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Chaos? Hinhören, singen (eBook)

Ein Gespräch mit Ute Cohen

, (Autoren)

eBook Download: EPUB
2021 | 1
176 Seiten
Kampa Verlag
978-3-311-70278-8 (ISBN)
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Gesten, Posen, Auftreten ... und modern. Ingrid Caven gilt als die letzte deutsche Diva, wird verglichen mit Édith Piaf und Marlene Dietrich. In Deutschland ist sie durch die Filme von Rainer Werner Fassbinder bekannt geworden, mit dem sie auch verheiratet war und der - wie Hans Magnus Enzensberger - Lieder für sie schrieb. Seit Ende der siebziger Jahre lebt die Tochter eines Saarbrückener Tabakwarenhändlers in Paris, wo sie als Chansonnière Erfolge feierte. Und auch mit über 80 steht die Caven noch auf der Bühne: An der Volksbühne spielte sie zuletzt neben Helmut Berger. Ihr Lebensgefährte ist der Schriftsteller Jean-Jacques Schuhl, der für seinen Roman über ihr Leben mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde. Caven selbst erhielt zahlreiche Preise, u.a. wurde sie als einzige deutsche Interpretin zum Chevalier des Arts et des Lettres und zum Commandeur des Arts et des Lettres ernannt. Ingrid Caven und Ute Cohen trafen sich in Berlin und Paris und sprachen über die wilden Siebziger, über Sex, Drugs und Rock 'n' Roll, über Dekadenz, Kokain und Champagner. Caven blickt zurück auf nächtliche Treffen mit RAF-Mitgliedern in München oder mit Mick Jagger in New York, plaudert über Religiosität und Erotik, Kunst und Politik, MeToo, Populismus und das Altern. Ein schillerndes Porträt einer Ausnahmekünstlerin.

Ingrid Caven, 1938 als Ingrid Schmidt in Saarbrücken geboren, ist die Tochter eines Tabakwarenhändlers und Schwester der Opernsängerin Trudeliese Schmidt (1942-2004). Nach einem Studium an der Musikhochschule München stand sie in verschiedenen Theatern auf der Bühne und wurde dort von Rainer Werner Fassbinder entdeckt. Sie spielte in mehr als zwanzig seiner Filme mit und war zwei Jahre lang mit ihm verheiratet. Internationale Bekanntheit erlangte Caven mit der Rolle der Nachtclubsängerin La Paloma in Daniel Schmids gleichnamigem Film. 1978 zog sie nach Paris und begann ihre zweite Karriere als Chansonnière: Hans Magnus Enzensberger, Wolf Wondratschek, Peer Raben und andere schrieben Texte für sie. Cavens langjähriger Lebensgefährte ist der Schriftsteller Jean-Jacques Schuhl, der einen Roman über sie schrieb. Für ihren Beitrag zur französischen und deutschen Kultur wurde Ingrid Caven mit dem Chevalier und dem Commandeur des Arts et des Lettres ausgezeichnet.

Ingrid Caven, 1938 als Ingrid Schmidt in Saarbrücken geboren, ist die Tochter eines Tabakwarenhändlers und Schwester der Opernsängerin Trudeliese Schmidt (1942–2004). Nach einem Studium an der Musikhochschule München stand sie in verschiedenen Theatern auf der Bühne und wurde dort von Rainer Werner Fassbinder entdeckt. Sie spielte in mehr als zwanzig seiner Filme mit und war zwei Jahre lang mit ihm verheiratet. Internationale Bekanntheit erlangte Caven mit der Rolle der Nachtclubsängerin La Paloma in Daniel Schmids gleichnamigem Film. 1978 zog sie nach Paris und begann ihre zweite Karriere als Chansonnière: Hans Magnus Enzensberger, Wolf Wondratschek, Peer Raben und andere schrieben Texte für sie. Cavens langjähriger Lebensgefährte ist der Schriftsteller Jean-Jacques Schuhl, der einen Roman über sie schrieb. Für ihren Beitrag zur französischen und deutschen Kultur wurde Ingrid Caven mit dem Chevalier und dem Commandeur des Arts et des Lettres ausgezeichnet.UTE COHEN lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Ihre Interviews erscheinen in renommierten Zeitungen und Zeitschriften. Die promovierte Linguistin und Kommunikationsberaterin war viele Jahre in Paris für Unternehmensberatungen und eine internationale Organisation tätig. Ihre Romane Satans Spielfeld (2017) und Poor Dogs (2020) erschienen im österreichischen Septime Verlag.

