Die Hanse (eBook)
128 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-76646-6 (ISBN)
Rolf Hammel-Kiesow (1949 - 2021), Prof. Dr. phil., leitete von 1993 bis 2016 die «Forschungsstelle für die Geschichte der Hanse und des Ostseeraums» in Lübeck und war von 2010 bis 2019 Vorsitzender des Hansischen Geschichtsvereins.
I. Einleitung
Die Hanse ist ein Phänomen, das von den heutigen Deutschen fast durchweg positiv bewertet wird. Die zahlreichen Firmen- und Betriebsnamen, die vor allem in norddeutschen Städten mit den Epitheta «Hanse» und «hansisch» geschmückt sind, belegen, dass der Begriff für Verlässlichkeit, Vertrauenswürdigkeit, kaufmännische Ehrlichkeit und Ähnliches steht.[1]
Seit dem Zusammenbruch des sowjetischen Machtblocks schmücken die Epitheta «Hanse», «hansisch», «hanseatisch» in zunehmender Zahl Betriebe in ehemaligen Hansestädten des nordöstlichen Europa: in Gdańsk (Danzig), Elblag (Elbing), Riga und Tallinn (Reval), und die Intensivierung der Kontakte der Ostseeanrainerstaaten untereinander und mit den Staaten des übrigen Europa seit Anfang der 1990er Jahre wird häufig mit dem Namen der Hanse und diese wiederum mit der Europäischen Union in Verbindung gebracht. Die positive Bedeutung von «Hanse», «hansisch» und «hanseatisch» ist nicht erst ein Phänomen des 20. Jahrhunderts. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wurde und wird die Hanse durchgehend als Werbeträger verwendet, ungeachtet (oder gerade wegen?) der verschiedenen politisch-ideologischen Interpretationen, denen sie ausgesetzt war: zunächst als Statthalter des Reichs und Vorläufer des deutschen Nationalstaats im Norden; dann, zur Zeit Wilhelms II., als Inbegriff deutscher Flottenherrlichkeit zur See; während des Dritten Reichs als Träger der Ausdehnung des deutschen Lebensraumes nach Osten; nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges – nach einer 180-Grad-Kehrtwende – entweder als wichtiges Instrument des Klassenkampfes des erstarkenden Bürgertums gegenüber den Feudalmächten in der DDR-Geschichtsschreibung oder als Vorläufer des Vereinten Europa in der westlichen Welt. Diese ideologischen Vereinnahmungen erfolgten alle auf nahezu der gleichen Quellenlage und zeigen neben dem jeweils tagespolitischen Aspekt, dass Geschichte nicht etwas Feststehendes ist, sondern vom Historiker «gemacht» wird.
Neben dem positiven Hansebild stand (und steht noch ein bisschen) ein sozialkritisches. Es löste in der literarischen Verarbeitung des Stoffes seit Ende des 19. Jahrhunderts allmählich das nationale Pathos ab und hat sich vor allem im Jugendbuch gehalten. Im Kampf der Piraten, der likedeeler (das sind diejenigen, die ihre Beute zu gleichen Teilen teilten), gegen die ausbeuterischen Pfeffersäcke sind die Seeräuber, vor allem Claus Störtebeker, die Rächer der Unterdrückten, und die Hanse verkörpert als Hintergrundfolie das Böse. Bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts war der sozialkritische Ansatz sehr populär. Einer seiner Höhepunkte war zweifellos die dramaturgische Bearbeitung eines Werks über Jürgen Wullenwever, des Romans «Gewitter über Gotland» von Ehm Welk, durch Erwin Piscator an der Berliner Volksbühne im Jahr 1927. In der akademischen Geschichtsschreibung fand sich dieser Ansatz bis 1945 kaum, und – auch dies ein Aspekt des in diesem Fall verordneten sozialkritischen bzw. klassenkämpferischen Ansatzes – die Hansegeschichtsschreibung der DDR gelangte in bemerkenswertem Gegensatz zur offiziellen Parteilinie zu der Erkenntnis, dass von einer Mitwirkung der «plebejischen Schichten» z.B. im sog. sozialrevolutionären Kampf Jürgen Wullenwevers nicht die Rede sein könne.
Wie groß die Anzahl der Anhänger beider Rezeptionsarten in der deutschen Bevölkerung ist, lässt sich nicht feststellen; gemessen an öffentlichen Verlautbarungen überwiegt jedoch die positive, was sicherlich auch damit zusammenhängt, dass die «Hanse» von den ehemaligen Hansestädten in ganz Europa für die Tourismuswerbung entdeckt wurde. Im Ausland ist die Rezeption verständlicherweise nicht eindeutig. Während in den skandinavischen Ländern lange Zeit die negative Sicht der Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung durch die hansischen Kaufleute überwog (vor allem in den Nachkriegsjahren), hat sich in den baltischen Staaten eine – zumeist auf die gebildete Oberschicht beschränkte – positive Haltung gegenüber der Hanse entwickelt. In der wissenschaftlichen Forschung haben sich – abgesehen von Einzelfragen – die Positionen deutscher und skandinavischer Historiker weitgehend einander angenähert, auch und vor allem was die Rolle der Hanse in Norwegen betrifft.
