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Pinguin Mambo (eBook)

Ein Krimi aus dem FF

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
hansanord Verlag
978-3-947145-49-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Pinguin Mambo - Joachim Wessel
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Für den Musiker Hannes Krondorf erfüllt sich 1981 ein lang gehegter Traum.
Er besteht das Probespiel im Orchester 'Fips Fleischer' und darf als Reisekader mit zu Gastspielen in das westliche Ausland fahren. Nach einer Veranstaltung in Wien macht ihm der Entertainer Lou van Burg den Vorschlag, nicht wieder in die DDR zurück zu kehren, sondern mit einigen Kollegen und seiner Unterstützung im Westen eine eigene Band zu gründen.
Noch während Krondorf um eine Entscheidung ringt, wird ihm diese vom Ministerium für Staatssicherheit abgenommen. Er bekommt seinen Pass samt Ausreisevisum für ein erneutes Gastspiel im Westen nicht mehr ausgehändigt.
Wenig später läuft ihm in einer Leipziger Kneipe seine Jugendliebe Maria in die Arme und er ahnt, dass diese Begegnung nicht zufällig ist. Aus der Tiefe seiner Erinnerungen tauchen verblasste Bilder auf. Während Maria ihm ihre Verstrickungen mit der Stasi berichtet, holt ihn eine alte Geschichte ein.
Auf unterhaltsam spannende Weise zeichnet der Autor aus Selbsterfahrung und Fantasie ein detailliertes Bild der kulturellen und politischen Entwicklung der DDR bis hin zu ihrem Ende.

Joachim Wessel wurde 1955 in Bernburg / Sachsen-Anhalt geboren und lebt seit 1975 in Dresden. Nach seinem Studium an der Hochschule für Musik arbeitete er in Dresden als freiberuflicher Trompeter. 1981 engagierte ihn Fips Fleischer in seinem Orchester und übertrug ihm im Jahr 1995 die Leitung, welche er bis zum Jahr 2002 innehatte. Seit 1990 ist der Autor neben der Arbeit als Musiker, Arrangeur und Orchesterleiter gewerbetreibend tätig und unterrichtet an einer Förderschule.

August 1981




Fast hätte er das Probespiel verpasst.

In den frühen Morgenstunden war er in die Eisenbahn gestiegen und hatte sich gefreut, dass der Zug den Bahnhof Neustadt pünktlich verließ. Bereits beim Halt in Riesa jedoch quäkte eine Stimme aus dem Bahnsteiglautsprecher irgendetwas von Ersatzverkehr. Ein paar junge Frauen, die mit ihm im Abteil saßen, standen schimpfend auf, rafften ihr Gepäck zusammen und drängelten zu den Türen.

Unschlüssig krallte er seinen Instrumentenkoffer aus dem Gepäcknetz und fragte einen vorbeihastenden jungen Mann, ob das wirklich stimme, das mit dem Ersatzverkehr.

»Na, Sie sind mir ja vielleicht ein Spaßvogel«, war die schnippische Antwort, »Sie fahren wohl zum ersten Mal mit der Reichsbahn?«

»Ähm, … ja, eigentlich … nein«, begann er, doch der junge Mann wartete seine Antwort nicht ab und war schon draußen auf dem Bahnsteig.

»Kommen Sie, machen Sie mal Betrieb«, vernahm er die Stimme eines Mannes in Schaffneruniform, der die Waggontür hinter ihm zuknallte. »Der Bus nach Leipzig steht auf dem Vorplatz«. Der Mann mit der roten Schaffnermütze trat einen Schritt auf ihn zu: »Und wenn Sie sich nicht beeilen, ist er weg!«

Krondorf blieb einen Moment stehen, um sich zu orientieren, dann stürzte er zum Ausgang hinaus, den anderen hinterher.

Auf dem Bahnhofsvorplatz wartete ein alter Ikarus-Bus mit laufendem Motor. Eine bläulich schimmernde Abgaswolke waberte vom Heck nach vorne bis zum Einstieg.

»Wenn Sie jetzt noch mit nach Leipzig wollen, müssen Sie aber einen Schritt zulegen«, vernahm er die Stimme des Busfahrers, »der nächste Ersatzverkehr fährt nämlich erst in einer Stunde!«

Krondorf zwängte sich durch den schmalen Einstieg und quetschte sich zwischen Koffern, Taschen und Tüten, welche auf dem Fußboden zwischen den bereits besetzten Plätzen standen, mit seinem Instrument vor dem Bauch den schmalen Gang entlang bis nach hinten durch.

