Dorian Hunter 69 - Horror-Serie (eBook)
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-1095-4 (ISBN)
Nora wich den riesigen Händen aus und riss sich die Waden an einem Rosenstrauch blutig. Sie hörte Schritte hinter sich, doch sie wagte nicht, sich umzudrehen. Endlich hatte sie das Gartentor erreicht. Sie griff nach der Klinke und versuchte die Tür zu öffnen, doch sie war versperrt. Die Schritte kamen näher. Sie wandte den Kopf herum, und ihre Augen weiteten sich.
»Du bist seiner nicht würdig«, sagte die Gestalt. Die Stimme klang heiser und unheimlich. »Du bist nicht die richtige Frau für ihn. Du darfst nicht Felix' Geliebte sein.«
Eine eiskalte Hand presste sich auf ihren Mund.
»Hilfe!«, gurgelte Nora. »Hilfe! So helft ...«
Sie konnte nichts mehr sagen. Die eisige Hand drückte ihre Lippen zusammen. Dann bekam sie einen Schlag gegen die Stirn, dann noch einen gegen die Schläfe. Sie brach bewusstlos zusammen.
1. Kapitel
Felix zog einen Schlüssel aus der Tasche, sperrte das Tor auf, blickte sich rasch um und stieß die Pforte auf.
»Komm, Nora!«, sagte er und griff nach ihrer rechten Hand.
Sie folgte ihm willig in den Garten. Felix blieb stehen und warf das Tor zu. Ein breiter, mit großen Steinplatten belegter Weg führte zu einem alten Haus, das mitten in einem verwilderten Garten stand. Zwischen den Steinen spross Unkraut; das Gras war schon wochenlang nicht mehr gemäht worden.
»Wann warst du das letzte Mal hier?«, fragte Nora und blieb vor Felix stehen.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er. »Vor ein paar Monaten. Das Haus gehört meiner Mutter. Sie hat es seit dem Tod meines Vaters nicht mehr betreten. Sie hasst es. Ich weiß, dass es wenig einladend aussieht.«
»Das macht nichts«, meinte Nora und drängte sich an ihn. Sie war schlank, fast knabenhaft. Ihr rostbraunes Haar war kurz geschnitten; es rahmte ein hübsches Gesicht mit einer kleinen Stupsnase und großen, grünen Augen ein. Sie trug eine anthrazitfarbene Bluse und einen grünen Rock.
Felix lächelte, ließ ihre Hand los und legte einen Arm um ihre Schultern. Langsam gingen sie zum Haus. Es war ein einstöckiger Bau. Trotz der Dunkelheit sah Nora, dass der Verputz an einigen Stellen abbröckelte und die Fenster blind vor Schmutz waren. Sie stiegen die drei Stufen hoch, die zum Eingang führten. Felix suchte nach dem Schlüssel, fand endlich den richtigen und sperrte die Tür auf. Sie quietschte, als er sie öffnete. Fauliger Modergeruch schlug ihnen entgegen.
Felix trat in den Vorraum und knipste die Deckenbeleuchtung an. Nora kam zögernd näher. Überall lag Staub, und unzählige Spinnennetze hingen von der Decke.
»Warum verkauft deine Mutter das Haus nicht?«
»Keine Ahnung«, sagte Felix. »Aber das soll uns jetzt nicht kümmern.«
Er legte beide Hände auf Noras Schultern und zog sie langsam an sich. Sie schlang ihre Arme um seine Hüften und hob den Kopf. Er beugte sich vor, und seine Lippen berührten die ihren. Es war ein sanfter, fast unschuldiger Kuss, der nur wenige Sekunden dauerte.
Felix löste sich aus Noras Umarmung. Er lächelte ihr zu, und ihr Herz schlug schneller. Am liebsten hätte sie ihr Glück laut hinausgeschrien. Felix Lelouch war ein Mann, in den sich viele junge Frauen verliebten, der aber als unnahbar galt. Nora empfand so etwas wie Stolz, dass es ihr gelungen war, Felix zu erobern. Sie bekam schwache Knie, sooft sie ihn nur ansah. Er war hochgewachsen, schlank und breitschultrig. Das aschblonde Haar trug er ziemlich lang. Sein Gesicht war tiefbraun; es erinnerte Nora an den David von Michelangelo. Felix trug eng anliegende, hellblaue Jeans und ein weißes Hemd.
