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Feenwünsche - Mila Sommerfeld

Feenwünsche

(Autor)

Buch | Hardcover
224 Seiten
2020
Ashera Verlag
978-3-948592-27-1 (ISBN)
CHF 31,90 inkl. MwSt
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Irina vermag es, in die Zwischenwelt zu tauchen, dort in die Seelen der Menschen zu schauen und ihnen ihren größten Wunsch zu erfüllen, falls sie sich den von Herzen wünschen. Das ist das Wunderbare in ihrem Leben: Sie ist eine gute Fee!

In der realen Welt wohnt sie in einer Kellerwohnung und legt bei der städtischen Zeitung Papier am Fließband ein, unter den Augen des cholerischen Chefs. Sie gäbe gerne ihr ödes Dasein auf der Erde für ein Leben in der Zwischenwelt auf. Doch das Schicksal meint es anders mit ihr, als sie auf Patrick trifft.

Mila Sommerfeld wurde 1963 in einem Dorf in Rumänien geboren, wo sich ihr Leben als kleines Mädchen meist im großen Obstgarten oder am Bach vor dem Haus abspielte. Heute noch durchstreift sie gerne mit ihrem Hund die Natur. Vor rund sieben Jahren entdeckte sie die Leidenschaft für das Schreiben und blieb ihr treu. Erste Geschichten von ihr wurden in Anthologien veröffentlicht. 2016 schrieb sie ein Kinderbuch über ein Einhorn und arbeitet an weiteren Romanen.Seit 1970 lebt sie im Kreis Würzburg, studierte dort Betriebswirtschaft und ist als Angestellte im eigenen Geschäft tätig.

Der Sternensee Rosen rankten an einer Seite des grauen Steinhauses empor und verströmten ihren schweren, süßlichen Duft. In dem kleinen Garten vor dem Haus bogen sich die Zweige der Brombeeren- und Johannisbeerbüsche unter der Last der Früchte. Irina näherte sich den blauen Fensterläden. Sie waren in ihrer Lieblingsfarbe gestrichen, aber zugeklappt. Was sie bedauerte. Wie gerne hätte sie durch die Scheiben in das Innere des Hauses geschaut. Am Ende des Gartens ließ sie sich auf einer Holzbank unter einem Nussbaum nieder und lauschte dem Tschilpen der Vögel. Könnte sie nur für immer hier sitzen, dem Reisen der Wolken zuschauen, die unterschiedlichen Düfte des Gartens einatmen und dem Lärm des Alltags entfliehen. Ein frecher Spatz flog auf die Bank, hüpfte näher heran und schrie, als ginge es um sein Leben. Vogelgesang war anders! Sie versuchte, ihn nicht weiter zu beachten, doch er näherte sich ihr weiterhin und pfiff wie früher ihre Sportlehrerin, die wohl alle Schülerinnen zu Athletinnen hatte ausbilden wollen. Irina war nicht in der Stimmung, sich nerven zu lassen. Sie stand von der Bank auf und überließ sie dem Spatzen. Vom Gartentor führte ein Trampelpfad einen kleinen Hang hinab. Der Weg endete an einem Gebüsch und dahinter schlängelte sich ein schmaler Fluss durch grüne Wiesen. Es musste herrlich sein, jeden Morgen vom Gesang der Vögel geweckt zu werden, statt vom Lärm der vorbeibrausenden Autos, wie es ihr stets erging. Sie blieb eine Weile am Ufer sitzen. Als die Sonne sank und es dämmerte, war es an der Zeit, nach Hause zu gehen. Also schloss sie die Augen, konzentrierte sich und als sie sie wieder aufschlug, stand sie inmitten ihrer Wohnung. Sie suchte den Lichtschalter und knipste die Deckenleuchte an. Es war eine aus Weidenästen geflochtene Lampe, die einen spinnennetzartigen Schatten an die Decke warf. Irina gefiel der so gut, dass sie meist