Von Menschen, Hunden und Wölfen (eBook)
308 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7534-4860-2 (ISBN)
Robert Maxeiner, Jahrgang 1955, wohnhaft in Frankfurt am Main, ist neben seinem Beruf als Supervisor seit langer Zeit als Schriftsteller tätig. Seine frühen Reisen mit einfachsten Mitteln (Nord- und Ostafrika, Pakistan, Indien, Nepal) und seine unmittelbaren Erlebnisse mit Land und Leuten spiegeln sich in seinen Büchern »Kawaja« und »Pepperland«. Mit »Blick über den Fluss« legt Maxeiner nach »Wieder unter wegs« seinen zweiten Roman vor.
Der Zweifel, der Selbstzweifel und die Widersprüche im Subjekt
Das Selbst empfindet oder versteht sich als unser innerer, seelischer Kern. Es ist nicht nötig, dessen Existenz an dieser Stelle wissenschaftlich zu beweisen, denn eine weitere Beschäftigung mit dem Selbst macht nur durch Reflexion einen Sinn, also sich selbst verstehen zu wollen – ganz subjektiv. Sicher ließe sich auch ein nüchterner, sachlicher Text über das Selbst verfassen, aber ich bin der Überzeugung, dieser ließe sich nur mithilfe einer Introspektion verstehen, also einem Hineinhorchen und Hineinfühlen in sich selbst.
Ein Zweifel am eigenen Selbst ist immer mit Empfindlichkeiten und Zerbrechlichkeiten verbunden, als stocherte das Ich im weichen, womöglich verwundeten Fleisch der Seele. Vom Erkennen des Selbst ist es oft nur noch ein kleiner Schritt bis zum Selbstzweifel. Aber wenn ich mich selbst nicht erkenne, besser gesagt, immer wieder um Verständnis ringe, begreife ich auch die Welt nicht, die Zusammenhänge, Ursachen und Wirkungen außer mir.
Ein Gedanke dazwischen: Die Religion hat sich in ihren Dogmen und Lehrsätzen im Lauf der Geschichte mit jeder neuen wissenschaftlichen Erkenntnis immer wieder korrigieren müssen. Als Darwin seine Theorie über die Entstehung der Arten vorstellte, wurde diese von Religions-, namentlich von Kirchenvertretern, heftig bestritten. Heute wissen auch religiöse Menschen, dass Gott die Erde nicht im wörtlichen Sinn in sieben Tagen erschaffen hat und dass Menschen und Affen gemeinsame Vorfahren haben.
Ähnlich verhält es sich mit der Globalisierung. Noch vor wenigen Jahren sprach man salopp davon, dass es uns im Westen nicht interessieren könne, wenn in China ein Sack Reis umfalle. Dies hat sich mittlerweile gründlich geändert. Die Erde ist nicht nur in ihren ökonomischen Wechselwirkungen kleiner geworden. Trotzdem halten Geschäftemacher und in ihrem Gefolge die von Geschäften Abhängigen – und dies sind letztendlich mehr oder weniger wir alle – an der merkwürdigen Theorie fest, es könne, je nach Geschäftsgrundlage, nur Gewinner geben. Dies zeigt sich besonders bei Handelsabkommen: Möglicherweise machen beide Partner damit gute Geschäfte, dafür bezahlen aber die nicht am Geschäft Beteiligten um so höhere Preise beziehungsweise leiden unter den Einbußen. Aber genau so ist es ja gewollt, wenngleich dies beim Geschäftsabschluss verschwiegen wird. Es geht immer nicht nur für die einen, sondern auch gegen die anderen, die nicht am Geschäft beteiligt sind. Zumeist handelt es sich dabei um ärmere Länder außerhalb des Geschäftsbereichs – auffallend oft afrikanische –, weshalb im Inland zumeist wenig gegen diese Machenschaften protestiert wird, da es ja angeblich um den eigenen Vorteil geht, nämlich die Hoffnung, auch als einfacher Bürger am Geschäft der Großen mit zu profitieren. Aber in Zeiten knapper Ressourcen werden die kapitalen Risiken der Dealer an den Staat oder an den ärmeren Teil der eigenen Bevölkerung weitergereicht, indem diese die Gewinne garantieren, welche in Staaten irgendwo weit weg nicht gelingen können. Diese Ausbeutungs- und Herrschaftspraxis – Kapitalisten im Verein mit Herrschenden – hat schon oft in der Geschichte zu Aufständen geführt, die zumeist brutal niedergeschlagen wurden oder in selteneren Fällen einen Regimewechsel zur Folge hatten.
Im Sinne von Herrschenden und Unternehmenden – je ausgehöhlter ein demokratisches System, umso schwerer sind diese voneinander zu unterscheiden – erscheinen Selbstzweifel grundsätzlich, schon gar nicht in diesem Kontext, angebracht. Folglich werden diese, falls sie doch einmal ausbrechen sollten, ohne große Überlegung, nach unten weitergereicht. Der Arme soll sich fragen, warum er so neidisch auf die Reichen sei beziehungsweise eine Gier auf Waren entwickelt, die er sich nicht leisten kann. Eigentlich handelt es sich, aus der Distanz betrachtet, um einen billigen Taschenspielertrick, der somit leicht zu durchschauen wäre. Aber als Betroffener – mehr oder weniger sind wir dies wiederum alle in unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen – glaube ich, mich im Glashaus zu befinden und folglich nicht mit Steinen werfen zu dürfen.
