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Schleier der Tränen (eBook)

Mein Ausbruch aus meiner radikal-islamischen Familie, mein Weg in die Freiheit
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
312 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7517-1502-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Schleier der Tränen -  Yasmine Mohammed
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Yasmines Stiefvater ist hochrangiger Al-Qaida-Stratege, er schlägt sie brutal, wenn sie ihre Suren nicht auswendig kann. Ihre Mutter schützt sie nicht, sondern beteiligt sich sogar an der Gewalt. Als Drittfrau von 'Onkel Mounir' zieht sie mit ihren Kindern in eine elende Kellerwohnung, lässt zu, dass ihre Kinder beschimpft, schikaniert, bestraft, geschlagen und Yasmine sogar sexuell von ihm belästigt wird. Als Yasmine sich einem Lehrer anvertraut, nimmt ihr Leben eine dramatische Wendung... Aber 'Schleier der Tränen' ist nicht nur eine Kindheitsgeschichte. Mit zwanzig wurde Yasmine in eine Ehe mit einem hochrangigen Al Quaida-Mitglied gedrängt, aus der sie sich erst lösen konnte, als ihrer Tochter die genitale Verstümmelung drohte. Yasmine Mohammeds Leben ist die Geschichte der Befreiung aus der Fremdbestimmung in die Freiheit, hin zu persönlichem Glück und Engagement für andere Opfer von Fundamentalismus.#Freeheartsfreeminds #NoHijabDay

GEWALT I


»Nein, bitte! Bitte, es tut mir leid. Mama! Mama! Bitte!«

Ich liege auf meinem Bett, wie man es mir befohlen hat, und bettle verzweifelt, wie schon so oft. Ich fürchte den vertrauten Auftritt, obwohl er sich in diesem Augenblick direkt vor mir abspielt. Er packt mein Fußgelenk und zerrt mich ruckartig zum Fußende des Betts. Ich muss dem Drang, die Beine anzuziehen, widerstehen, denn dadurch wird es nur noch schlimmer. Ich weine so sehr, dass ich keine Luft mehr kriege, als er mein Springseil nimmt, um meine Füße ans Bett zu fesseln.

Er greift nach seinem orangefarbenen Lieblingsplastikstock, der den hölzernen, der immer wieder zerbrach, ersetzt hat. Erst war ich froh, weil ich mir von dem keinen Splitter einziehen konnte, doch mir war nicht klar gewesen, wie viel schmerzhafter dadurch die Schläge wurden. Die Farbe Orange werde ich für den Rest meines Lebens hassen.

Er peitscht mir damit die Fußsohlen. Die Fußsohlen sind die ideale Stelle, weil den Lehrern so die Narben verborgen bleiben. Ich bin sechs Jahre alt, und die Hiebe sind meine Strafe dafür, dass ich die Koransuren nicht richtig auswendig gelernt habe.

»Und, meinst du, dass du sie nächstes Mal richtig lernst?«

»Ja!«

Flehentlich sehe ich meine Mutter an. Warum sagst du nichts? Warum tust du nichts, um mich zu beschützen? Warum stehst du nur da?

Was hielt sie bloß zurück? Hatte sie Angst vor ihm? Sie hatte ihn doch gerufen! War es teilweise ihre Schuld?

In diesem Augenblick kann ich einfach nicht glauben, dass der einzige Elternteil, den ich kenne, mich einfach ausliefert, damit ich gefesselt und geschlagen werde. Er ist der Böse, nicht sie. So musste es sein.

Doch weshalb hat sie ihn dann angerufen und gebeten vorbeizukommen? Warum?

»Wenn ich das nächste Mal komme, will ich alle drei Suren hören, kapiert?«

»Ja …«

»Von welchen drei Suren spreche ich?«

Als ich nur für den Bruchteil einer Sekunde zögere, hebt er schon erneut die Hand. Ein Fünkchen Vorfreude glitzert in seinen Augen.

Wenn keine unverletzte Haut mehr vorhanden ist, auf der die Hiebe landen könnten, treffen sie auf meine schon wunden und zerrissenen Füße. Ich bin schweißgebadet. Mein Herz rast. Ich bekomme kaum Luft, doch ich weiß, es wird nicht aufhören, bis ich die Kraft finde, ihm zu antworten.

»Al-Fatiha, al-Kauthar und al-Ichlas.« Drei kurze Suren, die man für die fünf täglichen Gebete benötigt. Heiser, erstickt, kaum hörbar kommen mir die Worte über die Lippen.

