Wir sind schließlich wer (eBook)
320 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-32097-8 (ISBN)
Anne Gesthuysen wurde 1969 am unteren Niederrhein geboren. Nach dem Abitur in Xanten studierte sie Journalistik und Romanistik. In den 90er-Jahren arbeitete sie bei Radio France. Als Reporterin hat sie für WDR, ZDF und VOX gearbeitet, schließlich auch als Moderatorin. Ab 2002 moderierte sie das »ARD-Morgenmagazin«. Diese Nachtschichten gab sie nach dem großen Erfolg ihres ersten Romans »Wir sind doch Schwestern« Ende 2014 auf, um sich tagsüber an den Schreibtisch zu setzen und weitere Bücher zu schreiben. 2015 erschien ihr zweiter Roman »Sei mir ein Vater«, 2018 folgte »Mädelsabend«. Sie lebt mit ihrem Mann, Frank Plasberg, ihrem Sohn und dem Goldendoodle Freddy in Köln.
Anne Gesthuysen wurde 1969 am unteren Niederrhein geboren. Nach dem Abitur in Xanten studierte sie Journalistik und Romanistik. In den 90er-Jahren arbeitete sie bei Radio France. Als Reporterin hat sie für WDR, ZDF und VOX gearbeitet, schließlich auch als Moderatorin. Ab 2002 moderierte sie das »ARD-Morgenmagazin«. Diese Nachtschichten gab sie nach dem großen Erfolg ihres ersten Romans »Wir sind doch Schwestern« Ende 2014 auf, um sich tagsüber an den Schreibtisch zu setzen und weitere Bücher zu schreiben. 2015 erschien ihr zweiter Roman »Sei mir ein Vater«, 2018 folgte »Mädelsabend«. Sie lebt mit ihrem Mann, Frank Plasberg, ihrem Sohn und dem Goldendoodle Freddy in Köln.
Kindheit im guten Glauben
»Anna! Endlich!« Sascha kam auf sie zugerannt und flog ihr in die Arme. »Es war so langweilig ohne dich«, flüsterte der blonde Junge ihr ins Ohr. »Niemand von denen spielt Fußball. Die sind sich alle zu fein.« Er verdrehte die Augen und ließ keinen Zweifel daran, was er von der Geburtstagsgesellschaft in der Scheune hielt.
»Hm, verstehe«, murmelte Anna und zwinkerte ihm verschwörerisch zu. »Ich fürchte, wir müssen erst Kirchgang und Essen über uns ergehen lassen. Aber dann verspreche ich dir ein Torwarttraining, das sich gewaschen hat. Am besten auf der Wiese hinter der Scheune, damit du so richtig in die Mocke fliegst.«
»Spielst du in den Klamotten?«, fragte Sascha und schaute sie skeptisch von oben bis unten an. Anna trug ein langes dunkelgrünes Seidenkleid, das sie vor Jahren in einem Designeroutlet erstanden hatte. Es war sehr schlicht, das gefiel ihr. Wenn es schon ein Kleid sein musste, dann durfte es nicht auch noch Rüschen oder anderen Firlefanz haben. Ihre flachen schwarzen Ballerinas passten hervorragend dazu, nur auf dem Fußballfeld würde sie damit nicht weit kommen.
»Fang du nicht auch noch an, an meinem Outfit herumzumeckern«, lachte sie. »Ich habe noch eine Jeans und Turnschuhe im Auto. Und jetzt nimm Freddy und bring ihm das Stöckchenholen bei, während ich mich ins Getümmel werfe. Okay?« Sie hielt ihrem Neffen die Hand zum Abklatschen hin, er schlug ein.
»Check!«, rief der Elfjährige und griff nach der Leine des Goldendoodle. Freddy schaute sein Frauchen verwirrt an. Der Hund entfernte sich nicht gerne weiter als nötig von ihr. »Na, lauf schon, Freddy«, ermunterte sie ihn. »Geht spielen. Ich komme schon allein zurecht.« Sie streichelte ihn, atmete einmal tief durch und lief die lange Auffahrt zum Herrenhaus entlang.