Sie durchquerten die Diele und betraten einen schmalen Gang. Vor einer Tür blieb Felix stehen.
»Das war mein Zimmer«, sagte er und drückte die Klinke nieder. Die Tür schwang geräuschlos auf. Das Zimmer war klein und einfach. Die Tapeten schälten sich von der Decke. An den Wänden waren deutlich helle Flecke zu sehen. Früher mussten mehr als zwanzig Bilder hier gehangen haben. Der schwere, dunkelgrüne Vorhang war staubig. Eine Wand wurde von einem Bücherschrank verdeckt. Auf dem niedrigen Bett lag ein gelbes Überschlaglaken. Es gab einen Tisch und zwei Stühle. Felix sah sich verträumt um.
»Mehr als fünfzehn Jahre habe ich in diesem Zimmer gewohnt«, flüsterte er.
Nora hustete, als Felix zum Fenster ging. Bei jedem Schritt stiegen kleine Staubwolken hoch. Felix zog den schweren Vorhang zur Seite und öffnete das Fenster. Aus einem Kasten holte er ein Tuch und wischte die Stühle und den Tisch damit ab. Er zeigte auf einen der Stühle.
»Setz dich, Nora!«
Nora kam der Aufforderung nach. Ihre Handtasche warf sie auf einen Stuhl.
»Ich bin sofort zurück«, versprach Felix. »Ich sehe nach, ob ich irgendetwas Trinkbares im Haus finde.«
Er zwinkerte Nora zu, dann verließ er das Zimmer. Sie sah ihm nach. Sie war nervös, griff nach einem Aschenbecher, der auf dem Nachtkästchen stand, stellte ihn auf den Tisch, öffnete ihre Handtasche, zündete sich eine Zigarette an und rauchte hastig. Rauchschwaden zogen zum Fenster.
Die junge Frau zuckte erschrocken zusammen. Ein leises Rascheln war zu hören, dann das Geräusch eines brechenden Astes. Sie ging zum Fenster und starrte in die Dunkelheit, konnte jedoch nichts erkennen. Wieder ein Geräusch – diesmal aus Richtung des Korridors. Sie wandte den Kopf und lächelte erleichtert, als sie Felix sah.
Er stellte eine Flasche Wein und zwei Gläser auf den Tisch.
»Irgendjemand ist im Garten«, meinte Nora. »Ich hörte ein Geräusch.«
»Wir sind allein«, sagte Felix. »Wahrscheinlich hast du ein Kaninchen gehört.«
Er schenkte die Gläser voll, reichte eines Nora und stieß mit ihr an.
»Auf dich!«, sagte er und blickte ihr tief in die Augen.
Nora nippte an ihrem Glas, stellte es ab und schmiegte sich an Felix, der sanft ihren Rücken streichelte.
»Ich liebe dich«, flüsterte Nora. »Ich liebte dich vom ersten Augenblick an. Ich ...«
Felix nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie sanft auf den Mund. Sie klammerte sich wie eine Ertrinkende an ihn, schloss die Augen und gab sich ganz seinen leidenschaftlichen Liebkosungen hin. Seine Finger nestelten an ihrer Bluse, die er langsam aufknöpfte. Er schob das Kleidungsstück über ihre Schultern. Ihre nackten Brüste waren klein und spitz zulaufend. Er weidete sich an ihrer Schönheit.
»Du bist wunderschön«, flüsterte Felix und zog sie wieder an sich.
Nora zuckte erschrocken zusammen, als sie auf dem Gang ein knarrendes Geräusch hörte. Ein leichter Wind war aufgekommen, der den Vorhang blähte.
