Villa Fortuna (eBook)
448 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99802-4 (ISBN)
Antonia Riepp ist das Pseudonym einer deutschen Bestsellerautorin, die seit über zwanzig Jahren Spannungsromane veröffentlicht. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet, ihre Bücher wurden in fünf Sprachen übersetzt und zwei ihrer Bestseller verfilmt.
Antonia Riepp ist das Pseudonym einer deutschen Bestsellerautorin, die seit über zwanzig Jahren Spannungsromane veröffentlicht. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet, ihre Bücher wurden in fünf Sprachen übersetzt und zwei ihrer Bestseller verfilmt. "Belmonte" ist ihr erster bewegender Familienroman. Die Autorin lebt im Allgäu.
Oktober 2020
Johanna
Die Hunde merkten es immer lange vor Johanna, wenn sich Besuch ankündigte. Lani und Bella, die beiden Segugio-Damen, begannen nervöse Kreise im Hof zu ziehen, Mauri, ein graubrauner Zottel, und der nicht ganz reinrassige Schäferhund Otto setzten sich aufrecht und witternd vor die Treppe, und Ursula fing voller Vorfreude zu sabbern an. Die weiße Maremmano-Hündin war inzwischen dreizehn Jahre alt. Gabriella vom Moretti-Hof hatte Johanna den vier Monate alten Welpen zum Einzug geschenkt oder, besser gesagt, aufgedrängt. Wenn Johanna schon unbedingt in einem abgelegenen Bauernhaus im Apennin leben wolle, brauche sie wenigstens einen Hund, und diese großen Hütehunde seien für ihre Schärfe und Wachsamkeit bekannt.
Der Welpe hatte ausgesehen wie ein kleiner Eisbär, ein orso bianco, also hatte Johanna ihr den Namen Ursula gegeben. Was den scharfen Wachhund betraf, schien Ursula ein wenig aus der Art zu schlagen. Bestimmt würde sie einen Wolf verjagen, daran glaubte Johanna ganz fest, nur hatte sich in all den Jahren keiner blicken lassen, obwohl es in den Bergen durchaus welche gab. Menschen gegenüber zeigte sich Ursula dagegen hoffnungslos bestechlich. Was soll’s?, fragte sich Johanna. Die anderen Hunde hatten schließlich ebenfalls ihre Defizite.
Viele Menschen kamen ohnehin nicht hinauf zu ihrem kleinen Gehöft, denn für die steilen Serpentinen brauchte man ein geländegängiges Fahrzeug, oder man musste den Anstieg zu Fuß bewältigen, was nicht jedermanns Sache war. In der Saison durfte Schäferhund Otto bisweilen Touristen vertreiben. Sein fehlendes rechtes Hinterbein hinderte ihn nicht daran, mit Überzeugung den Besucherschreck zu geben, und Wanderer, meistens Deutsche, die das Schild mit der Aufschrift privato an der Abzweigung ignoriert hatten, machten denn auch stets recht eilig wieder kehrt.
In diesem Jahr jedoch waren sowohl ungebetene als auch gern gesehene Besuche ausgeblieben. Das Corona-Virus hatte die Touristen ferngehalten und die Einheimischen in die Häuser verbannt. Als wäre das nicht genug, riss ein früher Herbststurm weiter unten am Berg zwei Pappeln um. Die Bäume lagen seit Wochen quer über der Schotterstraße, die als einzige nach Belmonte führte.
Jetzt war Anfang Oktober, und noch machte ihr die blockierte Straße nicht allzu viel aus. Zweimal pro Woche schlüpfte sie in ihre Wanderschuhe und schulterte den Rucksack, um Essen für sich und die Hunde zu besorgen. Es gefiel ihr, sich selbst zu beweisen, dass sie nicht auf das Auto angewiesen war. Dabei war sie sich durchaus bewusst, dass sie das Schicksal herausforderte. Was, wenn einer der Hunde zum Tierarzt musste oder wenn ihr selbst etwas zustieß? Außerdem konnte sie unmöglich den gesamten Wintervorrat für sich und die Tiere im Rucksack heranschaffen. Hier oben tat man gut daran, sich beizeiten mit Vorräten einzudecken, denn die strada bianca nach Belmonte wurde nicht geräumt, und das Stück von der Abzweigung bis zu Johannas Haus war bei Schnee selbst zu Fuß riskant. In einigen Kurven ging es direkt neben dem Weg steil hinunter. Ein Ausrutscher, ein falscher Tritt auf ein trügerisches Schneebrett, und man endete am Grund der Schlucht.
