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Southern Gothic - Das Grauen wohnt nebenan (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021
512 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-27347-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Southern Gothic - Das Grauen wohnt nebenan - Grady Hendrix
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Patricia Campbell ist unzufrieden. Ihr Mann ist ein Workaholic, ihre beiden süßen Kinder sind zu launischen Teenagern mutiert, und ihre pflegebedürftige Schwiegermutter braucht ständig Aufmerksamkeit. Ihr einziger Lichtblick ist der Buchclub, den sie mit ihren engsten Freundinnen gegründet hat: Hier kann sie ihre Leidenschaft für True Crime und Serienkiller voll und ganz ausleben.

Eines Abends wird Patricia von ihrer dementen Nachbarin attackiert, und kurz darauf tritt deren Neffe, James Harris, in Patricias Leben. Der vielgereiste, belesene und unverschämt gutaussehende James weckt Gefühle in Patricia, die sie schon seit Jahren nicht mehr gespürt hat. Doch als im weniger wohlhabenden Viertel der Stadt immer mehr Kinder verschwinden, befürchtet Patricia, dass James mehr Ted Bundy als Brad Pitt ist. In Wahrheit ist James jedoch eine ganz andere Sorte Monster - und Patricia hat ihn schon längst in ihr Heim gelassen ...

Grady Hendrix wurde in Charleston, South Carolina, geboren, und arbeitete jahrelang für die American Society for Psychical Research, wo er Anrufern Fragen zu Geistern, UFOs und Zeitreisen beantwortete, ehe er sich hauptberuflich dem Schreiben widmete. Seitdem hat er unzählige Zeitungsartikel für Online- und Print-Zeitschriften sowie mehrere Horror-Romane verfasst, die regelmäßig auf der Bestsellerliste der New York Times landen. Grady Hendrix lebt mit seiner Frau in New York.

Kapitel 1


1988 war es George W. H. Bush gerade gelungen, die Präsidentschaftswahl zu gewinnen, indem er die Menschen dazu aufgefordert hatte, ihm genau auf den Mund zu schauen, während Michael Dukakis sie verloren hatte, indem er in einem Panzer herumgefahren war. Dr. Huxtable war Amerikas Dad, Kate & Allie waren Amerikas Moms und die Golden Girls Amerikas Omas. McDonald’s verkündete, dass es seine erste Filiale in der Sowjetunion eröffnen würde, alle kauften Stephen Hawkings Eine kurze Geschichte der Zeit und lasen sie dann nicht, Das Phantom der Oper lief auf dem Broadway an, und Patricia Campbell machte sich bereit zu sterben.

Sie besprühte ihre Haare, steckte sich ihre Ohrringe an und tupfte über ihren Lippenstift, aber als sie sich im Spiegel betrachtete, sah sie keine neununddreißigjährige Hausfrau mit zwei Kindern und einer glänzenden Zukunft, sondern eine Tote. Wenn nicht ein Krieg aus- oder eine Sintflut losbrach oder die Erde in die Sonne stürzte, würde heute Abend das monatliche Treffen der Literaturgilde von Mt. Pleasant stattfinden, und sie hatte das Buch für diesen Monat nicht gelesen. Und sie war die Referentin. Was bedeutete, dass sie in weniger als neunzig Minuten vor einem Zimmer voller Frauen sitzen und ein Gespräch über ein Buch leiten würde, das sie nicht gelesen hatte.

Sie hatte Denn sie sollen getröstet werden wirklich lesen wollen, aber jedes Mal, wenn sie ihr Exemplar zur Hand nahm und die Worte »Von Ixopo führt eine malerische Straße in die Hügel« las, fuhr Korey mit ihrem Fahrrad vom Bootssteg, weil sie sich einbildete, dass sie damit über das Wasser sausen könnte, wenn sie nur schnell genug in die Pedale trat, oder sie zündete ihrem Bruder die Haare an, weil sie her­ausfinden wollte, wie nah man ihnen mit einem brennenden Streichholz kommen durfte, bevor sie Feuer fingen, oder sie erzählte ein ganzes Wochenende lang allen Anrufern, dass ihre Mutter nicht ans Telefon konnte, weil sie gestorben sei, was Patricia erst erfuhr, als die Leute mit Auflaufformen vor der Tür standen, um ihr Beileid zu bekunden.

