Das Erbe der Elfenmagierin (eBook)
448 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99931-1 (ISBN)
James A. Sullivan wurde 1974 in West Point (Highlands, New York) geboren und wuchs in Deutschland auf. Er studierte Anglistik, Germanistik und Allgemeine Sprachwissenschaft an der Universität Köln. Gemeinsam mit Bernhard Hennen schrieb er einen der erfolgreichsten Fantasyromane aller Zeiten, »Die Elfen«. Nach dem Bestseller »Nuramon« folgten mehrere Science-Fiction-Romane, bis er 2022 mit der Dilogie »Die Chroniken von Beskadur« in die High Fantasy zurückkehrte.
James A. Sullivan wurde 1974 in West Point (Highlands, New York) geboren und wuchs in Deutschland auf. Er studierte Anglistik, Germanistik und Allgemeine Sprachwissenschaft an der Universität Köln. Gemeinsam mit Bernhard Hennen schrieb er einen der erfolgreichsten Fantasyromane aller Zeiten, "Die Elfen". Es folgten der Bestseller "Nuramon" und sein Science-Fiction-Epos "Chrysaor". Zuletzt erschien sein Roman "Die Stadt der Symbionten".
Ardoas
In der Elfensiedlung Ilbengrund gab es an diesem Feiertag nur ein Haus, in dem Ruhe herrschte. Es fügte sich zwischen den Fürstenpalast und den Turm der Gelehrten. Manche nannten es das schmale Haus, andere bezeichneten es als das Haus der Inkarnationen, für die meisten aber war es das Haus der Naromee – das Haus der Magierin, die vor mehr als zweitausend Jahren in der Fremde starb und in immer neuen Inkarnationen wiedergeboren wurde.
Zwischen den beiden hohen und prachtvollen Gebäuden wirkte das schmale Haus mit seinen drei Stockwerken, der zerfurchten Borkenfassade, dem tief gezogenen Schilfdach und den geschlossenen Fensterläden unscheinbar – als wollte es nicht mehr Aufmerksamkeit als nötig auf sich ziehen. Dabei war es an diesem Tag das wichtigste Gebäude der Siedlung.
Die Elfen von Ilbengrund feierten das Fest der Naromee. Da der Geburtstag der legendären Zauberin nicht in den Chroniken verzeichnet war und jene, die damals schon am Leben gewesen waren, sich nicht des Datums erinnerten, ehrte man Naromee an dem Geburtstag ihrer jeweiligen Inkarnation. In diesen Jahren – am neunundzwanzigsten Tag des fünften Mondes – war es der Geburtstag des Elfen Ardoas. An diesem Tag war es jedoch keine gewöhnliche Feier, denn Ardoas wurde zweiunddreißig Jahre alt und galt damit als erwachsen.
In der dritten Etage, direkt unter dem Dach, zwischen Schränken, Truhen und Büchern, betrachtete Ardoas an diesem Morgen das große Gemälde, das Naromee zeigte. Sie hatte kaum Ähnlichkeit mit ihm, denn sie war blass, er hingegen hatte braune Haut; sie hatte längere und spitzere Ohren als er; ihre Augen waren blau, die seinen dunkelbraun. Zwar hatten sie beide dunkles Haar, aber ihres, das fast bis zu den Hüften reichte, war glatt, seines war lockig. Auf dem Gemälde trug Naromee ein traditionelles Gewand einer Elfe aus Alvasur – blau, mit einem weiten Rock, aus dem ihr rechtes Bein zum Teil herausschaute und den magischen Teil ihres Unterschenkels zeigte. Das Segment wirkte wie ein lang gezogener Stein, der mit der Haut oberhalb und unterhalb verwachsen war. Der Sage nach hatte ein Drache Naromee verletzt, und sie war nur knapp mit dem Leben davongekommen.
Ardoas hatte die Geschichten von Naromees Abenteuern als Kind gerne gehört: wie sie in Alvasur zur Heldin geworden war, hier in Alvaredur für eine Weile mit ihrer Geliebten – der Kriegerin Nyra – zur Fürstin von Ilbengrund gewählt wurde, dann aber die Würde vorzeitig an den Rat zurückgegeben hatte, nachdem Nyra am Glanzfieber hatte sterben müssen, kurz bevor ein Heilmittel gefunden war.
Nach der Zerstörung der Siedlung Nalmenhain, deren Hintergründe nie aufgeklärt wurden, kehrte Naromee den Elfengefilden den Rücken. In den meisten Sagen hieß es, sie wäre der Spur der Täter in die Fremde gefolgt, um Rache zu nehmen. Niemand kannte die Wahrheit. Nur er selbst wusste es, denn irgendwo tief in ihm verborgen lag die Antwort. Was immer in der Fremde geschehen war – Naromee hatte dort den Tod gefunden, wie all ihre Inkarnationen nach ihr, wie alle, die Ardoas vorausgegangen waren.
