Der afrikanische Traum (eBook)
320 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30237-0 (ISBN)
Ernesto »Che« Guevara wurde am 14. Mai oder Juni 1928 im argentinischen Rosario geboren. Nach einem Medizinstudium und ausführlichen Reisen durch Lateinamerika traf er 1954 eine Gruppe kubanischer Revolutionäre, die in Mexiko im Exil lebten. Nach zweijährigem Guerillakrieg als Commandante, an der Seite Fidel Castros, trat er 1959 in die Revolutionsregierung auf Kuba ein. 1964 trat er von allen Ämtern zurück und ging 1966 nach Bolivien, um die Revolution weiterzutragen. Dort wurde er ein Jahr später erschossen.
Ernesto »Che« Guevara wurde am 14. Mai oder Juni 1928 im argentinischen Rosario geboren. Nach einem Medizinstudium und ausführlichen Reisen durch Lateinamerika traf er 1954 eine Gruppe kubanischer Revolutionäre, die in Mexiko im Exil lebten. Nach zweijährigem Guerillakrieg als Commandante, an der Seite Fidel Castros, trat er 1959 in die Revolutionsregierung auf Kuba ein. 1964 trat er von allen Ämtern zurück und ging 1966 nach Bolivien, um die Revolution weiterzutragen. Dort wurde er ein Jahr später erschossen.
Erste Eindrücke
Fast unmittelbar nach unserer Ankunft, nach einer kleinen Verschnaufpause, einem kurzen Schlaf auf dem Boden der Hütte, zwischen Rucksäcken und anderem Krimskrams, machten wir Bekanntschaft mit der kongolesischen Realität. Auf den ersten Blick fiel uns eine deutliche Zweiteilung auf: die einen ungebildete Leute, zumeist Bauern, die anderen Männer mit höherem Bildungsgrad, besser gekleidet, des Französischen mächtig. Zwischen den beiden Gruppen gab es keinerlei Verbindung.
Die ersten Männer, die ich kennenlernte, waren Emmanuel Kasabuvabu und Kiwe, die sich als Offiziere des Regimentsstabs vorstellten, ersterer als Beauftragter für Versorgung und Ausrüstung, letzterer für den Nachrichtendienst. Die beiden waren redegewandt und überschwänglich, und durch das, was sie sagten, und das, was sie verschwiegen, bekamen wir rasch eine Vorstellung von den Differenzen im Kongo. Später bat mich Tremendo Punto (Chamaleso) zu einer kleinen Versammlung, an der diese Genossen nicht teilnahmen, sondern eine andere Gruppe, bestehend aus den Kommandanten der Basis und verschiedenen Brigadeführern: von der Ersten Brigade Oberst Bidalila (nach letzten Informationen inzwischen zum General befördert), der die Front von Uvira befehligte; als Vertreter der Zweiten Brigade, die von Generalmajor Moulane kommandiert wurde, war Oberstleutnant Lambert anwesend, und als Vertreter einer, wie es hieß, wahrscheinlich künftigen zusätzlichen Brigade André Ngoja, der in der Region von Kabambare kämpfte. Voller Begeisterung schlug Tremendo Punto vor, dass Moja, der offizielle Chef unserer Truppe, an allen Versammlungen des Regimentsstabs teilnehmen und an den Entscheidungen beteiligt werden sollte, zusammen mit einem weiteren Kubaner, den er selbst aussuchen konnte. Ich beobachtete die Gesichter der Anwesenden und konnte keinerlei Zustimmung erkennen; anscheinend genoss Tremendo Punto keine große Sympathie unter den Kommandanten.
Der Grund für die Feindseligkeit zwischen den Gruppen lag darin, dass einige Männer gezwungenermaßen eine bestimmte Zeit an der Front bleiben mussten und andere nur zwischen den Basen im Kongo und in Kigoma hin- und herpendelten, stets auf der Suche nach bestimmten Dingen, die fehlten. Tremendo Puntos Fall war in den Augen der Kämpfer noch schwerwiegender, da er als Delegierter von Daressalam nur gelegentlich vorbeischaute.
Die Unterredung wurde in freundschaftlichem Ton fortgeführt, wobei der Vorschlag unbeachtet blieb. Ich erfuhr einiges Neue. Oberstleutnant Lambert, ein sympathischer, fröhlicher Mann, erklärte, dass die Flugzeuge für sie keinerlei Bedeutung hätten, da sie über die dawa verfügten, einen Zaubertrank, der unverwundbar mache.
