Wunder einer neuen Zeit (eBook)
508 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7517-1014-5 (ISBN)
1956. Die zwanzigjährige Leni aus dem ländlichen Hebertshausen träumt von einem Leben in der Großstadt - von eleganten Geschäften, Kinobesuchen und grenzenloser Freiheit. Als die junge Friseurin die Chance bekommt, sich bei dem vornehmen Münchner Salon Keller vorzustellen, scheint der Traum zum Greifen nah. Unterdessen hadert ihr Bruder Hans mit seinem Medizinstudium. Seine Leidenschaft gilt der Jazzmusik und einer Frau, die für ihn unerreichbar ist. Denn die schöne Charlotte ist bereits verheiratet - mit einem Mann, den sie nicht liebt. Während sie alle darauf hoffen, ihr Glück zu finden, müssen sie Entscheidungen fällen, die ihr Leben für immer verändern werden ...
<p><strong><strong>Julia Fischer</strong></strong> ist eine deutsche Schauspielerin, Moderatorin, Sprecherin und Schriftstellerin. Die Mutter dreier Kinder lebt mit ihrer Familie in München und hat schon als Kind auf Schallplatten und im Kinderfunk mitgewirkt, später den Beruf der Schauspielerin ergriffen, sowie verschiedene Magazine im Bayerischen Fernsehen moderiert. In den letzten Jahren kamen unzählige Hörbuchproduktionen für namhafte Verlage dazu.</p>
Julia Fischer hat schon als Kind auf Pumuckel-Schallplatten und im Kinderfunk mitgewirkt, später den Beruf der Schauspielerin ergriffen und verschiedene Fernsehmagazine moderiert. Auch als Sprecherin zahlreicher Hörbücher hat sie sich einen Namen gemacht. In den letzten Jahren hat Julia Fischer das Schreiben für sich entdeckt und bereits erfolgreich Romane veröffentlicht. Die Autorin lebt mir ihrer Familie in München.
Prolog
Juli 1951
In der Schlafkammer nebenan knarrten die Dielen. Draußen war es längst hell, die Vögel zwitscherten im Garten um das alte Haus, die Wiesen erwachten, und Lenis innere Uhr sagte ihr, dass es halb sechs war. Sie hörte, wie ihre Mutter Käthe nebenan mit dem Waschkrug hantierte und mit beiden Händen das kalte Wasser aus der großen Porzellanschüssel schöpfte. Dann war es wieder still. Leni wusste, dass ihre Mutter sich jetzt anzog – immer noch eines der alten Vorkriegskleider, die neben den verwaisten Sachen des Vaters im Schrank hingen. Und dass sie dann ihre dunklen Haare, in denen sich immer mehr weiße Strähnen zeigten, im Nacken zusammensteckte, ohne in den Spiegel zu sehen. Ehe ihre Mutter ihre Schlafkammer verließ, würde sie noch in eine Kittelschürze schlüpfen, um ihr Kleid bei der Hausarbeit zu schonen, und wie immer vergessen, sie auszuziehen, wenn sie um halb acht gemeinsam mit ihr das Haus verließ, um ihr Geschäft aufzusperren.
Der Frisörsalon Landmann war dienstags bis samstags von acht bis zwölf und von vierzehn bis neunzehn Uhr geöffnet, montags machte Lenis Mutter Hausbesuche. Es gab nur zwei Stühle, und die Ausstattung war spärlich, aber die Frauen hier im oberbayerischen Hebertshausen waren nicht anspruchsvoll – Waschen, Schneiden, Legen und hin und wieder Ohrlöcher stechen, sehr viel mehr wurde nicht nachgefragt. Und die Männer fuhren ohnehin lieber in das nahe Dachau zum Kölbl, weil sie sich von einem Herrenfriseur bedienen lassen wollten, der auch rasierte – die meisten zumindest. Leni und ihre Mutter hatten trotzdem alle Hände voll zu tun, denn auch die Flüchtlinge und Vertriebenen aus den Baracken an der Münchner Straße kamen zu ihnen. Die Familien aus dem Sudetenland, aus Schlesien und Ungarn, die seit Jahren in den zugigen Bretterverschlägen wohnten, in denen der Schwamm hauste. »Menschenunwürdig«, sagte Leni über die Provisorien, die der Zeit trotzten, aber ihre Mutter meinte, dass sich die Würde der Menschen seit dem Krieg anders definiere.
