Das Gift der Lüge (eBook)
512 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99809-3 (ISBN)
Ambrose Parry ist das Pseudonym der Autoren Christopher Brookmyre und Marisa Haetzman. Das Paar ist verheiratet und lebt in Schottland. Brookmyre arbeitete nach seinem Studium der Englischen Literatur- und Theaterwissenschaften als Journalist in London, Los Angeles und Edinburgh. Der mehrfach preisgekrönte Autor hat über zwanzig Romane veröffentlicht, darunter internationale Bestseller. Marisa Haetzman ist Medizinhistorikerin und hat zwanzig Jahre als Anästhesistin gearbeitet. Ihre Forschungsarbeit zur modernen Anästhesie inspirierte das Paar zu ihrer gemeinsamen Krimireihe um Will Raven und Sarah Fisher.
Ambrose Parry ist das Pseudonym der Autoren Christopher Brookmyre und Marisa Haetzman. Das Paar ist verheiratet und lebt in Schottland. Brookmyre arbeitete nach seinem Studium der Englischen Literatur- und Theaterwissenschaften als Journalist in London, Los Angeles und Edinburgh. Der mehrfach preisgekrönte Autor hat über zwanzig Romane veröffentlicht, darunter internationale Bestseller. Marisa Haetzman ist Medizinhistorikerin und hat zwanzig Jahre als Anästhesistin gearbeitet. Ihre Forschungsarbeit zur modernen Anästhesie inspirierte das Paar, "Die Tinktur des Todes" zu schreiben.
Kapitel 1
Er spürte warmes Blut auf dem Gesicht. Er sah Blut auf Stahl, auf Stoff, an den Wänden und auf dem Boden. Aber wichtiger war, dass das Blut in seiner Brust noch pulsierte.
Will Raven verschnaufte und stützte sich ab. Seine Angreifer verschwanden im Dunkel der verwinkelten Gasse, doch das Geräusch ihrer Schuhe auf dem Pflaster nahm er nach dem lauten Schuss nur gedämpft wahr. Der leichte Wind trug süße Gerüche herüber, eine Konditorei buk schon für den Verkauf am Morgen. Die laue Abendluft hatte ihn unachtsam werden lassen. In Edinburgh wäre er des Nachts niemals so sorglos daherflaniert, denn selbst nach ausgiebigem Ale-Genuss mahnte ihn dort stets die nüchterne Wachsamkeit, was hinter der nächsten Ecke lauern könnte. Hier in Preußen aber hatte sich seine Vorsicht von der fremden Umgebung ablenken lassen.
Sie waren überfallen worden, während sie die Königsstraße entlanggingen, eine Prachtstraße, die vom Alexanderplatz über die Spree zum Königlichen Schloss führte. Das Schloss in der Mitte der Stadt erinnerte ihn daran, woher er kam, und zugleich, wie weit er von dort entfernt war. Mit seiner auffälligen grünen Kuppel und seiner präzisen Geometrie hätte es kaum in einem schrofferen Gegensatz zu der kargen Garnisonsburg auf dem erloschenen Vulkan am Ende der High Street zu Hause stehen können. Aber auch hier kreuzten düstere, schmale Gassen die breitesten Boulevards; und anscheinend lauerte in solchen Gassen auf der ganzen Welt das Gleiche.
Drei maskierte Männer hatten in den Schatten gewartet und sich ihnen in den Weg gestellt. Einer von ihnen verlangte Geld. Sein Deutsch hatte einen seltsamen Akzent, aber die Forderung war unmissverständlich. Doch einer seiner Kumpane hatte anscheinend beschlossen, dass es leichter wäre, die Leichen zu fleddern. Er hatte eine Pistole gezogen, und dann war alles ganz schnell gegangen.
Das Blatt hatte sich mit einem Messerstreich gewendet; auf solch ein Ergebnis wäre jeder Chirurg stolz gewesen. Dieser Gedanke zog im Augenblick der Erleichterung vorüber, bevor Raven eine neue Angst packte – nämlich die davor, dass er es noch teuer würde bezahlen müssen, dass er dem Schicksal ein Schnippchen geschlagen hatte.
Raven wurde oft von der Ahnung heimgesucht, dass er in just solch einer dunklen, schäbigen Gasse eines gewaltsamen Todes sterben würde. Diese Sorge ging auf eine kalte, nasse Nacht 1847, zwei Jahre zuvor, in Edinburgh zurück, als er sich seinem Ende nahe gewähnt hatte. Zwar hatte er überlebt, doch die Bilder ließen ihn seither nicht mehr los; weniger aus Angst vor dem Tod als vielmehr davor, dass er aus seinem Leben nichts gemacht hatte. Er sorgte sich, dass er für ein solches Ende bestimmt war; dass seine hehren Ziele nichts als Luftschlösser waren und dass er im tiefsten Inneren einfach ein Mann war, der nur als Leiche in einer Gasse enden konnte.
