Pariser Vermächtnis (eBook)
230 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-98768-4 (ISBN)
Lucas Gauthier - Jahrgang 1967 - ist ein in Belgien wohnender Schriftsteller, der unter seinem bürgerlichen Namen, Walter Strom, auch als Komponist, Texter und Produzent tätig ist. Privat zieht es ihn immer wieder nach Frankreich. Paris wurde dabei für ihn zur zweiten Heimat. Kein Zufall also, dass sein erster Roman, 'Wir sehen uns wieder am Ende der Seine', zum größten Teil in dieser Metropole spielt.
Lucas Gauthier – Jahrgang 1967 – ist ein in Belgien wohnender Schriftsteller, der unter seinem bürgerlichen Namen, Walter Strom, auch als Komponist, Texter und Produzent tätig ist. Privat zieht es ihn immer wieder nach Frankreich. Paris wurde dabei für ihn zur zweiten Heimat. Kein Zufall also, dass sein erster Roman, "Wir sehen uns wieder am Ende der Seine", zum größten Teil in dieser Metropole spielt.
1. Kapitel
London – David saß gerade im »Maggie Jones’s«, seinem Lieblingsrestaurant hier in Kensington, und hatte ein Steak and Kidney Pie bestellt, als er das Summen seines Handys bemerkte.
»Mist!«, dachte er. Nur zu gut wusste er, wer da wieder was von ihm wollte: Susan.
Sie hatte schon den ganzen Vormittag versucht ihn zu erreichen. Als das Summen endlich verstummte, schaltete er das Handy aus. Zugegeben, ihm war klar, dass er sich gerade ziemlich mies verhielt, und irgendwie tat Susan ihm auch leid, aber was hätte er ihr sagen sollen?
Sie war es gewesen, die damals im Verlag alle davon überzeugt hatte, seinen ersten Roman, »Die Nebel von Stirling Castle«, zu veröffentlichen. Ohne Susan würde er sich wohl heute noch mit irgendwelchen Aushilfsjobs über Wasser halten müssen. Ja, er hatte ihr viel zu verdanken.
Als Lektorin hatte sie ein Gespür dafür, was beim Leser ankam. Dass der Roman aber gleich ein Bestseller wurde, damit hatte auch sie nicht gerechnet. David sollte gleich zwei Folgeromane schreiben – was er auch tat. Die »Stirling-Castle-Trilogie« wurde schon nach kurzer Zeit ins Deutsche, Spanische und Französische übersetzt und hatte nicht nur ihn zu einem wohlhabenden Mann gemacht, sondern auch dem kleinen Verlag in der Bloomsbury Street einen mächtigen Aufschwung gegeben. Susan hatte mittlerweile, neben ihrer Arbeit als Lektorin, auch die als Davids Agentin übernommen, wofür er ihr zutiefst dankbar war. Nie hätte er gedacht, dass durch die Veröffentlichung seiner Romane nun auch seine Person so im Licht der Öffentlichkeit stehen würde. Pressetermine, Signierstunden, Lesungen, Talkshows und Einladungen zu irgendwelchen Literaturforen, die er im Übrigen besonders hasste: All dies organisierte Susan für ihn.
Dass sie ihn heute aber unbedingt sprechen wollte, hatte einen anderen Grund, das wusste er. In den letzten Monaten hatte es kein Treffen mit ihr gegeben, bei dem sie ihn nicht darauf angesprochen hatte: Der Verlag wollte von ihm unbedingt einen Roman, der an die Stirling-Trilogie anknüpfte. Mehrmals schon hatte er es seitdem bereut, seinen Romanhelden, Christopher Bury, nicht doch in Band drei sterben gelassen zu haben. Es wäre nun um einiges leichter gewesen, den Verlag davon zu überzeugen, es bei den bisher erschienenen drei Büchern zu belassen.
Hätte er einfach so drauflos schreiben dürfen – dessen war er sich sicher –, hätte er bestimmt schon längst sein Manuskript abgeliefert. Aber eine weitere Geschichte um Christopher Bury wollte ihm partout nicht einfallen – zumindest keine, die irgendwie einen Sinn gemacht hätte.
David saß da, wartete auf sein Essen, nahm hin und wieder einen Schluck aus seinem Glas und dachte daran, wie sehr sich sein Leben doch in den letzten drei Jahren verändert hatte. Wie schade, dass Mary dies alles nicht mehr miterlebt hat, ging es ihm durch den Sinn.
