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Mundartprosa aus den Zeitschriften Trutznachtigall und Heimwacht 1919-1932 -

Mundartprosa aus den Zeitschriften Trutznachtigall und Heimwacht 1919-1932 (eBook)

Sauerländische Mundart-Anthologie Band 11
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
484 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7543-8042-0 (ISBN)
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Dieser 11. Band der Reihe "Sauerländische Mundart-Anthologie" vereinigt plattdeutsche Prosatexte von vierzig Autor*innen, die 1919-1932 in den heimatbewegten Zeitschriften "Trutznachtigall" und "Heimwacht" erschienen sind. Ergänzende programmatische Beiträge zeigen, dass direkt nach Ende des 1. Weltkrieges von einer ungebrochenen Sprachweitergabe keine Rede mehr sein konnte. Die Vereinigung studierender Sauerländer und der aus ihr hervorgegangene Sauerländer Heimatbund boten mit ihren Organen eine wichtige Plattform an zur Veröffentlichung von Dichtungen und Sachtexten in südwestfälischer Mundart. Bisweilen gelang ein existentielles Schreiben fern der ideologischen Heimatparole. Beschworen wurde eine "Magie der katholischen Landschaft". Doch in den Dichtungen und Sprachappellen spiegeln sich auch die politischen Kontroversen der Weimarer Zeit. Der Briloner Josef Rüther wandte sich auf Platt gegen Nationalismus, Kriegerkult und Antisemitismus. Im Zuge des Rechtsschwenks gewannen ab 1928 die völkischen Kräfte an Einfluss. Für sie war "Heimat" kein menschlicher Beziehungsraum, sondern eine vom "Blut" zusammengeschweißte Kampfgemeinschaft. Das Niederdeutsche betrachteten manche in erster Linie nicht als wandelbare Kulturerscheinung wie andere Sprachen, sondern eher wie ein Naturmerkmal oder eine Religion.

1. Die sauerländische Heimatbewegung
und ihr Nestor

Im kölnischen Sauerland war es während des Kaiserreiches nur in einigen Ausnahmefällen zu frühen lokalen Vereinsgründungen für „Orts-und Heimatkunde“, Museumsarbeit etc. gekommen (so 1898 in Attendorn, 1912 in Menden oder 1913 in Brilon).4 Als wichtigste heimatbewegte Neugründung nach dem Ersten Weltkrieg trat 1919 die „Vereinigung studierender Sauerländer“ (V.s.S.) auf die Bühne, deren Dynamik am 26. September 1921 zur Gründung des Sauerländer Heimatbundes (S.Hb.) führte. (Die „Balver Heimwacht“ wurde dann ein bedeutsamer Stützpunkt; im Austausch mit dem am 17.8.1921 konstituierten Olper Heimatverein kam es wegen „konkurrierender“ Zeitschriftenprojekte anfangs auch zu Spannungen.)

Im Sauerländer Heimatbund gab es – viel stärker als in anderen westfälischen Landschaften – von Anfang an eine ausgesprochen konfessionelle Prägung. Unter „Sauerland“ verstand man – wie der frühe Friedrich Wilhelm Grimme – zumeist nur den katholischen (vom alten Herzogtum Westfalen umschlossenen) Landschaftsteil. In der Nachfolge der „Vereinigung studierender Sauerländer“5 wurde der Heimatbund zum wichtigsten Motor der Mundartpflege im kölnischen Gebiet; mit ihm standen alle bekannten Mundartautor*innen der Landschaft in Verbindung. Sehr leicht konnte der Eindruck entstehen, nur die „Plattdeutschen“ seien wirkliche Sauerländer.