Um zu Fuß nach Belmonte zu kommen, brauchte man etwa eine Stunde, doch bei Johanna dauerte es meist länger, denn auf dem Hinweg trödelte sie gern herum: hielt Ausschau nach Pilzen, Beeren und Kräutern, beobachtete Vögel oder genoss einfach nur die Aussicht auf die Landschaft der italienischen Marken: das Mosaik der Felder mit den grünen Einsprengseln kleiner Wälder, die einzelnen Gehöfte, die silbrigen Bänder der Straßen. Mittelalterliche castelli, umgeben von trotzigen Festungsmauern, besetzten die Hügel, und an klaren Tagen konnte man im Hintergrund den kobaltblauen Strich der Adria sehen, die nur eine halbe Autostunde entfernt war. War Johanna dann endlich in Belmonte angekommen, gönnte sie sich als Erstes einen Cappuccino in der Bar, holte dort ihre Post ab und ließ sich von Giovanna den neuesten Dorfklatsch erzählen. Danach besuchte sie entweder den Dorfladen von Giovannas Tochter Flavia, er lag gleich nebenan, oder sie traf sich mit ihrer Freundin Gabriella, und sie fuhren zusammen nach Serra de’ Conti, zum Supermarkt und der Tierfutterhandlung.
Der Rückweg mit dem schweren Rucksack war deutlich beschwerlicher und dauerte jedes Mal fast zwei Stunden.
»Du wirst dir noch den Rücken ruinieren«, hatte Gabriella letzte Woche prophezeit, als sie auf der Terrasse vor Giovannas Bar saßen. Gabriella bestellte zwei frizzante, diesen leicht süßlichen Perlwein, den Johanna nicht besonders mochte und den sie später, als ihre Freundin nicht hinsah, in den Kübel der Bougainvillea goss.
»Soll ich nicht meine Jungs bitten, die Bäume wegzumachen? Wir haben keine Gäste, sie hätten genug Zeit.«
»Das sehe ich nicht ein«, beharrte Johanna. »Die Straße frei zu machen ist Aufgabe der Gemeinde. Wozu zahlen wir schließlich Steuern?«
»Das kann noch Wochen dauern, bis die ihre Ärsche hochkriegen.«
»Ich werde unserem Bürgermeister schöne Augen machen, das hilft bestimmt«, verkündete Johanna, und daraufhin kicherten sie wie die Teenager.
»Keine Sorge, ich bin zäh«, hatte Johanna noch hinzugefügt.
Johanna Burger war dünn und drahtig und viel kräftiger, als sie aussah. Vor allen Dingen verfügte sie über Ausdauer. Mit zweiundsechzig, so sagte sie sich, durfte man sich nicht gehen lassen. Darum hoffte sie, dass die Einkaufstouren zu Fuß sie wenigstens fit halten würden.
Möglicherweise kam ihr zugute, dass sie in Oberstdorf aufgewachsen und daher von klein auf an Bergtouren in den Allgäuer Alpen gewöhnt war. Kaum ein Gipfel im Umkreis, den sie nicht zusammen mit ihrem Vater und den Brüdern erklommen hätte. Ihre Mutter war nie dabei gewesen. Vielleicht erschlossen sich ihr die Freuden der Gipfelstürmerei wegen ihrer pommerschen Gene nicht, vielleicht hatte sie aber auch einfach genug zu tun – mit einem Mann, der im Haushalt kaum einen Finger rührte, drei Kindern, der Buchhaltung für die Schreinerei und einer Schwiegermutter, der man nichts recht machen konnte.
Jetzt bemerkte auch Johanna das Nahen eines Menschen: Ein morscher Zweig knackte, Eichelhäher flogen auf und stießen heisere Warnrufe aus, und nach einer Weile konnte sie sogar Schritte hören. Schwere, kräftige Schritte, die den Waldweg hinaufstapften, der von Jahr zu Jahr ein bisschen mehr zuwuchs. Ihn freizuschneiden und instand zu halten war eine Aufgabe, vor der Johanna sich nur allzu gerne drückte.