den Leuchtenschirm anstupste, um den Schatten zu beobachten. Heute tat sie das nicht. Stattdessen holte sie Papier und Stifte aus der Schublade und setzte sich damit an den kleinen Tisch. Sie war voller Eindrücke und versuchte, die-se auf das Papier zu bannen. Sie zeichnete wie im Rausch, radierte etwas weg, zog die Linie von Neuem nach, spitzte die Stifte und malte aus. Dann war das Steinhaus fertig und eingeschlossen von dem blühenden Garten. Irina betrachtete das Bild. Es war ihr gut gelungen! Das Zuschlagen der Haustür ihres Wohnblocks riss sie aus der Betrachtung der Zeichnung und ließ die Scheibe ihres kleinen Fensters beängstigend zittern. Es war das Einzige in ihrer Kellerwohnung. Zwar verirrte sich kein Sonnenstrahl herein, aber es war ihre Wohnung, wenn auch nur gemietet. Für ein ehemaliges Heimkind dennoch ein Aufstieg. Sie befestigte die Zeichnung mit Reißnägeln neben dem Poster, auf dem die pummelige Fee aus dem Disney Film „Cinderella“ abgebildet war, eingehüllt in einen blauen Umhang und den Zauberstab schwingend. Es mochte auf den ersten Blick albern erscheinen, dass eine zwanzigjährige Frau ein Poster mit einer Disney Zeichnung aufhängte, und auch auf den zweiten Blick. Irina nahm es jedes Mal von der Wand, wenn jemand sie besuchte, doch es wanderte stets zurück an seinen Platz, nachdem sie die Tür hinter dem Gast wieder geschlossen hatte. Dafür gab es mehrere Gründe. Einer war der, dass die Fee eben einer gewöhnlichen Frau glich, nicht den perfekten Prinzessinnen in den Märchen, sondern so ausschaute, wie sich Irina eine Mutter vorstellte. Sie hatte ihre nie kennengelernt. Woher sollte sie also genau wissen, wie sie ausgesehen hatte? Ausschlaggebend für den Kauf des Posters aber war der Umstand, dass es eine Fee darstellte. Und das war Irina äußerst wichtig. In den Märchen war es doch immer so: Wunderschöne Hauptdarsteller gerieten in Not, weckten bei den Lesern Mitleid und alle atmeten auf, sobald die gute Fee erschien und ihnen aus der Patsche half. Fragte aber jemand, woher die Fee kam oder wie sie lebte? Nun, Irina konnte die Fragen beantworten, wenn sie wollte. Sie kannte eine gute Fee. Die lebte in einer Kellerwohnung, deren einziger Schmuck ein Disney-Poster war, nebst einem Gemälde, auf dem ein Steinhaus vor sich hinträumte. So sah das aus! Feen wohnten nicht in einem Schloss wie Prinzessinnen. Sie fielen nicht in einen tausendjährigen Schlaf oder erstickten an einem giftigen Apfel und wurden jeweils von einem Prinzen wachgeküsst. Oh, nein! Feen hatten nur einen kurzen Auftritt. Danach verschwanden sie in ihrem Zimmer, von dessen Mitte sie nur die Arme auszustrecken brauchten, um nach etwas aus den Regalen an der Wand zu fischen. Aber sie hatten immerhin ihren Auftritt! Und was taten sie, wenn sie nicht gerade etwas Unglaubliches bewirkten? Sie lebten in der realen Welt wie jeder andere auch. Gut, dass behauptete Irina so für sich. Im Grunde kannte sie keine andere Fee. Sie wusste nicht einmal, ob es außer ihr noch welche gab. Das Leben als Fee war also eine einsame Sache, aber eine wunderbare. Ansonsten fiel ihr wenig Schönes in ihrem Dasein ein. Sie war in einem Heim aufgewachsen, deswegen von den anderen Kindern in ihrer Schulklasse wie ein Insekt behandelt und von den anderen