Der dunkle Kristall - Nacht der Gezeiten (eBook)
352 Seiten
Blanvalet Taschenbuch Verlag
978-3-641-27270-8 (ISBN)
Die Verschwörung der finsteren Skekse hat den dunklen Kristall schwer beschädigt. Die Gelflinge Naia und Kylan wollen ihr Volk warnen, doch die gefährliche Fahrt über das Silbermeer steht ihnen bevor. Zu ihrem Glück fanden sie in den dunklen Höhlen von Grot nicht nur Schrecken, sondern auch neue Freunde: Der lichtscheue Amri schließt sich ihrer Rebellion an. Während ihrer Reise finden die Gefährten heraus, dass die Zerstörung ihrer Welt schon viel weiter fortgeschritten ist, als sie dachten. Nun müssen sie alles in ihrer Macht stehende tun, um die Gelfling-Clans so schnell es geht zu vereinen. Aber der Widerstand ist groß ...
Alle Bände der »The Dark Crystal«-Saga:
Der dunkle Kristall 1. Ära der Schatten
Der dunkle Kristall 2. Zeit der Lieder
Der dunkle Kristall 3. Nacht der Gezeiten
Der dunkle Kristall 4. Stunde der Flammen
J.M. Lee verbrachte seine Jugend in Minnesota, wo er in dem Glauben aufwuchs, mit Tieren sprechen und das Wetter beherrschen zu können. Am College interessierte er sich für vergleichende Filmwissenschaft, Drehbuchschreiben sowie Shakespeare und schloss sein Studium an der University of Minnesota im Fach Linguistik mit Schwerpunkt japanischer Phonetik ab. Er lebt in Minneapolis. Für die Netflix-Serie »Der dunkle Kristall. Ära des Widerstands« lieferte Lee mit seinen Romanen die Vorlage und fungierte als Berater und Drehbuchautor.
Kapitel 1
Die Welt der Taglichtler war unerträglich hell.
Sogar nachts wirkte das Lächeln der Schwestern übertrieben, besonders wenn die Sterne sie umgaben. Und während des Tages überfluteten dann die Drei Brüder den Himmel mit Licht. Amri konnte nur hoffen, dass seine Augen sich mit der Zeit daran gewöhnen würden.
Bis es so weit war, trug der Grottan-Gelfling seine Kapuze und versuchte, sein Gesicht im Schatten zu halten, während er seinen Begleitern durch den sonnengetüpfelten Bergwald folgte. Sein Blick wanderte über die von Moos und Gras bedeckte Erde, die das steinerne Skelett der Berge wie ein Fell überzog und deren Feuchtigkeit in seine Sandalen sickerte.
Inmitten all der Helligkeit sah Amri eine Bewegung im Wald. Was auch immer vor ihnen lauerte, war so weit entfernt, dass sie es zwar sehen, aber nicht hören konnten. Wurden sie beobachtet?
Er streckte die Hand aus und zupfte Kylan am Ärmel. Der Spriton-Junge ging direkt vor ihm und schlug mit einem Stock das Gestrüpp auf ihrem Pfad beiseite. Er hatte sich eine Rolle mit einer selbst gezeichneten Karte unter den freien Arm geklemmt. Um seinen Hals hing seine Firca, eine y-förmige Knochenflöte.
»Kylan«, flüsterte Amri. Vielleicht war sein Freund in der Lage, mit seinen grünen Taglichtler-Augen mehr zu erkennen. »Siehst du etwas? Da, rechts von uns. Unter den Bäumen!«
»Wo?« Kylan senkte instinktiv die Stimme und richtete seine Ohren nach vorn und hinten, angestrengt auf der Suche nach irgendwelchen Anzeichen von Gefahr.
»Was flüstert ihr beiden da?«
Naia tauchte bei ihnen auf. Sie war schon weiter oben auf dem Hügel gewesen, hatte dann aber kehrtgemacht, als sie bemerkt hatte, dass die anderen beiden stehen geblieben waren. Es überraschte Amri nicht, dass sie so geräuschlos zurückgekehrt war. Mit dem Dolch in der Hand, in tarnfarbenbraunes Leder gekleidet und die Dreadlocks zu einem lockeren Knoten zurückgebunden, wirkte sie durch und durch wie eine Drenchen-Kriegerin.
Irgendwo in der Nähe knackte ein Zweig. Amri zog das Schwert, das an seiner Hüfte hing, obwohl er keine Ahnung hatte, wie er es benutzen sollte. Naia ging in die Hocke, gerade als sechs große weiß-graue Tiere nur einen Steinwurf von ihnen entfernt zwischen den Bäumen auftauchten. Die Beine waren lang und schlank, sodass die pelzigen Körper der großohrigen Kreaturen weit oben zwischen den Zweigen zu sehen waren. Die Tiere murmelten leise miteinander und ließen ihre Rüssel vorschnellen, um den süßen Saft zu kosten, der von den winterlichen Bäumen tropfte.
