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Unser tägliches Brot -  Thomas von Waschberg

Unser tägliches Brot (eBook)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
341 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7534-7755-8 (ISBN)
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Handelt es sich bei der männlichen Leiche, die unter einer Brücke in der Stadt San Ippolito gefunden wurde, um einen Unfall, oder doch um den ersten Mordfall seiner Karriere? Diese Frage beschäftigt Commissario Rocco Francesco Capra und führt ihn und seine unerwartete Verstärkung in die Welt der Korruption. 'Unser tägliches Brot' ist ein Krimi mit Spuren von Satire und einer Anlehnung an die aktuellen Ereignisse in der Donau-Alpen-Republik.

Thomas von Waschberg wurde in Kroatien geboren und ist nach seinem Studium der Elektrotechnik nach Österreich ausgewandert. Dass er sein Leben lang einen technischen Beruf ausgeübt hat, hat ihn nicht daran gehindert, seiner Phantasie freien Lauf zu lassen. Sein erster Roman 'Unser tägliches Brot' entstand als Ergebnis langer Überlegungen und als Ausflug in die Welt der Literatur. Thomas von Waschberg schreibt unter Pseudonym.

II


„Roc­co! Wach auf. Es ist halb neun. Du bist schon wie­der spät dran.“

Roc­co ver­such­te die Au­gen zu öff­nen, aber die an­ge­neh­me Dun­kel­heit un­ter sei­nem Kopf­kis­sen mach­te ihm ein un­wi­der­steh­li­ches An­ge­bot, wei­ter­zu­schla­fen. Er lag wie im­mer auf sei­nem run­den Bauch mit dem Kopf un­ter dem Pols­ter. Im Zim­mer war es ziem­lich hell, da die Ja­lou­si­en mit der Zeit an Dich­te ver­lo­ren hat­ten. Es war ein Haus aus den Sech­zi­ger­jah­ren des letz­ten Jahr­hun­derts, das schon bes­se­re Zei­ten er­lebt hat­te. Für not­wen­di­ge Re­pa­ra­tu­ren gab es nie ge­nug Geld. Oder bes­ser ge­sagt, es gab kei­ne Ei­nig­keit der Haus­be­woh­ner, ge­mein­sam in die Re­pa­ra­tur und War­tung zu in­ves­tie­ren. Die gol­de­nen Zei­ten der In­dus­tria­li­sie­rung, als die Stadt San Ip­po­li­to ih­ren Hö­hen­punkt der ar­chi­tek­to­ni­schen Ent­wick­lung er­lebt hat­te, wa­ren längst vor­bei. Die Haupt­stadt der Reg­gio Bas­so war ei­ne ge­teil­te Stadt, so­wohl phy­sisch, durch den Fluss, als auch durch ih­re Be­woh­ner und ih­re un­ter­schied­li­che wirt­schaft­li­che und so­zia­le Ent­wick­lung. Der Os­ten der Stadt war in­dus­tri­ell ge­prägt, mit halb­lee­ren oder ver­wahr­los­ten Fa­brik­ge­län­den und -ge­bäu­den, die der welt­wei­ten Glo­ba­li­sie­rung zum Op­fer ge­fal­len wa­ren, und der Wes­ten war der bür­ger­li­che Teil mit dem al­ten, his­to­ri­schen Kern. Aber nicht nur auf die­se Wei­se wur­de San Ip­po­li­to ge­teilt. Der po­li­ti­sche Gra­ben war noch tiefer und brei­ter als der Fluss. Ema­nu­e­le Riz­zo, der Bür­ger­meis­ter, stamm­te nicht aus San Ip­po­li­to, son­dern aus ei­ner der am we­nigs­ten ent­wi­ckel­ten Re­gio­nen des Lan­des. Er war ein pro­fes­sio­nel­ler Po­li­ti­ker. Sein po­li­ti­scher Weg, voll Hö­hen und Tie­fen, hat­te ihm letzt­end­lich den Pos­ten des Bür­ger­meis­ters ein­ge­bracht. Die Alt­ein­ge­ses­se­nen be­haup­te­ten, dass er sei­ne Wäh­ler­schaft in all die­sen Jah­ren ge­zielt und ge­plant er­wei­tert hat­te, in­dem er mas­sen­haft Ar­beits­kräf­te aus sei­ner Hei­mat­ge­gend nach San Ip­po­li­to brach­te. Sie ar­bei­te­ten in den Über­res­ten der Fa­bri­ken, aber auch in der Stadt­ver­wal­tung. Riz­zo hat­te über­all sei­ne Leu­te po­si­tio­niert. Die al­ten Be­zie­hun­gen spiel­ten da­bei ei­ne große Rol­le und er hat­te da­durch ein star­kes und sta­bi­les Wäh­ler­fun­da­ment auf­ge­baut. Der Bür­ger­meis­ter wur­de di­rekt ge­wählt und die Op­po­si­ti­on war schon seit Jah­ren nicht im Stan­de ge­we­sen, einen ge­mein­sa­men Kan­di­da­ten zu be­stim­men, der sich ge­gen Riz­zo hät­te durch­set­zen kön­nen. Die Stadt und ih­re Be­woh­ner be­fan­den sich zwi­schen die­sen zwei Fron­ten und lit­ten dar­un­ter. Man konn­te nicht ein­mal sa­gen, dass es an Geld man­gel­te und des­we­gen al­le grö­ße­ren Ka­pi­tal- oder In­ves­ti­ti­ons­pro­jek­te noch vor ih­rem Be­ginn zum Schei­tern ver­ur­teilt wa­ren. Das Geld wur­de schlicht und ein­fach in voll­kom­men falsche Pro­jek­te in­ves­tiert, be­haup­te­ten die Kri­ti­ker des Bür­ger­meis­ters. Es war ein stän­di­ger Kampf zwi­schen dem Bür­ger­meis­ter auf der einen und der Op­po­si­ti­on im Stadt­rat auf der an­de­ren Sei­te. Trotz al­le­dem ge­lang es dem Bür­ger­meis­ter im­mer wie­der, Pro­jek­te zu rea­li­sie­ren, die ei­gent­lich nur der po­li­ti­schen Wer­bung dienten. Bö­se Zun­gen be­haup­te­ten so­gar, dass sie le­dig­lich da­zu da wa­ren, das Stadt­geld ab­zu­zwei­gen und zu ent­wen­den. Der Bür­ger­meis­ter war be­kannt für sei­ne po­pu­lis­ti­schen und pom­pö­sen Auf­trit­te in al­len mög­li­chen Me­di­en und bei al­len mög­li­chen Ver­an­stal­tun­gen. Gut in­for­mier­ten Quel­len zu­fol­ge hat­te er ein breit aus­ge­bau­tes Netz aus Pri­vat­fir­men, die nach dem Ge­schmack ei­nes Nor­mals­terb­li­chen bzw. frei den­ken­den Bür­gers viel zu oft mit ver­schie­de­nen öf­fent­lich fi­nan­zier­ten Pro­jek­ten be­auf­tragt wur­den. Es hat­te aber nie Be­wei­se für ir­gend­wel­che dunklen und il­le­ga­len Ma­chen­schaf­ten ge­ge­ben. Ei­nes der groß­an­ge­leg­ten Pro­jek­te war die Re­no­vie­rung des Rat­hau­ses ge­we­sen, ei­nes mit­tel­al­ter­li­chen Palas­tes im Zen­trum der Stadt.

