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Das Buch des Totengräbers (eBook)

Ein Fall für Leopold von Herzfeldt | Temporeicher Krimi im Wien der Jahrhundertwende

*****

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
448 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2479-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Buch des Totengräbers -  Oliver Pötzsch
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Wenn in Wien der Tod umgeht, gibt es nur einen, der ihm alle Geheimnisse entlocken kann  1893: Augustin Rothmayer ist Totengräber auf dem berühmten Wiener Zentralfriedhof. Ein schrulliger, jedoch hochgebildeter Kauz, der den ersten Almanach für Totengräber schreibt. Seine Ruhe wird jäh gestört, als er Besuch vom jungen Inspektor Leopold von Herzfeldt bekommt. Herzfeldt braucht einen Todes-Experten: Mehrere Dienstmädchen wurden ermordet - jede von ihnen brutal gepfählt. Der Totengräber hat schon Leichen in jeder Form gesehen, kennt alle Todesursachen und Verwesungsstufen. Er weiß, dass das Pfählen eine uralte Methode ist, um Untote unter der Erde zu halten. Geht in Wien ein abergläubischer Serientäter um? Der Inspektor und der Totengräber beginnen gemeinsam zu ermitteln und müssen feststellen, dass sich hinter den Pforten dieser glamourösen Weltstadt tiefe Abgründe auftun ... 'Packend erzählt.' Süddeutsche Zeitung 'Oliver Pötzsch ist ein begnadeter Geschichtenerzähler' Krimi-Couch

Oliver Pötzsch, Jahrgang 1970, arbeitete nach dem Studium zunächst als Journalist und Filmautor beim Bayerischen Rundfunk. Heute lebt er als Autor mit seiner Familie in München. Seine historischen Romane haben ihn weit über die Grenzen Deutschlands bekannt gemacht: Die Bände der Henkerstochter-Serie sind internationale Bestseller und wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt.

Oliver Pötzsch, Jahrgang 1970, arbeitete nach dem Studium zunächst als Journalist und Filmautor beim Bayerischen Rundfunk. Heute lebt er als Autor mit seiner Familie in München. Seine historischen Romane haben ihn weit über die Grenzen Deutschlands bekannt gemacht: Die Bände der "Henkerstochter"-Serie sind internationale Bestseller und wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt.

Kapitel 1


Wien, nachts auf dem Prater, Oktober 1893

Der Lichtstrahl der Petroleum-Starklichtlampe tastete wie ein dünner, langer Finger durch die Nacht. Er huschte hierhin und dorthin, wanderte über Büsche und Bäume, streifte ein paar weiter entfernte Würstelbuden und Ringelspiele, die Rückwand eines bunten Kasperltheaters und die hohe Kuppel der Rotunde und verharrte schließlich auf dem Fiaker mit schwarzem Verschlag, der sich vom Prater her mit hoher Geschwindigkeit näherte. Der Kutscher zügelte die Pferde, und das zweispännige Gefährt blieb mit quietschenden Rädern auf der vom Regen aufgeweichten Prater-Hauptallee stehen. Grinsend sah der Kutscher durch die Luke nach hinten und zwinkerte seinem Fahrgast zu.

»So schnell wia a englische Dampflok. Beim Praterderby kannt i mi anmelden. Gnädigster Diener, der Herr …« Erwartungsvoll streckte er die Hand aus, und Leopold gab ihm wie vereinbart den doppelten Lohn und sogar noch ein paar Münzen obendrauf.

»Herzlichen Dank«, sagte Leopold und richtete sich leise stöhnend im lederbespannten Sitz auf. Von dem Höllenritt taten ihm sämtliche Knochen weh. »Das war wirklich verdammt schnell. Sie können froh sein, dass uns kein Polizist angehalten hat.«

»Na, wenn die Polizei selbst im Fiaker sitzt, wird uns scho ka Kieberer anhalten«, gab der Kutscher zurück. Er öffnete den Verschlag, und die kühle, nach Gras, Pferdedung und Moder riechende Feuchte eines Wiener Herbstgewitters empfing Leo. Ein Geruch, der ihn an ein großes, verwesendes Untier denken ließ.

Es regnete seit Stunden, wenn auch nicht mehr so stark wie zu Beginn, ein satter Oktoberregen, der auf das Dach der Kutsche prasselte und von den umstehenden Kastanienbäumen tropfte wie Harz. Leo klappte seine silberne Savonette-Taschenuhr auf, es war exakt acht Minuten nach Mitternacht. Von der Polizeidirektion am Schottenring hierher hatten sie nur zwölf Minuten gebraucht, unter Missachtung sämtlicher Verkehrsregeln. Sie konnten von Glück reden, dass ihnen keine Pferdetramway entgegengekommen war oder, noch schlimmer, eines dieser neuen Automobile, von denen Leo schon mal eines auf den Straßen Wiens gesehen hatte, am Steuer irgendein besoffener reicher Spinner mit seinem Flittchen.

