Urlaub, bis der Arzt kommt (eBook)
252 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7526-5357-1 (ISBN)
Geboren 1958 in Hamburg. Der Geburtsstadt bis heute treu geblieben. Glücklich verheiratet. Lange in der Medienbranche beschäftigt gewesen. Seit einigen Jahren Privatier und Autor. 2017 mit dem Roman BLUE NOTE GIRL die erste Veröffentlichung. Schreiben ist atmen.
2. Kapitel: Ágios Geórgios
Am ersten Urlaubstag inspizieren wir weit entfernt von jeglicher Zielstrebigkeit die unmittelbare Umgebung. Das Hotelgelände. Den kleinen unauffälligen Ort. Die Einkaufsmöglichkeiten. Die Gastronomie. Den Strand. Lassen die Atmosphäre wirken. Ágios Geórgios präsentiert sich ohne Glamour, ein Küstenort unplugged. Die weitläufige Bucht bietet einen fast menschenleeren feinsandigen Strand, das träge Meer begnügt sich damit, entspannte Wellen am Ufer auslaufen zu lassen. Tatsächlich glasklares Wasser! Während ich mit hochgekrempelten Hosenbeinen barfuß neben Christine durch den Sand stapfe, wächst mein Bedauern, weder Badehose noch Handtuch dabei zu haben. Die Temperatur des Wassers ist angenehm. Dazu des erleuchtete Blau über uns - ideales Badewetter! Wer weiß, wie lange es noch so bleiben wird? Die mahnenden Ratschläge der Korfu-Kenner klingen mir noch in den Ohren. Die wären bestimmt enttäuscht, wenn sie uns jetzt so sehen könnten, ganz ohne Regenzeug.
Christine wagt sich nur mal kurz mit den Füßen ins Wasser und findet es zu kalt. Sie hat sich für unseren ersten Erkundungsgang trotz der Wärme eine Strickjacke übergezogen. Fröstelt sogar zwischendurch. Kein Grund zur Besorgnis. Sie friert halt schnell. Mit ihrem niedrigen Blutdruck und bei der kiloarmen Statur ist das normal.
Wir laufen das ganze Ufer ab, in beide Richtungen und machen einige markante Entdeckungen. Der Ort an sich ist klein und bietet eine einfache und unspektakuläre Infrastruktur, die sich hauptsächlich über den mittigen Bereich der Bucht erstreckt. Es gibt weder hohe Gebäude noch einen historischen Stadtkern, dafür ein paar Hotels und Apartmentanlagen, einige meist strandnahe Tavernen, die alle einen schlichten und authentischen Eindruck machen, drei Supermärkte, ein Bootsverleih, eine Surfschule, eine Autovermietung und zwei große Müllberge etwas abseits des Stadtkerns. Allerdings wirklich große Müllberge, so auffällig, als habe ein exzentrischer Künstler sie geschaffen, als Mahnmal für das irdische Müllproblem. Eigentlich sind sie schon gewaltig und mehr als nur das denkbare Ergebnis eines aktuellen Streiks der Müllabfuhr. Das hier muss über Monate angehäuft worden sein, vielleicht über Jahre, hauptsächlich in blauen Säcken. Gärend, gammelnd und faulend.
Christine erzählt mir, im Internet gelesen zu haben, Korfu habe wohl schon seit Jahrzehnten immer wieder Engpässe bei der Müllentsorgung, weil es auf der Insel nur eine offizielle Deponie mit längst erschöpften Kapazitäten gebe. Die Suche nach Alternativen sei immer wieder gescheitert und habe sich letztlich zu einem Politikum hochgeschaukelt. Aber mit einem Müllproblem solchen Ausmaßes habe sie dann doch nicht gerechnet. In einer Urlaubsidylle wirkt das erschreckend deplatziert. Solange aber der Tourismus als wichtigster Wirtschaftszweig nicht Anstoß an diesen Auswüchsen nimmt, scheinen verantwortliche Politiker vor Ort keinen Handlungsbedarf zu sehen.
Wenn man das so krass vor der Nase hat, stimmt es einen nicht gerade zuversichtlich, weder für Korfu noch für den Rest der Welt.
Christine kehrt dem hässlichen Müllberg entschlossen den Rücken und zeigt auf einen natürlichen Berg am südlichen Ende der Bucht.
„Schau dort, Richard“, sagt sie und schirmt gegen die Sonne blickend die Augen mit der Hand ab. „Da geht es rauf zu den Bergdörfern Krimi und Makrádes. Laut Reiseführer können wir bei einer Wanderung einen Teil des Corfu Trails laufen.“
Corfu Trail? Klingt cool! Irgendwie westernmäßig. Ich kenne bisher nur den Chisum Trail. Aus John Wayne Filmen.
Ich reiße mich von dem Anblick der organisatorischen Schande los, um mich wieder Korfus natürlicher Schönheit zu widmen. Will wissen, was es mit dem Corfu Trail auf sich hat. Dann könnte ich zuhause beiläufig erwähnen, den gewandert zu sein.
Laut Christine handelt es sich um einen Weitwanderweg, der von Süd nach Nord durch die Insel verläuft. Mit seinen ungefähr zweihundertzwanzig Kilometern soll er trotz guter Markierungen ein noch nicht so bekannter Wanderweg sein. Auf Korfu steckt diese Art des Tourismus in den Kinderwanderschuhen. Solche Möglichkeiten werden offenbar noch nicht so offensiv vermarktet wie auf anderen Inseln.
„Willst du den ganzen Trail laufen?“, frage ich meine Frau und versuche im Kopf die Gesamtlänge auf das ungefähre Tagespensum umzurechnen.