Kitsch ist eben der Ersatz für Liebe


Ist romantische Liebe heute immer noch möglich – wie bei Hölderlin?

Darauf möchte ich mit einem Satz antworten, den Fassbinder für mich geschrieben hat in Schatten der Engel: »Musik hätte uns täuschen können«, sagt eine Figur, und ich, die Nutte, antworte: »Aber wir brauchen die Lieder, die von Liebe singen.« In Teilen lebt jeder noch ein bisschen Romantik, aber eben in Bruchstücken, in der Idee der Romantik allerdings nicht. Hölderlins Idee ist die Idee eines Poeten und damit ewig gültig. Das ist aber nicht die Idee von Romantik, wie sie sich Nicht-Poeten vorstellen.

Worin sehen Sie den Unterschied?

In der Poesie! Und nicht jeder hat die Gnade, Poet zu sein.

In Literatur und Kunst enden Passion und Romantik oft mit Tod oder Selbsttötung. Hölderlins Diotima stirbt, La Traviata endet tragisch … Die Zahl der weiblichen Opfer ist endlos.

Da ist bestimmt dieses Grundgefühl da, das Sigmund Freud als eines der Hauptthemen gewählt hatte: die Nähe von Sex und Tod. Die Lieder, die für mich geschrieben wurden, sind aber in der heutigen Zeit geschrieben, sie verfallen nicht in diesen romantischen Ton des 19. Jahrhunderts. Damit haben wir spätestens nach dem letzten Weltkrieg abgeschlossen, mit dieser Art von Eigenspiegelung in hochgeputzten dramatischen Situationen. Im Gegenteil, diese Übersteigerung ist sicher auch dazu da, um zu vergessen, dass die Dramatik in jedem Moment stattfinden kann und auf viel sachteren, feineren, gemeineren Füßen daherkommen kann.

Sie selbst spielten in Daniel Schmids La Paloma eine Nachtclubsängerin, die an Tuberkulose stirbt. Die Rolle steht ganz in dieser Tradition …

Da kommen wir jetzt zu einem Punkt, der mit meiner grundsätzlichen Einstellung zu meiner Arbeit und der meiner Freunde, Daniel Schmid und Werner Schroeter zum Beispiel, zu tun hat. Da haben wir diese Themen weiterbehandelt, auch das Thema des Sadomasochismus, und in eine neue Form gebracht. Durch diese Form, die eben auch mit Montage arbeitet und nicht mit langen Einstellungen, wird diese ganze Konstellation infrage gestellt, auch dem Kitsch gegenüber. Rosa von Praunheim hat in seinen Filmen mit Kitsch gearbeitet. Bei Rainer ist der Kitsch noch weitergegangen, indem er in den Dialogen wirklich alles hinterfragt hat. Die Basis des Kitsches ist ja auch die Frage, wann man überhaupt noch fähig ist zu lieben, das heißt zuzuhören und jemand anderen, der anderer Meinung ist, der andere Sachen macht – auch solche, die mir vielleicht nicht gefallen –, dennoch zu lieben. Oder vielleicht gerade deshalb zu lieben, weil er mich von mir wegführt und nicht verharrt in der Klischeevorstellung von einem großen Drama; einem großen Drama, das ja nie als großes, sondern im Kleinen beginnt. Wir haben versucht, diese großen Themen wieder zurückzuholen in etwas Alltägliches und nachzufragen: Was ist das, was uns da eigentlich so interessiert? Liegt es daran, dass man im täglichen Leben überhaupt keine Gefühle mehr entwickeln kann und fast erstickt wird, durch Lärm und hunderttausend Geschäftigkeiten, die nur die Zeit totschlagen.