»Wenn du einen Fehler machst – nur einen einzigen –, dann zeig ich dir, wie es wirklich wehtut.«

Schließlich löst er das Seil, wirft es zu Boden und geht hinaus.

Ich liege da und warte darauf, dass meine Mutter kommt und mich tröstet, doch sie kommt nicht. Nach jeder Züchtigung warte ich, aber sie kommt nie. Stets folgt sie ihm zur Tür, und ich höre ihre Stimmen, ihr Gelächter, während sie sich unterhalten. Atemlos warte ich darauf, dass die Wohnungstür ins Schloss fällt. Ich kann mich nicht entspannen, solange ich nicht weiß, dass er weg ist.

Nur langsam beruhigen sich meine Atemzüge, während ich dabei zusehe, wie die Scheinwerfer der unten vorbeifahrenden Autos über meine Zimmerdecke streichen. Wuuusch, wuuusch, wuuusch. Endlich rolle ich mich zusammen und stecke den Daumen in den Mund.

Trotz des Pochens in meinen Füßen und der unwillkürlichen Schluchzer, die mir schier die Brust zerreißen, falle ich in einen tiefen Schlaf. Es ist ein Schlaf, wie er nur auf Kämpfe folgt, die unsere Seele zu zerreißen drohen.

Völlig erschlagen wache ich mitten in der Nacht auf, mit dem schon gewohnten kalten, nassen Fleck unter mir. Aus Versehen berühre ich mit dem Fuß die Stelle, und das unerträgliche Stechen sorgt dafür, dass ich auf der Stelle hellwach bin. Ich weiß, ich muss ins Bad, aber bei dem Gedanken daran, wie weh es tun wird, wenn ich mit meinen kaputten Füßen auftrete, schießen mir gleich wieder die Tränen in die Augen.

Vorsichtig lasse ich meine Füße von der Bettseite baumeln. Sie sind geschwollen und mit Blutblasen bedeckt. Ich wappne mich, ehe ich sie auf den Boden setze. Ich weiß, dass die Blasen, wenn ich die Füße mit meinem gesamten Gewicht belaste, platzen können, doch ich muss mich auch beeilen, um das Pipi abzuwaschen, das in den offenen Wunden brennt.

Damit die wunden Stellen den Teppich nicht berühren, balanciere ich auf den Außenkanten meiner Füße. Langsam hoppele ich, suche bei jedem Schritt Halt – erst am Bett, dann an meiner Kommode, schließlich am Türknauf und an der Wand im Flur. Dieses Zerquetschen, wenn die Wunden dann unweigerlich aufreißen, ist etwas, woran ich mich auch nach fast vierzig Jahren noch lebhaft erinnere.

Doch all dieser Schmerz sei nichts – so versichert man mir –, verglichen mit dem Feuer der Hölle, das mich erwarte, sollte ich die Suren nicht memorieren. Aber bevor ich lerne, mir auf die Zunge zu beißen, melde ich erst mal Zweifel an.

»Wenn Allah mein Fleisch verbrennt und es danach wieder wachsen lässt, um es schließlich in alle Ewigkeit weiterschmoren zu lassen, werde ich mich dann nicht irgendwann dran gewöhnen?«

»Nein«, erwidert meine Mutter. »Allah sorgt dafür, dass es jedes einzelne Mal wieder genauso wehtut wie beim ersten Mal.«

Mir graute vor Allah, vor dem Tag des Gerichts, vor dem ewigen Höllenfeuer – nicht unbedingt Dinge, mit denen sich das Durchschnittskind gemeinhin herumschlägt. Na ja, das durchschnittliche nichtmuslimische Kind wenigstens nicht.

Das Internet ist voller YouTube-Videos von Kindern, die in Medresen brutal attackiert werden. Von Mädchen, die an den Haaren gezerrt und zu Boden gerissen werden, weil sie keinen Hidschab (Kopftuch) aufhaben, von Jungen, die ausgepeitscht werden und unter Fußtritten zu Boden stürzen. Verglichen mit einigen der Geschichten, die mir erzählt wurden, mutet mein eigener Missbrauch, so barbarisch er auch war, geradezu harmlos an. Ein Mädchen aus Somalia berichtete mir, wie ihre Mutter ihrem (ans Bett gefesselten) Bruder heißes Öl einflößte, während die Geschwister dabei zusehen mussten.

