Die Leuchtturmwärter (eBook)
432 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491274-5 (ISBN)
Emma Stonex, 1983 in Northamptonshire in England geboren und aufgewachsen, begann ihre Karriere als Lektorin. Mehrere Jahre arbeitete sie erfolgreich in einem großen Verlagshaus, bevor sie ihrem Traum vom Schreiben folgte. Schon immer fasziniert von Leuchttürmen, inspirierte sie nicht zuletzt das mysteriöse Verschwinden dreier Leuchtturmwärter auf den Flannan Isles zu ihrem Roman. Stonex lebt heute in Bristol.
Emma Stonex, 1983 in Northamptonshire in England geboren und aufgewachsen, begann ihre Karriere als Lektorin. Mehrere Jahre arbeitete sie erfolgreich in einem großen Verlagshaus, bevor sie ihrem Traum vom Schreiben folgte. Schon immer fasziniert von Leuchttürmen, inspirierte sie nicht zuletzt das mysteriöse Verschwinden dreier Leuchtturmwärter auf den Flannan Isles zu ihrem Roman. Stonex lebt heute in Bristol. Eva Kemper, geboren 1972 in Bochum, studierte in Düsseldorf Literaturübersetzen. Neben Junot Díaz' ›Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao‹ übersetzte sie aus dem Englischen u. a. Werke von Peter Carey, Louis de Bernières, Tom Rob Smith, Martin Millar und Penny Hancock.
Die Engländerin Emma Stonex lässt in ihrem Roman klassische Rätselmotive in Paranoia, Halluzinationen und existenzielle Lebenslügen münden.
Ein Roman mit einem Sog, den man sich kaum entziehen kann.
Eine packende, mysteriöse Geschichte, die auf einem wahren Kriminalfall
beruht, trifft auf eine genaue Beschreibung von Trauer und Verlust.
Man kann nicht wählen, ob das Buch Horrorgeschichte, Gespenstergeschichten oder Psychogramm ist: Er ist alles; und alles ganz wunderbar. Sehr abwechslungsreich.
Das Buch vereint Reportage, Schauergeschichte, Liebesdrama und Thriller auf anregende Weise.
Und da ist die mächtige Präsenz des Meeres mit all seinen Untiefen, die das
Buch eindrucksvoll durchzieht.
Das ist meisterhaft gemacht und zeugt von großem psychologischem Gespür. Ein Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen möchte.
Basierend auf einer wahren Begebenheit erzählt [] Stonex in ihrem Roman vielschichtig, wie ein Unglück, das keinen Abschluss findet, zu einer Wunde wird, die niemals verheilt.
[...der] Debütroman von Emma Stonex, der mich gerührt und ganz in seinen Bann geschlagen hat mit vielen dunklen Geheimnissen.
Emma Stonex hat keinen Krimi geschrieben, sondern einen packenden Roman
über Einsamkeit, Verzweiflung, das Überleben von Schicksalsschlägen und die Kraft der Liebe.
Eine faszinierende Schauermär.
I 1972
1 Ablösung
Der Tag ist hell und grau, als Jory die Vorhänge aufzieht, im Radio läuft ein vage bekanntes Lied. Er hört die Nachrichten, es geht um ein Mädchen, das oben im Norden an einer Bushaltestelle verschwunden ist, und trinkt aus einer Tasse braunen Tee. Die arme Mutter ist außer sich – na ja, natürlich. Kurze Haare, kurzer Rock, große Augen, so stellt er sich das Mädchen vor, zitternd in der Kälte, und eine verlassene Haltestelle, an der jemand hätte stehen sollen, winkend oder klatschnass, und der Bus hält an und fährt wieder ab, niemand ahnt etwas, und der Gehweg schimmert im schwarzen Regen.
Das Meer ist ruhig und so spiegelglatt wie oft nach schlechtem Wetter. Er öffnet das Fenster, und die frische Luft wirkt beinahe fest, wie etwas Greifbares, Essbares, das zwischen den Fischercottages knackt wie ein Eiswürfel in einem warmen Getränk. An den Geruch des Meeres kommt nichts heran, nicht annähernd: salzig, sauber, wie Essig aus dem Kühlschrank. Heute ist es geräuschlos. Jory kennt das Meer laut und auch still, wogend und spiegelglatt, er kennt das Meer, in dem das eigene Boot wie der letzte Wimpernschlag der Menschheit wirkt, mit so entschlossenen, grimmigen Wellen, dass man glaubt, woran man nicht glaubt, etwa dass das Meer dieser Ort auf halbem Weg zwischen Himmel und Hölle ist oder zwischen dem, was auch immer dort oben liegt, und dem, was in der Tiefe lauert. Ein Fischer hat ihm einmal gesagt, das Meer habe zwei Gesichter. Man müsse sie annehmen, sagte er zu ihm, das gute wie das böse, und darf keinem von beiden je den Rücken zuwenden.
Heute ist das Meer nach langer Zeit endlich auf ihrer Seite. Heute werden sie es tun.
Er entscheidet, ob das Boot hinausfährt oder nicht. Selbst wenn um neun guter Wind herrscht, heißt das nicht, dass es um zehn auch so ist, und je nachdem, was er im Hafen hat, seien es zum Beispiel einen Meter zwanzig hohe Wellen, kann er schätzen, dass sie beim Turm zwölf Meter haben werden. Was am Ufer ist, ist draußen beim Turm zehnmal mehr.
Der Neuzugang ist um die zwanzig, mit blonden Haaren und dicken Brillengläsern. Seine Augen wirken dadurch klein und unstet; er erinnert Jory an etwas, das in einem Käfig gehalten wird und auf Sägespänen lebt. Er steht auf dem Anlegesteg, das schwappende Wasser hat die ausgefransten Säume seiner Cordschlaghose dunkel gefärbt. Frühmorgens ist es am Kai ruhig, jemand führt seinen Hund spazieren, ein Milchcontainer wird entladen. Die frostige Pause zwischen Weihnachten und Neujahr.
Jory und seine Mannschaft laden die Vorräte des Jungen ein – Kisten in Trident-Rot mit allem Nötigen für zwei Monate, Kleidung und Essen, frisches Fleisch, Obst, richtige Milch statt Milchpulver, eine Zeitung, eine Dose Tee, Golden Virginia – und verzurren die Boxen mit Abdeckplanen. Die Wärter werden sich freuen: In den letzten vier Wochen mussten sie sich wohl mit Doseneintopf begnügen und mit den Nachrichten, die auf der Titelseite der Mail standen, als sich die letzte Ablösung auf den Weg machte.
Im flachen Bereich rülpst das Wasser Seetang aus, es schlürft und schmatzt rund um das Boot. Der Junge steigt mit nassen Turnschuhen ein und klammert sich an die Seiten wie ein Blinder. Unter einem Arm trägt er ein zusammengeschnürtes Päckchen mit Habseligkeiten – Bücher, ein Kassettenrekorder, Kassetten, Dinge, mit denen er sich die Zeit vertreiben kann. Sehr wahrscheinlich ist er ein Student: Heutzutage arbeiten viele Studenten bei Trident. Wahrscheinlich schreibt er Musik, das wird sein Ding sein. Oben in der Laterne sitzen und denken, so lebt es sich gut. Jeder von ihnen braucht irgendwas, das er tun kann, vor allem auf den Türmen draußen im Meer – man kann nicht die ganze Zeit die Treppen rauf und runter rennen. Vor ewigen Zeiten kannte Jory einen Wärter, einen begabten Tüftler, der Flaschenschiffe baute; während seiner gesamten Zeit beschäftigte er sich damit, und am Ende hatte er kleine Kunstwerke. Und dann bekamen sie Fernseher, und dieser Wärter warf alles weg, er schmiss buchstäblich sein ganzes Material und Werkzeug aus dem Fenster ins Meer und hockte danach in jeder freien Minute vor dem Kasten.
»Machen Sie das schon lange?«, fragt der Junge. Jory antwortet Ja, länger als du lebst. »Hätte nicht gedacht, dass wir es schaffen«, sagt er. »Ich warte seit Dienstag. Sie haben mir was im Dorf gesucht, eine richtig schöne Bude, aber nicht so schön, dass ich noch lange bleiben wollte. Jeden Tag habe ich rausgesehen und überlegt, ob wir irgendwann noch ablegen. Was für ein verdammter Sturm. Weiß ehrlich gesagt nicht, wie es da draußen sein wird, wenn noch einer kommt. Die Leute sagen, man hätte keinen Sturm erlebt, wenn man noch keinen auf dem Meer mitgemacht und es sich angefühlt hat, als würde der Turm unter einem zusammenbrechen und weggespült werden.«
Die Neuen wollen immer reden. Sie sind nervös, denkt Jory, wegen der Überfahrt und weil der Wind sich ändern könnte, wegen des Anlegens, wegen der Männer auf dem Turm, weil sie sich fragen, ob sie dazupassen und wie derjenige ist, der das Sagen hat. Es ist noch nicht der Turm des Jungen, vielleicht wird er es auch nie sein. Aushilfswärter kommen und gehen, ein Turm auf dem Festland, der nächste auf einem Felsen, wie eine Flipperkugel werden sie durchs Land geschickt. Jory hat Dutzende von ihnen gesehen, wild darauf anzufangen und beseelt von der romantischen Seite der Arbeit, aber so romantisch ist es nicht. Drei Männer allein in einem Leuchtturm mitten im Meer. Daran ist nichts Besonderes, überhaupt nichts, nur drei Männer und eine Menge Wasser. Nicht jeder hält es gut aus, eingesperrt zu sein. Einsamkeit. Isolation. Eintönigkeit. Kilometerweit nichts als Meer und Meer und Meer. Keine Freunde. Keine Frauen. Nur die beiden anderen, tagein, tagaus, keine Möglichkeit, sich aus dem Weg zu gehen, das könnte einen schon völlig verrückt machen.