Das Ge­bäu­de, in dem der Com­missa­rio Roc­co Fran­ces­co Ca­pra leb­te, war ei­nes der vie­len Op­fer der Zeit und des po­li­ti­schen Kli­mas der Stadt: zwei­stö­ckig, mit ei­ner de­so­la­ten Fassa­de, un­dich­ten Fens­tern und Ja­lou­si­en, die tags­über ver­rä­te­risch viel Licht ins In­ne­re der klei­nen Woh­nung im obers­ten Stock durch­lie­ßen. Es war ei­ne Woh­nung mit ei­nem Wohn­schlaf­zim­mer, ei­ner win­zi­gen Kü­che und ei­nem Bad, klein, aber für einen al­lein­le­ben­den Mann im bes­ten Al­ter groß ge­nug. Das Zim­mer war ein­fach mö­bliert und zweck­mä­ßig in zwei Ein­hei­ten ge­trennt. Im vor­de­ren Teil, ne­ben der Tür zum klei­nen Vor­zim­mer, be­fand sich ein klei­ner Ess­tisch mit zwei Stüh­len. Es wa­ren nur zwei, weil es kei­nen Platz für einen drit­ten gab. Im hin­te­ren Teil, rechts vom Fens­ter zur Stra­ße, stand ei­ne nied­ri­ge Kom­mo­de, mit ei­ner dop­pel­ten Tür un­ten und zwei brei­ten Schub­la­den ne­ben­ein­an­der im obe­ren Teil. Auf der Kom­mo­de be­fan­den sich ein alt­mo­di­scher Fern­se­her mit ei­ner im­pro­vi­sier­ten An­ten­ne aus Draht und ein Plat­ten­spie­ler. Ne­ben der Kom­mo­de, an sie di­rekt an­ge­lehnt, stand ein al­ter, mas­si­ver Schrank mit ei­ner glän­zen­den Ober­flä­che aus la­ckier­tem Holz. In der Ecke links vom Fens­ter fand ei­ne aus­zieh­ba­re Couch ih­ren Platz. Sie war we­der ein äs­the­ti­sches Meis­ter­stück noch ein prak­tisch zu hand­ha­ben­des Pro­dukt, wie es ak­tu­ell bei ei­nem be­rühm­ten Mö­bel­pro­du­zen­ten des fer­nen eu­ro­päi­schen Nor­dens zu fin­den wä­re, aber sie leis­te­te ih­re Diens­te Tag und Nacht, so­wohl als Schlaf­platz als auch als Sitz­mög­lich­keit. Zwi­schen der Couch und der Kom­mo­de stand ein lee­rer Couch­tisch.