Heimkindern gemieden worden, weil sie bereits im Alter von fünf Bücher las. Einsamkeit war sie also gewohnt. Nach ihrem achtzehnten Geburtstag, war sie von der Heimleiterin mit den Worten verabschiedet worden: Sie stünde nun auf eigenen Beinen. So war es dann auch. Wie groß ihr die Kellerwohnung damals vorgekommen war! Und sie bot ihr ein Zuhause. Irina kochte sich eine Suppe und ließ sie sich schmecken. Dann war es Zeit, sich schlafen zu legen. Gerade, als sie sich unter ihre Bettdecke gekuschelt hatte, klingelte das Telefon. Irina meldete sich. „Hallo.“ „Ich bin’s.“ Julia meldete sich immer so „Wie geht es dir?“ „Ich wollte gerade schlafen.“ „Entschuldige, dann halte ich dich nicht lange auf.“ Das tat Julia ohnehin nie. „Kannst du morgen meine Schicht übernehmen?“ Julia hatte die späte Schicht, die um zehn Uhr begann, Irinas fing um acht an. Im Grunde mochte sie die Frühschicht, weil sie gerne zeitig aufstand. Aber sie konnte Julia nichts abschlagen, weil sie ihre einzige Freundin war. „Na klar übernehme ich deine Schicht.“ „Lieben Dank und gute Nacht.“ * Am nächsten Morgen setzte sich Irina im Bus auf ihren gewohnten Platz hinter den Fahrer. Dort lenkte sie nichts ab und sie konnte in Ruhe ihren Gedanken nachhängen. Aber an diesem Vormittag drückten die auf ihre Laune. Sie spürte einen Widerwillen gegen ihre Arbeit wie schon lange nicht mehr. Möglich, dass zwei Jahre in dem Job eben reichten. Sie verdiente ihr Geld mit dem Einlegen von Papier am Fließband bei der städtischen Zeitung, einer der langweiligsten Arbeiten überhaupt. Doch einschläfernd war sie nicht. Über das Fließband wachte nämlich Herr Anton. Der konnte so laut brüllen, dass ihn bestimmt jeder am anderen Ende der Stadt noch verstand. Stellte er den falschen Knopf an den Maschinen ein und die eingelegten Blätter gerieten durcheinander, war es am besten, dass eine der Arbeiterinnen die Schuld auf sich nahm. Als Irina das noch nicht wusste, hatte sie einmal Anton widersprochen. Damals hatte er sie für unfähig erklärt und ein Telefonbuch nach ihr geworfen, das sie nur um Haaresbreite verfehlt hatte. Seitdem hob sie sofort die Hand, wenn Anton ein Opfer suchte. Gestand sie den vermeintlichen Fehler ein, dann warf er ihr vor, keinen Mumm zu haben und kriecherisch auf ihn zu wirken. Besser war es aber allemal, als Kriecher zu gelten, als von einem Buch erschlagen zu werden. Jedenfalls überlebte sie auf die Weise Antons System. Als sie einst den Vertrag im Büro der städtischen Zeitung unterschrieben hatte, war Stolz in ihr aufgestiegen. Von da an war sie in der Lage, für sich selbst zu sorgen. An dem Tag war auch das Besondere in ihr Leben getreten, ausgelöst vom Personalchef der Zeitung. Während des Händeschüttelns mit Herrn Enterich hatte sie ein Ziehen in sich gespürt, das sich verstärkt und ihr den ganzen Tag keine Ruhe gelassen hatte. Abends war dann das Wunder geschehen. Der Bus hielt und riss sie aus ihren Erinnerungen. Irina stieg aus und betrat lustlos die Druckerei. In der Halle stand Anton mit den Händen in die Hüften gestemmt vor dem Fließband. Er machte ein Gesicht, als hätte der Arzt ihm alle Zähne gezogen. Irina murmelte einen Gruß. Anton deutete mit dem Kinn zum Fließband. „Na, los! Dir kann man beim Laufen die Nägel lackieren!“ „Viel Spaß dabei!