlich ein kleines Winseln – und alles war vorbei.

»Schnuffelchen? Schnuffelchen! Hey!«, rief das Kind und schüttelte und rüttelte an dem massigen, warmen Leib herum, doch es half nichts.

Im Hintergrund begann gerade die Abspannmelodie, als Prometheus anfing zu weinen.

3


Nachdem Prometheus fertiggeweint hatte, hatte er seinen besten Freund Jakob angerufen, der ebenfalls allein zu Hause und nach dem Anruf zu ihm hinübergekommen war, um zu helfen. Gemeinsam hatten sie im Telefonbuch nach Bestattungsunternehmen gesucht und waren auch fündig geworden, doch nachdem sie die dritte Absage kassiert hatten (Ein Hund? Veräppelt jemand anderes, ihr Bengel!), war ihnen klargeworden, dass sie sich selbst um die Angelegenheit würden kümmern...

Erscheint lt. Verlag 27.8.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Arzt • Dänemark • Freundschaft • Hoffnung • Krankenhaus • Krebs • literarische Unterhaltung • Nordsee • Ostsee • Pension • Pferde • Tod • Verantwortung • Vergebung • Versöhnung
ISBN-10 3-7517-0947-9 / 3751709479
ISBN-13 978-3-7517-0947-7 / 9783751709477
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
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