»Da ist meine süße kleine Tochter ja endlich«, flötete ihre Mutter. Anna sah sich unwillkürlich um, sie konnte kaum gemeint sein. Wohl eher ihre Schwester Maria. Doch die war nicht in der Nähe. Maria war das Gegenteil von Anna: zart, auffallend hübsch, sie hatte schon immer ein besonders enges Verhältnis zur Mutter gehabt. Sie war nie aufsässig gewesen, hatte sich immer die richtigen Freundinnen ausgesucht und, noch wichtiger: die richtigen Freunde. Sie hatte schließlich sogar einen reichen, adligen Mann geheiratet. Maria von Moitzfeld war immer adrett gekleidet und ließ sich die Haare, genau wie ihre Mutter, zu einem braven Bob schneiden, der jeden Morgen am Ansatz auftoupiert wurde, um den dünnen Strähnen etwas mehr Volumen zu geben. Eine Frisur, die Anna insgeheim als »Adelshäubchen« verspottete. Mechthild von Betteray vergötterte ihre älteste Tochter. Die beiden telefonierten täglich, natürlich auf dem Festnetz, da Maria keinen Beruf ausübte und fast immer zu Hause in ihrer Villa am Xantener Latzenbusch hockte, während ihr adeliger Ehemann in seinem Büro in einer Düsseldorfer Privatbank arbeitete. Anna war es ein Rätsel, dass diesem unglaublich biederen Ehepaar ein so wunderbar wilder Junge wie ihr Neffe Sascha entsprungen war.
In diesem Moment erreichte ihre Mutter sie, umarmte sie überschwänglich und zog sie mit sich. Bald darauf erkannte Anna, wem das Theater galt: Die Eltern ihres Schwagers standen ganz in ihrer Nähe. Anna lächelte ihre Mutter an, es war schließlich ihr Geburtstag. »Mama, du siehst fantastisch aus!«, sagte sie und meinte es auch so. Mechthild von Betteray hatte nur wenige Falten rund um die Augen, die sie dezent geschminkt hatte, und trug zur Feier des Tages ein wunderschönes dunkelblaues Kleid, das ihrer Figur schmeichelte. Obwohl sie sieben Kinder geboren hatte, war ihre Taille schmal geblieben. Wenn sie ausgeschlafen war, wirkte sie beinahe wie eine Frau in den mittleren Jahren. »Alles Liebe zum Geburtstag, liebste Mama.« Sie hielt ihr ein kleines Geschenk hin. Darin befand sich ein Schnappschuss aus den Achtzigerjahren. Auf dem Bild saß Anna auf einem braunen Shetlandpony, ihre Mutter stand daneben und hielt sie fest.
»Nein, wie hübsch«, rief Mechthild beim Auspacken. Du siehst genauso aus wie ich in dem Alter«, sagte sie. »Das gleiche Mündchen, das Näschen …«
»… Und vor allem die Haarfarbe!«, unterbrach Anna sie ironisch. Ihre Mutter redete Unsinn. Die dunklen Haare hatte sie von ihrem Vater. Ihre Mutter und ihre Schwester hingegen waren blond.
»Aber dieses Kleidchen, das sieht aus wie eines aus meiner Kindheit«, beharrte Mechthild. Erst jetzt nahm Anna verblüfft wahr, dass sie auf dem Foto Mädchensachen trug. Sie hatte als Kind Kleider und Strumpfhosen gehasst, auch heute noch trug sie lieber Hosen, selbst unter dem Talar. Sie verkniff sich eine Antwort, umarmte ihre Mutter erneut und machte Platz für die anderen Gratulanten. Nur ein paar Schritte hinter dem Hochadel stand ihre Schwester. Maria hatte die Bescherung verfolgt und kam nun auf sie zu.
»Guten Tag, Anna. Wie lieb, dass du Mutti den Gefallen getan und deinen Talar im Schrank gelassen hast. Sie spricht so ungern darüber, dass du evangelisch geworden bist.«
Anna schluckte. »Wie wäre es denn mit einer herzlichen Umarmung vor dem Tadel?«, schlug sie schnell vor.
»Natürlich, kleine Schwester. Hast du Sascha schon gesehen? Er wird nachher zu Mamas Ehren auf der Geige spielen. Er ist ganz nervös und erwartet dich sehnsüchtig. Und nicht nur er.« Maria zwinkerte ihr verschwörerisch zu. »Vielleicht klappt es ja diesmal. Du wirst direkt neben ihm sitzen.«
»Neben Sascha? Wie schön«, antwortete Anna, ahnte aber, dass ihr Neffe nicht gemeint war.
»Nein, neben Gottfrieds Cousin natürlich. Er heißt Graf Maximilian Konstantin Petrus Maria von Egmond zu Anholt. Du wärst eine Gräfin.«
Anna stöhnte leise, doch ihre Schwester plauderte munter weiter.
»Das Foto mit Stefan ist aber wirklich zauberhaft«, säuselte sie. Richtig, dachte Anna, das Shetlandpony hatte Stefan geheißen. Sie hatte auf ihm reiten gelernt, er war ein echter Satansbraten gewesen. Sie erinnerte sich noch gut daran, dass er jedes Mal, wenn ihr Vater sie auf seinen Rücken gehievt hatte, sofort versucht hatte, ihr ins Knie zu beißen, was ihm oft auch gelungen war.
