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Dorian Hunter 78 (eBook)

Die Hexe von Andorra

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Aufl. 2021
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-1930-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Dorian Hunter 78 - Ernst Vlcek
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Draußen wurden Julios Schmerzensschreie leiser. Die Tür wurde polternd aufgestoßen, und zwei Kapuzenmänner mit Fackeln traten in die Hütte. Sie leuchteten alle Winkel des Raumes aus, stocherten mit langen Heugabeln in dem Strohlager herum und kehrten dann unverrichteter Dinge ins Freie zurück.
»Die Hütte ist leer«, berichteten sie.
Sixta kraulte ihre verwundete Katze und flüsterte ihr zärtlich zu: »Siehst du, Estrella, sie haben uns nicht gefunden. Wenn Julio auf mich gehört hätte, dann wäre auch ihm nichts geschehen!« Sie begann mit heller Stimme zu summen und tröpfelte eine rauchende Flüssigkeit auf das wunde Auge ihrer Katze. »Vielleicht ist es wahr, und ich bin eine bösartige, rachsüchtige Hexe ...«


1. Kapitel


Es herrschte eine unheimliche Stille. Kein Laut war zu hören, nicht das Rascheln des welken Laubes unter seinen Füßen, nicht einmal sein eigener Atem.

Er war nicht fähig, klar zu denken. In seinem Geist herrschte das Chaos. Alles in ihm war in Aufruhr. Es war ein Aufruhr der Emotionen. Alles in ihm drängte danach, seinen Seelenschmerz hinauszuschreien, aber eine unsichtbare Hand hatte seine Kehle mit eisigem Griff umschlossen.

Der Wald lichtete sich. Eine windschiefe Hütte tauchte zwischen den Bäumen auf. Die Tür bewegte sich knarrend, als die Katze darin verschwand.

Julio empfand das Geräusch als Erlösung, aber seine eigenen Schritte konnte er noch immer nicht hören.

Er erreichte die Hütte, in der er als kleiner Junge immer mit seinen Freunden gespielt hatte. Wie gut er sich noch daran erinnerte, wie sie darin einmal von einem Unwetter überrascht worden waren, an das Trommeln des Regens, der durch das Dach getropft war, und an das Heulen des Sturmes, der durch die Fugen der Bretterwände pfiff.

Aber diese Erinnerung wurde überlagert von Eindrücken, die ihm die Hütte bei seinen späteren Besuchen vermittelt hatte. Und als er sie jetzt betrat, da fand er sich plötzlich wieder in einer anderen Welt. Es war nun ein verzauberter Ort.

Es roch nach Rauch, Zimt und Moschus. Zwei gelbe Kerzen verbreiteten ein goldenes Licht und ließen die Wände in einem überirdischen Glanz erstrahlen. Der alte Schuppen wurde zu einem Gemach aus Tausendundeiner Nacht – mit einer prunkvollen Liegestatt aus Stroh, auf der sich ein schlankes Mädchen rekelte, das schwarze Haar aufgelöst, den Blick ihrer rötlich schimmernden Augen von einigen Strähnen des Haares verschleiert, den Kirschlippenmund halb geöffnet und zu einem sanften, sehnsüchtigen Lächeln verzogen. »Julio.«

Sie hauchte seinen Namen nur, und trotzdem drückte sie damit all ihre Leidenschaft aus, die sie für ihn empfand. Hinter ihr fauchte und katzbuckelte ein schwarzer Schatten, den Schwanz steif wie eine Antenne in die Höhe gerichtet und ihn leicht hin und her bewegend, die Spitze wie einen Widerhaken krümmend.

»Ssscht!«, machte das Mädchen und streckte Julio im Liegen beide Arme entgegen. Und wieder besänftigend: »Ssscht, Estrella!«

Die schwarze Katze duckte sich.

