Brandon Sanderson, 1975 in Nebraska geboren, schreibt seit seiner Schulzeit fantastische Geschichten. Er studierte Englische Literatur und unterrichtet Kreatives Schreiben. Mit den »Sturmlicht-Chroniken«, seinem großen Epos um das Schicksal der Welt von Roschar, erobert er regelmäßig die internationalen Bestsellerlisten und begeistert auch in Deutschland viele Zehntausende Fans. Er wird bereits als der J. R. R. Tolkien des 21. Jahrhunderts gepriesen. Brandon Sanderson lebt mit seiner Familie in Provo, Utah.
Prolog
Es ist schon seltsam, wie vieles damit beginnt, dass ich ins Gefängnis geworfen werde, dachte Vascher.
Die Wächter lachten und schlugen die Zelltür mit lautem Getöse zu. Vascher stand da, klopfte sich den Staub ab, rollte mit der Schulter und zuckte zusammen. Während die untere Hälfte seiner Zellentür aus massivem Holz bestand, war die obere Hälfte vergittert. So konnte er sehen, wie die drei Wächter seinen großen Reisesack öffneten und seine Besitztümer durchstöberten.
Einer von ihnen bemerkte, dass Vascher sie beobachtete. Dieser Wächter war ein Stier von einem Mann mit kahl geschorenem Kopf und einer verdreckten Uniform, die kaum mehr das helle Gelb und Blau der Stadtwachen von T’Telir erkennen ließ.
Helle Farben, dachte Vascher. Ich werde mich wieder an sie gewöhnen müssen. In jedem anderen Land hätte das kräftige Blau und Gelb an einem Soldaten lächerlich gewirkt, doch das hier war Hallandren, das Land der zurückgekehrten Götter, der leblosen Diener, der biochromatischen Forschungen und – natürlich – der Farben.
Der riesige Wächter schlenderte zur Zellentür hinüber und überließ seinen Freunden den Spaß mit Vaschers Sachen. »Es heißt, du bist ein ziemlich harter Knochen«, sagte der Mann und musterte Vascher von Kopf bis Fuß.
Vascher erwiderte nichts darauf.
»Der Wirt hat gesagt, du hast in dem Handgemenge ungefähr zwanzig Männer niedergeschlagen.« Der Wächter rieb sich das Kinn. »Für mich siehst du gar nicht so hart aus. Wie dem auch sei, du hättest den Priester nicht schlagen sollen. Die anderen wandern für eine Nacht ins Gefängnis. Aber du … du wirst hängen. Farbloser Narr!«
Vascher wandte sich von ihm ab. Seine Zelle war zweckmäßig, aber nicht ungewöhnlich. Ein dünner Schlitz am oberen Ende einer der Wände ließ Licht herein, über die bemoosten Steinmauern tropfte das Wasser, und ein Haufen aus dreckigem Stroh faulte in der Ecke vor sich hin.
»Du wendest dich ab?«, fragte der Wächter und trat näher auf die Tür zu. Die Farben seiner Uniform wurden heller, als wäre er in stärkeres Licht getreten. Es war nur eine schwache Veränderung. Vascher hatte nicht mehr viel Hauch in sich, und daher konnte seine Aura bei den Farben, die ihn umgaben, nicht viel bewirken. Der Wächter bemerkte die farbliche Veränderung nicht – genauso wenig wie er es in der Taverne bemerkt hatte, als er und seine Kumpels Vascher vom Boden aufgesammelt und in den Karren geworfen hatten. Natürlich war die Veränderung für gewöhnliche Augen so gering, dass sie kaum zu erkennen war.
»Also, was ist denn das?«, fragte einer der Männer, die Vaschers Reisesack durchsuchten. Vascher hatte es stets bemerkenswert gefunden, dass die Männer, die in den Verliesen Wache standen, für gewöhnlich genauso schlimm oder gar noch schlimmer als die Gefangenen waren. Vielleicht war das Absicht. Die Gesellschaft schien es nicht zu kümmern, ob sich solche Menschen vor oder in den Zellen befanden, solange sie von den ehrlicheren Bürgern ferngehalten wurden.
