Piz Palü (eBook)
256 Seiten
Eisele eBooks (Verlag)
978-3-96161-112-6 (ISBN)
MARIE BRUNNTALER wurde im Südschwarzwald geboren, studierte Biologie und arbeitete als Landschaftsplanerin in Heidelberg und Bonn, bevor sie ihrem Mann in die Schweiz folgte. Marie Brunntaler arbeitet als Landschaftstopografin im Berner Oberland. Eine Liebe von Bern ist ihr vierter Roman.
MARIE BRUNNTALER wurde im Südschwarzwald geboren, studierte Biologie und arbeitete als Sachbearbeiterin für Landschaftsplanung in Heidelberg und Bonn, bevor sie einige Jahre am Bundesamt für Landestopografie in Wabern bei Bern tätig war. Heute lebt sie in der Nähe der Schweizer Grenze. Nach Das einfache Leben und Wolf ist Piz Palü ihr dritter Roman.
1
Der Wagen des Grand Hotels wartete an der Station Bernina Diavolezza, wo der Zug aus St. Moritz geringfügig verspätet eintraf. Frau von Hoppe reiste in Begleitung. Bartolo seufzte über die insgesamt sechs Koffer. Zwei davon würde er auf dem Dach festschnallen müssen.
»Hilf mir damit«, sagte er zur Begleiterin Frau von Hoppes. Der Kleidung nach war sie ihre Zofe, vielleicht die Gesellschaftsdame, siebzehn, höchstens achtzehn Jahre alt. Bartolo öffnete den Wagenschlag.
»Das ist meine Nichte.« Frau von Hoppe nahm Platz.
Für einen Moment sprachlos, verharrte Bartolo in der Verbeugung. »Verzeihung, gnädiges Fräulein.«
»Trotzdem kann ich ihm helfen.« Sie nahm den schwersten Koffer und wuchtete ihn in den Fond.
Man hatte Bartolo schon mehrfach mit Kündigung gedroht, sollte er sich weiterhin Gästen gegenüber respektlos benehmen. Seine Entschuldigung lautete meistens, Direktheit sei die Natur der Rätoromanen. Im Übrigen war gutes Personal auf zweitausend Metern Höhe schwer zu finden, Bartolo hielt die Kündigung also für eine leere Drohung.
Frau von Hoppe verkroch sich tief in ihren Pelzkragen. »Hauptsache, wir fahren bald los. Ich friere mich hier zu Tode.«
Bartolo wollte den nächsten Koffer nehmen.
»Zu zweit?«, bot ihm das Fräulein an.
Während sie das Gepäckstück gemeinsam auf das Wagendach hievten, bemerkte er, dass sie hinkte.
»Komm endlich herein und mach die Tür zu«, rief Frau von Hoppe.
»Wenn es dir recht ist, sitze ich vorn.«
»Du und deine Extratouren.« Die gnädige Frau sank in den Sitz.
Beim Einsteigen streifte Bartolos Blick die Beine der Kleinen. »Hinten ist es aber wärmer.«
»Mir gefällt es hier besser.«
Ihr Mund war etwas zu breit, ihr Kinn ein wenig zu kurz. Ob ihre Augen grün oder grau waren, konnte Bartolo in der Kürze nicht feststellen. Er startete, der Alvis TC108 setzte sich in Bewegung. Bis zum Grand Hotel war es eine Fahrt von zwanzig Minuten.
»So einen habe ich noch nie gesehen«, sagte sie.
»Unser Alvis? Das einzige Auto der Welt, das in der Schweiz gebaut wird.«
»Ist das so etwas Besonderes?«
»Sie waren noch nicht oft in der Schweiz, Fräulein von Hoppe?«
»Ich bin hier geboren.« Sie zog den Mantel vor der Brust zu. »Ist das bei euch immer so kalt?«
»Warten Sie, bis wir oben sind. Hier unten ist es noch warm.« Sportlich nahm er die ersten Serpentinen.
