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Goldtod (eBook)

Ein historischer Krimi aus der Kaiserzeit

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
464 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00546-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Goldtod -  Axel Simon
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'Fall zwo' der historischen Kriminalserie um den unkonventionellen Sonderermittler Gabriel Landow im wilhelminischen Berlin. So mitreißend lebendig und verbrecherisch abgründig hat man die Kaiserzeit noch nie erlebt. Berlin, 1889: Die Reichshauptstadt hält den Atem an! Wie ein großes, blutiges X hängt ein prominenter Bankier im Schlosspark von Charlottenburg. Doch der Duzfreund des Reichskanzlers bleibt nicht allein. Ein weiteres Opfer aus einflussreichen Kreisen folgt sogleich. Alles deutet auf eine Tat antikapitalistischer Gruppen hin, und unter den erfolgsverwöhnten Goldjungs der Stadt geht die Angst um. Aber Privatermittler Gabriel Landow lässt sich kein X für ein U vormachen. Gemeinsam mit seinem trickreichen Kompagnon Orsini ist er der Polizei einen entscheidenden Schritt voraus. Eine zweite Spur führt die beiden eigenwilligen Detektive in eine ganz neue Richtung und zugleich in tödliche Gefahr: Ein exklusiver Zirkel lässt sich im Verborgenen gern beflügeln. Von antiker Lyrik und den Apfelbäckchen goldiger, nackter Engelchen. Lebender Engelchen. So oder so: Am Ende goldener Zeiten wartet immer der Tod. Und wer Gold sät, wird Tod ernten.

Axel Simon wuchs im Ruhrgebiet auf. Er hat an verschiedenen Theatern zeitgenössische Opern inszeniert und arbeitete danach lange als Creative Director in großen Werbeagenturen. Simon lebt heute in Hamburg.

Axel Simon wuchs im Ruhrgebiet auf. Er hat an verschiedenen Theatern zeitgenössische Opern inszeniert und arbeitete danach lange als Creative Director in großen Werbeagenturen. Simon lebt heute in Hamburg.

1


Freitag, 15. Februar 89

Wenn er ihr von hinten durch den Kopf schießt, denkt sie und wundert sich erneut über ihre innere Ruhe bei diesem Gedanken, würde die Kugel vorn aus ihrem Gesicht wieder heraustreten und dort allerlei Verwüstung anrichten. Das will sie nicht. Sie hat deshalb beschlossen, dass er ihr von vorn durch die Stirn schießen soll. Bei der Aufbahrung könnte man dort vorn eine Locke über das Loch drapieren, und hinten würde ihr Haar die Verwüstung der Kugel verbergen. Vor allem aber will sie neben ihm aufgebahrt sein. Feierlich. Festlich. Mit stillem Ernst. Sie öffnet ihre Augen wieder und erkennt im Schwarz der Nacht seine Silhouette dicht vor sich.

Er ist keiner dieser aufdringlichen Spritzer. Und auch kein Planscher. Er rudert, wie er ist, ruhig und bestimmt. Er rudert, wie feine Leute rudern, denkt sie. Gesittet. Im Mai. Mit Strohhüten auf dem Kopf, von denen hinten Stoffbänder runterflattern wie Fahnen. Hier weht heute bloß der kalte, bittere Geruch der Borsigwerke in Moabit. Und statt eines Strohhuts hat sie ein Wolltuch um den Kopf gelegt. Statt Mai ist Februar. Statt Tag ist Nacht. Selbst das, was sie anfangs romantisch für den Mond hielt, entpuppte sich als Schornsteinleuchte einer Fabrik. Immerhin: Ihr Ziel ist fein und königlich. Schon hört sie das Schilf am Ufer rascheln, das ihr Kahn mit dem Bug zerteilt. Ihr Herz klopft jetzt lauter. Aber es klopft immer so doll, wenn sie mit ihm zusammen ist.

Vorgestern waren sie schon im Hellen hier und haben den Ort besichtigt, an dem es geschehen soll. Den Ort ihres gemeinsamen Todes. Das Belvedere im äußersten Norden des Charlottenburger Schlossparks soll es sein. Das Teehaus, das der Architekt Langhans vor hundert Jahren für den König von Preußen, Friedrich Wilhelm II., entwarf, noch bevor Langhans sich auch das Brandenburger Tor ausdachte. Hier am Belvedere im Schlosspark, sagt man, betrieb der König seine alchemistischen Studien, hier wurde er vom Geheimbund der Rosenkreuzer mit Spuk getäuscht und an der Nase herumgeführt. Exakt hier soll es geschehen. Kurz nach Sonnenaufgang. Sie weiß nicht mehr, wann genau der Plan in ihnen reifte, dass sie nicht nur zusammen leben, sondern auch gemeinsam sterben wollten. Kein alltäglicher Plan, schließlich sind sie erst siebzehn und achtundzwanzig. Aber seit vor zwei Wochen, am 31. Januar, der österreichische Thronfolger in einem Jagdschloss bei Wien erst seine siebzehnjährige Geliebte und dann sich selbst erschoss, ist dieser Wunsch in ihnen. Offiziell sprach man nur von einem einzelnen Tod, dem des Kronprinzen. Aber die Gerüchte hielten sich und wuchsen rasch wie Gewitterwolken: Eine ungarische Prinzessin wäre bei ihm gewesen. Starb vor ihm. Mit ihm. Durch ihn. Für ihn. Festlich. Feierlich. Mit stillem Ernst.

Auch sie beide im Boot im nächtlichen Borsigmief wollen nicht warten, bis sie alt und schrumpelig werden wie im Keller vergessene Äpfel. Sie wollen es jetzt. Wie der Dichter Kleist damals unten bei Stolpe am See und wie dieser Sohn der österreichischen Kaiserin mit seiner Geliebten.

Robert arbeitete bis gestern in der Oper, bei denen, die die Kulissen beleuchten. Seit sie sich vor drei Wochen zum ersten Mal trafen, hatte er sie mehrfach heimlich hinter die Bühne mitgenommen. Gemeinsam im Dunkeln und Hand in Hand hatten sie dort, mit Blick auf die segeltuchbespannten Stellagen der Theaterkulisse, den Todesgesang der Isolde gehört. «Wild und leise, wie er lächelt.» Und genau so wollen sie jetzt zusammen sterben. Wild entschlossen und mit leisem Lächeln auf den Lippen. Ihr wird aber nun doch reichlich bang, als sie im Osten den Himmel heller werden sieht. Ihr gemeinsamer Abschiedsbrief ist sorgsam in Wachspapier gewickelt, gegen den Schneeregen, bis man sie findet. Es war schwierig genug, ihn zu schreiben. Immer wieder hatte sie Fehler darin entdeckt und ihn noch mal begonnen. Der Brief musste sein, sie wollte, dass man verstand, weshalb sie starben. Aus reiner Liebe und innerem Edelmut, nicht etwa aus Not oder Schwangerschaft. Wild und leise. Der Bug des flachen Kahns läuft nun auf das Ufer des Schlossparks auf. Sie sind da, denkt sie, will zum Schornsteinlicht-Mond sehen, findet ihn nicht mehr, steht auf. Das Boot schwankt dabei, ganz leicht nur, wie eine Wiege.

Das Belvedere genannte Teehaus ist höher als breit. Ein schlankes Gebilde, ein feiner, dreistöckiger Pavillon, ganz in zartem Bleu und Weiß gehalten. Während Robert den Kahn in den Wasserarm zurückschiebt, der den Schlosspark im Osten umfließt – sie brauchen ihn nicht mehr –, sieht sie nur die nun bleistiftgrauen Umrisse des Gebäudes.

Er nimmt sie in den Arm und drückt sie fest an sich, wie es die Sänger auf der Opernbühne tun. Die Tasche mit der Pistole, die er einem Onkel geklaut hat, bollert dabei schwer gegen ihre Seite. Fast hat sie Angst, ein Schuss könnte sich lösen und die Schlosswächter alarmieren. Aber nein, alles bleibt still und bleistiftgrau. Wenn hier ein Schuss fällt, wird sie ihn nicht mehr hören.

So stehen sie ein paar Minuten fest an den anderen geklammert, bis ihr die Hände schmerzen. Dann schiebt sich flach und zögernd die Februarsonne zu ihnen heran. Und dann sieht sie ihn, den Mann dort oben. Er ist aufgespannt wie ein großes X zwischen den Säulen des östlichen Pavillonbalkons, blutig und tot und beinahe schon wieder schön. Ein schwebendes, rosenrotes Rosenkreuz vor dem Schwanenweiß der Fassade. Und so kommt es, dass sie beide nicht gemeinsam sterben, zumindest heute noch nicht, aber sich gemeinsam einnässen vor Entsetzen.

···

«Die Vögel sind heute drinnen. Wegen ’m Wetter.»

Der Zoowächter hat den Mann, der regungslos vor dem leeren Gehege der Straußenvögel steht, schon mehrmals in letzter Zeit hier gesehen. Sportlicher Allwettermantel, stark gebräunte Haut und an einem Lederriemen um die Schulter eine Feldflasche wie ein Wanderer. Eine Hand zittert leicht, sieht der Zoomann. Nervöse Zuckungen, kommt immer öfter vor heutzutage. Die meisten Besucher bleiben bei den Löwen stehen, schlecken Eistüten, während sie sich insgeheim fürchten. Zu den Straußen kommen nicht so viele, obwohl das Schild am Gehege von den enormen Geschwindigkeiten spricht, die struthio camelus, der afrikanische Strauß, zu erreichen in der Lage ist: Fünfzig Stundenkilometer kann so ein Riesentier über eine halbe Stunde halten, wollen Forscher beobachtet haben. Über kürzere Strecken sind sogar siebzig Kilometer in der Stunde möglich. Siebenzig! Das ist ja fast bis ganz nach Frankfurt/Oder. Der Benz Patent-Motorwagen Nummer 3, mit dem Bertha Benz, die Frau des Konstrukteurs, ohne das Wissen ihres Mannes im letzten Sommer ihre vielbeachtete Überlandfahrt unternahm, schafft gerade mal zwanzig Kilometer die Stunde. Maximal. Während dieses Automobil 3000 Goldmärker pro Stück kostet, ist ein Strauß umsonst. Denn der Strauß lebt auf deutschem Reichsgebiet in Deutsch-Südwestafrika. Man fängt ihn, verschifft ihn, und jetzt steht er hier im Berliner Schneeregen und wundert sich. Während der Tommie noch weiter südlich in seiner Kolonie am Kap allerdings schon Diamanten und Gold gefunden hat, berichten die Stimmen aus DSW, wie Weltläufige die junge deutsche Kolonie Deutsch-Südwest in betonter Vertrautheit gern nennen, noch nichts Vergleichbares. Man sucht nach diesen Bodenschätzen in dem (wie es heißt) riesigen und (wie es weiter heißt) sehr sandigen Land, findet aber nur Strauße. Vorerst.

Heinrich «Porti» Port, so heißt der Zoowärter, der sich gerade seine Pausenpfeife stopft und in den feinen Februargriesel blinzelt, hat einiges darüber gelesen. Nur Futter hinstellen und Dreck wegfegen ist ihm zu wenig. Er will wissen, mit wem er es zu tun hat. Ob Tapir, Menschenaffe oder eben Strauße, Port liest sich ein, fühlt sich geradezu ein in den Lebensraum dieser wunderbaren Kreaturen. Wenn er abends in der kleinen Wohnung in Kreuzberg sitzt und die entsprechenden Bücher studiert, spürt er förmlich körperlich die Hitze und den Staub in Deutsch-Südwest, sieht vor dem inneren Auge direkt hinter der Nähmaschine seiner Frau riesige Herden dieser Vögel durch die Savanne schreiten.

Als Port die kleine schwarze Pfeife am Randstein leerklopft und sich umsieht, ist der Straußenfreund von vorhin nicht mehr da. Wird wohl auch wegen des Wetters rein ins Haus gegangen sein. Die dunkelgrüne Ausgangstüre an der gegenüberliegenden Wand schwingt gerade noch zu. Port, 51, ist erst seit drei Monaten für die Strauße zuständig. Im Sommer kam sein neuer Kaiser, der dritte des letzten Jahres, und im Oktober kamen seine Strauße. Aber er hat über die Jahre im Zoologischen Garten ein untrügliches Gespür für die Befindlichkeit seiner Schützlinge entwickelt. Die Vögel sind drinnen heute anders, unruhiger. Der riesige schwarz-weiße Hahn läuft aufgeregter als sonst im Gehege des Winterquartiers herum, während seine grau-braunen Damen dicht zusammengedrängt in der anderen Ecke stehen. Etwas stimmt hier nicht. Port tritt näher heran. Zwei von seinen Vögeln scheinen nicht voneinander lassen zu können. Ihre langen Hälse, jeder dick wie ein Unterarm, sind miteinander um eine eiserne Gitterstange verknotet. Die Tiere sind tot!

Strauße, erzählt das Schild draußen am Gehege, haben die größten Augen aller Landwirbeltiere. Zwei Paar fünf Zentimeter große Augen sehen Port mit...

Erscheint lt. Verlag 23.3.2021
Reihe/Serie Gabriel Landow
Gabriel Landow
Zusatzinfo Mit 1 s/w Karte
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Historische Kriminalromane
Schlagworte 19. Jahrhundert • Alex Beer • Babylon Berlin • Berlin • Detektiv • Deutsches Kaiserreich • Eiffelturm • Ermittler • Ermittlerkrimi • Gereon Rath • Goldammer • Historischer Kriminalroman • Historische Spannung • Jicky • Kaiserzeit • Krimi Neuerscheinung 2021 • Krimi Neuerscheinungen 2021 • Max und Moritz • Nasser Fisch • Parfüm • Pathologie • Preußen • Schönheit • Volker Kutscher • Weltausstellung Paris • Wilhelm Busch • Zwillinge
ISBN-10 3-644-00546-X / 364400546X
ISBN-13 978-3-644-00546-4 / 9783644005464
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