“ „Werd' nicht vorlaut!“ * In der Mittagspause bedankte sich Julia für den Schichtwechsel und flüsterte: „Heute ist Anton direkt gut gelaunt, denn er hat noch keinem mit dem Schraubenschlüssel gedroht.“ Irina grinste. „Vielleicht hat er heute Geburtstag und jemand hat ihm versehentlich gratuliert.“ Manuel setzte sich zu ihnen auf die Bank vor der Halle. Er war Student und half während der Urlaubszeit aus. „An seinem Geburtstag ziehe ich was Schwarzes an.“ „Wie meinen?“ Anton erschien wie ein Geist hinter ihnen. Irina schluckte ihren Bissen hinunter. „Wir haben gerade darüber gesprochen, was Manuel auf eine Geburtstagsfeier anziehen kann.“ Anton schüttelte den Kopf. „Was für ein interessantes Thema. Was soll ein Student anziehen, der arm wie eine Kirchenmaus ist? Am besten die einzige Hose, die er besitzt.“ Er drehte sich um und ging in die Halle. Manuel schaute ihm nach. „Im Grunde ist der brutal einsam.“ „Wer will schon seine Zeit mit dem grantigen Kerl vertun?“ Julia schnaubte. „Zwei Tage mit dem zusammen und du hast ein Magengeschwür.“ Manuel lachte darüber wie irre. Es fehlte nur, dass er sich noch auf die Schenkel klopfte. Ob er der Grund für Julias Schichtwechsel war? Jedenfalls hatte er heute auch um acht angefangen. Gerade betrachtete er Julia wie einen kostbaren Schatz. Sie schaute so aus, wie sich Irina die Prinzessin ‚Dornröschen‘ vorstellte: Ein Engelsgesicht mit blauen Augen, blondem, langem Haar und einer zarten Figur, die wohl in jedem Mann den Beschützer weck-te. Neben ihr kam sich Irina wie die Bauernmagd vor. Sie war grobknochig, wie die Heimleiterin sie einmal beschrieben hatte. Ihre dunklen Locken ließen sie so blass wirken, dass sie meist kränklich aussah und mit großen Rehaugen konnte sie auch nicht aufwarten. Ihre Augen waren zwar braun, besaßen aber eine normale Größe und wirkten nur mit viel Wimperntusche nicht völlig reizlos. Am Ende der Pause legte Manuel jeweils einen Arm um Julias und Irinas Schulter. Bei der Berührung spürte Irina das bekannte Ziehen. Deutete sie Manuels sehnsüchtige Blicke an Julia richtig, konn-te sie sich ausmalen, welchen Wunsch er hatte. Doch sie durfte kein vorschnelles Urteil fällen! * Erst zu Hause, nachdem sie zur Ruhe gekommen war, konzentrierte sich Irina auf ihr Inneres und gab dem Ziehen nach. Und dann geschah das, was für sie das Schönste im Leben war. Sie gelangte in die Zwischenwelt. Diese trennte die Traumwelt von der wirklichen, in der die Menschen lebten. Doch im Gegensatz zu der realen war die Zwischenwelt ein einziges Paradies, in dem sich Straßen in Wiesen verwandelten und Hochhäuser in malerischen Felslandschaften oder in riesige blütentragende Bäume. Die Zwischenwelt glich einem einzigen, blühenden Garten. Dort gab es einen See in Form eines fünfeckigen Sternes, den Irina für sich „Sternensee“ getauft hat-te und dessen Wasser ein wenig salzig schmeckte. Beugte sie sich über das Wasser, spiegelte sich darin das Gesicht des Menschen, dessen Wunsch sie gerade fühlte. Kam er von Herzen und schadete keinem anderen, erfüllte sie ihn. Wie das konkret vor sich ging, das wusste sie nicht, spürte aber, dass es geschah. Manche Wünsche waren simpel, das Bestehen einer Prüfung, die Anerkennung vom Chef, das Auffinden von etwas Verlorenem. Andere