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Wir für uns (eBook)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
400 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491295-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wir für uns -  Barbara Kunrath
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Für ein Leben, das genau jetzt ganz neu beginnt. Josie ist schwanger. Von Bengt, der schon eine Familie hat und kein Kind mehr möchte. Aber was möchte Josie? Sie ist Anfang Vierzig, und ihre Wünsche hat sie immer auf »später« aufgeschoben. Kathi ist plötzlich allein. Ihr Mann Werner ist gestorben, nach fünfzig Jahren gemeinsamen Lebens. Ihr einziger Sohn ist ihr fremd geworden. Auch Kathi hat so vieles auf »später« verschoben. Als Josie durch einen Zufall in Kathis Küche landet, sind beide verwundert. Sie fühlen sich in Gegenwart der anderen so unbelastet. Ernst genommen. Die beiden Frauen spüren, dass das Leben ihnen genau jetzt ganz unerwartet die Tür öffnet. Manchmal schickt uns das Schicksal einen Menschen, den wir gar nicht gesucht haben. Und plötzlich steht unser Leben wieder auf »Los«.

Barbara Kunrath schreibt mit feiner Beobachtung und Gefühl über zwischenmenschliche Beziehungen und deren emotionale Bedeutung. Mit ihrem ersten Roman »Schwestern bleiben wir immer« gelang ihr der Sprung auf die SPIEGEL-Bestsellerliste, mit »Wir für uns« stellt sie den unverhofften Lebensmut zweier Frauen in den Fokus. Barbara Kunrath, geboren 1960, lebt mit ihrem Mann in der Nähe von Limburg an der Lahn, sie hat zwei erwachsene Töchter und drei Enkelkinder. 

Barbara Kunrath schreibt mit feiner Beobachtung und Gefühl über zwischenmenschliche Beziehungen und deren emotionale Bedeutung. Mit ihrem ersten Roman »Schwestern bleiben wir immer« gelang ihr der Sprung auf die SPIEGEL-Bestsellerliste, mit »Wir für uns« stellt sie den unverhofften Lebensmut zweier Frauen in den Fokus. Barbara Kunrath, geboren 1960, lebt mit ihrem Mann in der Nähe von Limburg an der Lahn, sie hat zwei erwachsene Töchter und drei Enkelkinder. 

Kathi


Sie wirft die Blumen auf den Sarg und rümpft die Nase. Ausgerechnet Tulpen. Tulpen passen nicht zu Werner. Aber welche Blumen hätten denn zu ihm gepasst? Sie weiß es nicht. Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken. Was bleibt von einem Leben? Was bleibt ihr von Werner? Außer Erinnerungen. Je weiter sie zurückliegen, desto klarer sind sie. Das Heute scheint ihr oft wie Wasser, es lässt sich nicht festhalten. Nur das Gestern ist auskristallisiert und steht auf festem Grund.

Fröstelnd knöpft sie ihren neuen Mantel zu, wickelt sich das Tuch fester um den Hals und denkt an den Ring. Werners Ring. Sie hat ihn eingesteckt, vorhin, bevor sie losgingen. Der Gedanke beruhigt sie. Es ist, als wäre damit ein Stück von ihm noch bei ihr.

Ein eisiger Wind fährt ihr ins Gesicht. Er zerrt an ihren Haaren, er zerrt an ihrem Tuch, er zerrt an ihrer Seele. Als wolle er ihr etwas sagen. Sie zwingen, ihre Trauer zu zeigen. Heul doch, haben sie als Kinder gerufen, meistens im Streit. Heul doch! Ganz wund und leer fühlt sie sich, aber weinen kann sie nicht. Es kommen keine Tränen. Später vielleicht. Wenn das Begreifen einsetzt. Und wenn sie alleine ist. Mach dich nicht lächerlich, hat ihre Großmutter einmal gesagt, als sie sie dabei erwischte, wie sie um ein totes Eichhörnchen weinte. Da war sie dreizehn. Ein Mädchen, fast noch ein Kind, aber schon einen Meter achtundsiebzig groß und mit voll entwickelten Brüsten.

Ida sieht sie mitfühlend an und drückt ihr eine kleine Schaufel in die Hand, die Kathi schnell in die aufgestellte Schale mit Sand rammt. Dass Werner einfach so im Sessel eingeschlafen und nicht mehr wach geworden ist, nimmt sie ihm übel. So schleicht man sich nicht davon, das ist nicht richtig.

Wie wird es jetzt sein? Ohne ihn? Sie kann es sich nicht vorstellen. In den ersten Jahren stritten sie noch häufig, oft wegen Kleinigkeiten. Und dann versöhnten sie sich wieder, was durchaus seine Reize hatte. Später hatten sie keine Zeit mehr dazu. Vielleicht auch weniger Lust. Sie hatten sich längst aneinander gewöhnt, an die Eigenarten und Launen des anderen. Auch an die Meinungen, die selten die gleichen waren. Es spielte keine Rolle mehr. Trotzdem hatten sie ein gutes Leben zusammen. Er gab ihr Sicherheit und sie ihm Ruhe. Sie war keine nörgelnde Ehefrau, jedenfalls nicht per se. Wenn sie sich über etwas beschwerte, dann hatte sie immer auch einen guten Grund dazu.