Nestor und später priesterliche Leitgestalt der Heimatbewegung im kurkölnischen Sauerland nach dem Ersten Weltkrieg war der aus Ramsbeck stammende Zimmermannssohn Franz Hoffmeister (18981943).6 Den Gymnasiasten in Paderborn hatte der Staat am 1. Juni 1917 zum Kriegsdienst eingezogen. 1918 erlitt er Kriegsverstümmelungen der Hand und des rechten Auges (welches später durch eine Glasprothese ersetzt wurde). Es folgten die Beendigung der unterbrochenen schulischen Laufbahn in Paderborn und im Mai 1919 die Aufnahme des Theologiestudiums. Hoffmeister war der treibende Motor für die von Paderborn ausgehende „Vereinigung studierender Sauerländer“ (V.s.S.) – Keimzelle der später unter den Leuten breiter verankerten Heimatbewegung – und die – von ihm bis 1923 redigierte – Zeitschrift „Trutznachtigall“ (→I). Nach seiner Auffassung verfrüht, aber auf der maßgeblichen Basis seiner Vorarbeit kommt es 1921 zu der oben genannten Gründung des Sauerländer Heimatbundes (S.Hb.), dessen Organ die „Trutznachtigall“ des V.s.S. wird (→II). Nach seiner Priesterweihe (1924) und der – vom Bistum Paderborn wohl mit Bedacht ermöglichten – Übernahme der Pfarrvikariestelle in Antfeld wählt der Sauerländer Heimatbund Franz Hoffmeister zu seinem Vorsitzenden. Dieses Amt wird er – nach seiner Versetzung in die Bochumer Seelsorge (1932) – erst 1933 niederlegen. Von 1929 bis zur letzten Ausgabe vom Februar 1933 hatte der geistliche Heimataktivist erneut auch die Schriftleitung der inzwischen zur „Heimwacht“ (→III) umgetauften Verbandszeitschrift übernommen.

2. Die Bedeutung von „Sprachpflege“
und Mundartliteratur

Das kurkölnische („katholische“) Sauerland ist als südlichster Zipfel des niederdeutschen Sprachraums aufgrund seiner ökonomischen, infrastrukturbezogenen und kulturellen Geschichte länger sprachbeharrend geblieben als seine Nachbarlandschaften. Im Organ der Sauerländer Oberschüler und Studierenden wird die Mundart nach dem ersten Weltkrieg von Anfang an wie eine heilige Angelegenheit beschworen: „Hütet besonders Eure Muttersprache, das gute Sauerländer Platt, und schämt Euch nicht, es zu gebrauchen. Lasset nicht die Schätze untergehen, die die Voreltern uns […] hinterlassen haben. […] Werdet nicht selbst Verräter an unserer Heimat“ (→I.1). Ein Kölner Germanistikstudent legitimiert sich durch in Velmede erworbene Sprachkompetenz und die Fähigkeit, die Ortsmundarten von Ramsbeck und Heringhausen zu unterscheiden (→I.12). Die ‚muttersprachliche Praxis‘ ist gleichsam der Eignungstest für Eintrittskandidaten der Vereinigung (→I.2) und als grundlegender Auftrag schon im 2. Punkt des Gesamtprogramms festgehalten: „Schutz und Pflege jeder berechtigten Sauerländer Eigenart, der alten Sitten und Gebräuche, vor allem Schutz und Pflege der heimatlichen Mundartart mit ihren reichen durch kernige Weisheit, goldigen Humor und innige Religiosität ausgezeichneten literarischen Schätzen.“ (→I.11).

In Hoffmeisters Skizzenreihe „Unser plattdeutsches Aschenbrödel“ (→I.6) erfahren wir ab Mai 1919 – neben einschlägigen Apologien des Niederdeutschen – etwas über „ideelle“ und konkrete Hintergründe. Die Sauerländer Schüler plagt offenbar manchmal eine Unsicherheit, ob man sich der Heimatsprache im Umkreis Paderborner Bildungsanstalten bedienen sollte. Kriegsheimkehrer scheinen zumindest in einigen Fällen zum Hochdeutschen übergegangen zu sein. Nicht zuletzt geht es um Schichtenspezifisches und auch um ein Stadt/Land-Gefälle. Im Grunde weiß der Verfasser, dass die Zeit der niederdeutschen Alltagssprachlichkeit auch im kölnischen Sauerland abgelaufen ist. In Städten (wie Arnsberg, Meschede, Olpe) war man seit Jahrzehnten zum Hochdeutschen übergegangen. Mögen die bäuerlichen Haushalte um 1920 noch als ‚plattdeutsche Festungen‘ erscheinen, so ist doch auch in den kleineren Orten der Sprechsprachenwechsel schon voll „im Schwange“. Die Sprachsituation erscheint aus Sicht der Niederdeutschliebhaber und all jener, die sich nach der „nationalen Niederlage“ das Heil von „regionaler Identität“ erhoffen, bereits vor einem Jahrhundert denkbar prekär.