Im Bus war es trotz des laufenden Motors kalt und die Scheiben waren beschlagen. Als er sein Gepäck verstaut hatte, fuhr der Bus an, er plumpste rückwärts in seinen Sitz und wischte sich mit dem Ärmel ein kleines Guckloch auf dem Fenster frei.

Jetzt, zu der frühen Morgenstunde, als er die vorbeirauschende Landschaft betrachtete und voll Dankbarkeit ahnte, dass er das Probespiel doch noch pünktlich erreichen würde, atmete er tief aus und ließ sich in den schmalen Sitz zurücksinken.

Der alte Ikarus schuckelte erbärmlich über die zerschlissenen Landstraßen, doch das tat seinem wohligen Gefühl keinen Abbruch. Am Bahnhof Oschatz hielten sie und ein paar junge Leute stiegen aus. Krondorf warf einen kurzen Blick aus dem Fenster. Das Bahnhofsgebäude machte einen heruntergekommenen Eindruck, der Putz löste sich in großen Schollen von der Fassade, die einst verzierten Fenstersimse im Eingangsbereich bröselten aus ihren Verankerungen und kleine Birken und Büsche wuchsen aus der defekten Dachrinne.

Langsam nahm der Bus Fahrt auf und wieder qualmte es entsetzlich aus der Heckklappe, die bläuliche Abgaswolke verflüchtigte sich diesmal jedoch nach hinten, weg von der undichten Eingangstür. Krondorf rekelte sich auf seinem engen Sitz zurecht.

Der August des Jahres 1981 würde endlich herrlich warm und sonnig werden, dachte er. Nach dem sich heiße und kalte Tage im Juni abgelöst hatten, war es im Juli regnerisch und kühl weiter gegangen. Jetzt müsste das Wetter eigentlich besser werden.

Calbitz, Malwitz, Luppa, kleine Ortschaften am Rande der Fernverkehrsstraße 6 rumpelten an seinem Fenster vorbei.

Trostlos, dachte er, was soll sich hier noch ändern, – sieht aus wie in Polen.

Erinnerungen an seinen letzten Familienurlaub im vergangenen August wurden wach.

Bestand er heute das Probespiel, würde er in diesem Sommer keine Ferien machen können.

Die Kirchgemeinde hatte im vergangenen Jahr seiner kleinen Familie eine private Unterkunft im polnischen Gardna Wielka nahe der Ostseeküste vermittelt. Im ausgebauten Stall eines kleinen Gehöfts bezogen sie damals ein einfaches Quartier mit Wasser aus der Pumpe auf dem Hof, und wenn sie nicht auf das Plumpsklo hinter dem Hühnerstall gehen wollten, durften sie das WC im Haus benutzen. All das nahmen sie gerne in Kauf, den Kindern machte es nichts aus, sie fütterten morgens mit der Bäuerin die Hühner, Schweine und Schafe. Die Alte nahm die Kinder an die Hand und brabbelte auf ostpreußisch.

»Wenn dehm man nich jleech Eenhalt jebooten wirrd, na ja, der Waleesa, der wird’s machen, der wird denen schon jehöörich off de Fiess treten, und denn habt ihr och Wasser in eire Unnerkunft.«

Die Kinder lachten wegen ihrer Sprache, die sie nicht verstanden.

Eines Abends setzte sich Krondorf zu der Alten an die Pumpe im Hof und erfuhr so nach und nach, was sich in dem nur zwei Autostunden entfernten Gdansk ereignete.

»Die in Warschau«, meinte die Alte, »die möjen uns ja jez schon kaputtjewirtschaftet ham, aber«, sie zog eine Flasche Slivovic unter ihrem Rock hervor und streckte sie Krondorf hin, »diese Jungenschen auf de Werft in Danzich, auf de Leninwerft, die ham sich zusammjeschlossen und eeinfach zujesperrt die Werft.«

»Was meinen Sie mit ›zugesperrt‹?« Krondorf hörte mit großen Augen zu und verstand nicht gleich.

»Na, die streeiken«, die Alte sah ihn ungläubig an, »jetzt ham die Lumpen ooch noch die Preeise für die Leemsmittel hochjesetzt«, sie spuckte verächtlich auf den mit Hühnerscheiße übersäten Boden. »Awwer jetzt jaaaren se se forrt, – diese janze Mischpoke!«

Aufmerksam musterte sie Krondorf von der Seite und nahm ihm die Flasche wieder ab, drehte den Verschluss herunter und trank einen Schluck.