Als Sohn eines Arbeiters habe ich diese Zusammenhänge in meinen ersten Gymnasialjahren, wenn nicht durchschaut, so doch irgendwo geahnt und subtil zu spüren bekommen, obwohl oder gerade weil es damals geradezu als Frevel galt, über Klassen oder Schichten zu sprechen. Dies nützte mir aber nichts, da mir, nicht nur aus persönlichen, sondern auch aus Gründen meiner sozialen Herkunft, das Selbstbewusstsein fehlte, mich aus diesem Teufelskreis herauszuwinden. Ich erlebte mich von Anfang an als Fehlbesetzung.
Es geht mir nicht darum, den Grund für meine angebliche oder tatsächliche Faulheit von mir wegzuschieben, sondern die untrennbaren Zusammenhänge zwischen dem Individuellen und dem Klassenbezogenen differenziert zu betrachten. Da ich dies in Form einer Selbstreflexion tue, laufe ich immer wieder Gefahr, dass mir meine psychische Abwehr in Form von Verleugnungen, Verdrängungen und Rationalisierungen einen Strich durch die Rechnung macht. Aber was bleibt mir anderes übrig? Die Jahre auf der Coach haben mir geholfen, mich selbst zu erkennen, und nicht nur dies, sondern weiter zu zweifeln, sowohl an mir, als auch an dem, was um mich herum und mit mir geschieht. Dazu gehört auch, mich beispielsweise mit meiner Gier oder meinem Neid auseinanderzusetzen.
Aber ich lebe nicht als Eremit in der Wüste. Auf die Fleischtöpfe habe ich es auch nicht abgesehen, eine Fleischmahlzeit pro Woche genügt mir dicke. Und die darf dann auch ein wenig mehr kosten. Und sofort, während ich dies aufschreibe, überfällt mich der Gedanke, ich könnte missverstanden werden. Als predigte ich all denen, die zu McDingens laufen, oder als würde ich Menschen, die sich verschuldet haben, anklagen, sie seien selbst schuld an ihrer Lage. Dieser Reflex scheint früh anerzogen beziehungsweise tief verinnerlicht, dass, sobald ich dieses Konsum- und Herrschaftssystem infrage stelle, der innere Staatsanwalt mir entweder entgegenhält, ich sei ein Heuchler. Weil ich selbst Nutznießer dieses Systems bin beziehungsweise gut reden habe, weil ich nicht mit Nahrungsmitteln knausern muss. Oder aber beim Gedanken an jegliche Alternative mich an die Unmöglichkeit der Umsetzung gemahnen beziehungsweise dieses Wirtschafts- und Kapitalsystem grundsätzlich infrage stellen muss.
Das bringt mich zu der Frage: Was ist Politik heute? Welche Möglichkeiten nutzt sie beziehungsweise hat sie faktisch, Einfluss zu nehmen? Weitermachen wie bisher und kleine, positive Veränderungen durchsetzen oder zum großen, alternativen Wurf ausholen? (Am Beispiel der Grünen lässt sich dies gut erforschen.) Zurück zur Armut oder dem prekären Leben: Dieses beginnt oft schon vor der Geburt. Babys werden zum Beispiel medikamenten-, alkohol-, nikotin- oder heroinabhängig, falschoder unterernährt geboren. Das globale Wirtschaftssystem macht Menschen systematisch arm. Und wenn sie sich entsprechend ihrer Armut oder mangelnden Bildung verhalten, zeigen die anderen mit dem Finger auf sie und behaupten, sie trügen die alleinige Verantwortung für ihre miserable Lage.
Ein sozialer Aufstieg befreit mich vom meiner misslichen, existenziellen Lage, aber dies ist nicht gleichbedeutend mit einer Selbsterkenntnis. Leider schaut der soziale Aufsteiger allzu oft auf die Nichtaufgestiegenen herab und beurteilt deren Schicksal extra hart. Und wenn er nicht weiter aufsteigen kann oder gar wieder absteigen muss, wählt er AfD, als ginge es ausschließlich gegen die Eliten, an deren faule Sprüche er selbst so lange geglaubt hat, solange sie sich angeblich für ihn selbst bewahrheiteten. Weil er sich so sehr vor der Selbstreflexion oder gar den Selbstzweifeln fürchtet und damit auch die Zweifel an den herrschenden Zuständen meidet, muss er sich zwanghaft selbst in die Tasche lügen. Andernfalls würde er nicht nach unten treten, sondern seinen Frust bei den Verursachern seiner tatsächlichen oder gefühlten Misere ablassen. Aber die da oben sitzen gar zu fest im Sattel, was wiederum, falls man diese Erkenntnis zulässt, das Aushalten von Ohnmachtsgefühlen zur Folge hätte. Aber gerade dies, sich selbst als ohnmächtig, zumindest als hilflos zu erkennen, braucht ein stabiles Selbstbewusstsein.
Ich spreche nicht davon, in dieser Ohnmacht zu verharren oder sich gar resignierend mit ihr abzufinden. Mir geht es um die Selbsterkenntnis und die Erkenntnis gesellschaftlicher und politischer Zustände. Diese Erkenntnis setzt Gefühle frei, zum Beispiel solche des Zorns, der Wut, auch des Mitleids, der Liebe zum Nächsten, der Zusammengehörigkeit. Ich befasse mich deshalb ausführlicher mit diesen emotionalen Zusammenhängen, weil Gefühle nicht einfach an die Oberfläche des Bewusstseins treten. Zuerst einmal sind sie verkapselt, vermischt und vermengt, selten in reiner Form erkennbar. Möglicherweise werden sie erneut verdrängt, weil sie Schuldgefühle auslösen oder mit dem Selbstbild nicht vereinbar sind. Ein Mensch, der sich sein Leben lang als sanft...
Erscheint lt. Verlag | 26.2.2021 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
ISBN-10 | 3-7534-4860-5 / 3753448605 |
ISBN-13 | 978-3-7534-4860-2 / 9783753448602 |
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