Jetzt hörte Leni, dass sie die Treppe hinunterstieg, Pantoffeln an den Füßen. Ich sollte auch aufstehen, dachte sie, und ihr zur Hand gehen. Aber die Tage waren auch so schon lang. Bis vor einem Jahr war Leni noch auf die »höhere Schul«, die Volksschule hier oben auf dem Weinberg, gegangen, in der die Kinder von der ersten bis zur achten Klasse in nur zwei Klassenzimmern unterrichtet wurden – Buben und Mädchen natürlich getrennt. Sie hatte sie im letzten Jahr abgeschlossen und machte seitdem bei ihrer Mutter eine Friseurlehre. Einmal die Woche fuhr sie mit dem Zug nach München in die Berufsschule in die Hirschbergstraße, an den anderen Tagen stand sie mit ihrer Mutter zusammen im Salon. Das Zupfen, Hecheln und Stumpfziehen von Rohhaaren, um daraus kleine Haarteile zu knüpfen, und den Umgang mit Montierbändern, Gaze und Haartüll – allesamt Arbeiten eines Perückenmachers, die Bestandteil der Ausbildung waren – musste sie abends zu Hause üben. Und noch bevor sie zu Bett ging, schrieb sie ihr Werkstattwochenbuch mit den Facharbeitsblättern.
Die Schule fiel Leni leicht, auch wenn jetzt noch anatomische und physiologische Grundlagen, Chemie und Mathematik dazukamen. Als Friseur musste sie schließlich die genaue Zusammensetzung der Haarfarben, Dauerwellwasser und Fixierlösungen kennen, Mischungsverhältnisse berechnen oder in der ebenfalls zur Ausbildung gehörenden Schönheitspflege Hautanalysen erstellen können, auch wenn sie vieles davon im Salon ihrer Mutter gar nicht brauchte. Sie hatten ja nicht einmal einen Heiß- oder Thermwell-Apparat! Leni würde deshalb zur Prüfungsvorbereitung ein paar Tage im Friseursalon Kölbl arbeiten dürfen, der moderner ausgestattet war. Sie selbst experimentierte schon länger mit der Herstellung von Kosmetikprodukten. Nach Rezepturen ihrer Großmutter, der Landmann-Oma, siedete sie Seifen, setzte Gesichtswasser an und mischte Cremes, doch ihre Mutter hatte kein Interesse daran, in ihrem Salon Kosmetikbehandlungen anzubieten: Gesichtsmassagen, Pflegepackungen oder Maniküren. »Geh, Leni, wer will denn des bei uns?«, sagte sie.
»Die Frauen aus den Baracken zum Beispiel, da sind einige nämlich viel moderner als wir hier. Mehr so wie die aus München.«
»Die jungen vielleicht, die Ang’strichenen, die mit unseren Burschen poussieren.«
»Na und? Die sind doch auch Kundschaft. Und des Schminken ist heutzutag ganz normal. Alle tragen doch jetzt Lippenstift.«
»Alle net und du schon gar net!«
Ihre Mutter war eine strenge Ausbilderin, aber Leni lag die Arbeit. Sie hatte schon als Kind stundenlang im Salon Puppen frisiert und den Mädchen die Haare geflochten. Hatte hinter der Verkaufstheke gesessen, jeden Handgriff ihrer Mutter verfolgt und mit schöner Schreibschrift die Termine in das Auftragsbuch eingetragen, das dort lag. Die Kundinnen kamen persönlich vorbei, um sie zu vereinbaren, denn es gab im Salon kein Telefon. Die wenigsten Hebertshausener hatten eines, und wenn, dann einen Doppelanschluss, wie der Metzger Herzog, dessen Apparat in seinem Gasthof stand, mit dem Rabl, der Fahrräder und Motorräder verkaufte und eine eigene Werkstatt hatte. Wer von den beiden zuerst den Hörer abhob, wenn es klingelte, nahm das Gespräch entgegen, und war es nicht für ihn, musste der Anrufer eben ein zweites Mal durchklingeln.
Leni schlüpfte unter ihrer Bettdecke hervor. Sie richtete sich ebenfalls für den Tag her, zog sich an und flocht ihre langen kupferroten Haare zu Zöpfen. Die ungewöhnliche Farbe hatte sie aus der mütterlichen Linie, von der Bürglein-Oma, die sie nicht mehr kennengelernt hatte.
Die Haustür fiel ins Schloss. Leni sah durchs Fenster, dass ihre Mutter die Handtücher von der Leine nahm, die Leni gestern noch aufgehängt hatte. Die Hebertshausener hatten ein gemeinsames Waschhaus hinter der Feuerwehr unterhalb vom Hansbauer. Dort wusch Leni nicht nur die Leibwäsche der Familie, sondern auch die Handtücher für den Salon. Jeden Montag kochte sie sie aus, stampfte und rieb sie, spülte sie mit klarem Wasser nach und wrang sie mühsam aus. Und dann hievte sie die schwere feuchte Wäsche auf einen Leiterwagen und zog ihn den Berg hoch. Frau Kopp, der ihre Mutter immer samstags die Haare machte, besaß eine eigene Waschküche und sogar eine Schleuder – Leni hatte diese einmal gesehen. Man musste sich draufsetzen, wenn sie eingeschaltet wurde, weil sie sonst wie ein Geißbock herumsprang.