Je öfter er die Geschichten von Naromees Abenteuern als Kind vernommen hatte, umso deutlicher hatte er verstanden, was sie ihm sagen sollten: Wage dich nicht in die Fremde! Verweile in sicheren Gefilden!
Von alten Zweifeln bewegt, wandte Ardoas sich von dem Gemälde Naromees ab. Vordergründig war er auf das vorbereitet, was ihn an diesem Tag erwartete. Er trug sein edelstes Gewand und war ausnahmsweise ausgeschlafen. Aber wie es Tradition war, wusste er nichts von dem, was vor seiner Tür geschah.
Über die Wendeltreppe im hinteren Teil des Hauses stieg er in den zweiten Stock hinunter. Zur Linken blickte er im Vorbeigehen durch die sechs offenen Türen in die kleinen Kammern, in denen die Schriften und einige Habseligkeiten seiner früheren Leben zu finden waren. Die siebte Tür und die drei, die folgten, waren geschlossen. Sie waren für ihn und die Inkarnationen gedacht, die nach ihm kommen mochten. Die Zimmer waren Mahnmale des Versagens.
Über die vordere Wendeltreppe gelangte er in den ersten Stock und passierte seinen Schlafbereich. Im Erdgeschoss angekommen, verharrte Ardoas lauschend. Harfen und Trommeln probten draußen gegeneinander, und der Chor mischte sich ein, als wollte er zwischen ihnen vermitteln.
Ardoas ging nach hinten in seine Studiernische und ließ seinen Blick über die Landkarte wandern, die über dem glatten Lesetisch hing – die Karte einer Welt, die er nicht näher kennenlernen würde, solange er die Erinnerung an Naromees Leben nicht zurückgewonnen hatte.
Bei der Frage, welche Veränderung er sich anlässlich seiner Volljährigkeit wünschte, war er nicht weitergekommen. Die Zwänge, denen er unterworfen war, ließen ihm nur wenige Möglichkeiten. Zu viel hing davon ab, dass er sein Ziel erreichte – die Erinnerung an Naromees Leben zu finden, ihr Wissen zu enträtseln und der Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen. Sollte er auch in dieser Inkarnation zu früh den Tod finden, müssten alle Mühen wieder von vorne beginnen. All das, was die Gemeinschaft ihm gewährt hatte, würden sie der nächsten Inkarnation erneut gewähren müssen.
Es klopfte an der Verbindungstür zum Palast, und Ardoas fragte sich, wen seine Eltern – der Tradition folgend – zu ihm schickten, um ihn abzuholen. Er öffnete und erstarrte vor Überraschung beim Anblick der Frau, die dort auf dem hell erleuchteten Palastgang stand.
Er hätte mit vielen gerechnet: mit seinem Bruder Lydon, seiner Schwertlehrerin Xidasara und seinem Sprachenlehrer Uldoril, aber vor ihm stand Zordura – seine Tante, die Schwester seines Vaters, die in manchen seiner früheren Leben seine Lehrmeisterin gewesen war, in einem sogar seine Mutter.
Das letzte Mal hatte er sie vor genau vierzehn Jahren gesehen. Damals war sie so dünn gewesen, dass viele sich um ihre Gesundheit gesorgt hatten. Doch nun wirkte sie wohlgenährt. Sie hatte ein fülligeres Gesicht bekommen, und ihre dunkelbraune Haut wirkte nicht mehr ausgetrocknet, sondern glänzte. Ihre Ohren waren – wie die seines Vaters und seine eigenen – für Elfenohren klein und stachen kaum aus ihren dunklen Locken hervor.
»Du?«, sagte Ardoas leise und bat sie herein.
Zorduras Lächeln wirkte gelöst und schwankte nicht wie bei ihrer letzten Begegnung zwischen besorgt und gequält hin und her. Mit ihrem unverkennbaren Singsang, den hier in Ilbengrund fast nur noch die ältesten Elfen pflegten, sagte sie: »Alles Gute, mein lieber Ardoas«, dann trat sie ein. »Damit hast du nicht gerechnet, nicht wahr?«
»Dass du Derothur meinetwegen verlassen würdest? Nein.« Seine Tante lebte als Einsiedlerin auf dem Hügel Derothur, dem Hügel der Ankunft. Dort hatten Elfen, Zwerge und die Feenwesen auf ihrer langen Reise ein magisches Portal aus der vorigen Welt in diese durchschritten – von Alvasur nach Alvaredur.