Eva Illouz, eine israelische Soziologin, spricht von der Ware Liebe.

Das ist gut gesagt, aber was mache ich, wenn ich doch selbst zur Ware werde?

Gibt es noch Oasen der romantischen Liebe oder nur noch Candle-Light-Dinners und rote Rosen zum Valentinstag?

Das hat für mich mit Romantik überhaupt nichts zu tun. Das ist Kitsch. Wer das für Romantik hält, der sollte sich Filme von Rosa anschauen. Da wird gezeigt, was Kitsch ist. Kitsch ist eben der Ersatz für die Art von Liebe, die mit etwas Lebendigem zu tun hat, das heißt, mit Liebe, die auch für die eigenen Vorstellungen gefährlich werden kann. Diese Gefährdung wird im Kitsch vermieden. Symbole wie ein Kissen in Herzform, die Puppe als Baby, das Hündchen, das mein Partner wird, das sind Ersatzformen. Leute, die ein wenig nachdenken, auch Menschen, die ganz unverfälscht dem Leben gegenüberstehen, verstehen sofort, dass das nichts mit Liebe zu tun hat. Gefördert wird das natürlich in allen Systemen. Diese Elemente, die mit Liebe besetzt werden, sind ersetzbar und auch reproduzierbar. Das ist eben der Inhalt aller Verkaufssysteme. Das kann man dem Kapitalismus nicht vorwerfen, der ist halt so.

Es gibt auch in Bezug auf Sexualität gegenläufige Bewegungen. En avant, en arrière. Gerade hat man Ihnen eine Nacktrolle angeboten. Sie haben abgelehnt.

Ja, ich sollte die Mutter der Hauptfigur spielen. Mir war aber nicht klar, welchen Sinn die Nacktheit in dem Kontext haben sollte. Ich hab das dann auch nicht gemacht.

Wie passt das zum puritanischen Rückschlag, den wir gerade erleben?

Das ist eine sehr gute Frage. Jetzt will ich mal plump antworten, da die Frage einfach zu gut ist: Da, wo kein Spiel mit Sex erlaubt ist, gibt es auch kein Risiko.

Bräuchten wir nicht mal wieder eine Duchesse de Valselay, die versucht, die Libertinage einzuführen?

In der Rolle in Albert Serras Stück glaube ich ja sehr früh nicht mehr, dass man etwas ändern kann. Deshalb auch die vielfache Wiederholung der immer selben Sätze. Das ewige Einerlei, das Repetitive, dem man nicht entrinnen kann.

Die siebziger Jahre, in denen die Libertinage hoch im Kurs stand, waren eine andere Zeit. Es gab Hoffnung auf Veränderung, man hatte weniger Berührungsängste. Sie synchronisierten sogar Linda Lovelace im Porno The Devil in Miss Jones.

In New York war das, ja. Ich war eingeladen in Catherine Guinness’ Gästeappartement, und jemand hat mir die Synchronisation des Streifens angeboten. So konnte ich noch vierzehn Tage länger bleiben.

Es war also des Geldes wegen, nicht um zu provozieren!

Nein, da hab ich einfach Geld verdient. Ich brauchte doch den Porno nicht. Wir haben damals Pornos gesammelt, Heftchen aus Dänemark, aber da ging’s immer nur um Hausfrauen und um den Postboten, wenn der Gatte weg war.

War das Synchronisieren amüsant?

Lustig, ja, weil man da mit dem Atem umgehen muss (imitiert Stöhngeräusche). In Guadagninos Suspiria, wo der Tod auf mich zukommt, musste ich auch »Ah!« machen. Da sind also noch ein paar Überreste geblieben.