»Ich wurde schon mehrmals getroffen, aber die Kugeln fallen kraftlos zu Boden.«
Er sagte das mit einem Lächeln, sodass ich mich genötigt sah, über den Scherz zu lachen. Ich dachte, er wollte dadurch zeigen, welch eine geringe Bedeutung den Waffen des Feindes beigemessen wurde. Doch bald wurde mir klar, dass er es ernst meinte und dass der magische Schutz eine der wichtigsten Waffen im Kampf des kongolesischen Heeres war.
Diese dawa richtete einen beträchtlichen Schaden bei der militärischen Vorbereitung an. Das Prinzip ist folgendes: Der Soldat wird mit einer Flüssigkeit übergossen, die sich aus Kräutersäften und anderen magischen Substanzen zusammensetzt; dann werden geheimnisvolle Zeichen gemacht, und meist wird dem Kämpfer ein Kohlefleck auf die Stirn gemalt. Jetzt ist er gegen alle feindlichen Waffen geschützt (obwohl das auch von der Macht des Medizinmannes abhängt). Doch er darf keinen Gegenstand anfassen, der ihm nicht gehört, er darf keine Frau berühren und auch keine Angst haben, sonst verliert er den magischen Schutz. Die Erklärung für ein Versagen des Zaubertranks ist somit sehr einfach; toter Mann: Mann hat Angst gehabt, Mann hat gestohlen oder mit einer Frau geschlafen; verwundeter Mann: Mann hat Angst gehabt. Da die Angst ein ständiger Begleiter bei Kriegshandlungen ist, finden es die Soldaten ganz natürlich, die Schuld für eine Verwundung der Angst, das heißt fehlendem Glauben, zuzuschreiben. Und da Tote nicht reden, kann man ihnen leicht alle drei Verfehlungen nachsagen.
Der Glaube ist so stark, dass niemand ohne die Anwendung der dawa in die Schlacht zieht. Ich befürchtete stets, dass sich der Aberglaube gegen uns richten und man uns die Schuld an einer Niederlage mit vielen Toten geben würde. Mehrmals suchte ich das Gespräch mit verschiedenen Verantwortlichen, um zu versuchen, Überzeugungsarbeit dagegen zu leisten. Es war unmöglich. Der Zauber wird als Glaubensartikel angesehen. Diejenigen, deren politisches Bewusstsein entwickelter ist, sagen, dass es sich dabei um eine natürliche, also materielle Kraft handele und dass sie als dialektische Materialisten die Macht der dawa anerkennen, deren Geheimnisse nur die Medizinmänner im Urwald beherrschen.
Nach der Unterredung mit den Kommandanten sprach ich unter vier Augen mit Tremendo Punto. Ich erzählte ihm, wer ich war. Die Reaktion war niederschmetternd. Er wiederholte immer wieder »internationaler Skandal« und »das darf niemand erfahren, bitte, das darf niemand erfahren«. Meine Enthüllung hatte ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen, und ich fürchtete mich vor den möglichen Konsequenzen. Meine Identität konnte jedoch nicht mehr länger geheim gehalten werden, wollten wir uns die Wirkung, die diese Nachricht haben konnte, zunutze machen.
Am selben Abend reiste Tremendo Punto mit dem Auftrag ab, Kabila von meiner Anwesenheit im Kongo zu unterrichten. Gleichzeitig reisten auch die kubanischen Funktionäre ab, die uns auf der Überfahrt begleitet hatten, sowie der Schiffsingenieur. Letzterer hatte den Auftrag, uns sozusagen postwendend zwei Mechaniker zu schicken, da sich herausgestellt hatte, dass die Boote und Motoren für die Überquerung des Sees von niemandem gewartet werden konnten.