Es konnte niemand aus dem Dorf sein. Um halb drei am Nachmittag pflegten die Einheimischen grundsätzlich ein ausgedehntes Mittagsschläfchen zu halten und wären keinesfalls so verrückt, eine Wanderung zu unternehmen. Erst recht nicht bei diesen Temperaturen. Johanna hatte sich im Lauf der Jahre diesen Sitten angepasst. Ehe die Hunde unruhig geworden waren, hatte auch sie im Schatten des Walnussbaums auf einer Liege gelegen, gelesen, gedöst und die Freuden des Altweibersommers genossen.
Es musste ein Fremder im Anmarsch sein, das signalisierten ihr schon die Hunde. Ursula hörte auf zu sabbern und schaute Johanna fragend an. Ottos Nackenfell sträubte sich, und er fletschte sein nicht mehr ganz vollständiges Gebiss. Mauri stand auf, schüttelte den Staub aus seinen Zotteln und stellte sich hinter Otto; der General und sein Adjutant. Lani und Bella, die Segugio-Hündinnen, hefteten sich an Johannas Fersen und folgten ihr ins Haus. Sie stieg die steile Holztreppe hinauf und ging in ihr Schlafzimmer.
Die Hälfte des Raums wurde von dem breiten Bett eingenommen, einem matrimoniale aus dunklem Holz und mit einer wuchtigen Bettlade, die mit ornamentalen Schnitzereien verziert war. Es stammte von einem der diversen Vorbesitzer, genau wie die meisten Möbel in ihrem Haus. Sie waren alt und etwas ramponiert, aber sie erfüllten ihren Zweck und strahlten mit ihren Schrammen und abgestoßenen Kanten einen gewissen Shabby-chic-Charme aus. Ursprünglich hatte Johanna vorgehabt, das eine oder andere Stück weiß anzumalen, damit es weniger düster wirkte, aber sie hatte stets Besseres zu tun gehabt und sich inzwischen daran gewöhnt.
Johanna zog die löcherige Schlabberhose aus und schlüpfte in die Jeans, die am Türhaken hing. Dann kniete sie sich ächzend auf die Cottofliesen, angelte die Schrotflinte unter dem Bett hervor und befreite sie von einigen Staubmäusen. Da unten müsste sie mal wieder nass wischen, erkannte Johanna bei dieser Gelegenheit und stand auf. Im Hinausgehen warf sie einen Blick auf ihr Gesicht in dem leicht angelaufenen Spiegel, der auf der Kommode stand. Auch schon ziemlich shabby, realisierte sie, und von chic konnte erst recht keine Rede sein. Das Haar, das sie mit einer Klammer zu einem nachlässigen Knoten zusammengefasst hatte, hätte eine Wäsche vertragen können, aber immerhin hatte sie es neulich erst frisch färben lassen: haselnussbraun, ihre Naturfarbe, ehe sie immer grauer geworden war. Ihr schmales, etwas längliches Gesicht war von der Sonne gebräunt. Wahrscheinlich hätte sie ein paar Falten weniger, wenn sie stets Hut und Sonnenbrille aufsetzen würde, wie die Italienerinnen es konsequent taten, aber sie vergaß es einfach viel zu oft. In letzter Zeit fand sie, dass ihr Gesicht dem ihrer Mutter immer ähnlicher wurde. Ein Gedanke, der gemischte Gefühle bei ihr auslöste. Charlotte Burger war eine anmutige Frau mit feinen Zügen gewesen, das schon, aber die wenigsten Frauen fanden es erstrebenswert, auszusehen wie ihre Mutter, und Johanna, die mit der längst Verstorbenen noch die eine oder andere Rechnung offen hatte, schon gar nicht.
Die Flinte auf den Knien saß sie wenig später...
Erscheint lt. Verlag | 3.5.2021 |
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Reihe/Serie | Die Belmonte-Reihe |
Die Belmonte-Reihe | Die Belmonte-Reihe |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 1970er • Achtziger Jahre • Allgäu • Belletristik Neuerscheinung • Belmonte • Bücher 20. Jahrhundert • Bücher Familiengeheimnis • Familiensaga • Frauenemanzipation • Geheimnisse • historische Frauenromane • Historischer Roman Neuerscheinung • Italien • italienische Marken • Kempten • Roman Frauenemanzipation • Uneheliches Kind |
ISBN-10 | 3-492-99802-X / 349299802X |
ISBN-13 | 978-3-492-99802-4 / 9783492998024 |
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