Der Tod, der Porno und das Leben.

Im Leben habe ich oft Asthma, das hört sich wieder anders an. Husten ist auch Atem. Atem und Seele. Die Seele – den Begriff gibt’s gar nicht mehr. Gibt’s den noch, außer in Religionen?

Er kommt aber wieder in Mode.

Na, da haben wir ja Glück! Altertümlich ist die Seele, wie ich sie verstehe, aber nicht. Für mich hat sie etwas sehr Modernes.

Hat die sexuelle Befreiung den Frauen wirklich Vorteile gebracht?

Darauf kann ich nicht allgemein antworten, das ist ’ne individuelle Sache. Ich kann nicht für eine Frau sprechen, die in einem Vorort lebt, eine Frau, die drei Kinder hat und keinen Mann, oder für eine Frau, die einen Mann hat und auf den Strich geht. Meine Großmütter waren sehr starke und freie Frauen. Mein Vater war kein Macho, auch die anderen Männer in meiner Umgebung nicht. Ich hab auch sehr früh schon gedacht, ich werde mich nicht entjungfern lassen, weil ich nicht wollte, dass mir einer wehtut. Außerdem dachte ich, warum soll man das einem Mann zumuten, dass der mich entjungfert, mir wehtut und danach von mir zu hören bekommt: »Du sollst mir nicht wehtun!« Diese Gedanken waren für mich ganz normal.

Die sexuelle Befreiung hat den Frauen sicher vermittelt, dass Sexbeziehungen eine Wichtigkeit haben, und das bekommen die Frauen heute überall mit. Wie die Frauen das mit den Männern dann regeln, ist sehr individuell. Dass das Thema aufgetaucht ist, ist natürlich gut. Die Gefahr ist nur, dass Frauen denken, ich werde jetzt auch mal so vorgehen wie ein Mann. Dabei vergisst man auch die Verletzbarkeit des Mannes. Die Männer wurden darauf getrimmt, Träger der Gesellschaft zu werden, und wir Frauen haben uns manchmal auch ganz wohl darin eingerichtet. Die Männer nachahmen zu wollen, ist ein bisschen kurzschlüssig und nicht ungefährlich. Gefährlich kann das werden für die Frau, wenn sie dann ihre Sehnsucht nach differenzierteren Gefühlen aufgibt, indem sie die starke Frau werden will! Die Gefahr ist immer, wenn man den Feind bekämpft, dass man die Art des Feindes übernimmt und sein eigener Feind wird. Bei vielen Schauspielerinnen kann man das Phänomen der starken Frau beobachten. Mich würde das langweilen, auch heute noch.

Wie sehen Sie die Zeit nach 1968?

Für mich waren das Erscheinen der Beatles und von Janis Joplin revolutionär. Bedeutend war für mich auch, dass ich meiner Neugierde der Homosexualität gegenüber nachgehen konnte, schauen konnte, was das alles ist. Man konnte die Zweifel, die man mit sich und anderen hatte, teilen. Das wurde nicht sofort eingefügt in irgendeine Ordnung. Nach dem Krieg und dem Nationalsozialismus mussten wir vieles infrage stellen, sonst hätten wir die Kriminalität fortgesetzt. Es springt eben niemand raus aus dieser Gesellschaft, selbst die Marginalität ist eingeordnet in diese Gesellschaft. Es ist eben nicht so, dass die Erde eine Platte ist, auf deren einer Seite man runterfällt und auf der anderen … Nee! Man ist auf...

Erscheint lt. Verlag 14.10.2021
Reihe/Serie Kampa Salon
Kampa Salon
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Diva • Édith Piaf • Film • Marlene Dietrich • Musik • Rainer Werner • Schauspielerin • Siebziger
ISBN-10 3-311-70278-6 / 3311702786
ISBN-13 978-3-311-70278-8 / 9783311702788
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