Uferlose, in vielen Jahrzehnten gleichklingende Apelle zur Bewahrung oder Wiederbelebung des Plattsprechens stehen neben der ideologischen Überhöhung (Niederdeutsch als Stammesmerkmal, ‚Niederdeutsche Bewegung‘ als – rechte – Weltanschauung). Die in diesem Band vereinigten Zeugnisse verschaffen uns Klarheit darüber, dass die Weimarer Zeit selbst nicht Ursache eines Sprachniedergangs sein kann, da sie doch von Anfang an bereits unter dem Vorzeichen einer Verlustangst und Rechtfertigungsmentalität bei den plattdeutschen Aktivisten steht (→I.1; I.3; I.6; I.9; I.11; II.28; II.53; III.20; III.28; III.33; III.43). Die auswärts lernende Jugend, beschäftigt wohl auch mit dem Einfinden in heimatferne neue Lebensräume, will nichts weniger als eine Kulturmission in Angriff nehmen und die Menschen des Sauerlandes unter dem Vorzeichen von „Heimat-Bewahrung“ mobilisieren. Viel ist in jener Zeit vom Volkhaften, Organischen etc. etc. die Rede. Doch es geht hierbei eben nicht um Fragloses, Spontanes, gar Naturhaftes oder in zeitlosen Urgründen Wurzelndes, sondern um Aktion, Organisation und also um eine Politik des Raumes. Namentlich die Frauen – als Walterinnen der Kinderziehung – sollen für die Sprachweitergabe haften (→II.28; III.52). Ferdinand Wippermanns plattdeutsches Weck- und Mahnwort verrät ein bedenkliches Motiv der Kriegergeneration: „Wir werden vielleicht auf lange, lange Zeit ein an äußeren Glücksgütern armes Volk bleiben, um so mehr Grund für uns, uns jene Plätze zu erhalten, zu mehren, die kein rachsüchtiger Feind uns nehmen kann.“ (→I.9)

Franz Hoffmeister hält plattdeutsche Ansprachen und redet mit den Leuten in seiner Muttersprache, doch ein Jahrzehnt nach dem Aufbruch beschreibt er mit Ernüchterung einen durchgreifenden Wandel in der Programm-Umsetzung: Die gleichsam wie ein Selbstläufer gedachte Bewegung des „Heimatvolkes“ ist ausgeblieben. Die Heimatpflege vollzieht sich – auch beim Thema Plattdeutsch – in verbandlicher Organisation, Sachausschüssen und systematisch bearbeiteten Projekten (Sprachforschung, Mundartliteratur-Förderung). Die Illusionen von Sprach-Konservierung oder Sprach-Reanimation sind 1929 geschwunden – zugunsten einer realitätsnahen Einschätzung: „Seien wir ehrlich: Welche Heimatbündlerin lehrt ihre Kinder von Kindesbeinen an in der Familie das Plattdeutsche? – Das Heimatliche im Sauerland muß stark genug sein, um durch die hochdeutsche Sprache nicht vernichtet zu werden. – Es muß auch so viel innere, seelische Kraft besitzen, daß auch bei kurzgeschnittenem Haar und Celtastrümpfen unter der Bembergseide ein heimattreues Frauenherz schlägt.“ (→III.19).

3. Das Heimatbund-Schrifttum als Autorenplattform

Die von Franz Hoffmeister organisierten Studierenden setzen von Anfang an auch in ihrer Zeitschrift und mit dem Editionsprojekt „Suerlänske Baikelkes“ (‚Sauerländer Buchbändchen‘) einen Schwerpunkt auf die Pflege des Plattdeutschen. Wesentlich ist dabei u.a. die Berufung auf den sauerländischen ‚Mundart-Klassiker‘ Friedrich Wilhelm Grimme (1827-1887), von dem hochdeutsche...

Erscheint lt. Verlag 2.8.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Lyrik / Gedichte
ISBN-10 3-7543-8042-7 / 3754380427
ISBN-13 978-3-7543-8042-0 / 9783754380420
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