Sie schaute hinaus, wo sich die Berge mit jedem gewonnenen Höhenmeter deutlicher abzeichneten. Als ob sie aus dem Himmel herausgemeißelt wären. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich irgendwann wieder hierherkomme.«
»Die meisten halten die Einsamkeit nicht lange aus.« Er schaltete einen Gang zurück. »Die, die bleiben, lernen, dass in der Höhe seltsame Dinge passieren. Vorzeichen und Omen, rastlose Geister.«
Sie musterte ihn von der Seite. »Nicht nur Hotelchauffeur, auch noch Alpenpoet?«
»Im Grand Hotel bin ich alles.«
»Alles?«
»Sie werden schon sehen.«
Sie zeigte auf die schneebedeckten Hänge. »Ich verstehe das nicht. August, und so viel Schnee?«
»Auf der Diavolezza vergessen Sie am besten alles, was Sie über das Wetter wissen.«
Sie passierten den Wegweiser zum Grand Hotel.
»Diavolezza – die Teufelin, ist das rätoromanisch?«, erkundigte sie sich.
»Kennen Sie die Sage nicht?«
»Früher kannte ich sie vielleicht.«
»Unweit von hier, auf dem Munt Pers, hauste vor Jahrhunderten eine Bergfee. In Walpurgisnächten nahm sie im Lago Bianco ein Bad und wurde manchmal von Jägern erblickt. Aratsch, ein junger Jäger, war unvorsichtig und näherte sich ihr. Man hat ihn nie wiedergesehen. Alle nahmen an, er wäre in eine Gletscherspalte gefallen. Aber manchmal, wenn der Wind richtig steht, hört man in Sommernächten die Stimme der Diavolezza: Mort ais Aratsch, ruft sie. Aratsch ist tot.«
Hinter der nächsten Kurve stoppte Bartolo so hart, dass Frau von Hoppe im Fond nach vorn geworfen wurde.
»Was um Himmels willen …« Sie stützte sich auf die Vorderlehne. »Haben Sie den Verstand verloren?«
»Tschuf Schimgia!«, stieß Bartolo hervor.
Vor ihnen stand ein Benz 300SL auf der Straße quer. Zwei Männer drehten sich um. Sie waren ausgestiegen und schienen den Ausblick zu genießen. Beide liefen zum Fahrzeug zurück.
»Ich hab’s dir gesagt«, rief der Jüngere.
Der Ältere zog den Hut. »Tausend Pardons. Haben Sie sich etwas getan?«
Da Frau von Hoppe nicht antwortete, öffnete das Fräulein die Beifahrertür. »Uns geht es gut, vielen Dank.«
Der jüngere Mann spähte in den Alvis. »Verzeihung, ist das Frau von Hoppe?«
Ihr erstaunter Blick hinter Glas, in dem sich die Alpensilhouette spiegelte.
»Ich bin’s, der Otto«, gab er sich zu erkennen. »Otto Fischer. Sie haben mir in Berlin die Ehre gegeben. Nach der Bambiverleihung.«
»Ich erinnere mich«, kam es mit distanzierter Stimme aus dem Fond.
»Darf ich Ihnen einen lieben Kollegen vorstellen?« Fischer zeigte auf den Älteren, der mit dem Hut in der Hand dastand. »Leo Kriegler. Er schreibt meinen nächsten Film.«
Der andere verbeugte sich.
»Fahren wir vielleicht in dieselbe Richtung?«, rief Fischer.
»Es lässt sich wohl kaum vermeiden.« Sie ließ das Fenster um eine Winzigkeit herunter.
»Dann sollten wir besser die Straße freimachen.« Fischer lachte, und das war ein Ereignis, als ob im Lichtspieltheater der Vorhang aufging. Er hatte das beliebteste und am höchsten dotierte Lachen Deutschlands. Für Frau von Hoppe präsentierte er es umsonst.
Sein Begleiter stieg in den Benz. Der Motor knurrte. Beim Zurücksetzen wirbelte das Auto Staub und Kies auf.
»Hoffe bald auf Ihre geschätzte Gesellschaft!« Fischer schwang sich ebenfalls in den Wagen.
»War das wirklich O. W. Fischer?« Auch das Fräulein stieg wieder ein.
Bartolo löste die Handbremse. »Er kommt jeden Sommer zu uns. Um ungestört zu sein, wie er sagt. Aber natürlich wird er sofort erkannt.«
»Können wir endlich weiterfahren, bevor ich erfriere?«, rief Frau von Hoppe.
Der Alvis glitt in die nächste Höhenkurve. Nicht eine Wolke stand am Himmel.