Kathi schaufelt etwas Sand auf Werners Sarg. Er verteilt sich ungleichmäßig, das meiste davon rieselt an einer Seite wieder herunter.

Wenn sie jetzt überlegt, was sie besonders an ihrer Ehe gemocht hatte, dann fallen ihr die eingespielten Rituale der letzten Jahre ein. Morgens gemeinsam frühstücken und Zeitung lesen. Sonntags Tatort. Sie beide auf dem Sofa, er links, sie rechts, Diskussionen über das Fernsehprogramm. Ihr hatte es genügt.

Zwanzig Jahre früher, ja, da hätte sie von seinem Tod noch etwas gehabt. Da gab es den Laden noch, ihren Laden. Jetzt war da nichts mehr, noch nicht einmal ein Enkelkind. Mit einer ärgerlichen Bewegung wirft sie Werner noch eine Schippe Dreck hinterher. Ihre Gelenke knirschen. Arthrose im Knie, der Rücken macht auch Probleme. Das einst so feste Fleisch hat sich in weiches, unansehnliches Gewebe verwandelt. Manchmal, wenn sie in den Spiegel schaut, erschrickt sie und denkt: Das bin nicht ich. Aber sie ist es.

»Mein Beileid.«

»Danke.«

So viele Leute, die sie umarmen und ihre Hand drücken. Sie kennt noch nicht einmal alle.

Das offene Grab ist wie eine klaffende Wunde, die geschlossen werden will. Blumen und Sand auf dem Sarg, drumherum feuchte kühle Erde. Sie hat Werner geliebt, bis zum Schluss und trotz allem. Gesagt hat sie es ihm schon lange nicht mehr. Kathi seufzt leise. Nicht nachdenken über das, was war, und das, was kommt. Nicht nachdenken über die verpassten Gelegenheiten. Sie sucht nach anderen Gedanken, solchen, die nicht weh tun. Der neue Mantel fällt ihr ein. Schwarz, mit einem kleinen braunen Stehkragen. Er steht ihr gut.

»Katharina. Mein herzliches Beileid.«

»Danke.«

Den Mantel hat sie extra für die Beerdigung gekauft. Mit Idas Beratung. Er war teuer, Werner würde sich wahrscheinlich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, was sie dafür ausgegeben hat. Und wenn er sich noch drehen könnte. Sie atmet tief. Ein unangenehmer, süßlicher Geruch dringt ihr in die Nase. Woher kommt der? Von den Blumen jedenfalls nicht, die riechen nach nichts, das hat sie schon getestet. Von Ida? Oder sind es die Lilien auf dem Nachbargrab? Auf Werners Grab wird sie Bodendecker pflanzen und sonst nichts. Wer soll sich denn kümmern, wenn sie es nicht mehr kann?

Um den Garten zu Hause hat sich vor allem Werner gekümmert. Er war es, der den Rasen gemäht und die Büsche gestutzt hat. Schwer vorstellbar, dass er nicht mehr da ist. Dass er tatsächlich dort unten liegt und nur noch still ist. Für immer.

»Kathi?«, flüstert Ida und hängt sich bei ihr ein.

»Was?«

Ihre Schwiegertochter zeigt auf die Schaufel.

»Ach so. Ja.« Die hat sie ganz vergessen. Sie reicht sie an den Nachbarn weiter. Max nickt ihr dabei mit leidvoller Miene zu. Wahrscheinlich hat er Angst, sich jetzt um sie kümmern zu müssen. Sie seufzt wieder und denkt an das, was ihr an Zukunft bleibt. Da ist nichts, worauf sie sich freut.

Ida streicht ihr über den Arm. »Geht’s?«

Sie nickt und lächelt. Sie will Ida nicht enttäuschen.

Ihre Schwiegertochter ist eine gute Frau. Gut für Max, gut für die Familie. Als Max Ida kennenlernte, war er schon beinah dreißig, und sie war die erste Frau, die er mit nach Hause brachte. Jetzt sind sie schon seit vierzehn Jahren verheiratet. Und immer noch kein Enkelkind in Sicht. Gerade erst hat Ida eine eigene Praxis als Psychotherapeutin eröffnet. Manchmal gibt sie ihr kostenlose Tipps. Du musst lernen, deine eigenen Bedürfnisse zu erkennen, hat sie erst vor ein paar Wochen gesagt. Da hat Werner noch gelebt und sie sich bei Ida beklagt, weil er so träge geworden war, vor allem im Winter und ohne die Arbeit im Garten. Eigene Bedürfnisse erkennen, denkt sie jetzt und schnaubt innerlich. Wie soll das gehen? Welche Bedürfnisse denn überhaupt? Das Bedürfnis, nicht alt und alleine zu sein? Das Bedürfnis nach Enkelkindern? An das eine muss sie sich gewöhnen, das andere akzeptieren. Ändern kann sie beides nicht.