Am nächsten Tag bat ich, uns zu unserem endgültigen Standort zu schicken, einem Basislager fünf Kilometer vom Regimentsstab entfernt auf dem höchsten Punkt der Sierra, die, wie ich bereits erwähnt habe, direkt vom Seeufer aufsteigt. Und nun kam es zu den ersten Verzögerungen: Der Kommandant war nach Kigoma gefahren, wo er Verschiedenes zu erledigen hatte, und wir mussten auf seine Rückkehr warten. In der Zwischenzeit wurde über einen ziemlich willkürlichen Trainingsplan diskutiert. Ich machte einen Gegenvorschlag: Aufteilung von hundert Männern in Gruppen von nicht mehr als zwanzig, denen Kenntnisse der Infanterie vermittelt werden sollten – speziell in Ausrüstung, Ingenieurswesen (vor allem das Ausheben von Schützengräben), Nachrichtenwesen, Nachschuborganisation sowie Auskundschaften –, immer entsprechend unserer Kapazität und den Mitteln, die uns zur Verfügung standen; Aufstellung eines Vier- bis Fünfwochenplans; Einsätze einzelner Gruppen unter dem Kommando von Mbili. Danach sollten alle wieder zur Basis zurückkehren und diejenigen Männer ausgewählt werden, die sich als brauchbar erwiesen hatten. Währenddessen würde die Zweite Kompanie ausgebildet werden, und wenn eine Einheit vom Fronteinsatz zurückkäme, würde die nächste abmarschieren. Auf diese Weise, so dachte ich, würden die Männer ausgebildet und gleichzeitig die nötige Auswahl vorgenommen werden können. Ich erklärte ihnen noch einmal, dass wir damit rechnen mussten, dass von einhundert Männern nur zwanzig brauchbare Soldaten herauskommen würden, und davon nur zwei oder drei leitende Kader (in dem Sinne, dass sie in der Lage sein würden, bewaffnete Verbände in den Kampf zu führen).
Wie üblich war die Antwort ausweichend. Sie forderten mich auf, meinen Vorschlag schriftlich einzureichen. Das tat ich, aber ich erfuhr nie, was mit dem Papier geschah. Wir drängten weiterhin darauf, in die Hochbasis überwechseln zu dürfen, um dort mit der Arbeit zu beginnen. Wir mussten damit rechnen, dass wir eine Woche mit den Vorbereitungen verlieren würden (es galt zuerst einen gewissen Rhythmus zu finden), und erwarteten lediglich, dass das einfache Problem der Übersiedlung gelöst würde. Aber wir konnten nicht hinauf, weil der Kommandant noch nicht dort eingetroffen war. Wir mussten warten, weil man »an Versammlungen teilnahm«. Auf diese Weise vergingen die Tage. Immer wenn die Angelegenheit zur Sprache gebracht wurde (und ich tat es mit wahrhaft aufreizender Beharrlichkeit), wurde ein neuer Vorwand gefunden, und ich weiß bis heute nicht, welches der wahre Grund dafür war. Vielleicht verhielt es sich tatsächlich so, dass sie mit den Vorbereitungsarbeiten nicht beginnen wollten, um die Autorität des zuständigen Befehlshabers, in diesem Fall des Kommandanten der Basis, nicht zu untergraben.
Eines Tages gab ich, unter dem Vorwand des Marschtrainings, Moja den Befehl, mit ein paar Männern zu der Hochbasis zu gehen. So geschah es, und abends kamen die Männer erschöpft, durchnässt und durchgefroren wieder zurück. Die Hochbasis war ein sehr kalter und feuchter Ort, ständig in Nebel gehüllt und dem Regen ausgesetzt. Es werde eine Hütte für uns gebaut, berichteten sie, und das könne sich mehrere Tage hinziehen. Geduldig legte ich verschiedene Argumente für unseren Aufstieg dar: Wir könnten doch beim Bau der Hütte mithelfen, da wir ja ohnehin zu jedem Opfer bereit und bemüht seien, nicht zur Last zu fallen etc. etc., und sie brachten ebenso geduldig immer neue Vorwände vor, um unseren Aufstieg zu verzögern.
Während dieser Zeit erzwungenen Nichtstuns begannen die köstlichen Gespräche mit dem Genossen Kiwe, dem Chef des Nachrichtendienstes. Er ist ein unermüdlicher Gesprächspartner und spricht Französisch beinahe mit...
Erscheint lt. Verlag | 7.10.2021 |
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Übersetzer | Hans-Joachim Hartstein |
Zusatzinfo | 34 s/w-Fotos, 3 Dokumente |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Briefe / Tagebücher |
Schlagworte | 1964 • Afrika • Armee • Aufzeichnungen • Befreiungsbewegung • Ernesto Che Guevara • Kämpfer • Kongo-Tagebuch • Revolution • Scheitern |
ISBN-10 | 3-462-30237-X / 346230237X |
ISBN-13 | 978-3-462-30237-0 / 9783462302370 |
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