Dorian Hunter 67 - Horror-Serie (eBook)
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-1093-0 (ISBN)
Der Nachtportier Charles Hopkins hetzte zum Ausgang der Pension und weiter auf die Straße hinaus. Sein Herz hämmerte, als wollte es den Brustkorb sprengen. Noch zehn, fünfzehn Schritte bis zum gegenüberliegenden Haus. Dann, urplötzlich, traf ihn der Schlag. Etwas schüttelte ihn, hob ihn hoch, packte ihn und schleuderte ihn der Bordsteinkante entgegen. Dass er hart aufschlug, spürte er nicht mehr.
Bevor Menschen aus den umliegenden Häusern zur Stelle waren, verließ ein zweiter Mann die Pension und ging wortlos an Charles Hopkins' verkohlter Leiche vorüber. Der Fremde hatte es sehr eilig, Hampstead zu verlassen ...
2. Kapitel
Sie brauchten die Praxis des Arztes nicht lange zu suchen. Sie befand sich unweit des kleinen Platzes, an dem der Drugstore des Ehepaars Hinair lag. Das Haus von Dr. Mellows erhob sich dunkelrot und spitzgieblig über die angrenzenden Bauten. Es machte einen gepflegten Eindruck. In der Garage stand eine große Limousine, deren Türen eigenartigerweise offen standen.
Die Freunde durchquerten den Vorgarten. Mitten auf einer Rasenfläche war das weiße Schild mit dem Namen des Arztes und der Sprechstundenzeit auf einem Holzsockel angebracht. Eine kurze Treppe führte zum Eingang hinauf.
Hinter der offenen Tür zeigte sich ein spiegelblankes Parkett – ein breiter Flur, der zum Wartezimmer führte. Dorian und Coco traten ein – der Puppenmann befand sich wieder in der Handtasche.
Von einem bestimmten Punkt des Flurs aus konnte man durch das leere Wartezimmer in das Sprechzimmer blicken. Kein Patient schien sich im Haus zu befinden. Am hellen Schreibtisch hockte eine weiß gekleidete Gestalt, die den Kopf in die Hände gestützt hatte. Die Freunde gingen auf sie zu. Sie gelangten in ein Behandlungszimmer, das mit allen modernen Apparaten ausgestattet war, soweit der Dämonenkiller dies beurteilen konnte. Sogar ein radioskopisches Gerät war vorhanden.
Der Mann am Schreibtisch regte sich nicht. Er blickte nicht auf, schenkte ihnen keine Beachtung, sondern stöhnte nur leise.
»Dr. Mellows?«, fragte Dorian.
»Ja, der bin ich«, kam es dumpf zurück.
»Wir sind gekommen, um Sie nach dem Ausmaß der Epidemie von Cluebury zu fragen. Bitte verweigern Sie nicht die Auskunft – wir sind keine Journalisten, und jede Information wird selbstverständlich vertraulich behandelt.« Dorian warf Coco einen raschen Blick zu. Sie nickte – hatte verstanden. Ihre magischen Fähigkeiten würden ihr erlauben, den Arzt auszuhorchen, auch wenn er sich sträubte. Sie besaß die Gabe, Menschen zu hypnotisieren.
Dr. Percy Bysshe Mellows lachte freudlos. Dann richtete er sich auf und wandte ihnen sein Gesicht zu. Es war grün, eingefallen und entsetzlich mager. Rötliche Augen fixierten die Freunde. »Es ist zu spät. Es wird keine Rettung geben. Für keinen.«
»Was geschieht in Cluebury?«, fragte Dorian eindringlich. »Warum haben Sie nicht längst die Behörden über die Seuche informiert? Warum wird nichts getan?«
»Epidemie – Seuche! Ihr Narren!«, stieß er mit krächzender Stimme hervor. »Ihr wisst auch nicht mehr als die Reporter, die gekommen sind und von denen die meisten einfach bleiben mussten, weil sie nicht mehr in der Lage waren, nach London zurückzukehren. Sie müssen ihre verdammte Neugierde teuer bezahlen.« Er lachte hämisch und rieb sich die Hände.