„Roc­co! Wach end­lich auf!“, dräng­te die ihm be­kann­te Stim­me wei­ter und ei­ne Hand zog ihm ener­gisch das Kis­sen vom Kopf. Ein Licht­strahl von der Stär­ke ei­ner klei­ne­ren Atom­bom­be traf ihn in die plötz­lich un­ge­schützt ge­wor­de­nen Au­gen und er zog au­to­ma­tisch die De­cke über sein Ge­sicht.

„Roc­co, Si­gnor Mon­ti hat an­ge­ru­fen. Du kommst wie­der zu spät ins Bü­ro. Er hat ver­sucht, dich am Han­dy zu er­rei­chen, aber du hast nicht geant­wor­tet.“

„Ja, Ma­ma“, sag­te er nur und dreh­te sich zur Wand.

„Es ist drin­gend, hat er ge­sagt. Er hat dich nicht er­reicht, da­her hat er bei mir an­ge­ru­fen. Du musst so­fort in die Que­stu­ra.“

Roc­co zog lang­sam die De­cke von sei­nem Ge­sicht und ver­such­te die Au­gen zu öff­nen. Das Ers­te, was er sah, war das ver­trau­te Ant­litz sei­ner Mut­ter. Es muss­te al­so wirk­lich schon halb neun sein, da sie je­den Tag um die­se Zeit in sei­ne klei­ne Woh­nung kam. Das war ein Kom­pro­miss zwi­schen den bei­den. Sie brach­te ihm et­was zum Es­sen und ein frisch ge­bü­gel­tes Hemd für den nächs­ten Tag. Er woll­te aber in der Früh sei­ne Ru­he ha­ben, die er in An­we­sen­heit sei­ner Mut­ter in die­ser klei­nen Woh­nung si­cher nicht hät­te. Der Kom­pro­miss war al­so, dass sie erst er­schi­en, nach­dem er schon ge­gan­gen war. Die­se Ab­ma­chung klapp­te wun­der­bar, bis auf die Ta­ge, an de­nen Roc­co ein­fach sei­nen We­cker über­hör­te oder die­ser gar nicht klin­gel­te. Es war näm­lich ein alt­mo­di­scher We­cker zum Auf­zie­hen, der ei­ne ge­wis­se Dis­zi­plin sei­nes Be­sit­zers ver­lang­te. Und ge­nau die­se Dis­zi­plin war ei­ne von Roc­cos Schwä­chen.

„Was woll­te der Chef denn?“, frag­te Roc­co, noch im­mer ge­gen die Licht­strah­len kämp­fend.

„Ich ha­be kei­ne Ah­nung. Vi­el­leicht ist ir­gend­wo ein Mord pas­siert.“

„Ma­ma, bit­te. Seit­dem ich bei der Po­li­zei bin, gab es kei­nen ein­zi­gen Mord in San Ip­po­li­to“, gab er fast ent­täuscht zu­rück. Roc­co, of­fi­zi­el­ler Lei­ter der Mord­kom­mis­si­on, die üb­ri­gens nur einen ein­zi­gen Mit­ar­bei­ter hat­te, näm­lich ihn selbst, kann­te Mor­de nur aus theo­re­ti­schen Vor­trä­gen und den Me­di­en. Er wuss­te nicht, ob das für ihn gut war oder nicht, aber er er­wi­sch­te sich ab und zu bei dem Ge­dan­ken, sich einen gu­ten und bru­ta­len Mord zu wün­schen. „Es muss al­so wie im­mer ent­we­der ei­ne die­ser Wand­schmie­re­rei­en oder ein Ein­bruch ir­gend­wo auf der an­de­ren Sei­te ge­we­sen sein.“ „An­de­re Sei­te“ war ein ge­läu­fi­ger Be­griff für den Stadt­teil jen­seits des Flus­ses.

„Steh auf, geh du­schen und früh­stücke dann. Ich ma­che dir in der Zwi­schen­zeit einen Kaf­fee.“

...

Erscheint lt. Verlag 6.4.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-7534-7755-9 / 3753477559
ISBN-13 978-3-7534-7755-8 / 9783753477558
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