»Du hast dich kaum verändert.« Zordura musterte Ardoas von oben bis unten.
»Es ist eine Weile her«, entgegnete er.
Zordura lachte. »Du darfst ruhig sagen, dass ich mich verändert habe. Als wir uns das letzte Mal sahen, war ich krank. Ich musste mich zurückhalten, um all die köstlichen Speisen nicht in mich reinzustopfen.«
»Nun siehst du gesund aus.«
»Nur für deinen Blick. Ich bin mir sicher, die anderen hier tuscheln bereits darüber, dass ich mich auf einen gewaltigen Zauber vorbereite, der an meinem Körper nagen wird, und ich deswegen ein bisschen dicker bin. Aber du? Du hast ein gutes Auge. Du siehst, dass ich mich einfach wohlfühle.« Sie breitete die Arme aus, und er zögerte nicht und drückte Zordura an sich.
»Ich habe dich vermisst«, sagte er, nachdem er sich von ihr gelöst hatte und ihr in ihre braunen Augen schaute. »Jeden Moment von damals habe ich in Erinnerung behalten. Das hat sich tiefer eingeprägt als manche Jahre, die ich hier in Eintönigkeit verbrachte.«
Sie strich ihm sanft über die Wange. »Du wirst hier von den Besten unterwiesen. Eine solche Ausbildung hätte ich mir in deinem Alter gewünscht.«
»Aber was nützt es, Sprachen zu lernen, die ich nie anwenden kann; meine Kampfkünste zu verfeinern, wenn ich nie kämpfen werde? Selbst das Bogenschießen habe ich gelernt, obwohl ich nie hinaus auf die Jagd gehe. Wozu all das Wissen über eine Welt, die ich nie erkunden werde?«
»Deine Eltern wollen dich schützen«, erwiderte Zordura. »Glaub mir, wir alle haben viel zu oft erlebt, dass deine Seele wiedergeboren wurde. Und dennoch glauben wir an dich.«
»Ja. Aber statt mich der Erinnerung näher zu bringen, erinnert es mich nur an das, was ich niemals haben werde. Sie trösten mich, indem sie die Wunde offen halten.«
»Hast du mit ihnen darüber gesprochen?«
»Sie meinen, ich müsste auf alles vorbereitet sein. Falls etwas Unvorhergesehenes passiert.«
Zordura grinste. »Oder aber etwas Vorhersehbares: dass es dich auch in diesem Leben in die Fremde zieht.«
»Mein Scheitern scheint bereits eine abgemachte Sache zu sein. Sie zweifeln an mir.«
Zordura biss sich auf die Lippen, holte tief Luft und sagte: »Du bist es, der hier zweifelt: an den Absichten jener, die dich lieben. Deine Eltern hoffen, dass die Dinge, die du lernst, deine Erinnerung wecken. Sie wollen nur, dass du allem auf Elfenweise begegnest.«
Auf Elfenweise! Das hieß, Dinge anzustoßen, ihnen Zeit zur Entfaltung zu lassen, während man mit der Zuversicht weiterlebte, irgendwann das Ziel zu erkennen und es schließlich zu erreichen. Auf Elfenweise zu zweifeln hieß, das eigene Scheitern kommen zu sehen.
»Ich wünschte, du wärest meine Lehrmeisterin geworden«, sagte Ardoas.
»Auf gewisse Weise war ich dir eine...
Erscheint lt. Verlag | 30.9.2021 |
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Reihe/Serie | Die Chroniken von Beskadur |
Die Chroniken von Beskadur | Die Chroniken von Beskadur |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Abenteuer • abgeschlossene Fantasy Reihe • Bernhard Hennen • Black lives matter • Buch • Bücher • deutsche Fantasy • Diverse Phantastik • Diversity • Elfen • Elfen Fantasy • epische Fantasy • Epische Fantasy Bücher • Fantasy Dilogie • Fantasy Neuerscheinung 2021 • Feministische Fantasy • found family • High Fantasy • High Fantasy Bücher • High Fantasy Bücher Erwachsene • high Fantasy Roman • J. R. R. Tolkien • Magie • Markus Heitz • Moderne High Fantasy • Nicht-weiße Protagonisten • N. K. Jemisin • Nuramon • People of Color • progressive fantasy • Progressive Phantastik • Schwarze Protagonisten • Völker-Fantasy • Völker-Romane • Zwerge |
ISBN-10 | 3-492-99931-X / 349299931X |
ISBN-13 | 978-3-492-99931-1 / 9783492999311 |
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