Kurz schaute Leo über die Schulter zurück zu der Allee, die den großen Park wie ein schwarzes Band mittendurch schnitt. Der Prater war ein weitläufiges Erholungsgebiet, geprägt von den Auenlandschaften der Donau, von kleinen Waldgruppen und Büschen, bis hinunter zum Lusthaus und der Galopprennbahn Freudenau, wo sich Adel und Bourgeoisie amüsierten. Gleich hinter den Bäumen, wo der sogenannte Wurstelprater endete, schien die Stadt zu glühen. Die zahlreichen Gaslaternen hüllten die Varieté-Theater, Kaffeehäuser, Spiegelkabinette und Wurfbuden in ein warmes gelbliches Licht. Hier im nordwestlichen Teil des Parks amüsierte sich das einfache Volk auf die immer gleiche Weise. Von den Wirtshäusern ertönten selbst um diese späte Stunde noch Gelächter, Schreie und Schrammelmusik. Eine verstimmte Gitarre leierte zusammen mit einer steirischen Knopfharmonika einen kitschigen Gassenhauer.

Mein Bluat ist so lüftig und leicht wia der Wind, i bin halt an echt’s Weanerkind …

Unwillkürlich summte Leo die Melodie mit. Er hängte sich die abgegriffene Kameratasche samt dem Zusatzbehälter für die Trockenplatten um, nahm den unförmigen ledernen Kastenkoffer in die Hand und stieg aus. Der Kutscher wendete mit einem letzten Peitschenknall und fuhr dorthin zurück, wo die Musik, das Licht und der Lärm herkamen, dorthin, wo das Leben war.

Hier im Wald wartete der Tod.

»Heda, Bubi, hier ist nichts mit Spazierengehen!«, erklang eine Stimme aus der Dunkelheit. Ein kleiner Hügel zeichnete sich grau vor dem pechschwarzen Horizont ab. »Schleich di, hab ich gesagt, des ist a Befehl! Polizeiliche Anordnung!«

Im Regendunst sah Leo einen dicklichen, älteren Wachmann, der in durchnässter Uniform schnaufend auf ihn zukam. Er trug eine flackernde Laterne mit Glühstrumpf, eines der neuen sogenannten Auerlichter, dessen Strahl zuvor auch den Fiaker gestreift hatte. Das rechte Bein zog der Mann leicht nach, er hatte sichtlich Mühe, sich durch das Dickicht abseits des Weges zu kämpfen. »Ist alles abgesperrt hier!«, schimpfte er. »Hast verstanden, Strizzi? Wannst deine Miezn suchst, die san ausgeflogen. Also, kehrt marsch, retour!«

»Ich habe sehr wohl verstanden, bin ja nicht taub«, sagte Leopold. Er klappte das Revers seines Chesterfieldmantels um, wo die allbekannte Marke prangte, eine grauschwarze Stoffkokarde mit dem Habsburger Doppeladler in der Mitte. »Wir beide tun hier nur unsere Pflicht, Herr Wachtmeister.«

»Oh, Verzeihung, Herr Inspektor, ich … ich wusste nicht …« Der Wachmann nahm sofort Haltung an. »Bitte vielmals um Vergebung, Herr Inspektor, aber die Herren Kollegen vom Wiener Sicherheitsbüro sind schon da.«

»Auch das ist mir geläufig«, erwiderte Leopold. »Das dort vorne wird ja kaum ein Lagerfeuer sein.« Er deutete auf den flackernden Schein, der aus dem Waldstück jenseits des Hügels zu ihnen herüberleuchtete. »Sind die Spuren bereits gesichert?«

»Spuren … gesichert …?« Der Wachmann sah ihn verständnislos an. Leopold wies auf die vor Dreck starrenden Schuhe des Beamten.

»Nun, ich sehe, Sie laufen hier mit Ihren Kommissstiefeln durch den Matsch. Selbst im schwachen Licht Ihrer Laterne kann ich Spuren auf dem Erdboden erkennen. Der Tiefe nach könnten sie zu einem, nun ja, stämmigen Mann passen, jemandem wie Sie. Sie hinken leicht, auch das zeigen die Spuren. Das lang gezogene Schleifen ist deutlich zu erkennen, sehen Sie? Ich frage also, ob mögliche andere Spuren bereits gesichert wurden oder ob Sie hier einfach durchtrampeln wie ein Wildschwein durch den Kartoffelacker?«

»Bitte … bitte … vielmals um Vergebung, Herr Inspektor«, stotterte der Dicke.