Krondorf überlegte. Polen steckte genauso tief in der Wirtschaftskrise wie die DDR, aber dass die Polen streikten, konnte er sich nicht vorstellen. Und wenn die Bäuerin recht hatte und die Arbeiter der Leninwerft tatsächlich in den Ausstand traten, warum lehnten sich nicht auch die DDR-Bürger auf? Unwillkürlich fiel ihm das Jahr 1968 ein, als die Armeen der Warschauer Paktstaaten unter Führung der Russen die ČSSR mit Panzern okkupierten und den Prager Frühling mit brutaler Gewalt niederschossen. Damals besetzte die hoch aufgerüstete Nationale Volksarmee der DDR die Grenze zur ČSSR und hielt den Russen für ihre Invasion den Rücken frei. Gerade mal 13 Jahre alt war er damals gewesen, als die Nachbarn hinter vorgehaltener Hand von Schießereien und Toten auf dem Prager Wenzelsplatz berichteten. Die Mutter hatte gleich angefangen zu weinen und in das Taschentuch geschluchzt:

»Bestimmt wird es jetzt wieder Krieg geben.«

Und die Tschechen, vollkommen überrascht von der Invasion, standen mit Tränen in den Augen auf den Bürgersteigen und hatten verzweifelt zusehen müssen, wir ihr Traum von Reformen und einem freien, demokratischen Staat unter Führung Dubceks überrollt wurde.

Konnte den Polen vielleicht ein ähnliches Schicksal drohen?

Krondorf sah die Alte nachdenklich an.

Wenige Monate später hatte sich der Student Jan Palach auf dem Prager Wenzelsplatz mit Benzin übergossen, erinnerte sich Krondorf, ein Streichholz entzündet und war als brennendes Fanal gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings über den großen Platz gerannt, bis er von herbeigeeilten Fußgängern gestoppt worden war.

Aber was bedeutete das für die DDR?

Jetzt bat Krondorf doch um einen Schluck aus der Flasche. Schmunzelnd kramte die Bäuerin die Pulle wieder unter ihrem Rock hervor und sagte:

»Nu lang mal ordentlich zu, so wie du aussiehst, kannste een Schluckchen jebrauchen.«

Nachdenklich drehte er am Verschluss und trank einen Schluck.

»Wenn das man gut geht!«, begann er vor sich hin zu brabbeln, dann sah er der Bäuerin ins Gesicht.

»Noch gar nicht lange her«, sagte er, » da setzte sich bei uns in der DDR so ein Pfarrer ins Auto und machte sich auf den Weg aus einem kleinen Dorf, nicht viel größer als eures hier, in die nächstgrößere Stadt.«

Die Bäuerin hörte ihm aufmerksam zu.

»Unmittelbar vor der Zeitzer Michaeliskirche stieg er in seinem schwarzen Talar aus dem Wartburg und befestigte auf dem Dachgepäckträger zwei Transparente, auf denen er in großen Buchstaben mit wenigen Worten den Sozialismus angriff.«

Krondorf legte die Hände in den Nacken und schaute bedrückt in den Abendhimmel, dann fuhr er mit leiser Stimme fort: »Noch bevor die von Passanten herbeigerufenen Ordnungshüter die Plakate herunterreißen konnten, zog er eine mit Benzin gefüllte Milchkanne aus dem Kofferraum, übergoss seine Kleidung und steckte sich selbst in Brand.«

Jetzt konnte er nicht weiterreden, immer noch schauderte es ihn bei diesem furchtbaren Gedanken und er blickte verlegen zu der Alten.

»Wir ham davon jeheert«, murmelte die Alte, »von Prag auch und auch von eirem Pastor.«

»In beiden Fällen, in Prag wie in Berlin«, Krondorf hatte sich ein wenig gefasst und fuhr fort, » … in beiden Fällen beschrieben unsere Zeitungen den Freitod als eine Aktion von schwachsinnigen Psychopathen, die in der sozialistischen Gesellschaft keinen Platz gefunden haben.« Es schüttelte ihn vor Entsetzen.

»Was ist das für eine Welt?« Er setzte die Flasche an und nahm einen großen Schluck.

»Das is Selbstjebrannter von unsren eejenen Pflaumen«, warnte die Alte, als er heftig nach Luft schnappte und der Fusel ihm Tränen in die Augen trieb.

»Der hat so vill Prozent, damit darfste harnich an een offenes Feuer jelangen!«

Laut zischend öffnete sich die Bustür und schreckte Krondorf aus seinen Erinnerungen auf. Schon fuhr der Bus wieder an und er konnte...

Erscheint lt. Verlag 29.3.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte DDR • Fips • Fips Fleischer • Krimi • Leitung • Ministerium für Staatssicherheit • Orchester • Spannung • Staatsmacht • Stasi • Traum • Trompete • Willkür
ISBN-10 3-947145-49-7 / 3947145497
ISBN-13 978-3-947145-49-2 / 9783947145492
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