Bevor Patricia in Erfahrung bringen konnte, war­um die Straße von Ixopo zu den Hügeln so schön war, sah sie Blue splitterfasernackt an den Fenstern zur Sonnenveranda vorbeirennen, oder ihr wurde mit einem Schlag klar, dass es deshalb so ruhig war, weil sie ihn in der Stadtbücherei vergessen hatte, sodass sie in den Volvo springen und über die Brücke zurückrasen musste und dabei nur beten konnte, dass er nicht von Moonys gekidnappt worden war, oder er hatte her­ausfinden wollen, wie viele Rosinen er sich in die Nase stecken konnte (vierundzwanzig). Sie erfuhr nie, wo Ixopo lag, weil ihre Schwiegermutter, Miss Mary, für sechs Wochen bei ihnen einzog, sie saubere Handtücher in der ausgebauten Garage brauchte und das Gästebett jeden Tag neu bezogen werden musste, und weil Miss Mary Schwierigkeiten damit hatte, aus der Wanne zu steigen, weshalb sie eine dieser Stangen anbringen lassen und erst jemanden dafür finden musste, und weil die Wäsche für die Kinder zu erledigen war, und weil Carters Hemden gebügelt werden mussten, und weil Korey genau die neuen Stollenschuhe haben wollte, die alle anderen auch hatten, obwohl sie sich so etwas im Moment eigentlich nicht leisten konnten, und weil Blue nur weiße Sachen aß, weshalb sie jeden Abend Reis zu kochen hatte … und so konnte sie der Straße von Ixopo in die Hügel nicht folgen.

Damals war es ihr wie eine gute Idee vorgekommen, der Literaturgilde von Mt. Pleasant beizutreten. Patricia war in jenem Moment, als sie sich bei einem Abendessen mit Carters Chef über den Tisch gebeugt hatte, um sein Steak für ihn kleinzuschneiden, klar geworden, dass sie raus aus dem Haus und neue Leute kennenlernen musste. Ein Buchclub klang passend, weil sie gerne las, vor allem Krimis. Carter hatte angemerkt, dass dies vielleicht dar­an lag, dass ihr ganzes Leben für sie wie ein rätselhafter Kriminalfall war, und da war sie durchaus seiner Meinung: Patricia Campbell und das Geheimnis der drei warmen Mahlzeiten am Tag, sieben Tage die Woche, ohne dabei durchzudrehen; Patricia Campbell und der Fall des Fünfjährigen, der einfach so andere Leute biss; Patricia Campbell und das Rätsel, wie man zum Zeitung­lesen kommen soll, wenn man zwei Kinder und eine Schwiegermutter bei sich wohnen hat und für alle waschen und kochen und das Haus sauber machen und der Hund seine Herzwurmpillen bekommen muss und man sich wahrscheinlich alle paar Tage auch mal selbst die Haare waschen sollte, weil die eigene Tochter sonst fragt, war­um man aussieht wie eine Obdachlose. Ein paar diskrete Erkundigungen, und schon hatte man sie zum ersten Treffen der Literaturgilde von Mt. Pleasant zu Hause bei Marjorie Fretwell eingeladen.

Die Literaturgilde von Mt. Pleasant wählte die Bücher für das jeweilige Jahr in einem sehr demokratischen Verfahren aus: Marjorie Fretwell lud sie alle zu sich ein, um elf Bücher aus einer Liste von dreizehn zu wählen, die ihr passend erschienen. Sie erkundigte sich, ob noch jemand andere Bücher empfehlen wollte, aber allen war klar, dass das keine ernst gemeinte Frage war, mit Ausnahme von Slick Paley, die anscheinend an einer chronischen Unfähigkeit litt, zwischenmenschliche Signale zu empfangen.

»Ich würde gerne Wie die Lämmer zur Schlachtbank: Ihr Kind und der Okkultismus vorschlagen«, sagte Slick. »Angesichts dieses Kristallladens auf dem Coleman Boulevard – und wenn man bedenkt, dass Shirley MacLaine auf der Titelseite des Time Magazine von ihren früheren Leben erzählen darf – brauchen wir einen Weckruf.«

»Von dem Buch habe ich noch nie etwas gehört«, sagte Marjorie Fretwell. »Daher nehme ich an, dass es nicht unter unser Auswahlkriterium fällt, eines der großen Werke der westlichen Welt zu sein. Sonst noch wer?«

»Aber …«, wandte Slick ein.

»Sonst noch wer?«, wiederholte Marjorie.