Vorausgesetzt, es gab überhaupt ehrliche Bürger.
Der Wächter zog aus Vaschers Sack einen länglichen, in weißes Leinen eingewickelten Gegenstand hervor. Der Mann stieß einen Pfiff aus, als er den Stoff auswickelte und ein langes, dünnes Schwert in einer silbernen Scheide enthüllte. Der Griff war vollkommen schwarz. »Wo hat er das wohl geklaut?«
Der Hauptwächter sah Vascher an und fragte sich vermutlich, ob Vascher so etwas wie ein Adliger war. Auch wenn Hallandren keinen Adelsstand besaß, gab es in vielen angrenzenden Königreichen Grafen und Gräfinnen. Doch welcher Graf würde einen graubraunen Mantel tragen, der an vielen Stellen eingerissen war? Welcher Graf hatte Prellungen von einer Tavernenschlägerei, einen Stoppelbart und Stiefel, denen man den jahrelangen Gebrauch ansah? Der Wächter wandte sich ab; anscheinend war er davon überzeugt, dass Vascher kein Adliger war.
Er hatte Recht. Und gleichzeitig hatte er Unrecht.
»Ich will das sehen«, sagte der Anführer der Wächter und ergriff das Schwert. Er grunzte, denn offensichtlich überraschte ihn das Gewicht der Waffe. Er drehte es hin und her und bemerkte den Verschluss, der die Scheide mit dem Griff verband und ein Ziehen der Klinge verhinderte. Er öffnete den Verschluss.
Die Farben im Raum wurden kräftiger. Sie wurden nicht heller – nicht so wie die Weste des Wächters, als er an Vascher herangetreten war. Nein, sie wurden stärker. Dunkler. Rot wurde zu Weinrot. Gelb verhärtete sich zu Gold. Blau näherte sich Marineblau an.
»Sei vorsichtig, mein Freund«, sagte Vascher sanft. »Dieses Schwert ist gefährlich.«
Der Wächter schaute auf. Es war ganz still im Raum. Dann schnaubte der Wachmann und schritt von Vaschers Zelle fort; das Schwert hielt er noch immer in der Hand. Die anderen beiden folgten ihm mit Vaschers Reisesack; sie betraten die Wachkammer am Ende des Raumes.
Mit einem dumpfen Knall wurde die Tür geschlossen. Sofort kniete Vascher neben dem Strohbündel nieder und zog eine Handvoll kräftiger Halme heraus. Er zog am Saum Fäden aus seinem Mantel und band das Stroh zur Gestalt eines kleinen Menschen mit büscheligen Armen und Beinen von insgesamt etwa drei Zoll Länge zusammen. Er zupfte sich ein Haar aus seinen Brauen, befestigte es am Kopf der Strohpuppe, griff dann in seinen Stiefel und zog einen leuchtend roten Schal hervor.
Dann hauchte Vascher.
Es floss aus ihm heraus, trieb in der Luft, war durchscheinend und doch strahlend, wie die Farbe von Öl, das in der Sonne auf dem Wasser glitzerte. Vascher spürte, wie es aus ihm herausströmte: der biochromatische Hauch, wie ihn die Gelehrten bezeichneten. Die meisten Menschen nannten ihn einfach nur Hauch. Jeder Mensch hatte einen. Oder zumindest war es in der Regel so. Ein Mensch, ein Hauch.
Vascher hingegen besaß etwa fünfzig Hauche – gerade genug, um die Erste Erhebung zu erreichen. Er fühlte sich armselig, weil er nur noch so wenig hatte, aber die meisten Menschen würden dies als einen großen Schatz betrachten. Doch selbst das Erwecken einer so kleinen Figur aus organischem...
Erscheint lt. Verlag | 8.2.2022 |
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Übersetzer | Michael Siefener |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Warbreaker |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | 2022 • Abenteuer • eBooks • Fantasy • Farben • Hallandren • High Fantasy • Magie • Neuerscheinung • Unsterbliche • Warbreaker |
ISBN-10 | 3-641-27795-7 / 3641277957 |
ISBN-13 | 978-3-641-27795-6 / 9783641277956 |
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