»Bist du nicht kurz nach dieser Aufnahme im Krankenhaus gelandet?«, fragte Maria.
Anna schaute sie fragend an.
»Ja, ja, ich kann mich noch genau erinnern«, sagte ihre Schwester. »Stefan ist plötzlich losgerast, und du hast dich an seiner Mähne festgekrallt und laut geschrien. Er ist die ganze Zeit um den Kirschbaum gerannt, das weiß ich noch. Und irgendwann fing er auch noch an, wild zu buckeln.«
Anna grinste. Dass sie im Krankenhaus gelandet war, hatte sie verdrängt, aber ihr kamen nun andere Bilder von diesem Nachmittag ins Gedächtnis. »Und hast du dich nicht die ganze Zeit an den Baumstamm gedrückt, weil du Angst hattest, Stefan würde dich umrennen?«
»Nicht ganz.« Maria lachte. »Ehrlich gesagt hatte ich weniger Angst vor dem Pony als vor dir. Du warst schrecklich wütend, nachdem er dich abgeworfen hatte. Du lagst in der Matsche, dein hübsches Kleidchen war zerrissen und dreckig, du hattest eine Platzwunde über dem Auge. Aber das hat dich nicht davon abgehalten, schimpfend hinter Stefan herzurennen. Papa musste dich mit aller Kraft festhalten, so sehr hast du getobt.« Anna schüttelte schmunzelnd den Kopf. »Na, zum Glück ist keine Narbe zurückgeblieben. Narben passen nicht zu einer zukünftigen Gräfin«, schloss Maria und zwinkerte ihr noch einmal zu.
Anna rollte mit den Augen und schaute sich in der festlich geschmückten Scheune um. Die Nachbarn hatten ganze Arbeit geleistet. Sie hatten aus Tannenzweigen Girlanden geflochten, die mit roten und weißen Papierröschen verziert waren. Solche Nachbarschaftsfeste hatte sie früher geliebt. Man traf sich in einer Scheune, die Kinder durften im Stroh toben, während die Männer die Zweige zusammenbanden und die Frauen aus Papierschnipseln Röschen formten. Dabei wurde sehr viel getrunken und gesungen. Sogar ihre dünkelhafte Mutter hatte sich an diesen Tagen fröhlich unters Volk gemischt. »Schön, oder?«, fragte Maria und folgte ihrem Blick. »Ich schaue mal, ob meine Schwiegereltern etwas brauchen. Wir sehen uns später.« Sie legte ihr kurz die Hand auf den Arm und ließ sie stehen.
Anna nahm sich ein Glas Sekt von einem der Stehtische und schlenderte durch die Scheune. Hier und da grüßte sie jemanden lächelnd, bemüht, nicht zu lange zu verharren, um kein Gespräch beginnen zu müssen. Ihr Blick blieb am geschmückten Dachbalken hängen. Hier etwa musste es gewesen sein. Damals, in ihrer Kindheit, hatte ein geistig behindertes Mädchen im Ort gewohnt, das etwa fünf Jahre jünger gewesen war als sie selbst. Sabine war bei jedem Kränzen mit dabei gewesen und hatte mit den anderen Kindern gespielt, während die Erwachsenen den Kranz vorbereiteten. Sie hatte immer laut gesungen und war wohl diejenige gewesen, die diese Abende am meisten genossen hatte. Als sie etwa sieben Jahre alt war, schoben die Kinder in der Betteray’schen Scheune Stroh zu einem großen Haufen zusammen, flochten ein dickes Seil aus Tauen und banden es an einen der Dachbalken. Es war mal wieder Annas Idee gewesen. Sie war die Wildeste von allen und dachte sich die gefährlichsten Mutproben aus. Diesmal galt es, sich in Tarzanmanier an das Seil zu hängen und durch die Scheune zu schwingen, sich im richtigen Moment fallen zu lassen, um sicher im weichen Strohhaufen zu landen. Man brauchte Kraft in den Armen, um sich lang genug festhalten zu können, es war ein großartiges Spiel. Sabine quiekte vor Vergnügen, als der stämmige Christian ihr einen kräftigen Schubs gab....
Erscheint lt. Verlag | 4.11.2021 |
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Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Bestseller-Autorin • Dorfleben • Entspannen • Familie • Frauen-Schicksal • Frauen-Unterhaltung • Freundinnen-Geschenk • Generationenroman • Geschenkbuch • Humor • Mädelsabend • Mutter-Geschenk • Niederrhein • Roman für Frauen • Sei mir ein Vater • Wir sind doch Schwestern |
ISBN-10 | 3-462-32097-1 / 3462320971 |
ISBN-13 | 978-3-462-32097-8 / 9783462320978 |
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