Er drehte sich um, und sein Blick wanderte zu der Einmündung in die große Straße zurück. Im Schimmer einer Straßenlaterne sah er Henry zusammengesackt an der Mauer lehnen. Es schien, als würde der Knall noch immer zwischen den Häusern widerhallen, aber in Wahrheit fand dies nur noch zwischen seinen eigenen Schädelwänden statt. Seine Erinnerung an die letzten Momente war unklar. Er erinnerte sich an das wohlbekannte Krachen von Faust auf Knochen, an Henry, der, vom Schlag herumgeworfen, mit dem Kopf an die Wand prallte. Eine Pistole; Ravens Hechtsprung, um den Arm wegzustoßen, der sie hielt. Ein Schuss. Dann waren die Angreifer fortgelaufen, und Raven hatte die Verfolgung aufgenommen.
Raven eilte zu seinem gestürzten Freund und hockte sich vor ihn. Er hob Henrys Kinn an, um das blutüberströmte Gesicht zu begutachten. Die Augen waren glücklicherweise geöffnet, auch wenn der Blick nicht die gewohnte Schärfe zeigte.
»Wo sind sie?«, fragte Henry.
»Davongerannt. Bist du verletzt? Du hast Blut im Gesicht.«
»Du ebenso. Bei mir ist es nur eine Platzwunde. Am Kopf bluten die immer übermäßig stark. Aber ich muss mir beim Sturz das Bein angestoßen haben. Es tut mehr weh. Was ist mit den Damen?«
Raven schaute die Königsstraße hinunter und erspähte Liselotte und Gabriela an einem Brunnen auf dem Schlossplatz. Als sie überfallen worden waren, hatte er gebrüllt, sie sollten laufen, aber weit waren sie nicht gekommen. Solche Sachen waren immer schneller vorbei als gedacht. Was einem Beteiligten wie ein langwieriger Kampf erscheint, ist für den bloßen Beobachter meist eine Sache weniger Augenblicke. Die Frauen waren stehen geblieben und schauten nun zurück nach der Stelle, an der Henry gestürzt war.
Raven versuchte, ihm aufzuhelfen, aber Henry heulte auf.
»Himmel!«
Sie schauten beide nach unten und sahen es auf Henrys Oberschenkel dunkel schimmern. Instinktiv tastete Raven nach der Stelle, und Henry heulte noch einmal auf, nun aber doppelt so laut.
»Der Schuss hat dich getroffen.«
Henrys Gesicht war nun ebenso verwirrt wie schmerzverzerrt.
»Wie konnte er mich denn vorn in den Oberschenkel treffen? Ich hatte den Rücken zu ihm und schlug mit dem Gesicht an die Mauer, als er den Abzug drückte.«
»Ein unglücklicher Querschläger«, erwiderte Raven in dem Bewusstsein, dass es auch viel schlimmer hätte kommen können. Er war sich sicher, dass der Feigling mit der Pistole auf Gabriela gezielt hatte, als er ihn am Arm erwischte.
Liselotte und Gabriela waren mittlerweile herbeigeeilt, um zu helfen. Besorgnis stand ihnen im Gesicht.
»Wir haben den Schuss gehört«, sagte Gabriela. »Wer von euch wurde getroffen?«
Raven schaute sie fragend an, denn für ihn war die Antwort offensichtlich: der, der blutete. Dann berührte er sein Gesicht. Es war voller Blutspritzer, ebenso wie der Ärmel seines rechten Armes.
»Das ist Henrys Blut«, sagte er. Das war weder die ganze Wahrheit noch vollends gelogen. »Er wurde ins Bein getroffen.«
»Wir müssen ihn zu einem Chirurgen schaffen«, sagte Liselotte in dringlichem Ton.
»Ich bin selbst Chirurg«, erinnerte Henry sie. »Bringt mich einfach zurück nach Schloss Wolfburg, dann kann ich die Wunde selbst in Augenschein nehmen.«
Raven riss sich den blutbesudelten Ärmel vom Hemd und verband damit straff Henrys Oberschenkel, um die Blutung zu stillen. Auf beiden Seiten gestützt konnte Henry voranhumpeln. Ihre Wohnungen in der Jägerstraße waren ohnehin nicht fern.