»Das sagten Sie bereits. Also wohl keine Spurensicherung. Kriegsverletzung?« Leo deutete auf das steife rechte Bein des Mannes.

»Krieg …? Äh, ja, aber woher …«

»Ihre Ausdrucksweise. Erinnert an Militär, vermutlich die Schlacht bei Königgrätz, wenn ich Ihr Alter richtig schätze. Und, ach ja, schicken Sie ein paar Männer zur Zeugenbefragung hinüber zum Wurstelprater, falls das noch nicht geschehen ist. Wenn ich die Zusammenrottung vorhin am Calafati richtig deute, hat sich unser Fall bereits herumgesprochen.«

Ohne ein weiteres Wort schritt Leo an dem verdutzten Wachmann vorbei und näherte sich dem Hügel. Daneben lag ein kleiner See, dessen Oberfläche im Licht weiterer Auerlampen ölig schwarz leuchtete. Einige Uniformierte mit den typischen Blechhelmen und den dunkelgrünen Waffenröcken standen am Ufer, außerdem drei Männer in Zivil. Zwei von ihnen trugen Mantel und Bowler, von deren Krempe der Regen tropfte, der dritte, ein jüngerer Mann, war barhäuptig. Er stützte sich etwas abseits an einer Weide ab, hielt den Kopf gesenkt und gab würgende Geräusche von sich. Der ganze Boden im Umkreis war durchweicht und aufgewühlt.

So viel zu weiteren Spuren, dachte Leo. Ein Wildschwein hätte weniger Schaden angerichtet.

Er atmete noch einmal tief durch. Dann ging er mit zügigen Schritten, den Koffer und die zwei Ledertaschen in den Händen, auf die beiden Männer in Zivil zu. Mit den Wachleuten umstanden sie einen leblosen Körper am Ufer. Als Leo in den Lichtkegel trat, sahen die Männer überrascht auf.

»Verflucht, was machen Sie denn hier?«, knurrte der eine von ihnen, ein stämmiger Kerl mit Glatze und zugeknöpftem Ledermantel, den er fast zu sprengen schien. Trotz des Regens kaute er auf einer erkalteten Zigarre. »Na los, verschwinden Sie! Das ist hier nicht der Nordbahnhof, wenn Sie den suchen.«

»Suche ich nicht, und ich bin auch kein verirrter Reisender. Guten Abend, die Herren!« Leo lüftete seinen eleganten grauen Homburg, dann zeigte er erneut seine Marke. »War der Untersuchungsrichter vom Landesgericht schon da?«

Der Glatzkopf kniff die Augen zusammen, kaute weiter an der Zigarre und musterte einen Moment lang die Marke. »Wer zum Teufel sind Sie? Hab Sie noch nie in der Direktion gesehen.«

»Herzfeldt«, sagte Leo und verbeugte sich leicht. »Leopold von Herzfeldt. Ihr neuer Kollege.«

»Herzfeldt … Klingt ziemlich jüdisch. Sind Sie Jude?«

Leo schwieg. Der zweite Mann mit Bowler trat nun hinzu. Im Gegensatz zu seinem stämmigen Kollegen war er hager, mit Walrossschnauzer und dünnem Haar, das ihm in die Stirn hing wie nasser Tang. Der schwere, mit Wasser vollgesogene Filzmantel zog an seinen Schultern, im Dunkeln sah er aus wie eine zerfledderte Vogelscheuche nach einem Gewitter.

»Ich glaub, ich weiß, wer das ist, Paul«, sagte er. »Polizeikommissär Stukart hat kürzlich auf der Morgensitzung von ihm erzählt, erst vor ein paar Tagen, erinnerst du dich? Dieser junge Kerl aus Graz …«

»Wenn du mich fragst, klingt der da eher wie ein jüdischer Piefke. So spricht doch kein Steirer.«

Die beiden...

Erscheint lt. Verlag 31.5.2021
Reihe/Serie Die Totengräber-Serie
Die Totengräber-Serie
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Historische Kriminalromane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bestsellerautor • Dandy • David • Dekadenz • Fin de siècle • Forensik • Forensiker • Henkerstochter • historisch • historischer Krimi • Hofburg • Hunter • Krimi • k.u.k. • Monarchie • Pathologe • Schloss • Schönbrunn • Totengräber • Walzer • Wien • Zentralfriedhof
ISBN-10 3-8437-2479-2 / 3843724792
ISBN-13 978-3-8437-2479-1 / 9783843724791
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