* * *
Patters empfing die Gäste mit aufgespanntem Sonnenschirm. Bei Damen mit zarter Haut konnte die Augustsonne bereits nach Sekunden schädlich sein. Walti Patters, aus dem Wallis gebürtig, war daran gewöhnt, dass sein Name englisch ausgesprochen wurde. Die Gäste assoziierten mit dem Chefbutler gewohnheitsmäßig einen Briten. Einige hatten sogar das schweizerische Wallis mit dem britischen Wales verwechselt. Patters begleitete Frau von Hoppe unter das schützende Vordach und teilte Bartolo mit, er müsse später eine Lieferung aus Pontresina abholen. Fragend blieb Patters vor dem Fräulein stehen, das sich Frau von Hoppe nicht anschloss.
»Kann ich etwas für Sie tun?«
»Ich wollte mich beim Chauffeur nach etwas erkundigen.«
»Vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein, gnädiges Fräulein«, erwiderte Patters freundlich. »Bartolo hat viel zu tun.«
»Ich soll eine Bluse für Frau von Hoppe bügeln. Wo ist das möglich?«
»Ich schicke Ihnen ein Mädchen aufs Zimmer. Sie wird sich darum kümmern.«
»Frau von Hoppe hat sehr präzise Vorstellungen, wie eine Bluse gebügelt werden muss. In diesem Punkt verlässt sie sich lieber auf mich.«
»Sie bügeln selbst für Ihre Tante?«, staunte Bartolo.
»Habe ich Ihnen nicht einen Auftrag erteilt?«, ging Patters scharf dazwischen. »In dem Fall werde ich Ihnen natürlich unser Bügelzimmer zeigen, Fräulein …«
Sie nahm ihre Reisetasche aus dem Fond. »Förster.«
»Hier entlang, Fräulein Förster.« Patters winkte einem Diener, der ihr die Tasche abnahm.
Bartolo stellte das restliche Gepäck hinter den Wagen. »Aber wenn Sie Frau von Hoppes Nichte sind, wieso heißen Sie dann Förster?«, rief er ihr nach.
»Bartolo, Sie melden sich nachher bei mir!« Die Strenge in Patters’ Stimme hatte den Klang von Metall.
Frau von Hoppe betrat das Grand Arnold. Roter Marmor, weißer Marmor, in endlosen Rauten bis zur Mitteltreppe. Die Drehtüren aus poliertem Messing, das Glas mit geätzten Motiven aus der Vogelwelt. Alpenblumen in Bodenvasen. Die Decke in Kassetten gegliedert, byzanthinisch vermutete man, in Wirklichkeit war es die Liebe des Gründungsvaters zum Ornament.
Das Grand Arnold existierte seit 1866 und war damit im selben Jahr eröffnet worden, als dem Engländer Kenelm Edward Digby die Erstbesteigung des Hauptgipfels des Piz Palü gelang. Dadurch hatte die Hoteleröffnung den Charakter einer Gipfelfeier. Dem Gründer, Simon Arnold, kam der Anlass gelegen, da er das Gros seiner Gäste unter den Hochalpinisten zu finden hoffte. Das Hotel lag auf 1834 Metern Seehöhe und bot beste Einstiegsmöglichkeiten für Touren zu den Gipfeln des Piz Bernina und Piz Palü.
Simon Arnold erlebte den Boom, den sein Haus in den achtzehnhundertachtziger Jahren erfuhr, nicht mehr. Nachdem ein Wiener Gesellschaftsblatt einen Artikel über die verjüngende Eigenschaft der Höhenluft im Engadin veröffentlicht hatte, strömte die mondäne Welt aus Deutschland, Italien und der Donaumonarchie in das Hotel. Gegen Ende des Jahrhunderts rückte der Hochalpinismus in den Hintergrund, man kam ins Grand...
Erscheint lt. Verlag | 3.5.2021 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Historische Kriminalromane | |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Bergkrimi • Eifersucht • Familiengeheimnis • Fünfzigerjahre • Grand Hotel • Heimatroman • Hotelkrimi • Hotelroman • Krimi • O.W. Fischer • Piz Palü • Schweiz • Schweizer Alpen • Schweiz-Krimi • Sommer • Sommerfrische • Urlaub • Urlaubskrimi |
ISBN-10 | 3-96161-112-2 / 3961611122 |
ISBN-13 | 978-3-96161-112-6 / 9783961611126 |
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