Kylan entspannte sich und wischte sich über die Stirn. »Wilde Landschreiter. Und ich hatte schon befürchtet, die Skekse hätten uns gefunden.«
Amri starrte die an ihnen vorbeiziehenden Landschreiter an und versuchte, jede Einzelheit der wundersamen Kreaturen in sich aufzunehmen. Naia betrachtete ihn mit einem amüsierten Lächeln.
»Also, so interessant kann das Hinterteil von Landschreitern doch gar nicht sein«, neckte sie ihn.
»Für dich vielleicht nicht. Ich dagegen habe noch nicht einmal das Vorderteil eines Landschreiters gesehen …«
»Da ist was dran.« Sie kicherte leise. »Na gut, kommt jetzt. Wir müssen weiter.«
Naia und Kylan schritten voran und mühten sich durch das Dickicht, ohne einen zweiten Blick auf die Landschreiter zu werfen, die im Wald verschwanden. Amri überraschte das nicht. Schließlich war dies ihre Welt. Die Spriton, Kylans Clan, hatten die Landschreiter sogar zu ihrem Totemtier gemacht. Selbst Naias Clan, die Drenchen von Sogg, lebten unter freiem Himmel und hatten Kontakt mit der Welt draußen – wenn sie es wollten. Amri hingegen war in einer Höhle tief in den Grottan-Bergen geboren worden und hatte die Welt der Taglichtler lediglich auf kurzen, verbotenen Streifzügen erforscht, die er nur nachts hatte unternehmen können.
Naia marschierte mit unverwüstlichem Elan voran, den Blick stets konzentriert und entschlossen nach vorn gerichtet. Als sie die Kuppe eines kleinen bewaldeten Hügels erreichten, wich das Grün strahlendem Weiß. Ein kalter Wind wehte herab, der nach Salz und Kristallen roch; Schnee und Frost überzogen die Rinde der Bäume und sämtliche Blätter. Das kalte weiße Zeug verstärkte die strahlende Helligkeit des Tages, aber Amri musste zugeben, dass es wunderschön war. Er bückte sich, um die nassen Kristalle zu berühren, und drückte den Schnee in seiner Hand zu einem schmelzenden Klumpen zusammen.
Auf Kylans Schulter ertönte eine dünne Stimme, die nach Glöckchen und Flüstern klang. »Die Frostgrenze bedeutet, dass wir fast da sind.«
In den Falten von Kylans Kragen kauerte eine blau schimmernde Kreatur mit acht nadeldünnen Beinen. Tavra hatte ihren Gelfling-Körper verloren – den Körper einer Vapra-Soldatin mit durchscheinenden Flügeln und geübten Händen, die das Schwert geschwungen hatten, das nun in Amris tollpatschigem Griff nutzlos hin und her schwankte. Sie lebte jetzt im Körper einer Kristallspinne.
Amri schob das Schwert zurück in die Scheide, um nicht versehentlich jemanden damit zu verletzen.
»In Ha’rar?«, fragte er. Er war neugierig darauf, die Hauptstadt der Gelflinge und ihre legendäre Zitadelle zu sehen.
»An unserem Ziel«, erwiderte Tavra.
»Ich dachte, Ha’rar ist unser Ziel«, sagte Kylan und hob eine Augenbraue.
Amri konnte Tavras kleines Spinnengesicht nicht erkennen, aber die Ungeduld in ihrer Stimme war nicht zu überhören: »Letzten Endes, ja. Aber wir können nicht einfach in die Zitadelle stürmen.«
»Warum nicht?«, fragte Amri. »Müssen wir uns erst anmelden oder so was?«
Naia warf einen Blick zurück über die Schulter und nickte zustimmend, während sie weiter den Berghang hinaufstapfte. »Wenn es sein muss, werde ich uneingeladen in die persönlichen Gemächer von All-Maudra Mayrin stürmen«, sagte sie. »Sie muss erfahren, was mit den Skeksen los ist, und zwar schnell. Rian müsste auch dort sein. Wenn wir ihn finden und der All-Maudra das Glasfläschchen mit der Essenz zeigen können, wird sie die Wahrheit nicht abstreiten können.«
»Es geht nicht darum, dass wir eine Einladung brauchen, Naia«, sagte Tavra. »Seit Kylan unsere Botschaft vom Geheiligten Baum der Grottan losgeschickt hat, waren wir allein in der Wildnis. Wir haben keine Ahnung, ob irgendjemand die Botschaft bekommen hat, und noch viel weniger wissen wir, ob man sie glaubt.«
Amri erschauerte. Was sie getan hatten, war gewaltig gewesen, erst recht, wenn die pinkfarbenen Blüten mit der bildergenähten Botschaft tatsächlich sämtliche sieben Gelfling-Clans erreicht hatten. Und genau darum war es schließlich gegangen – so schnell wie möglich an so viele wie möglich eine Warnung zu senden, damit nie wieder so etwas geschehen würde wie das, was in den Grottan-Höhlen passiert war.
Naia wurde langsamer und blieb schließlich stehen; sie seufzte und stemmte die Hände in die Hüften. Alle drei Gelflinge verhielten sich still, sodass sie Tavras Stimme hören konnten, obwohl der Wind durch die verschneiten Kiefern pfiff.
»Naia, Kylan, Amri. Ich weiß, dass ihr nach Ha’rar wollt. Was die Skekse getan haben und noch immer tun, ist ein entsetzliches Verbrechen und muss aufhören. Aber die Gelflinge haben seit Generationen unter der Herrschaft der Skekse gelebt. Es ist nicht leicht, die Dinge zu ändern. Die Leute werden unsere Namen und Gesichter kennenlernen. Aber wir werden genauso wie Rian als Verräter gelten. Nicht als Helden. Deshalb müssen wir vorsichtig sein, sogar bei meiner Mutter. Man muss das Wetter verstehen, damit man nicht unbeabsichtigt in einen Schneesturm marschiert.«
»Du glaubst, deine Mutter könnte sich auch dann noch auf die Seite der Skekse stellen, wenn sie das Glasfläschchen mit der Essenz sieht?«, fragte Amri. Die Vorstellung war entmutigend. »Selbst wenn sie sieht, was in Domrak geschehen ist – was mit dir geschehen ist?«
»Bei unserer bevorstehenden Aufgabe haben wir es nur zur Hälfte mit einer Glaubenssache zu tun«, erwiderte Tavra.
Naias Elan ließ sichtlich nach, und ihre grünen Ohren legten sich an.
»Na schön«, sagte sie. »Was sollen wir dann also tun?«
»Wir könnten uns als Podlinge verkleiden und in die Zitadelle schleichen«, schlug Amri vor, bemüht, die Stimmung zu heben. Es war anstrengend, immer so ernst zu sein. »Die All-Maudra von den Dachsparren aus ausspionieren. Oh, ich vermute, Podlinge wären keine besonders guten Kletterer.«
Naia lachte, und sogar Kylan konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Tavra hatte wie immer keinen Sinn für Humor, wenn es um diese Dinge ging.
»Folgt dem Geruch des Meeres«, sagte sie. »Wenn ihr die Laternen der Seefahrer seht, folgt ihnen die Klippe hinunter bis zum Ufer.«
Während sie die Richtung einschlugen, die Tavra ihnen gewiesen hatte, verlor sich der aus Erde bestehende Pfad in Felsgestein und wurde von weiterem Schnee überdeckt. Die Klippen und Berge schimmerten und glitzerten wie geglätteter Kristall, der das strahlende Blau des Himmels widerspiegelte. Amri hatte noch nie das Meer gerochen. Er wusste nicht, was ihn erwartete. Aber die Böe aus salzhaltiger Luft, die plötzlich über ihren Pfad wehte, war unverkennbar.
»Es riecht, als käme es von dem Berghang da drüben«, sagte er.
Naia nickte und ließ den Blick die Felswand hinauf- und hinunterwandern.
»Ziemlich steil«, stellte sie fest. Amri war anderer Ansicht, aber Felsen waren ja auch sein Spezialgebiet. Vielleicht sein einziges Spezialgebiet. Doch es spielte...
Erscheint lt. Verlag | 17.1.2022 |
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Reihe/Serie | The Dark Crystal | The Dark Crystal |
Illustrationen | Cory Godbey |
Übersetzer | Susanne Gerold |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Tides of the Dark Crystal (3) |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | 2022 • Age of Resistance • Ära des Widerstands • Buch zur Serie • Der dunkle Kristall • eBooks • Fantasy • Fantasy Abenteuer • Fantasy Bücher • Gelfling • High Fantasy • Jim Henson • Kultfilm • Muppets • Netflix • Neuerscheinung • Skeks • The Dark Crystal • TV-Serie |
ISBN-10 | 3-641-27270-X / 364127270X |
ISBN-13 | 978-3-641-27270-8 / 9783641272708 |
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