Die heutige Akzeptanz der Hanse in der Öffentlichkeit beruht jedoch nach wie vor in weiten Teilen auf dem Geschichtsbild, das im 19. und frühen 20. Jahrhundert entworfen wurde und als Teil des bürgerlichen Bildungskanons über Generationen hinweg Schüler und Studenten prägte. Es manifestiert sich in Gemälden von hochbordigen, dreimastigen «Koggen» des 15. Jahrhunderts, die ebenso eindrucksvoll wie falsch sind (der [!] Koggen war ein einmastiger Schiffstyp, der seit der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert vom Holk abgelöst wurde). Es zeigt sich ebenso in der Vorstellung von einem mächtigen Städtebund, der in der Zeit des Niedergangs des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation die deutsche Sache im Norden Europas zunächst machtvoll vertreten habe, schließlich aber an den Egoismen der einzelnen Mitgliedstädte zugrunde gegangen sei, sowie in Vorstellungen, dass der Niedergang der Hanse durch die Entdeckung Amerikas respektive durch das Ausbleiben der Heringsschwärme vor Schonen verursacht worden wäre, weil aus beiden Gründen der Ostseehandel an Bedeutung verloren habe.
In dieses herkömmliche Bild mischen sich seit den 1970er Jahren Vorstellungen von einer Internationalität der ehemaligen Hanse, die aber schlicht darauf beruhen, dass die staatliche und ethnische Gliederung des heutigen Europas ins späte Mittelalter projiziert wird und somit belgische (Dinant), niederländische (z.B. Kampen, Zwolle), deutsche, schwedische (Visby, Stockholm), polnische (z.B. Danzig/Gdańsk, Elbing/Elblag), russische (Königsberg/Kaliningrad), lettische (Riga) und estnische (Reval/Tallinn, Dorpat/Tartu) Städte als Mitglieder der Hanse betrachtet werden (s.Karte 1). Aufgrund der großen Veränderungen der ethnischen Siedlungsgebiete im östlichen Europa erkennt man nicht mehr, dass allein die niederdeutschen Fernkaufleute dieser Städte der Grund für ihre Mitgliedschaft waren (die einzige Ausnahme ist Dinant). Das entscheidende Kriterium für die Aufnahme eines Kaufmanns in die Hanse war nach heutigem Forschungsstand das Recht, zu dem er geboren war. Die Mitgliedschaft in ihr war folglich sozusagen angeboren: Nur wer von deutschen Eltern geboren war und nach deutschem Recht lebte, außerdem durch das Erlernen des Kaufmannsberufs die Berechtigung zum selbständigen Auslandshandel erworben hatte, konnte in die Hanse aufgenommen werden. Das hat noch nichts mit dem Nationalismus des 19. und 20. Jahrhunderts zu tun, sondern mit dem – ethnisch gebundenen – Recht als der grundsätzlichen Kategorie mittelalterlichen Daseins.
1. Was war die Hanse?
Damit befinden wir uns aber bereits mitten in der fachlichen Diskussion um das Phänomen Hanse. Geben wir also eine erste Definition, ausgehend von ihrem Erscheinungsbild in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts: Die Hanse war eine Organisation von niederdeutschen Fernkaufleuten einerseits und von rund 70 großen und 100 bis 130 kleinen Städten andererseits, in denen diese Kaufleute das Bürgerrecht hatten. Hansische Kaufleute konnten aber auch aus nichtstädtischen Siedlungen stammen. Diese Organisation verfolgte erstens – das war die Grundlage ihres Entstehens – handelswirtschaftliche Ziele; zweitens aber bemühte man sich seitens der Städte seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert vermehrt um gegenseitige Unterstützung gegen adlige Herrschaftsansprüche. Kennzeichnend für die Hanse war die doppelte Dichotomie von handelswirtschaftlicher und politischer Organisation sowie von Kaufleuten und Städten.
Der Raum, in dem die hansischen Kaufleute zu Hause waren bzw. in dem die Hansestädte lagen, erstreckte sich von der Zuidersee im Westen bis nach Estland und Livland im Osten und von Visby (im 14. Jahrhundert Stockholm) im Norden bis zu der Linie Köln–Erfurt–Breslau–Krakau im Süden (s.Karte 1). Aber nicht alle Städte in diesem Raum waren Hansestädte:Aus dem nördlichen Deutschland seien nur Emden, sämtliche schleswig-holsteinischen Städte außer Kiel, weiter Schwerin genannt und im Osten z.B. Memel (Klaipëda), Viborg und Narva (in denen ebenfalls niederdeutsche Kaufleute das Bürgerrecht hatten).
Diese kaufmännische Organisation und ihre Vorläufer verfolgten über rund ein halbes Jahrtausend von der Mitte des 12. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts ihr Ziel des möglichst gewinnbringenden Handels. Zunächst, im 13. und 14. Jahrhundert, waren sie im nördlichen Europa...
Erscheint lt. Verlag | 29.5.2021 |
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Reihe/Serie | Beck'sche Reihe | Beck'sche Reihe |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Allgemeines / Lexika | |
Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
Wirtschaft | |
Schlagworte | Deutschland • Geschichte • Handel • Hanse • Mittelalter • Neuzeit • Nordeuropa • Osteuropa • Städtebund • Wirtschaft |
ISBN-10 | 3-406-76646-3 / 3406766463 |
ISBN-13 | 978-3-406-76646-6 / 9783406766466 |
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