schwierig und einige unmöglich. So ließ sich der Tod nicht überlisten und Zuneigung nicht herbeirufen. Nie würde sie vergessen, als sie das erste Mal das Ziehen in der Brust gespürt hatte. Das geschah damals während des Händeschüttelns mit dem Personalchef der Zeitung. In ihrem Inneren wuchs der Drang, etwas erledigen zu müssen, gerade so als habe sie großen Durst und müsse ihn endlich stillen. Zu Hause konzentrierte sie sich auf das Ziehen in ihrem Herzen. Es fühlte sich mit einem Mal an, als löse sie sich auf – und sie fand sich in der wunderschönen Zwischenwelt wieder. Zuerst war ihr, als träume sie. Aber sie trat auf weiches Gras, nahm den Duft der Blumen auf und spürte den lauen Wind auf der Haut. So wundervoll diese Welt auch erschien, so fremd war sie ihr und, was ihr Herz besonders schnell pochen ließ, sie traf keinen anderen Menschen hier. Sie überlegte, ob sie sich bemerkbar machen solle oder lieber nicht. Was wusste sie denn, wer hinter einem der Büsche hervortreten konnte? Also wartete sie, selbst zwischen Sträuchern verborgen, bis das Ziehen im Inneren so stark wurde, dass sie sich hinauswagte. Wieder und wieder schaute sie sich um, es erschien ihr keiner. In der Ferne erkannte sie den sternförmigen See, der sie zu rufen schien. Dort tauchte sie die Hände in das kühle Wasser, als sie merkte, dass sich ein Bild darin formte. Das Gesicht des Personalchefs, und sie konnte in seine Seele tauchen. In dem Augenblick erwachte etwas in ihr. So klar, wie sie wusste, dass vor ihr ein See lag, so deutlich stand der Wunsch des Mannes vor ihrem geistigen Auge. Er wollte, dass seine Frau heil mit dem Auto bei ihrer Mutter ankäme. Ein Wunsch, der aus seinem Herzen kam. Irina schloss die Augen, dachte an den Herzenswunsch. Da geschah es, als flösse etwas Gutes aus ihr heraus und liefe in den See. Sie lächelte, und wusste intuitiv, dass sich der Wunsch des Chefs erfüllte, dass sie das gerade eben bewirkt hatte. Zwar hatte sie das Ganze erschöpft und ihr das Staunen darüber nahezu den Atem geraubt, aber es ließ in ihr ein Gefühl zurück, als habe sie jemandem ein Geschenk übergeben. So erlebte sie es jedes Mal. Nein, das stimmte nicht. Als sie einmal den Wunsch einer jungen Frau erfüllen wollte, die sich die Zuneigung eines Mannes gewünscht hatte, floss nichts aus Irina heraus. Ganz zu schweigen von den Wünschen nach etwas Schlimmem. Die verweigerte Irina von sich aus. In Manuels Fall würde es sich wohl um Zuneigung für Julia handeln, und der Wunsch ließ sich nicht erfüllen. Sie betrachtete wieder das blaue Wasser und des Sternensees und konzentrierte sich auf Manuel. Schon erschien auch dessen Gesicht auf dem Wasserspiegel. Irina versank gedanklich darin und vermochte es auf die Weise, auch in Manuels Seele zu gelangen. Was sie dort fand, bestätigte ihre Annahme. Er liebte Julia und wünschte sich, mit ihr zusammen zu sein. Ein wunderschöner Wunsch. Doch Zuneigung ließ sich nicht bestellen oder herbeiwünschen. Sie geschah oder eben nicht. Irina tauchte ihre Hand in das Bild von Manuels Antlitz und löschte es wehmütig aus. Gerne hätte sie dem netten Studenten einen Wunsch erfüllt! Diesen aber nicht. Hoffentlich gelang es ihm selbst, sich in Julias Herz zu schleichen. Irina stand auf und schaute sich um. Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel herab, über dem Wasser sirrten kleine Mücken und hier und da flog eine Libelle mit schlankem, blauem Körper im Sonnenschein. An den Spitzen des sternförmigen Sees schaukelte das Schilf sacht im Wind. Irina legte sich auf die Wiese am Ufer. Sie schloss die Augen und atmete den Duft nach Algen und den der blühenden Büsche ein. Das Eintauchen in die Zwischenwelt kostete Kraft. Am besten, sie ruhte sich etwas am Ufer aus. Da schwammen mit einem Mal drei Seerosen direkt auf sie zu. Sie streckte die Hand nach ihnen aus und strich über die erste Blüte, als sie ein Ziehen wahrnahm. Mit der zweiten und dritten erging es ihr ebenso. Standen sie für drei Wünsche? Aber wem galten sie? Irina horchte in sich. Der Drang, die Wünsche zu erfüllen wuchs in ihr. Aber wer stand dahinter? Und wie war das möglich? Sonst zog es nur in ihr, wenn sie einen Menschen berührte? Sie würde es schon noch herausfinden. Irina legte sich ans Ufer und schloss die Augen. Nachdem sie wieder zu Kräften gekommen war, entschied sie, das Steinhaus erneut in der Gestalt als Fee zu besuchen. Sie konzentrierte sich auf die reale Welt und fand sich kurze Zeit später im Garten des Hauses wieder. Dort roch sie an den schweren Rosenblüten im Vorgarten, spazierte vor das Haus und staunte, dass einer der Fensterläden offenstand. Sie lugte durch die Scheiben, erkannte aber nichts vom Inneren des Hauses. Die Sonne stand schräg und spiegelte sich allzu stark in dem Glas. Irina sah sich um: Weit und breit war kein Besucher des Hauses auszumachen. Vielleicht am Fluss? Sie schlenderte den Weg hinab. Auf der Wasseroberfläche ließ sich ein Ast von der Strömung treiben. Sonnenflecken blitzten auf dem Wasserspiegel auf. Eine Frau führte einen Dackel an der Leine am Ufer entlang. Der Hund blieb vor Irina stehen und knurrte sie an. Die Frau rief ihn zu sich und erklärte ihm, dass da doch nichts sei. Der Kleine aber drehte um, rannte zurück, hob das Bein und pinkelte genau auf Irinas Schuhe, jedenfalls dorthin, wo er sie vermutete. Dann ging er hocherhobenen Hauptes zu seinem Frauchen zurück. Ha! Die Mühe war umsonst! Im Grunde hatte der freche Kerl sie nicht getroffen, schließlich befand sie sich in einem amor-phen Zustand und war als Fee für keinen zu erkennen. Der Hund hatte sie wohl dennoch gewittert. Ob die Frau dort in dem Haus wohnte? Irina drehte sich um und lugte über das Gebüsch zum Steinhaus hinauf. Die Frau aber hatte einen anderen Weg eingeschlagen. Irina beobachtete das Haus weiter. Nichts regte sich. Bedauerlicherweise. Denn hier war der einzige Ort in der realen Welt, der ihr gefiel. Ansonsten zog sie die Zwischenwelt an wie die Blüten die Bienen. Schweren Herzens kehrte sie zurück in ihre Wohnung und dachte mit einem Magengrummeln an das morgige Einlegen von Papier. Sie musste sich endlich dazu aufraffen, sich eine andere Arbeit zu suchen!

Erscheinungsdatum
Reihe/Serie FAIRY FABULA ; 2
Zusatzinfo Autorenfoto
Sprache deutsch
Maße 122 x 186 mm
Gewicht 310 g
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Literatur Märchen / Sagen
Schlagworte Fee • Happy End • Märchen • Wunsch
ISBN-10 3-948592-27-6 / 3948592276
ISBN-13 978-3-948592-27-1 / 9783948592271
Zustand Neuware
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