»Sprechen Sie weiter!«, forderte Coco ihn auf.
»Nein. Hinaus jetzt! Ich habe genug geschwätzt. Verlasst meine Praxis!«
Coco nahm den Blick nicht von seinen Augen. Ihr war, als schaue sie dem Tod ins Antlitz. Die rötlichen Pupillen des Dr. Mellows schienen plötzlich anzuschwellen. Seine Lippen formten unverständliche Worte. Schweiß trat auf seine Stirn. Coco traf Anstalten, ihn zu hypnotisieren. Aber dann ereignete sich das Unerwartete.
Dr. Mellows sprang unversehens auf. Fluchend griff er nach einem kupfernen Briefbeschwerer und schleuderte ihn auf Coco. Sie sprang zur Seite, ließ ihn aber keine Sekunde aus den Augen. Er lief ein paarmal auf und ab, wie ein zorniges Raubtier in seinem Käfig. Dann rannte er zu einem in Zink eingefassten weißen Bestecktisch. Die Aufschläge seines Kittels flatterten. Knurrend griff er nach einem größeren skalpellartigen Instrument, kam hinter dem Schreibtisch hervor und eilte auf Dorian zu.
Er hatte es geschafft, sich dem Blick von Cocos hypnotisierenden Augen zu entziehen. Das scharfe blitzende Messer stieß vor. Dorian schlug ihm auf die Hand und wich aus. Doch der Arzt behielt trotz seines furchtbaren Zustandes die Gewalt über sich. Er ließ die Waffe nicht los. Der Hass verlieh ihm ungeahnte Kräfte.
Plötzlich bemerkte er den winzigen Don Chapman, gab einen heulenden Laut von sich und stürzte sich auf den Puppenmann. Dr. Mellows lief Amok. Er wusste nicht mehr, was er tat. Mit wüsten Rufen hetzte er Don nach, warf sich auf ihn und hackte mit dem Messer wie ein Wahnsinniger auf den mit Linoleum ausgelegten Boden ein. Der Puppenmann entkam ihm und rettete sich unter einen Stahlschrank, in dem sich Ampullen, Reagenzgläser und Packungen mit Arzneimitteln befanden.
In Dorian verdichtete sich in diesem Moment der Verdacht zur Gewissheit: Was in Cluebury vor sich ging, hatte keine ausschließlich klinischen Ursachen. Dr. Mellows Verhalten bestätigte ihm endgültig, dass die Mächte des Bösen am Werk waren. Der Fürst der Finsternis hatte wieder seine Kräfte entfesselt.
Der Dämonenkiller handelte, bevor der Arzt Schlimmeres anrichten konnte. Er machte eine Handbewegung zum Hals hin, holte seinen Talisman hervor und löste ihn mit einer einzigen energischen Geste von der Kette. Es war die gnostische Gemme, die er als Dämonenbanner bei sich trug. Entschlossen ging er damit auf den Mann zu.
Dr. Percy Bysshe Mellows erblickte die gnostische Gemme und duckte sich. Der auf dem Edelstein abgebildete Abraxas und die Schlange, die sich in den eigenen Schwanz biss, verfehlten ihre Wirkung nicht.
Böse fauchend zog sich der Arzt zurück. Dorian gelang es, ihn in eine Ecke hinter dem Schreibtisch zu treiben.
»Rian, hier liegt eine aufgezogene Spritze«, verkündete Coco, die einen weiteren Metalltisch im Behandlungszimmer in Augenschein genommen hatte.
»Vielleicht war die für uns gedacht«, sagte Don. »Möglich, dass er gewusst hat, dass wir kommen.«
Dorian ließ den ohnmächtig schnaufenden Dr. Mellows nicht aus den Augen.
»Der dämonische Einfluss hat von ihm Besitz ergriffen. Er ist ein Besessener. Coco, ich schlage vor, du gibst ihm die Spritze. Dann werden wir ja sehen, was passiert.«
»Wagt es nicht, näher zu kommen!«, stieß Dr. Mellows hervor. Seine Stimme klang tief und unwirklich, so als käme sie direkt aus der Hölle. »Jeden, der mich anfasst, zerfleische ich.«
Coco quittierte seine Drohungen und grässlichen Flüche mit einem rätselhaften Lächeln. Unerschrocken schritt sie auf ihn zu. Und jäh erstarrte der Arzt. Coco hatte sich in den schnelleren Zeitablauf versetzt – Dorian und Don hatte sie mit in das magische Zeitfeld einbezogen.
Der Dämonenkiller hielt Dr. Mellows' Arm vorsichtshalber fest. Coco verpasste ihm den Inhalt der Spritze. Gleich darauf trat sie zurück, um sich wieder in den normalen Zeitablauf zu versetzen.
Dr. Mellows bewegte zunächst die Arme, dann die Beine, dann den Kopf. Er begann wieder, lästerliche Verwünschungen gegen die Eindringlinge auszustoßen, und sah sich nach Waffen um. Falls die Spritze dafür vorgesehen war, die drei Freunde oder einen von ihnen vorübergehend unschädlich zu machen, so verfehlte das Mittel bei diesem Mann seine Wirkung.
Dorian hob die gnostische Gemme. Dr. Mellows schlug die Hände vor sein abscheuliches Gesicht, stieß heisere Laute aus und ließ sich dann auf dem Boden nieder. Er wälzte sich umher und schlug mit den Fäusten und Füßen.
»So hat es keinen Zweck«, bemerkte Dorian. »Wir müssen ihn fesseln, um ihn untersuchen zu können.«
»Ich habe Lederriemen gesehen«, meldete Don Chapman, der sein Versteck verlassen und den Schrank erklettert hatte.
Coco versetzte sich und die Freunde wieder in einen rascheren Zeitablauf. Gemeinsam begaben sie sich an den Platz hinter dem Schreibtisch, wo Dr. Mellows verkrampft auf dem Boden lag. Seine Haltung erinnerte an die eines Epileptikers im gefährlichsten Stadium.
Sie legten ihn auf die Behandlungsliege und zurrten ihn dort mit den von dem Puppenmann herbeigeholten Lederbändern fest. Coco hob den magischen Bann auf. Schwer atmend blickte Dr. Percy Bysshe Mellows seine Widersacher an.
»Wir müssen versuchen, ihn unter Hypnose zum Sprechen zu bringen«, sagte Dorian. »Ich weiß, dass sich das, was in ihm haust, mit allen Mitteln dagegen wehrt. Es wird nicht leicht sein, aber ich bitte dich, es noch einmal zu versuchen.«
Er wandte sich an Don, der auf der Liege kniete und den Besessenen interessiert musterte.
»Hör zu, ich glaube, es ist besser, wenn du sofort versuchst, Verbindung mit Trevor Sullivan aufzunehmen! Die Lage spitzt sich zu, und die Zeit drängt.«
»Einverstanden.« Don ließ sich an einem der matt glänzenden Stahlbeine der Liege zu Boden gleiten und ging flink auf die Tür zu, die ins Wartezimmer führte.
»Wäre es nicht besser, wenn du ihn mit dem Wagen fahren würdest?«, warf Coco ein. »Es ist zwar nur ein Kilometer bis nach Maynard's Castle, aber schließlich sind für Don die Distanzen mehr als dreimal so lang wie für uns.«
Der Puppenmann winkte ab. »Nicht nötig. Ich finde immer einen Weg, unnötige Anstrengungen zu vermeiden. Sobald ich mit Trevor gesprochen habe, melde ich mich wieder.«
»Hals- und...
Erscheint lt. Verlag | 23.3.2021 |
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Reihe/Serie | Dorian Hunter - Horror-Serie |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond |
ISBN-10 | 3-7517-1093-0 / 3751710930 |
ISBN-13 | 978-3-7517-1093-0 / 9783751710930 |
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