Sie wählten die Bücher, die Marjorie für sie ausgewählt hatte, teilten sie nach Marjories Dafürhalten den Monaten zu und wählten die Referentinnen, die Marjorie für die passendsten hielt. Die Referentinnen sollten das Treffen eröffnen, indem sie einen zwanzigminütigen Vortrag über das Buch, seine Hintergründe und das Leben des Autors oder der Autorin hielten, um anschließend die Diskussion in der Gruppe anzuleiten. Eine Referentin konnte nicht einfach absagen oder mit einer anderen das Buch tauschen, ohne dafür eine empfindliche Strafe zu zahlen, weil die Literaturgilde von Mt. Pleasant eine ernste Sache war.

Als ihr klar wurde, dass sie es nicht schaffen würde, Denn sie sollen getröstet werden zu Ende zu lesen, rief Patricia Marjorie an.

»Marjorie«, sagte sie am Telefon, während sie den Deckel auf den Reistopf legte und die Platte runterdrehte, um ihn köcheln zu lassen. »Hier ist Patricia Campbell. Ich muss mit dir über Denn sie sollen getröstet werden reden.«

»Wirklich ein beeindruckendes Buch«, sagte Marjorie.

»Natürlich«, antwortete Patricia.

»Ich weiß, dass du ihm die gebührende Ehre erweisen wirst«, sagte Marjorie.

»Ich werde mein Bestes geben«, sagte Patricia, während ihr klar wurde, dass sie das genaue Gegenteil hätte sagen sollen.

»Und es passt so gut auf die gegenwärtige Situation in Südafrika«, fuhr Marjorie fort.

Kalter Schrecken durchzuckte Patricia. Was war die gegenwärtige Situation in Südafrika?

Nach dem Auflegen verfluchte Patricia sich für ihre Feigheit und Dummheit und nahm sich fest vor, in die Bücherei zu fahren und Denn sie sollen getröstet werden im Lexikon der Weltliteratur nachzuschlagen. Aber dann musste sie Snacks für Koreys Fußballmannschaft vorbereiten, und die Babysitterin hatte Drüsenfieber, und Carter musste plötzlich nach Columbia reisen und sie musste ihm packen helfen, und dann kam eine Schlange aus der Toilette in der ausgebauten Garage, und sie musste sie mit einer Harke totschlagen, und Blue trank eine Flasche Tipp-Ex, und sie musste mit ihm zum Arzt, um her­auszufinden, ob er dar­an sterben würde (nein, würde er nicht). Sie versuchte es damit, Alan Paton, den Autor, in ihrer Großen Enzyklopädie nachzuschlagen, aber der Band mit P fehlte. Sie notierte sich im Geiste, dass sie eine neue Enzyklopädie brauchten.

Es klingelte an der Tür.

»Moooom«, rief Korey von unten aus dem Flur. »Die Pizza ist da!«

Sie konnte es nicht mehr länger aufschieben. Es war an der Zeit, sich Marjorie zu stellen.

Marjorie hatte Handouts mitgebracht.

»Nur ein paar Artikel über die gegenwärtigen Ereignisse in Südafrika, darunter der jüngste unschöne Vorfall in Vanderbijlpark«, sagte sie. »Aber ich nehme an, dass Patricia all das schön für uns zusammenfassen wird, wenn sie uns Mr. Alan Patons Denn sie sollen getröstet werden vorstellt.«

Alle drehten sich zu Patricia um, die auf Marjories riesigem, rosa-weißem Sofa saß, und starrten sie an. Sie hatte sich nicht so genau an Marjories Einrichtung erinnert und ein Blümchenkleid angezogen, weshalb die Leute sie wahrscheinlich nur als einen Kopf und ein Paar in der Luft schwebende Hände sahen. Am liebsten hätte sie sich ganz in ihr Kleid verkrochen und wäre verschwunden. Sie spürte, wie ihre Seele ihren Körper verließ und über ihr unter der Decke schwebte.

»Aber bevor sie anfängt«, sagte Marjorie, und alle Blicke wandten sich wieder ihr zu, »sollten wir eine Schweige­minute für Mr. Alan Paton einlegen. Sein Dahinscheiden dieses Jahr hat die Literaturwelt...

Erscheint lt. Verlag 10.5.2021
Übersetzer Jakob Schmidt
Sprache deutsch
Original-Titel The Southern Book Club's Guide to Slaying Vampires
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte Amerika • Arm und Reich • Buchclub • eBooks • Emanzipation • Grauen • Horror • Kidnapping • Starke Frauen • Unterdrückung der Frau • Vampir • Vampirbücher für Erwachsene • Vorstadt
ISBN-10 3-641-27347-1 / 3641273471
ISBN-13 978-3-641-27347-7 / 9783641273477
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