Das Gefühl einer unbekannten Bedrohung verließ Julio. Er ergriff die Hände des Mädchens, ließ sich widerstandslos auf das Lager hinunterziehen und verschmolz mit ihrem Körper. Für eine unendlich lang scheinende und doch als zu kurz empfundene Zeitspanne legte sich der Aufruhr in ihm, versank das Chaos seiner Gedanken im Strudel des Glücks.

Doch die Angst vor dem Unbekannten kehrte blitzartig wieder in seine Gedanken zurück, nachdem der Nachhall des Sinnenrausches verebbt war.

Julio richtete sich ruckartig auf dem Strohlager auf. In Sekundenbruchteilen wurde das in überirdischem Glanz erstrahlte Gemach zu einem ärmlichen Schuppen. Er erinnerte sich der dunklen Schatten, die ihm hierher gefolgt waren, wollte dem Mädchen davon erzählen, doch etwas schnürte ihm die Kehle zu.

»Was ist, Julio?«, fragte eine schlaftrunkene Stimme.

»Sixta, ich muss dich etwas fragen«, sagte er barsch und versuchte gleichzeitig, sich gegen die Verzauberung, die von ihr ausging, zu wehren. »Sixta, bist du eine Hexe?«

Das Mädchen stieß einen spitzen Schrei aus und sprang geschmeidig auf die Beine. Die Katze kam aus einer Ecke hervor, ihr Fell sträubte sich, als sie Julio anfauchte.

»Ich muss wissen, ob die Beschuldigungen wahr sind, die gegen dich vorgebracht werden«, verteidigte sich Julio, während er langsam vor der Katze und dem Mädchen zurückwich, die ihm beide wie sprungbereite Raubtiere gegenüberstanden. »Ich muss es wissen, ob meine Gefühle zu dir echt sind oder ob du mich nur verhext hast. Bist du eine Hexe, Sixta?«

»Wie kommst du darauf?«, fragte das Mädchen zurück und blies die gelben Kerzen aus.

Es wurde schlagartig dunkel. Nur die Augen des Mädchens und der Katze waren als glühende Punkte zu sehen. Sixtas Augen glühten rot, die der Katze gelb, schwefelgelb.

»Hattest du je eine Veranlassung, an meiner Liebe zu dir zu zweifeln, Julio?«, fragte Sixta. »Ich habe dir alles gegeben, was ich zu geben hatte. Meine Gefühle zu dir sind ehrlich. Wie kannst du nur daran zweifeln?«

»Bist du eine Hexe?«

Julio hatte sich vollends aus ihrem Bann befreit. Er sah sie jetzt mit anderen Augen. Im Mondlicht, das durch das Fensterviereck fiel, sah er eine reizlose Gestalt, die in Lumpen gekleidet war, das Gesicht war verschmutzt, die Haare waren verfilzt, zerrauft und standen in Strähnen unordentlich vom Kopf ab.

Ein Seufzen entrang sich ihrer Kehle. Sie schien in sich zusammenzufallen, während sie die Schultern kraftlos sinken ließ. »Ich – ich bin anders als die anderen, Julio«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Ich habe das schon als Kind gespürt. Aber – noch nie hat mich jemand eine Hexe genannt, obwohl dort, wo ich aufgewachsen bin, die Leute nicht immer gut zu mir waren. Deshalb bin ich ausgerissen und nach Andorra gekommen. Ich bin einem inneren Drang gefolgt. Es überkam mich wie ein Wandertrieb. Und als ich hierher kam, da wusste ich, dass ich an meinem Ziel angelangt war. Ich bin sicher, dass es mich hierher trieb, weil wir beide füreinander bestimmt sind. Eine Macht, die viel stärker ist als wir beide, hat uns zusammengebracht. Ich habe dich gefunden, Julio, und das war alles, was ich wollte.«

»Du lügst!«, schleuderte er ihr entgegen. »Du kannst nicht lieben, denn du bist eine Hexe. Und ich bin nur eines von deinen unzähligen Opfern. Ich bin auch nicht der Grund, warum du nach Andorra gekommen bist. Man sagt, dass Hexen in gewissen Abständen immer wieder zum Schauplatz ihres Wirkens zurückkehren.«

Das Mädchen schluchzte auf. Er sah, dass ihr Körper wie unter Krämpfen geschüttelt wurde. Die Katze schmiegte sich an ihre Beine und schnurrte, als wollte sie sie trösten.

»Was habe ich dir nur getan, dass du so grausam zu mir bist, Julio?«, fragte das Mädchen schließlich mit leiser Stimme. »Es stimmt, ich bin nicht deinetwegen gekommen. Ich weiß, dass ich hier geboren wurde. In meiner Erinnerung sind schreckliche Bilder, die mit meinen Eltern zusammenhängen, die ich aber nicht deuten kann. Ich habe die Gabe, manchmal Dinge zu sehen, die anderen Menschen verborgen bleiben. Bisher ist es mir jedoch noch nicht gelungen, das Rätsel meiner Vergangenheit zu lösen. Alles, was damit in Zusammenhang steht, bleibt im unergründlichen Dunkel – bis auf die Schreckensbilder, die von unaussprechlicher Qual, Tod und Verderben künden.«

»Es ist also wahr«, brachte Julio hervor. »Mit deinen Worten hast du selbst bestätigt, was man mir erzählt hat.«

»Mit wem hast du über mich gesprochen?«, fragte sie ängstlich.

Julio lachte ungestüm.

»Das überrascht dich, was, du Hexe, dass dein Zauber nicht nach Wunsch gewirkt hat? Jetzt wirst du deine gerechte Strafe bekommen. Auf dem Scheiterhaufen wirst du brennen! Und glaube ja nicht, dass es so etwas heutzutage nicht mehr gibt!«

Julio verstummte, als er draußen Geräusche vernahm. Er blickte durch eine Fensteröffnung ins Freie. Dort waren Gestalten in Kutten aufgetaucht, die sich langsam der Hütte näherten.

»Warum hast du das getan, Julio?«, fragte das Mädchen und wollte sich an ihn klammern.

Aber er stieß sie von sich.

»Lebe wohl, Sixta!«, sagte er und wandte sich der Tür zu. »Ich überlasse dich jetzt deinem Schicksal.«

»Nein, Julio!«, rief sie ihm nach. »Bleibe hier! Ich spüre die Grausamkeit dieser Männer und weiß, dass sie auch mit dir kein Mitleid kennen. Geh nicht hinaus! Wenn du bei mir bleibst, dann werden sie dich nicht finden.«

Julio stieß die Luft abfällig aus und stürzte durch die Tür ins Freie – geradewegs in die Arme der Kapuzenmänner. Trotz seiner Unschuldsbeteuerungen drehten sie ihm die Arme auf den Rücken und rangen ihn nieder. Füße traten nach ihm, und immer wieder stellte man ihm die Frage: »Wo ist die Hexe?«

»In der Hütte«, antwortete Julio mit vor Schmerz entstellter Stimme. »Sie ist in der Hütte!«

Das Mädchen konnte den Anblick nicht mehr länger ertragen.

»Eile ihm zu Hilfe, Estrella!«, befahl sie der Katze. »Steh Julio bei, bevor sie ihn zu Tode trampeln!«

Und die Katze sprang durch ein Fenster und stürzte sich auf die Kapuzenmänner. In der Hütte zündete das Mädchen eilig die beiden gelben Kerzen an und stellte zwischen sie eine bauchige Flasche, die mit einer wasserhellen Flüssigkeit gefüllt war. Gerade, als sie mit ihrer Beschwörung beginnen wollte, ertönte ein unheimlicher Schrei. Das Mädchen brach zusammen und wand sich auf dem Boden, so als spürte sie selbst den Schmerz der gequälten Kreatur.

Die Tür der Hütte knarrte, als die Katze zurückkehrte. Sie schien...

Erscheint lt. Verlag 24.8.2021
Reihe/Serie Dorian Hunter - Horror-Serie
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond
ISBN-10 3-7517-1930-X / 375171930X
ISBN-13 978-3-7517-1930-8 / 9783751719308
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