Jüngsten Berichten zufolge werden in Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung mehr als siebzig Prozent der Kinder zwischen zwei und vierzehn Jahren auf grausame Weise gezüchtigt. In einigen der Länder wie dem Jemen, Tunesien, Palästina und Ägypten berichten über neunzig Prozent der Kinder von schweren Misshandlungen.

Warum ist das so? Weshalb verzeichnen diese Länder eine so hohe Zahl an Gewalttaten gegen Kinder?

Der gemeinsame Nenner ist, dass man sich in all diesen Ländern zum selben Glauben bekennt. Zu einer Religion, die die Menschen lehrt, ihre Kinder zu schlagen. Gemäß dem Hadith, den Überlieferungen der Aussprüche und Handlungen des Propheten Mohammed, sagte dieser:

»Lehrt eure Kinder beten, wenn sie sieben Jahre alt sind, und gebt ihnen einen Klaps, falls sie es im Alter von zehn Jahren immer noch nicht tun.«

(von Scheich al-Albani in Sahih al-Dschami, 5868,
als sahih, richtig, klassifiziert).

Von ihm stammt auch:

»Häng deine Peitsche auf, wo die Mitglieder deines Haushalts (deine Kinder, Ehefrau und Sklaven) sie sehen können, denn dies wird sie disziplinieren.«

(gesagt von al-Albani in Sahih al-Dschami, 4022)

Sie sehen also, es liegt ganz in der Verantwortung der Eltern sicherzustellen, dass ihre Kinder den Koran memorieren, keines der täglichen Gebete versäumen und den schmalen, ihnen vorgeschriebenen Pfad beschreiten.

»Jeder von euch ist ein Hirte und verantwortlich für seine Herde. Der Herrscher ist Schäfer und für seine Herde verantwortlich. Jeder Mann ist Beschützer seiner Familie und verantwortlich für seine Herde. Eine Frau ist die Hirtin des Haushalts ihres Gatten und trägt Verantwortung für ihre Herde. Ein Diener ist der Hüter des Reichtums seines Herrn und ebenfalls verantwortlich für seine Herde. Jeder von euch ist Hirte und trägt als solcher Verantwortung für seine Herde.«

(erzählt von Al-Buchari, 583; Muslim, 1829)

Wenn Eltern also ihre Kinder schlagen, so tun sie dies sowohl aus religiöser Verpflichtung als auch aus Furcht; sie müssen dafür sorgen, dass ihre Kinder fromme Muslime werden. Werden die Kinder das nicht, haben die Eltern versagt und werden sich am Tag des Gerichts vor Allah zu verantworten haben. Denn sind die Kinder keine frommen Muslime, droht auch den Seelen der Eltern das ewige Höllenfeuer.

Studien zeigen, dass durchschnittlich sieben von zehn Kindern seelischer Gewalt ausgesetzt sind, mit dem höchsten Anteil im Jemen (neunzig Prozent). Etwa sechs von zehn Kindern erleben körperliche Züchtigung. Die höchsten Raten verzeichnen die Zentralafrikanische Republik, Ägypten und der Jemen (jeweils mehr als achtzig Prozent).

Meist bedienen sich die Haushalte einer Kombination aus mehreren disziplinarischen Praktiken. Die meisten Kinder in der Mehrzahl der Länder und Regionen sind sowohl psychologischen als auch körperlichen Formen der Bestrafung ausgesetzt. Das bestätigt, dass sich die beiden Ausprägungen der Gewalt häufig überschneiden und im disziplinarischen Kontext oft gemeinsam auftreten. Eine derartige Erfahrung multipler Gewaltformen kann den Schaden für ein Kind sowohl auf kurze als auch auf lange Sicht noch verschlimmern.

Obwohl all die Misshandlungen und Androhungen von Misshandlungen mich buchstäblich...

Erscheint lt. Verlag 30.9.2021
Übersetzer Magdalena Breitenbach
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Aktivistin für Menschenrechte • Al-Quaida • Autobiografie • Ayaan Hirsi Ali • Befreiung der Frauen im Islam • Entrechtung von Frauen • Feminismus • #freehaertsfreeminds • freehaertsfreeminds • Genitalverstümmelung • Ik ga leven • Islam • Kindesmisshandlung • Lale Gül • #nohijabday • nohijabday • radikal-islamisch • Rana Ahmad • Zwangsheirat
ISBN-10 3-7517-1502-9 / 3751715029
ISBN-13 978-3-7517-1502-7 / 9783751715027
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