Keller
marix Verlag ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
978-3-7374-1161-5 (ISBN)
Christina Friedrich. Die Regisseurin, Produzentin und Schriftstellerin Christina Friedrich, geboren 1965 in Nordhausen, ist eine Chronistin gesellschaftlicher Bewusstseinsströmungen, die sie in vielgestaltige künstlerische Ausdrucksformen übersetzt. Nach einer Ausbildung zur Facharbeiterin für Hydrogeologie absolvierte sie ein Regiestudium an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«, Berlin, erhielt sogleich ein Engagement als Hausregisseurin an das Theater Bremen und arbeitete im Anschluss als freie Regisseurin u. a. am Deutschen Nationaltheater Weimar, am Schauspiel Hannover und am Schauspiel Bonn, am Deutschen Theater Göttingen, am Luzerner Theater, am Mozarteum Salzburg, an der Philharmonie Berlin und dem Maxim Gorki Theater Berlin. Christina Friedrich lehrte als Professorin für Regie und Schauspiel an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«, Berlin, als Dozentin für Regie und Schauspiel an internationalen Theaterakademien und Hochschulen u. a. in Aix-en-Provence, Warschau, Zürich, Tel Aviv und am Matsumoto Performing Arts Center, Japan. Ihr internationales Rechercheprojekt KEEP ME IN MIND führt sie nach Israel, Kanada, Litauen, Polen und Frankreich. Was ihre theatralen, filmischen und literarischen Arbeiten verbindet, ist eine archäologische Spurensuche nach den durch kulturelle, ideologische und soziale Erosionen verschütteten Wurzeln unseres Verständnisses von Menschsein und Gemeinschaft. Ihre Versuche, Momente des Schweigens, der Verdrängung und der Unsichtbarkeit zur Sprache zu bringen, ziehen sich als roter Faden durch ihr gesamtes künstlerisches Werk. Ihr Debütroman Morgen muss ich fort von hier erschien 2008im Verlag C. H. Beck. Mit KEEP ME IN MIND, 2019, produzierte sie mit MADONNENWERK ihren ersten Film. 2020 folgte der Spielfilm HURENSÖHNE – EIN REQUIEM. Christina Friedrich lebt in Berlin und in Limlingerode im Harz.
1. OSTERNACHT 2. IMKEREI 3. KARSTGEBIRGE 4. POLIKLINIK 5. TOTENBERG 6. HANOI 7. HARZRIGI 8. GOLGATHA 9. GRIMMEL 10. SANDKUHLE 11. VILLA ISERMANN 12. SCHWARZENBERG 13. AUGENLICHT 14. CONSTANTA 15. FISCHERSAND 16. GLORIOSA
Die Leidenschaftlichkeit, mit der Christina Friedrich einer brennenden Sehnsucht in unzumutbaren Bedingungen Stimme und Körper verleiht, ist unvergesslich. Wie eine Folie legt Keller behutsam das Leben eines 1945 bei einem Bombenangriff auf Nordhausen ums Leben gekommenen Mädchens über die Existenz der 1965 geborenen Protagonistin. Ekz Bibliotheksservice
Die Leidenschaftlichkeit, mit der
Christina Friedrich einer brennenden
Sehnsucht in unzumutbaren Bedingungen
Stimme und Körper verleiht, ist unvergesslich.
Wie eine Folie legt Keller behutsam das Leben eines 1945 bei einem Bombenangriff auf Nordhausen ums Leben gekommenen Mädchens über die
Existenz der 1965 geborenen Protagonistin.
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Der Keller des Hauses führt tief unter die Erde. Ein unterirdischer, kalter Fluss unterspült das Fundament. Man kann das Wasser riechen. Das Wasser, das von den Bergen herunter geflossen kommt, kriecht direkt in das bröckelnde Mauerwerk. Ratten und schwarze, glänzende Käfer fressen sich in die Fugen hinein. Nagen sich mit ihren Insektenzähnen in das Haus. Die Korridore im Keller sind aus Beton. In einem nicht einsehbaren Winkel ist eine schwarze Ecke. Ein Loch. Das führt in die Unterwelt. In das Jahr neunzehnhundertfünfundvierzig, in die Nacht zum ersten April. Als die Amerikaner ihre Bomben über der Stadt mit dem mittelalterlichen Stadtkern abwarfen. Ich sehe im Traum das Gesicht des Piloten hinter der gläsernen Kanzel. Er schreit: I'll kill you. Verfolgt mich durch das Altentor. Ich renne die Barfüßergasse entlang. Das amerikanische Flugzeug wirft Feuer auf mich. Die Stadt riecht verbrannt. Asche. Tote. Knochen. Brennende Steine. Schwere Bomber sind am Himmel. Ich schaue nach oben. Der Himmel ist schwarz. Die Luft dröhnt. Der Kirchturm vom Dom zum Heiligen Kreuz zittert, der Kirchturm von St. Blasii neigt sich bedrohlich. Gott kann ihn gerade noch mit einer Handbewegung auffangen. Das Tor zur Goldenen Aue, die Pforte zum Harz, brennt. Ich laufe in meinen brennenden Kleidern umher und suche meine Familie. Bald ist doch Ostern. Wer färbt jetzt mit mir Ostereier. Die Stadt fällt zusammen und verschwindet. Ich klettere über Schutt und Steinberge. Bis ich den Flieger wieder sehe. Er hat es auf mich abgesehen. Er will mich töten. Warum gerade mich. Ich winke ihm zu und zeige ihm meinen neuen Stoffhasen, mit dem ich Ostern feiern will. Der Bomberflieger zieht seine Maschine nach unten und steuert genau auf meine Stirn zu. Spinnt der. Hat der keine Familie in Michigan oder Ohio. Warum muss er mich hier töten. Ich verliere meine Sandalen, ich laufe barfuß weiter. Ich schlage Haken, ich versuche, ihn zu täuschen. Mich ganz klein zu machen. Ich löse meine Zöpfe, ich zeige ihm mein Muttermal. Ich will mit ihm eine menschliche Sprache sprechen, ich will mich mit ihm verständigen. Ich hatte noch kein Englisch in der Schule. Der Amerikaner setzt seine Sonnenbrille auf und fletscht die Zähne. Er meint es ernst. Ich verstecke mich im Hauseingang. Ich halte mich an der Türklinke fest und versuche, sie herunterzudrücken, um mich in den düsteren Hausflur zu retten. Es wird heiß. Warum ist es so heiß. Feuer auf meiner Hand. Die Haut meiner Hände klebt an der eisernen Türklinke fest. Ich sehe, wie die Farbe auf der Tür sich wellt. Bunte Farbe, traditionelle Haustürmalerei. Die Ornamente schlagen Bläschen und platzen ab. Meine Hände platzen auf. Brandblasen. Meine Haut platzt auf. Mama, gib mir Wasser. Es ist so heiß. Der Pilot lacht. Ich sehe ihn lachen, er hat sein Ziel getroffen. Um den Hals trägt er ein Kreuz. Auf dem steht: Gott schütze die Welt. Wasser. Löscht meine brennende Haut. Wo ist die Feuerwehr. Auch tot. Die unverbrannten Menschen schauen aus dem Haus. Sie halten sich die Hand vor den Mund. Es knistert auf meinem Kopf. Mein Haar brennt. Mein Hase brennt. Seine Augen aus Glas schauen mich aus einem verbrannten Knäuel Holzwolle an. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Ich schaue an mir herunter. Ich bin wohl nicht mehr zu retten. Ich verglühe. Ich steige schnell aus meinem Kopf aus, springe auf das Dach des Hauses und von dort aus auf den Rücken des Bombers. Ich lege meine Hände um die Kehle des Piloten und drücke zu. Seine Augen treten aus ihren Höhlen, er ruft nach Frau und Kindern in Michigan oder Ohio. Ich beiße ihm die Augen heraus. Dass er blind wird und kein Ziel mehr sehen kann. Ich reiße ihm das Kreuz vom Hals, auf dem steht: Gott schütze die Welt. Der Bomber stürzt auf mich. Auf mir liegt Metall. Später ein ganzes Haus. Das Kreuz ist verglüht. Über meiner Asche wächst schütteres Gras. Später Butterblumen. Diese kleinen Gelben, die so glänzen. Ich kann mir keinen Kranz mehr aus ihnen flechten. Meine Kinderknochen liegen unter d
Erscheinungsdatum | 09.03.2021 |
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Verlagsort | Wiesbaden |
Sprache | deutsch |
Maße | 125 x 200 mm |
Gewicht | 531 g |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Aufarbeitung • Christina Friedrich • DDR • Deutschland • Eskapismus • Familie • Fantasiereise • Fantastik • Generation • Generationenroman • Geschichte • Gesellschaft • Grenze • Harz • Hoffnung • Kalter Krieg • Kind • Kinderperspektive • kindlich • Krieg • Leben • Madonnenwerk • Mangel • Märchen • Mut • Naiv • Neuanfang • Nordhausen • Psychiatrie • Reise • Thüringen • Werte • Zerstörung • Zone • Zusammenhalt • Zweiter Weltkrieg |
ISBN-10 | 3-7374-1161-1 / 3737411611 |
ISBN-13 | 978-3-7374-1161-5 / 9783737411615 |
Zustand | Neuware |
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