Es ist nicht ungewöhnlich, Tage oder sogar Wochen auf die Ablösung zu warten. Einmal saß einer seiner Wärter ganze vier Monate da draußen fest, weil die Ablösung nicht eintraf.
»Du gewöhnst dich an das Wetter«, sagt er zu dem Jungen.
»Hoffentlich.«
»Und du bist wahrscheinlich nicht halb so angefressen wie der arme Kerl, der zurück an Land soll.«
Am Heck blicken die Mitglieder seiner Zusatzbesatzung niedergeschlagen aufs Meer hinaus, rauchen und unterhalten sich grummelnd, in ihren feuchten Fingern weichen die Zigaretten auf. Man könnte sie vor einer rauen Seelandschaft malen, mit groben Pinselstrichen in dicken Ölfarben. »Worauf warten wir?«, ruft einer von ihnen. »Sollen die Gezeiten wechseln, bevor wir ablegen?« Der Techniker ist auch bei ihnen, er soll das Funkgerät reparieren. An einem gewöhnlichen Ablösetag hätten sie schon fünfmal mit dem Turm Kontakt gehabt, aber der Sturm hat die Übertragung gestört.
Jory deckt die letzte Kiste ab, startet den Motor, und dann sind sie unterwegs, wie ein Badespielzeug schaukelt und schlingert das Boot durch die flachen Wellen. Auf einem von Muscheln gesprenkelten Felsen zankt sich ein Schwarm Möwen, ein blaues Fangschiff tuckert träge zum Land. Als die Küste schrumpft, wird das Wasser lebhafter, grüne Wellen steigen auf und brechen, die Gischt löst sich auf. Weiter draußen verdunkelt sich alles, das Meer wird khakifarben, der Himmel färbt sich bedrohlich schiefergrau. Wasser stößt und schwappt gegen den Bug, der Meeresschaum bildet Linien und verteilt sich. Den Blick zum Horizont, mit Qualm im Mund, kaut Jory auf einer Selbstgedrehten, die in seiner Tasche plattgedrückt wurde, sich aber gerade noch rauchen lässt. In der Kälte schmerzen seine Ohren. Über ihnen zieht ein weißer Vogel am weiten, tristen Himmel Kreise.
Er kann die Maiden im Dunst ausmachen, ein einsamer Turm, erhaben, distanziert. Sie liegt fünfzehn Seemeilen weit draußen. Wärtern ist es so lieber, wie er weiß; sie sind nicht gern so nahe am Festland, dass sie es vom Sockel aus sehen können und an Zuhause erinnert werden.
Der Junge sitzt mit dem Rücken zu ihr – ein seltsamer Anfang, findet Jory, mit dem Rücken zum Ziel. Er knibbelt an einem Kratzer an seinem Daumen. Sein Gesicht wirkt weich und krank, unerfahren. Aber jeder Seemann muss sich erst einmal Seebeine wachsen lassen.
»Warst du schon mal auf einem Turm, Kleiner?«
»Ich war draußen auf dem Trevose. Dann unten auf St. Catherine.«
»Aber nie auf einem Turm im Meer.«
»Nein, nie auf einem Turm im Meer.«
»Dafür muss man schon die Nerven haben«, sagt Jory. »Und mit anderen gut auskommen können, egal, wie sie sind.«
»Oh, damit komme ich klar.«
»Bestimmt. Dein OW ist ein feiner Kerl, das macht schon was aus.«
»Und die anderen?«
»Habe gehört, bei dem Hilfswärter soll man sich vorsehen. Aber er ist etwa in deinem Alter, ihr werdet euch schon verstehen.«
»Wieso soll man sich vorsehen?«
Jory lächelt über den Gesichtsausdruck des Jungen. »Mach nicht so ein Gesicht. Im Dienst gibt es eine...
Erscheint lt. Verlag | 25.8.2021 |
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Übersetzer | Eva Kemper |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Anspruchsvolle Literatur • Cornwall • Einsamkeit • England • Flannan Isles • Geheimnis • Gothic • Hoffnung • Isolation • Leuchtturm • Leuchtturmwärter • Licht • Liebe • Lügen • Meer • Mystery • nautical-themes • Rätsel • See • Sturm • Trauer • Verschwinden |
ISBN-10 | 3-10-491274-2 / 3104912742 |
ISBN-13 | 978-3-10-491274-5 / 9783104912745 |
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