»Es ist jemand im Haus!«
»Unsinn!«, sagte Felix. Er hob den Kopf und lauschte.
Nichts war zu hören.
Er zog das Überschlaglaken vom Bett und schlug die dünne Steppdecke zurück.
Wieder war das knarrende Geräusch zu hören.
»Irgendjemand ist auf dem Gang«, sagte Nora.
»Das Haus ist leer.« Felix zog sie aufs Bett.
»Bitte, Felix«, bettelte Nora, »sieh nach! Ich habe Angst. Deine Mutter. Sie ist ...«
»Meine Mutter weiß nicht, dass ich hier bin.«
Er legte seine Hände auf Noras Hüften, die verkrampft auf dem Bett saß. Ihre Hände zitterten leicht.
Nora lächelte schwach. »Ich bin unruhig, Felix.«
»Gut«, sagte Felix ein wenig ungehalten. »Wenn es dich beruhigt, sehe ich nach. Doch ich sage dir, es ist Unsinn. Wir sind allein. Du brauchst keine Angst zu haben.«
Unwillig stand er auf.
Ein lautes Poltern war zu hören, so als wäre ein großer Gegenstand umgefallen.
»Hast du das gehört?«, fragte Nora ängstlich.
Felix nickte.
»Du bleibst hier«, sagte er. »Ich sehe nach.«
Leise durchquerte er das Zimmer und blieb lauschend vor der Tür stehen. Nichts war zu hören. Vorsichtig öffnete er die Tür, steckte den Kopf in den Gang hinaus und schüttelte den Kopf.
»Es ist niemand zu sehen«, sagte er leise.
Er zog die Tür weiter auf und huschte in den Gang hinaus.
Nora griff nach ihrer Bluse. Ihre Hände zitterten stärker. Felix' Mutter hatte sie einige Male gewarnt. Sie hatte bemerkt, dass sie Felix verliebte Blicke zugeworfen hatte, und Nora unmissverständlich gesagt, dass sie die Hände von ihrem Sohn lassen sollte.
Die junge Frau stand auf, knöpfte rasch die Bluse zu und steckte sie in den Rock. Langsam ging sie zur Tür.
Sie hörte Stimmen. Deutlich war Felix' Stimme zu erkennen. Er sprach mit einer Frau. Sie hatte sich also nicht getäuscht; sie waren nicht allein im Haus. Ihr Herz schlug schneller, und ihre Hände wurden vor Aufregung feucht.
»Sie ist die Richtige!«, hörte sie Felix sagen.
»Das kannst du nicht wissen«, sagte die Frauenstimme. »Du hast sie noch gar nicht richtig geprüft. Sie kann kein Ersatz für mich sein.«
»Ich liebe Nora!«, brüllte Felix.
Nora zuckte zusammen. Die Worte der Frau konnte sie nicht verstehen, doch die Stimme klang ziemlich bestimmt. Es gelang ihr nicht, festzustellen, ob die Stimme Felix' Mutter gehörte.
Die junge Frau wandte sich langsam ab. Sie wurde nur noch von einem Gedanken beherrscht: das alte Haus so rasch wie möglich zu verlassen.
Sie schob den Vorhang zur Seite und blickte in den Garten. Ihr Blick fiel auf das Gartentor, das langsam geöffnet wurde. Zwei dunkle Gestalten betraten den Garten und kamen rasch näher. Nora hielt den Atem an und trat einen Schritt zurück.
Jetzt ist alles verloren, dachte sie. Die beiden Männer kannte sie. Es waren John Duncan und Bernie Jones, zwei Angestellte von Felix' Mutter. Vom Gang her hörte sie noch immer Felix' Stimme. Sie wartete eine halbe Minute, dann beugte sie sich vor und blickte in den Garten. Von den beiden Männern...
Erscheint lt. Verlag | 20.4.2021 |
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Reihe/Serie | Dorian Hunter - Horror-Serie |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond |
ISBN-10 | 3-7517-1095-7 / 3751710957 |
ISBN-13 | 978-3-7517-1095-4 / 9783751710954 |
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