Ja, er dachte oft an Mary. Die fünf Jahre mit ihr waren mit Abstand die besten seines Lebens gewesen.
Sie hatten sich in O’Neills Pub in der Wardour Street, wo Mary damals arbeitete, kennengelernt. Für David war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. Mary hatte seine Schmeicheleien allerdings anfangs sehr professionell ignoriert, und es hatte David einige Pub-Besuche gekostet, bis sie endlich einwilligte, mit ihm nach Dienstschluss auszugehen.
Schnell waren sie dann aber zusammengezogen; es passte einfach. Und während der ersten viereinhalb Jahre schien es auch so, als hätte das Leben das Glück für sie alleine gepachtet. Sie hatten eine kleine Zweizimmerwohnung in der Rupert Street gemietet, Mary arbeitete weiterhin bei O’Neill und David schrieb, wenn er nicht gerade als Pizzabote oder freier Kulturredakteur für die Daily Mail unterwegs war, an seinem ersten Roman. Sicher, finanziell sah es nicht besonders rosig aus, damals, aber sie waren glücklich.
Zumindest bis zu jenem Tag im Oktober, an dem Mary von Dr. Thomson vom Whittington Hospital diese niederschmetternde Diagnose erhielt. Die immer häufiger auftretenden Kopfschmerzen und Sehstörungen hatten nichts – wie Mary vermutet hatte – mit den Migräneanfällen zu tun, unter denen sie seit vielen Jahren litt. In ihrem Kopf hatte sich ein inoperabler Tumor gebildet. Viel Zeit war ihnen danach nicht mehr geblieben; dabei hatten sie doch noch so viele Pläne, so viele Träume gehabt.
Mary war die Liebe seines Lebens. Alles hätte er für sie getan. Doch hatte er das wirklich? War er ihr wirklich die Stütze gewesen, die er so gerne gewesen wäre? Wenn er heute an die letzten Monate dachte, die ihnen geblieben waren, schämte David sich für seine Schwäche. Und er hasste die Trauer, die ihn damals gelähmt und ihm buchstäblich den Boden unter den Füßen weggerissen hatte.
Die Zusage vom Verlag hatte ihn nur wenige Tage nach Marys Tod erreicht. Freude, dass sein Roman nun doch veröffentlicht wurde, konnte David daher nicht wirklich empfinden. Zu tief saß der Schmerz, Mary für immer verloren zu haben.
Susan hatte damals viel Verständnis für ihn aufgebracht. Aber sie war auch ehrgeizig und wenn es darum ging, David immer wieder an seine Verpflichtungen zu erinnern, äußerst hartnäckig gewesen. Und das war auch gut so, wie David sich im Nachhinein eingestehen musste. Ohne die Veröffentlichung und die vielen Aufgaben, die für ihn damit verbunden waren, wäre er sicher in Selbstmitleid versunken.
Nein. Sich nun einfach nicht mehr bei ihr zu melden, hatte Susan wirklich nicht verdient. David nahm sein Handy, schaltete es wieder ein, wählte Susans Nummer, als sich die Tür zur Küche öffnete. Julie, die Bedienung des Pubs, kam geradewegs auf David zu; in ihrer Hand sein Steak and Kidney Pie.
»Schlechtes Timing!«, dachte David, doch da meldete sich auch schon Susan am anderen Ende der Leitung.
»David, schön, dass du anrufst! Wo bist du? Ich habe schon ein paarmal versucht, dich zu erreichen.«
»Ja, sorry!«, antwortete David, während er sich bei der jungen Kellnerin mit einem freundlichen Lächeln bedankte. »Ich war unterwegs und sitze jetzt gerade hier im Maggie Jones’s. Was gibt es denn so Wichtiges? Stirling Castel Part 4?«
»Nein, aber natürlich ist das auch noch nicht vom Tisch!«, antwortete Susan lachend. »Die Sache ist die: Wir haben für das erste Buch ein tolles Angebot bekommen. Ich möchte aber nicht zusagen, bevor ich mit dir darüber gesprochen habe. Hast du heute Abend Zeit? Kann ich kurz vorbeikommen?«
»Natürlich, ich bin den ganzen Abend zu Hause«, antwortete David und rückte währenddessen seinen Teller zurecht.
Es war nicht ungewöhnlich, dass Susan für Absprachen bei David vorbeischaute. Sie hatte ihm letztes Jahr auch das Haus in der Victoria Road besorgt. Bis dahin hatte er immer noch in der kleinen Zweizimmerwohnung, die er mit Mary eingerichtet hatte, gelebt. Auf Dauer würde ihm die nicht guttun, hatte Susan damals gesagt und vermutlich hatte sie damit auch recht gehabt. Alles in der Wohnung hatte ihn an Mary erinnert. Vergessen, nein vergessen wollte er keine Sekunde, die er mit ihr zusammen gewesen war, aber es war auch Zeit, wieder nach vorne zu schauen. Das Leben musste ja weitergehen.
Mit dem Einzug in seine neuen vier Wände war ihm so, als hätte er ein neues Kapitel zu schreiben begonnen – was wohl auch irgendwie zutraf. Ja, es war eine gute Idee gewesen, hierher zu ziehen.
Heute war Mittwoch, ein herrlicher Apriltag, und die ersten wärmenden Sonnenstrahlen machten nach diesem verregneten Winter einfach Lust auf Sommer.
Nachdem David das Maggie Jones’s verlassen hatte, beschloss er daher noch eine Runde durch den nur einen Häuserblock entfernten Kensington Park zu machen. Er war öfters dort – nicht nur bei schönem Wetter.
Ihm fiel einfach nichts ein, wenn er an seinem Laptop auf eine leere Seite starrte. Dann musste er raus. Damals, als er noch in der Rupert Street gewohnt hatte, war er stundenlang, ziellos und in Gedanken vertieft, durch die Straßen West Ends gelaufen.
Heute ging er durch den Kensington und von dort aus meistens rüber in den Hyde Park. Ja, es war eigenartig, die besten Geschichten fielen ihm ein, wenn er, den Blick auf den Boden gerichtet und irgendwelche Szenarien vor sich hin murmelnd, planlos durch die Gegend streifte. Er war sich bewusst, dass dies ziemlich bescheuert aussehen musste, aber es war ihm egal; hier in London liefen eh die merkwürdigsten Typen rum.
Nach gefühlt einer Stunde beschloss David, wieder heimwärts zu gehen. Er hatte einige Ideen für eine Story, die er nun so schnell wie möglich niederschreiben wollte.
Zu Hause angekommen, streifte er in der Diele seine Schuhe ab, ging zur Küche und machte sich einen Kaffee. Mit der Tasse in der Hand – Kaffee hatte er schon immer dem Earl Grey vorgezogen – ging er ins Wohnzimmer, schaltete den Fernseher ein und setzte sich an seinen Schreibtisch. Den Fernseher einzuschalten, sobald er das Wohnzimmer betrat, war eine Angewohnheit von ihm geworden, seit er in das, wie er sich selbst eingestehen musste, viel zu große Haus eingezogen war. Irgendwie hatte er so das Gefühl, nicht ganz so alleine zu sein. Freunde lud er nur selten ein und, auch wenn er es nicht wahrhaben wollte, Mary fehlte ihm immer noch.
Er klappte sein Laptop auf und begann zu schreiben. Ihm war klar, dass er das meiste davon morgen wieder löschen würde. Aber es half nichts; irgendwie musste er wieder in einen Schreibfluss finden, und vielleicht würde er ja morgen, mit etwas Abstand, in all den zusammenhanglosen Zeilen doch noch etwas Brauchbares finden.
Draußen dämmerte es schon, als er sein Textdokument unter dem Namen »Ideen03.04.19« abgespeichert hatte. Er stand auf, holte sich noch einen Kaffee und widmete sich seiner Post, die er seit...
Erscheint lt. Verlag | 1.3.2021 |
---|---|
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Briefe • ebook günstig • Familie • Frankreich • Geheimnisse • historisch • Jugendliebe • Liebesbriefe • Liebesromane Frankreich • Nicolas Barreau • Normandie • Paris • romantisch • Suche • Waisenhaus • Wir sehen uns am Ende der Seine |
ISBN-10 | 3-492-98768-0 / 3492987680 |
ISBN-13 | 978-3-492-98768-4 / 9783492987684 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 6,7 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich