Die Götter müssen sterben (eBook)
512 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-45852-5 (ISBN)
»Man braucht die Dunkelheit, um stärker leuchten zu können.« - Dieses Motto begleitet Nora Bendzko sowohl durch ihre Geschichten als auch durch ihr Leben. Die 1994 geborene Münchnerin wuchs in einer teils deutschen, teils marokkanischen Familie auf. Einmal begonnen, hat das Schreiben phantastischer Texte sie nicht mehr losgelassen. Der Wunsch, Literatur zu einem festen Bestandteil ihres Lebens zu machen, brachte sie nach Wien, wo sie die Deutsche Philologie studiert. Neben dem Studium arbeitet sie als Lektorin. Wenn sie nicht schreibt, singt sie leidenschaftlich. Beide Passionen darf sie in Metal-Bands wie »Nightmarcher« ausleben.
»Man braucht die Dunkelheit, um stärker leuchten zu können.« – Dieses Motto begleitet Nora Bendzko sowohl durch ihre Geschichten als auch durch ihr Leben. Die 1994 geborene Münchnerin wuchs in einer teils deutschen, teils marokkanischen Familie auf. Einmal begonnen, hat das Schreiben phantastischer Texte sie nicht mehr losgelassen. Der Wunsch, Literatur zu einem festen Bestandteil ihres Lebens zu machen, brachte sie nach Wien, wo sie die Deutsche Philologie studiert. Neben dem Studium arbeitet sie als Lektorin. Wenn sie nicht schreibt, singt sie leidenschaftlich. Beide Passionen darf sie in Metal-Bands wie »Nightmarcher« ausleben.
In ihren kühnsten Träumen sah Areto sich selbst, wie sie als Amazone mit dem Tod ritt. Fort von allen Zwängen, in einem Regen aus Blut und Knochensplittern, ungeheuerlich frei.
Aber dies waren eben nur Träume. Nicht mehr.
Sie diente Theseus, dem König von Athen, und als seine Verwalterin bekam sie allenfalls Blut zu sehen, wenn eine Ziege für ein Fest geschlachtet wurde. Sie führte sein Haus anstelle der Frau, die er einmal ehelichen würde – eine denkbar friedliche Arbeit. Und doch pochte ihr Herz vor Aufregung, als Theseus von seiner Reise heimkam. Mit einem Mal hatten ihre Träume Gestalt angenommen. Es hatte Gerüchte gegeben, dass er nicht alleine zurückkäme, und es stimmte. Eine Amazone war bei ihm.
»Er ist zurück«, sagte Areto. Sie war froh, dass ihr Herr und damit die Ordnung in der Stadt wiederkehrte.
Mit mehreren Knechten und Sklaven drängte sie sich an eines der Palastfenster. Allesamt verrenkten sie sich die Hälse, um einen Blick auf Theseus zu erhaschen. Jeder hatte insgeheim geglaubt, dass seine Reise ins Land der Amazonen nicht glücken konnte. Es gab zweifellos große Helden und Kämpfer aufseiten der Griechen, von denen auch Theseus einer war. Doch Amazonen waren mehr als das, sie stammten vom Kriegsgott Ares ab und bekamen den Blutdurst mit der Muttermilch eingeflößt. Die Griechen nannten sie kreoboros: die mit Fleisch Vollgeschlungenen.
Areto konnte sich kaum vorstellen, wie man solche Unfrauen bekämpfen, geschweige denn fangen sollte. Doch Theseus hatte beides getan. Sie hörte die Diener raunen.
»Eine leibhaftige Amazone zu rauben …«
»Unser Herr ist unglaublich.«
»Ein wahrer Held!«
Alle waren fasziniert, bis auf eine Alte, die den Kopf schüttelte. »Held? Ich frage mich, ob er dem Wahnsinn anheimgefallen ist. Diese Fremde ist keine Beute, nicht wie andere Frauen. Sie ist gefährlich.«
Areto wusste, was sie meinte. Die Tochter eines Gottes als Kriegsbeute zu beanspruchen, konnte heiligen Zorn bedeuten. Wie Areto auf Athen hinuntersah, kam es ihr vor, als teilten nicht viele den Pessimismus der Greisin. Die verwinkelten Pflasterstraßen waren voll mit Menschen, die jubelnd ihren König begrüßten. Das Dröhnen von Trommeln, Gesang und Flötenspiel lagen in der Luft.
Sie konnte vom Palast aus erkennen, wie Theseus seinen Soldaten vorausging und der Menge winkte. Anders als seine Männer, deren Köpfe gesenkt waren, wirkte er kein bisschen erschöpft von der Reise. Er strahlte, als wäre er der Sohn des Sonnentitans Helios.
Aber Areto entging nicht, dass er seine Gefangene nicht an einem Seil hinter sich herführte. Eine eigene Abteilung von Fußsoldaten eskortierte die Amazone. Trotz ihrer Fesseln hielt sie den Kopf erhoben. Sie ging ruhig voran, während ihr offenes schwarzes Haar im Wind wehte. Ihre Wächter hatten die Speere gezückt, stets in Bereitschaft. Als würden sie keinen Menschen bewachen, sondern ein wildes Tier.
»Gafft weniger und geht an die Arbeit«, hörte Areto eine vertraute tiefe Stimme. »Ihr wollt doch euren König gebührend empfangen und ihn nicht über eure nutzlosen Beine stolpern lassen? Fort mit euch!«
Sie drehte sich um und sah ihrem Mann Miron ins Gesicht. Er hatte sein diplomatischstes Lächeln aufgesetzt, die Zähne hoben sich gelb gegen seinen dichten Graubart ab. Sie sah, dass er sein bestes Himation mit den Silberstickereien angelegt hatte. Anscheinend nahm er Theseus’ Rückkehr zum Anlass, sich als dessen Berater zu schmücken.
Die Knechte und Sklaven duckten sich. Sie fürchteten Miron, obwohl er ein kleiner, nicht gerade angsteinflößender Mann war. Doch er war ein hervorragender Rhetoriker. Ein leichter Wechsel seiner Tonlage, und er wirkte wie ein menschenfressender Kyklop.
»Lass sie, Miron«, sagte Areto und zwang sich zu einem Lächeln. Es ärgerte sie, wie er mit dem Gesinde umsprang. Das Haus zu führen, war Frauengeschäft und oblag nicht ihm. »Sie sind eben neugierig. Du etwa nicht? Außerdem –«
Er unterbrach sie, eine schlimme Angewohnheit, während die Diener davonschlichen. »Neugierig? Wenn es nur das wäre, Weib.« Mit schweren Schritten trat er zu ihr ans Fenster. »Wir Politiker sind in Aufruhr. Eine Amazonenprinzessin? Theseus scheint sie auch noch zur Frau und nicht als Konkubine nehmen zu wollen. Wir beten, dass er mit ihr keinen Krieg bringt.«
Ihr Herz klopfte heftiger. Eine Prinzessin also. Theseus wollte eine wirklich gefährliche Frau zur Königin von Athen machen.
Miron legte die Hand auf ihren Bauch, wovon sie erschauerte. »Aber sollte Krieg kommen, wird unser Kind sich darin hervortun.« Er lachte dröhnend. »Das Orakel hat mir gesagt, du wirst einen starken Sohn empfangen, einen noch größeren Mann als mich.«
Sie hob mechanisch die Lippen. »Das ist wunder–«
»Oh ja, das ist es.«
Sie hielt ihre Mundwinkel oben. Seit Monaten lebte sie mit Miron unter einem Dach, sie wusste, wie man Fassaden baute. Dasselbe Lächeln, perfektioniert, würde sie zeigen, wenn sie einmal sein Kind unter dem Herzen tragen müsste. Trotz ihres Ekels vor dem, was ihrer Schwangerschaft unweigerlich vorausgehen würde. Sie war schon nicht in der Lage, sich an seine einfachen Berührungen zu gewöhnen. Seine Hände, die viel rauer vom Alter waren als ihre, fühlten sich falsch an. Wie sollte sie das Bett mit ihm überstehen, immer und immer wieder?
»Um einen großen Mann zu gebären, bedarf es großer Kraft.« Er ließ ihren Zopf durch seine Hand gleiten, wovon sie noch mehr versteifte. »Versprich mir, dass du dich heute Nacht gut ausruhst. Bestimmt wird Theseus oft nach dir verlangen in den nächsten Tagen. Schone dich.«
Sie konnte nicht antworten, so schlecht fühlte sie sich. Miron war doch gut zu ihr. Warum war dann diese Enge in ihrer Brust? Wieso konnte sie sich nicht besser mit ihrer Ehe abfinden? Sie schämte sich, dass sie erst freier atmen konnte, als er fort war.
Areto fand keine Ruhe, noch zu später Stunde lag sie auf ihrer fellbelegten Schlafstatt ausgestreckt. Die anhaltenden Trommeln und Gesänge hielten sie wach. Und da war etwas Weiteres in den Tiefen des Palastes, ein Schreien, wie sie es nie vernommen hatte.
Es klang verwundet, doch nicht besiegt, ein Wesen, das nach seinesgleichen und brutaler Vergeltung schrie. Die Amazone, in Ketten zur Schlachtbank ihrer Ehe geführt.