Leni öffnete ihre Zimmertür und horchte in den Flur. Ihr Bruder schlief noch. Kein Wunder – seit er letzte Woche sein Abitur bestanden hatte, schlug er sich die Nächte im Club der Amerikaner um die Ohren. Im Hinterzimmer des Gasthofs am Walpertshofener Bahnhof, in dem eine Jukebox stand, die Jazz und Rock ’n’ Roll spielte. »Negermusik«, sagte ihre Mutter, wenn Hans den Rundfunkempfänger anstellte – »Good morning! This is AFN Munich …« – und dann versuchte, die Stücke auf seiner Trompete nachzuspielen.
»Die GIs haben die Decke im Hinterzimmer vom Domini mit Fallschirmseide abgehängt«, hatte Hans Leni begeistert erzählt, »das sieht aus wie ein Himmel, und da gibt’s Cola und Whisky.«
»Den darfst du noch gar net trinken, weil du noch net volljährig bist!«, hatte sie ihm geantwortet. »Und rein darfst du da auch net. Des is nur für die vom Militär.«
»Die Liesl, mit der ich in die Schule gegangen bin, ist auch oft da.«
Aber über die Liesl redeten die Leute in der Gemeinde, das wusste Leni, die Kundinnen im Salon ihrer Mutter nannten sie »Ami-Flitscherl«.
Leni ging hinunter in die Küche. Das war ihr liebster Moment: wenn sie das Frühstück herrichtete, der Tag noch unberührt war und voller Möglichkeiten. Während sie den Ofen anschürte und einen Topf mit Wasser aufsetzte, das Geschirr auf den Tisch stellte und das Butterfass und das Brot aus der Speisekammer holte, träumte sie davon, dass sie sich bald verlieben würde, in einen jungen Mann, der durch Zufall in den Salon käme und sich von ihr die Haare schneiden lassen würde. Einen, der nicht aus dem Ort stammte und den sie nicht schon ihr halbes Leben lang kannte. Und sie träumte, dass ihre Mutter den Salon vergrößern und modernisieren würde und plötzlich eine bekannte Schauspielerin in der Tür stünde – »Arbeitet hier das Fräulein Landmann? Sie ist mir empfohlen worden« – und,dass sie eines Tages einen eigenen Salon haben würde, den Salon Marlene, modern eingerichtet und mitten in München.
Leni mahlte den Ersatzkaffee – den guten Kathreiner – und wartete, bis das Wasser kochte. Ihre Mutter war noch immer im Garten, aber jetzt stand sie wie jeden Morgen am Gartentor und wartete auf ein Wunder.
*
Er wird einen Koffer in der Hand haben, so wie die anderen, die zurückgekommen sind, dachte Käthe und sah zur Kirche hinüber. Nicht den, mit dem er fortgegangen ist, aber auch einen aus Pappe, die Ecken mit Stahlblech verstärkt und mit einem Lederriemen zusammengehalten oder einer Schnur. Dabei wird gar nicht viel drin sein in seinem Koffer, ein Kamm vielleicht, ein Stück Seife und ein kleiner Spiegel, ihre Briefe, die sie ihm ins Feld geschickt hatte, ein Hemd und Wechselsocken, die Fotos der Kinder. Was besitzt einer schon, wenn er aus einem russischen Kriegsgefangenenlager entlassen wird? Gerade genug, dass sich der letzte Rest Leben daran festklammern kann.
Ihr Otto galt seit der Schlacht um die Krim als vermisst, aber Käthe war davon überzeugt, dass er noch lebte. Sie hatte im März 1944 seinen letzten Brief bekommen, der ihr schier das Herz...
Erscheint lt. Verlag | 25.2.2022 |
---|---|
Reihe/Serie | Salon-Saga | Salon-Saga |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Frisörsalon |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 50er-Jahre • Café Engel • Charité • Emanzipation • Familie • Friseur • Frisör • Fünfzigerjahre • Jazz • Kosmetik • Medizin • München • Nachkriegszeit • Saga • Schönheit • Studium • Wirtschaftswunder |
ISBN-10 | 3-7517-1014-0 / 3751710140 |
ISBN-13 | 978-3-7517-1014-5 / 9783751710145 |
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopierschutz. Eine Weitergabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persönlichen Nutzung erwerben.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich