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Ungeschminkt (eBook)

Mein schrilles Doppelleben

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
288 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00758-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ungeschminkt -  Olivia Jones
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«Mein Buch soll Mut machen, sein Leben zu leben, wie man es gerne möchte. Mit allen Konsequenzen.» Alle kennen Olivia Jones - aber kennen Sie «Oliver Jones»? Den Mann, der als Teenager alles auf eine Karte setzte, um endlich das zu werden, was andere damals verachteten: ein Mann in Frauenkleidern? In diesem Buch lässt Oli(via) erstmals 50 Jahre des schrillsten deutschen Doppellebens «ungeschminkt» Revue passieren. All das, was bisher noch nie so offen erzählt wurde: Geschichten von Enttäuschungen, familiären Tragödien, von Armut, Liebe, Humor, Skandalen und Durchhaltevermögen. Und vor allem: vom Mut und der Freude am bunten Leben in all seinen Facetten. Blicken Sie mit Olivia hinter die verru?ckten Kulissen von Deutschlands buntestem Familienunternehmen, der einzigartigen «Olivia-Jones-Familie», und tauchen Sie ein in Olivias außergewöhnliche Welt: extrovertiert, glitzernd, aber auch liebevoll und wertschätzend - denn in Olivias Umfeld darf jeder so sein, wie er ist. Mit Beiträgen von Hella von Sinnen, Dolly Buster, Guido Maria Kretschmer, Wolfgang Kubicki und vielen mehr.

Olivia Jones wurde als Oliver 1969 im niedersächsischen Springe geboren. Schon früh begeisterte er sich für Travestie und Show, zog 1989 nach Hamburg und absolvierte erste Auftritte im Schmidt Theater. 1997 hatte Oliver Knöbel seinen internationalen Durchbruch als Drag Queen - er wurde in Miami zur 'Miss Drag Queen Of The World' gekürt. Es folgten zahlreiche Fernsehverpflichtungen, unter anderem bei 'Ich bin ein Star, holt mich hier raus!' und damit steigende Popularität. Heute ist Olivia Jones die bekannteste Drag Queen Deutschlands und betreibt mittlerweile fünf Clubs auf Sankt Pauli.

Olivia Jones wurde als Oliver 1969 im niedersächsischen Springe geboren. Schon früh begeisterte er sich für Travestie und Show, zog 1989 nach Hamburg und absolvierte erste Auftritte im Schmidt Theater. 1997 hatte Oliver Knöbel seinen internationalen Durchbruch als Drag Queen – er wurde in Miami zur "Miss Drag Queen Of The World" gekürt. Es folgten zahlreiche Fernsehverpflichtungen, unter anderem bei "Ich bin ein Star, holt mich hier raus!" und damit steigende Popularität. Heute ist Olivia Jones die bekannteste Drag Queen Deutschlands und betreibt mittlerweile fünf Clubs auf Sankt Pauli.

Ein Dorf, ein Junge und ein großer Traum


Wenn man mich fragt, woher ich komme, sage ich immer: Hamburg. Geboren bin ich allerdings woanders: in einer Kleinstadt in Niedersachsen. Springe hat mit 30000 Einwohnern gerade mal ein paar mehr Einwohner als St. Pauli – und das ist auch eine der wenigen Ähnlichkeiten. Außer dass es dort einen Saupark gibt. Klingt wie ein Swingerclub, ist aber mit richtigen Schweinen (mein Lieblingsschwein hieß damals übrigens Otto – wie mein aktueller «Lieblingseber» heißt, geht keinen etwas an).

Mein Vater, meine Mutter und ich lebten dort in einem Hochhaus – oder zumindest das, was man in Springe ein Hochhaus nennt. Eigentlich war es nur die Dachgeschosswohnung im vierten Stock. Von einem traumhaften Ausblick konnte man auch nicht unbedingt sprechen, aber als Kind ist man nicht so wählerisch. Erst recht, wenn sich aus dem obersten Stockwerk so herrlich viel Blödsinn machen ließ: zum Beispiel Klopapierrollen vom Balkon werfen, die sich dann bis zum Boden abrollten. Das sorgte für einen regen Austausch mit den Nachbarn, der meinen Eltern überraschenderweise nicht so gut gefiel. Hätte ich geahnt, dass mal eine Zeit kommt, in der diese Dinger «Corona-Dollar» genannt werden, wäre ich vielleicht sparsamer damit umgegangen.

Die meiste Zeit verbrachte ich als Kind draußen; schon früh merkte ich, dass ich nicht immer Menschen um mich herum brauche, sondern mich auch ganz gut mit mir selbst beschäftigen kann. Drachen steigen lassen auf dem Stoppelfeld, toben im Wald, Fossilien im Steinbruch suchen: Aktivitäten, die in meinen Glitzeroutfits und Pumps heute nicht mehr ganz so leicht möglich wären.

Schon immer mochte ich es laut und ließ es gerne krachen. Vor allem im wörtlichen Sinne: Ich liebte Böller, diese explosiven Dinger, die der Rest der Menschheit Ende Dezember kauft, um sie an nur einem Tag im Jahr abzufeuern. Ich hingegen kaufte sie zwar auch kurz vor Silvester – hortete dann aber gleich einen Vorrat für das gesamte Jahr. Wäre in meinem Zimmer eine Kerze umgefallen … Kabumm! Von Springe wäre nur noch ein Krater übrig gewesen. Meine Reserve war eigentlich ein Fall für die Kriegswaffenkontrollbehörde. Wenn’s im März oder April irgendwo knallte, war niemand in der Nachbarschaft beunruhigt, denn alle wussten: «Das ist wieder der Oli!» Ich nutzte jede noch so unpassende Gelegenheit, um ordentlich Lärm zu machen. Meistens explodierte dann nicht nur der Böller, sondern anschließend auch eines meiner Elternteile. Richtigen Ärger bekam ich, als ich einmal nicht Dosen oder Flaschen in die Luft sprengte, sondern unseren Briefkasten. Es grenzt an ein Wunder, dass ich bei den vielen Experimenten mit Schwarzpulver und Raketen noch alle drei Daumen habe.

Rückblickend hätte man mir schon früh eine gastronomische Karriere voraussagen können. Meine Großeltern betrieben Gaststätten in Hannover und Springe, in denen ich sie als Kind regelmäßig besuchte. Statt mich dort mit meinem Spielzeug auf dem Boden des Hinterzimmers zu beschäftigen, machte ich mich nützlich – und fragte die Gäste im «Alten Fritz», ob ich ihnen noch Getränke bringen könne. Die meisten fanden den kleinen Kellner «nett» und «niedlich». Ich fand das Trinkgeld «fett» und blieb friedlich.

Ich war damals sehr froh, keine Geschwister zu haben – auch wenn es mir in meinen rebellischen Teenagerjahren sicherlich geholfen hätte, dass auch mal ein anderes Kind im Mittelpunkt steht, weil es Mist gebaut hat. Eine Schwester oder ein Bruder hätte es neben mir nicht leicht gehabt; ich war schließlich das bunte Schaf der Familie und hatte gern die volle Aufmerksamkeit der Erwachsenen. Etwas, das sich bis heute nicht sonderlich verändert hat.

So musste ich in unserer kleinen Wohnung das Zimmer auch mit niemandem teilen. Das wäre nämlich gar nicht so einfach gewesen: Man hätte erst einmal eine Schneise durch mein Künstlerchaos schlagen müssen – es sah aus wie eine Mischung aus «Trödeltrupp» und «Messie-Team».

Meine vier Wände waren damals noch nicht schrill und glitzernd; ich hatte ein klassisches Jungenzimmer, eher rustikal, mit einer Schrankwand, wie man es in den 70er Jahren in jedem Kinderzimmer sah. Meine Mutter versuchte, das Zimmer immer wieder mit Hilfe schöner Pflanzen etwas zu verschönern. Doch als auch die letzte Kaktee vertrocknet war, merkte auch sie, dass ich mich am sorgfältigsten um mich selbst kümmerte. Einen grünen Daumen hatte ich nur, wenn ich mir meinen Lidschatten auftrug.

Lange quengelte ich, weil ich ein Haustier haben wollte. Ich dachte an die Klassiker: Hund, Katze, Kaninchen. Ich bekam: ein Aquarium. Das gab schließlich auch dekorativ etwas her, fanden meine Eltern. Natürlich suchte ich mir nur die buntesten Fische aus, sie sollten ja auch zu ihrem Besitzer passen. Den Tieren war ich nach kurzer Zeit ähnlich sympathisch wie Käpt’n Iglo. Gefüttert wurden sie nämlich irgendwann nur noch von meiner Mutter – wenn überhaupt. Und ich machte den Fehler, noch ein paar besonders bunte Exemplare hinzuzukaufen. Für mich harmlose Schönheiten – die aber leider in ihren Artgenossen nur Sushi sahen. Es waren Kampffische. Die Freude währte also nur kurz.

Trotzdem bekam ich in Sachen Haustiere noch eine zweite Chance: Ich wünschte mir sehnlichst Tanzmäuse. Damals konnte man sie noch ganz unproblematisch in Deutschland kaufen, heute ist der Verkauf und auch die Zucht verboten, zum Glück, weil die Mäuse aufgrund von Fehlbildungen im Innenohr taub sind und sich deshalb oft zwanghaft im Kreis drehen. Eine riesige Quälerei. Nachdem meine Eltern mir den Wunsch immer wieder abgeschlagen hatten, probierte ich es bei meinen Großeltern, die ihrem Lieblingsenkel prompt zwei Weibchen schenkten. Oder zumindest zwei Mäuse, die wir für Weibchen hielten. Wenig später hatten wir plötzlich 42 Mäuse – Männchen, Weibchen, keine Ahnung. Da war von allem was dabei. Rückblickend könnte man sagen, dass ich schon damals einen Sinn für eine große Familie und Paarung hatte, aber meinen Eltern ging das dann doch zu weit. Der Familienrat beschloss damals unter lautem Protest und vielen Tränen meinerseits, dass dann eben alle Tiere zurück in die Tierhandlung mussten. Ich hoffe, dort wurden keine Schlangen verkauft.

Dabei hatten Haustiere in unserer Familie Tradition. Noch bevor ich Mama oder Papa sagen konnte, sagte ich «Wauwau». Meine Mutter hat mittlerweile ihren gefühlt 16. Hund. Riesenschnauzer, Pudel, Dackel, Schäferhund, Dogge – bei uns hatte so gut wie jede Rasse mal eine Chance, und wir waren in Sachen Hundetyp sicherlich nicht so durchschaubar wie Boris Beckers Beuteschema. Falls mich irgendwer mal als Telefonjoker bei «Wer wird Millionär?» benötigen sollte – bei der Hunderassenfrage wäre ich die ideale Kandidatin.

Für mich waren die Tiere Mitbewohner, Begleiter und manchmal auch Komplizen. Immer, wenn ich abends heimlich ausgehen wollte, steckte ich neben meinem Kajalstift auch ein Stückchen Wurst in die Tasche. Wenn ich zurückkam, musste ich schließlich den ein oder anderen Hund bestechen, um unbemerkt aufs Grundstück zu kommen. Das klappte mal mehr, mal weniger gut. Einer hätte mich trotz Wurst fast gebissen, weil er mich für einen Einbrecher hielt.

Unserem Pudel Snoopy rettete ich sogar als kleiner Junge mal das Leben. Ludwig, der Airedale Terrier des Nachbarn, ging nämlich eines Tages auf ihn und unseren Yorkshire Terrier Bibo los. Leider war das keine kleine Rauferei unter spielenden Hunden, sondern eine richtig aggressive Attacke. Bibo, der zwischen die Fronten geriet, konnte ich leider nicht schnell genug packen; er wurde totgebissen. Mich hat das traumatisiert. Allerdings nur so lange, bis die Nachbarn mir als Trost einen neuen Yorkshire Terrier gekauft haben. Mein kindlicher Schmerz war schnell vergessen, als mich das kleine Fellknäuel mit den großen Augen herzlich angähnte. Man hätte es Felix, Schnuffi oder Buffy nennen können, aber als man mich fragte, kam nur ein Name in Frage: Schnitzel. Ganz pragmatisch so wie mein damaliges Lieblingsgericht. Kindliche Logik. Offenbar hatte ich schon immer einen Hang zu unfreiwilligen Skurrilitäten, und Schnitzel hatte Glück: Neben mir und Pudel Snoopy war noch genug Platz für einen Yorkshire in meinem Bett. Schnitzel war laut meiner Oma nicht so reinrassig und perfekt wie Vorgänger Bibo, eher etwas sonderbar und für einen Yorkshire viel zu groß. Vielleicht fühlte ich mich ihm gerade deshalb besonders verbunden. Ich schlage ja auch etwas aus der Art und bin eher unhandlich.

Die Hunde in unserem Haus hatten es mit mir als Mitbewohner aber auch nicht immer leicht. Mit Strolch, unserem Dackel, teilte ich mir nicht nur das Bett, sondern zwischenzeitlich auch die Frisur. Weil er so tolles, drahtiges Haar hatte, übte ich an ihm das richtige Eindrehen von Lockenwicklern. Saß die Locke bei Strolch, wusste ich, dass das bei mir auch gut aussehen würde. Sind das schon Tierversuche? Ich bilde mir ein, dass es ihm gefallen hat. Schließlich war er der am besten frisierte Hund in ganz Springe – und zog nicht nur die Blicke der Dackeldamen auf sich. Und auch mein Yorkshire war ein guter Styling-Komplize: Ich «lieh» mir mehrfach ein paar Schnitzel-Strähnen fürs Pimpen meiner Haarpracht.

 

Oft werde ich gefragt, wann ich das erste Mal merkte, dass ich gerne Frauenkleidung trage. Das war schon weit vor der Pubertät, nämlich in der Grundschule. Natürlich trug ich damals noch normale Jungenklamotten; für die richtige Herrenmode konnte ich mich aber nicht begeistern. Gingen meine Großeltern aus, empfand ich meinen Opa in...

Erscheint lt. Verlag 21.4.2021
Co-Autor Lena Obschinsky, Philip Militz
Zusatzinfo 32 S. 4-farb. Tafelteil
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Autobiographie • Biografien • Deutscher Lesepreis • drag • dragqueen • ESC • Hamburg • Kiez • Kiezkönigin • LGBT • Love is King • Olivia Jones Wilde Jungs • Paradiesvogel • pride • Queer • Reeperbahn • Sankt Pauli • Schwul • Travestie
ISBN-10 3-644-00758-6 / 3644007586
ISBN-13 978-3-644-00758-1 / 9783644007581
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