Sie lacht.
„Keine Angst. Nur Teile davon.“
Wir wollen in unseren Urlauben die ideale Mischung verschiedener Aktivitäten finden. Von allem etwas. Wandern und Kultur, Baden und Faulenzen, Essen und Trinken.
Christine strahlt mit der Sonne um die Wette, diese Begeisterungsfähigkeit habe ich schon immer an ihr geliebt. Vor vielen Jahren hat sie damit meinen bis dahin eher phlegmatischen Lebenskompass ganz neu ausgerichtet und mich neugieriger auf die Welt gemacht. Wenn es früher im Urlaub unten schön war, blieb ich auch meistens dort und das oben war mir egal. Christine aber wollte schon immer mehr sehen, mit verschiedenen Perspektiven und Blickwinkeln. Deshalb interessiert sie sich am Strand stehend für Bergdörfer wie Makrádes und Krimi und ist immer neugierig, was hinter der nächsten Kurve kommt.
„Krimi klingt auf jeden Fall spannend“, witzele ich. „Wann willst du da rauf?“
„Morgen vielleicht?“, schlägt sie vor und belauert meine Reaktion. „Wir können natürlich auch später ... ich meine, wenn du erst mal ...“
Aber nein, morgen passt mir ausgezeichnet!
Nur müssen wir leider zum Thema Wandern gleich am Nachmittag einen Rückschlag einstecken. Im Hotel nehmen wir an der Sprechstunde der Reiseleitung vor Ort teil, und Christine möchte ihre letzten offenen Fragen klären.
Die Reiseleiterin, die wir bereits von dem kurzen Empfang am Flughafen kennen, trägt die Informationen über den Urlaubsort und die Möglichkeiten auf der Insel etwas statisch und uninspiriert vor. Die Präsentation ist so mitreißend wie ein Einführungskurs ins Deutsche Steuerrecht. Auch ihr Angebot, am Ende des Vortrags noch für Fragen zur Verfügung zu stehen, klingt eher wie die verschlüsselte Bitte, keine zu stellen. Echte Begeisterung zeigt sie nur, als sie erwähnt, heute ihren letzten Tag auf Korfu zu haben. Ob sie danach für immer geht, oder nur für diese Saison? Ich vermute, sie wird nicht wiederkommen. Doch vorher muss sie noch einen Härtetest überstehen: Christines Fragen!
Meine Frau will auch das letzte Geheimnis der hiesigen Wandermöglichkeiten in Erfahrung bringen, alles was sich aus anderen Quellen nicht ermitteln ließ. Dabei geht es ihr um Touren auf eigene Faust ebenso wie um geführte Trips in Korfus mehr oder weniger unberührte Natur. Ihr Interesse ist furchterregend, ihre Hartnäckigkeit erbarmungslos, die Reiseleiterin wirkt völlig überrumpelt.
„Wandern?“, wiederholt die junge Frau gedehnt und lächelt starr. Das Thema scheint außerhalb ihrer Kernkompetenz zu liegen.
Als geführte Tagestour, so erklärt sie uns dann, gibt es das hier nicht. Der Reiseveranstalter habe nur Bus- und Bootstouren im Angebot. Alle Infos dazu fänden wir in einem Ordner, der im Hotel ausläge. Nur direkt über Spezialveranstalter wären Wanderungen mit Führung möglich. Das aber hätte man vorab schon von Deutschland aus buchen müssen. Damit scheint das Thema für sie erledigt zu sein. Sonst noch Fragen?
Da wir uns das Wandern auf Korfu ähnlich gut organisiert wie beispielsweise auf La Palma erhofft hatten, mit diversen geführten attraktiven Touren, wird es nach diesen Auskünften unvermeidlich sein, unsere Pläne den realen Gegebenheiten anzupassen. Die neue Devise muss lauten: Wandern auf eigene Faust! Aber auch dazu möchte Christine mehr erfahren. Doch je verbindlicher sie das Thema anzugehen versucht, desto unverbindlicher reagiert die Reiseleiterin. Geradezu störrisch! Immerhin gibt sich die junge Frau mit osteuropäischem Akzent große Mühe, den Unwillen hinter einer maskenhaften Freundlichkeit zu verbergen. Wandern im üblichen Sinne gebe es hier nicht. Man müsse oft kleineren und größeren Straßen folgen, um zu bestimmten Zielen zu gelangen. Mehr ist ihr nicht zu entlocken. Fortan verschanzt sie sich hinter einem frostigen Lächeln und schüttelt bei jeder weiteren Frage Christines entweder den Kopf oder hebt bedauernd die Schultern an. Vermutlich würde Christine ihr am liebsten den Rother Wanderführer von Korfu an den Kopf schleudern.
Später, bei einem Kaffee auf der Terrasse am Pool warte ich erst einmal ab, wie meine Frau den Rückschlag verkraftet hat. Normalerweise kann sie sich mit Tatsachen schnell abfinden, aber bestimmt nicht mit einer derart schlaffen und lustlosen Vorstellung. Es brodelt in ihr, und sie wird nach diesem Reinfall nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. So sitzen wir eine sonnige Weile schweigend da,...
Erscheint lt. Verlag | 11.11.2020 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Comic / Humor / Manga ► Humor / Satire |
Schlagworte | Griechenland • Korfu • Krankenhaus • Lungenentzündung • Urlaub |
ISBN-10 | 3-7526-5357-4 / 3752653574 |
ISBN-13 | 978-3-7526-5357-1 / 9783752653571 |
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Größe: 540 KB
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