Sie waren auf dem Weg dorthin gewesen, als sie überfallen wurden. Vielleicht hatte man sie für wohlhabende Reisende aus Übersee gehalten. Falls dem so war, wollte Raven es als Kompliment betrachten, dass die Gauner ihn als derart vornehm wahrgenommen hatten, denn wenn Henry und er auch tatsächlich von jenseits der Nordsee kamen, waren sie doch weiß Gott nicht reich. Nach einem Aufenthalt in Leipzig famulierten sie nun seit zwei Monaten an der Charité. Davor hatten sie sich bereits in London, Paris und Wien aufgehalten.
Raven öffnete die Tür zu dem gemeinsamen Flur der beiden Wohnungen und entzündete die Lampen, während Liselotte und Gabriela Henry hineinhalfen.
»Ins Schlafzimmer mit ihm«, verfügte Liselotte.
»Mit vertrautem Nachdruck geäußerte Worte«, neckte Raven sie.
Liselotte schnaubte. Sie kannte die beiden nun schon lange genug, um nichts Besseres zu erwarten.
Eigentlich war Raven kaum nach Scherzen zumute, aber er wollte dafür sorgen, dass sich die Stimmung seines Freundes nicht zu sehr verfinsterte.
»Nein«, widersprach Henry. »Hier ist das Licht besser. Und ich muss aufrecht sitzen können.«
Sie brachten ihn zum Sofa am Wohnzimmerkamin.
»Alle Lampen herbei!«
Henry stöhnte zum Steinerweichen, als Raven ihm die Hose auszog, und der Schmerz schien ihn zu übermannen. Zunächst hatten ihn der Schock und die Aufregung etwas gedämpft, aber nun blieb Henry diese Gnade versagt.
Er untersuchte die Wunde und betastete sie behutsam. Dann sah er Raven an, der ihm die Lampe hielt.
»Die Kugel ist nicht durchgeschlagen. Sie sitzt auch nicht tief, aber sie ist noch drinnen.«
Er keuchte bei jedem Wort. Er schwitzte. Raven wusste, was bevorstand; hatte es gewusst, seit sie die Wunde entdeckt hatten.
»Ich fürchte, ich muss dich bitten, mir die Ehre zu erweisen, alter Freund«, sagte Henry.
»Ah, aber worauf beharrt dein hochverehrter Professor Syme immer wieder? Entbindungsärzte sollten gefälligst keine Operationen durchführen.«
»Und was kontert stets dein geschätzter Professor Simpson? Wir sind doch alle Absolventen des Royal College of Surgeons, nicht wahr?«
»Nun denn. Wie es scheint, habe ich keine Wahl.«
Henry lehnte sich auf dem Sofa zurück, legte den Kopf ab und ächzte von Neuem.
»Was denn? Ich habe doch noch gar nicht angefangen.«
»Mir ist gerade eingefallen, dass ich mein Operationsbesteck im Krankenhaus liegen lassen habe. Hast du deine Sachen hier?«
Raven überspielte seine Gefühle mit einem Grinsen und klopfte sich auf die Manteltasche, wo er sein Messer hatte.
»Und vor allem: Hast du Chloroform da?«
»Nein. Du wirst es eben aushalten müssen.«
Raven benutzte die gleichen Worte wie einst Henry, als er Ravens Wange hatte nähen müssen. Dabei hob er die Hand an die Narbe, um Henry daran zu erinnern. Dieser wirkte vollends entmutigt.
»Ein Scherz«, sagte Raven. »Gabriela, holst du mir bitte die Tasche aus meinem Zimmer?«
»Danke«, erwiderte Henry. »Mir geht es weniger um den Schmerz als darum, dein wüstes Schlachtwerk an meinem Bein nicht mitansehen zu müssen.«
»Ach, sei keine Mimose! Du hast doch noch eins.«
Raven zog das Messer aus der Tasche. Henrys Augen suchten sofort die Klinge, und ihm fiel auf, dass sie voller Blut war. Raven hoffte,...
Erscheint lt. Verlag | 31.5.2021 |
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Reihe/Serie | Die Morde von Edinburgh |
Die Morde von Edinburgh | Die Morde von Edinburgh |
Übersetzer | Hannes Meyer |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Art of Dying |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Historische Kriminalromane | |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 19. Jahrhundert • Arzt • Betäubungsmittel • Brookmyre • Detektiv • Edinburgh • frühe Medizin • Gift • Historischer Kriminalroman • Historischer Roman • Ian Rankin • Krankenschwester • Medizingeschichte • Schottland • Serienmörder • Sherlock Holmes • spannend • Val McDermid • vergiftet |
ISBN-10 | 3-492-99809-7 / 3492998097 |
ISBN-13 | 978-3-492-99809-3 / 9783492998093 |
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