Je länger Areto hinhörte, desto dichter und vertrauter wurde die Finsternis. Sie sah Erinnerungen im Dunkel. Kurz war sie wieder ein Mädchen und mit ihrem Vater auf dem Weg zum Zeus-Tempel.
Das Land wurde von Stürmen geplagt, sie wollten den Gottvater um mildes Wetter für eine bessere Ernte bitten. Auf dem Weg sahen sie eine Wölfin, ein stolzes, kraftvolles Tier mit rostrotem Fell und glühenden Augen. Sie erschien so plötzlich zwischen den Waldbäumen, als sei sie eine göttliche Erscheinung.
Areto konnte nicht aufhören, sie anzuschauen. Später, bei der Zeremonie im Tempel, sah sie die Wölfin wieder. Ein Jäger, der ebenfalls zum Beten gekommen war, hatte das Tier erlegt und brachte den Kopf als Opfer dar. Es tat Areto so weh, das Feuer der Wolfsaugen erloschen zu sehen, sie weinte, als hätte es keinen Sinn mehr zu leben. Ihr Vater schalt sie: »Sei doch nicht so dumm, wegen einer Opferung zu weinen. Sie war zu schön, um nicht getötet zu werden.«
Das war so lange her. Warum dachte sie ausgerechnet jetzt daran?
Das Geschrei im Palast weckte noch viel tiefer liegende Erinnerungen. Sie glaubte, den Duft von Hyazinthen zu riechen.
Mit aufsteigender Panik versuchte sie, zu verdrängen. Sie wollte sich nicht erinnern, nicht daran. Aber die Schatten ließen nicht los. Sie würgten Areto, dass ihr die Tränen kamen.
Kaum dass der Morgen graute, wurde sie in Theseus’ Gemächer gerufen. Sie war froh, dem König gegenüberzutreten, solange er trunken von seinem erfolgreichen Feldzug war. Er war oft streng zu seinen Dienern, an schlechten Tagen sogar aufbrausend. Auch Areto als Hüterin seines Hauses bildete keine Ausnahme, sie war kein Mann, was Theseus sie spüren ließ.
Sie rechnete damit, den Sieger des Vortags anzuschauen, hoffte auf dessen Gunst. Umso mehr erschreckte sie sein Anblick. Der strahlende Held war fort, verloren gegangen zwischen goldenen Bergen an Kriegsbeute. Theseus streifte in seinen Zimmern umher, vorbei an verschüttetem Wein und herabgerissenen Seidenvorhängen, nur einen Mantel um die breiten Schultern.
Areto schluckte. »Mein König?«
Sie fürchtete kurz, dass er Opfer des Götterwahns geworden war, jener Krankheit, die alle Helden heimzusuchen drohte. Es war der Fluch von Halbgöttern wie Gottmenschen.
Hoffnungslose Gier nach einem Platz im Olymp, ob derer man den Verstand verlieren musste.
Schon wollte sie hinaus und einen Heiler holen. Da hörte Theseus auf, sich die Haare zu raufen und vor sich hin zu flüstern. Er sah sie überrascht an, als hätte er sie die ganze Zeit nicht bemerkt.
»Ah.« Sein Blick klärte sich, und er richtete sich zu seiner übermenschlich wirkenden Größe auf. »Du bist es.« Die Art, wie er es sagte – voller Verdruss –, ließ sie aufhorchen. »Ich fürchte, ich brauche dein Feingefühl, Areto.«
Er klang, als würde er ihre Hilfe mehr erbeten denn befehlen. So sprach ein König nicht mit einer Dienerin, und schon gar nicht Theseus. Mit angehaltenem Atem wartete Areto ab, was er sagen würde. Er sah zu der Tür, hinter der sein Schlafgemach lag. Sie ahnte, wer dahinter wartete.
»Es geht um die Amazone«, sagte Theseus. »Auf dem Weg nach Athen hat sie kaum gegessen. Sie lässt sich nicht von mir und meinen Männern anfassen. Ich dachte, vielleicht ist es bei...
Erscheint lt. Verlag | 1.6.2021 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Achilles • Amazone • Amazonen • ARETO • Artemis • auserwählt • Auserwählte • Dark Fantasy Bücher • Diversity • düstere Fantasy Bücher • Fantasy Bücher Erwachsene • fantasy götter • Fantasy historisch Romane • Fantasy Krieg • Fantasy Romane • fantasy romane für erwachsene • Göttin • Göttin der Jagd • Heldin • historische Fantasy Romane • Kriegerin • Prophezeiung • Seraph Nominierung 2022 • Starke Frauen • Troja • Trojanischer Krieg |
ISBN-10 | 3-426-45852-7 / 3426458527 |
ISBN-13 | 978-3-426-45852-5 / 9783426458525 |
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