Kathi verlagert ihr Gewicht auf das linke Bein. Die rechte Hüfte tut ihr weh vom langen Stehen. Sie klagt nicht, sie hat nie geklagt, das Klagen hat sie immer anderen überlassen. Das heißt aber nicht, dass sie keinen Grund dazu gehabt hätte. Sie weiß sehr gut, was es bedeutet, arm und bitter zu sein. Das hat sie als Kind in aller Härte erfahren. Damals musste ein ganzes Land wiederaufgebaut werden, da hatte niemand Zeit, sich um ein verlassenes Kind zu kümmern. Keine Zeit zum Trösten, und schon gar keine zum Trauern. Auch kein Recht. Man war ja selbst schuld, an all dem Elend – auch wenn man es nicht war.

Ida lächelt ihr aufmunternd zu und drückt ihr die Hand. So eine wie Ida hätte ihre Mutter damals gebraucht, vielleicht hätte sie sich dann für das Leben entschieden und nicht für den Tod. Sie war doch noch so jung gewesen. Noch nicht einmal dreißig.

Die Schlange, die sich neben dem Grab gebildet hat, setzt sich langsam in Bewegung. Nachbarn, Verwandte und Vereinskollegen. Schützenverein, Sportverein, Feuerwehr. Werner war ein geselliger Mensch.

»Aufrichtiges Beileid.«

»Danke.«

Kathi erträgt die vielen mitleidigen Blicke und Beileidsbekundungen und lächelt. Sie lächelt, bis ihre Gesichtsmuskeln schmerzen. Als ganz junges Mädchen war es ihr größter Wunsch, eine berühmte Schauspielerin zu werden, aber ihre Großmutter war dagegen. Sie war eigentlich gegen alles. Und damit das Gegenteil von ihrem Großvater. Der war immer freundlich und hilfsbereit. Kurz vor Kriegsende hat er zwei Deserteure, achtzehnjährige Burschen, im Keller versteckt, auch vor seiner eigenen Frau, und ihnen damit das Leben gerettet. Wäre das ein paar Wochen vorher aufgeflogen, hätte ihn diese Tat, für die er nach dem Krieg gefeiert wurde, zum Landesverräter gemacht und das Leben gekostet.

Komm, Katinka, hört sie ihn sagen. Du schaffst das.

Katinka. Niemand sonst hat sie so genannt.

»Es tut mir so leid.«

»Danke.«

»Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst.«

Als sie Werner kennenlernte, damals vor beinah einundfünfzig Jahren, war sie noch so jung, noch nicht einmal zwanzig. Andererseits aber auch zu alt, um sich noch von ihrer Großmutter schlagen zu lassen. Vor ihm hatte es nur einen einzigen Verehrer gegeben, Heinrich, zwölf Jahre älter und nicht der Rede wert. Bei Heinrich hatte sie sich kurz in das Gefühl verliebt, begehrenswert zu sein, bei Werner in den ganzen Mann. Werner kam aus dem Ruhrgebiet, war mit einer Truppe Zimmerleute unterwegs und hatte schon halb Deutschland bereist. Ein Zufall hatte ihn nach Solbach verschlagen. Ein Zufall und das Kirchweihfest, das an diesem Wochenende gefeiert wurde. Sie hatte ihn gleich entdeckt. Er war so ein schöner Mann. Der schönste, den sie je gesehen hatte. In Solbach war das diesbezügliche Angebot eher begrenzt.

»Er war so ein guter Freund.«

»Danke.«

»Wir werden ihn alle vermissen.«

Irgendwann, in nicht so ferner Zeit, wird sie auch dort unten liegen. Neben ihm. An seiner Seite. Kathi hat keine Angst vor dem Tod. Sie ist siebzig, ihr Leben ist gelebt, was soll noch kommen? Sie hat schon viele alte Menschen gesehen. Manchmal geht es ganz gut bis zum Schluss,...

Erscheint lt. Verlag 1.7.2021
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Achtsamkeit • Affäre • beste Freundinnen • Beziehungen und Ehe • Bio-Laden • Christiane Wünsche • Ewald Arenz • Familien-Freunde • Frauen-Alltag • Frauenfreundschaft • Frauen helfen Frauen • Frauenroman • Frauen und Kinder • Kinderbetreuung • Leben in der Kleinstadt • Leben nach einer Krise • Lebensfreude • Lebensmittelgeschäft • Lebensmut • Martina Borger • Mental Load • Me-Time • Resilienz • selbstbewusstsein stärken • Selbstfindung • Selfcare • Späte Schwangerschaft • Tante-Emma-Laden • Trennung • Vertrauen • Weihnachtsgeschenk 2021 • Zufallsbekanntschaften • Zurück ins Leben
ISBN-10 3-10-491295-5 / 3104912955
ISBN-13 978-3-10-491295-0 / 9783104912950
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