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Der namenlose Tote (eBook)

Kriminalroman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
480 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99808-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der namenlose Tote -  Bella Ellis
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Die Brontë-Schwestern ermitteln wieder! Haworth, 1845. Emily, Charlotte und Anne Brontë sind enttäuscht: Von ihrem Lyrikband wurden nur zwei Exemplare verkauft. Sie beschließen, fortan Romane zu schreiben. Auf der Suche nach passenden Geschichten erfahren die drei Ungeheuerliches: In den Mauern des düsteren Anwesens Top Withens Hall wurden die Knochen eines Kindes gefunden! Als kurz darauf erneut ein Kind verschwindet, schwören Charlotte, Emily und Anne, es zu finden. Doch ein Unbekannter tut alles, um die drei selbst ernannten Detektivinnen aufzuhalten. »Elegant, witzig und absolut lesenswert - die Brontë-Schwestern wären bestimmt begeistert!« Rosie Walsh Nach »Die verschwundene Braut« der zweite Band mit den Brontë-Schwestern als einfallsreiche und unerschrockene Ermittlerinnen.

Bella Ellis ist der von den Brontë-Schwestern inspirierte Künstlername der preisgekrönten Autorin Rowan Coleman. Sie war schon immer eine begeisterte Brontë-Anhängerin - und ist selbst Bestsellerautorin von vierzehn Romanen, darunter »Einfach unvergesslich«, »Zwanzig Zeilen Liebe« und »Beim Leben meiner Mutter«.

Bella Ellis ist der von den Brontë-Schwestern inspirierte Künstlername der preisgekrönten Autorin Rowan Coleman. Sie war schon immer eine begeisterte Brontë-Anhängerin – und ist selbst Bestsellerautorin von vierzehn Romanen, darunter "Einfach unvergesslich", "Zwanzig Zeilen Liebe" und "Beim Leben meiner Mutter".

Kapitel 8


Emily


Emily beobachtete Liston dabei, wie er mit großem Appetit von dem Schafeintopf aß. Branwell hatte seinen Freund aufgefordert, sie nach Haworth zu begleiten und ihnen beim Abendessen mit Papa Gesellschaft zu leisten, und Emily und ihre Schwestern hatten sofort ebenfalls dafür plädiert. Schließlich riskierte Liston dadurch, dass er ihrem Anliegen nachgegeben hatte, den Zorn seines Vaters auf sich zu ziehen, und die Nacht im Freien zu verbringen war viel zu gefährlich. Jetzt, da sie wieder zu Hause und in Sicherheit waren, peitschte der Wind noch wilder um ihr kleines Haus, und Emily konnte kaum glauben, dass die Geschehnisse der letzten Stunden nicht ein Ergebnis ihrer blühenden Fantasie waren, keine Gruselgeschichte aus Gondal. Doch die noch immer vor Kälte schmerzenden Zehen waren Beweis genug, dass sich das alles tatsächlich zugetragen hatte. Emily war so daran gewöhnt, sich ganze Welten auszudenken, dass sie manchmal vergaß, welche der vielen Versionen ihr wirkliches Leben war. Aber vielleicht spielte es auch gar keine Rolle, welche Version die echte war, schließlich fühlten sie sich alle gleich wahr an.

Jedenfalls war es das Mindeste gewesen, Liston etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf anzubieten. Tabby zeigte sich, gelinde gesagt, nicht sonderlich erfreut über den Gast. Sie war überzeugt davon, dass die Sündhaftigkeit eines Vaters sich auf seine Kinder übertrug, und sah deshalb Hörner aus Listons Kopf wachsen und hinter seinem Stuhl einen Schwanz über den Boden streichen. Liston hielt sich nicht oft im Dorf auf, darum überraschte es Emily, wie gut aussehend der Bradshaw-Spross war: langes, kräftiges Haar, blasser Yorkshire-Teint und Augen so schwarz wie Raben. Er sah so aus, wie er lebte: wild – und frei von gesellschaftlichen Zwängen. Emily beneidete ihn.

»Gestattest du, dass Liston über Nacht in unserem Haus bleibt, Papa?«, fragte Branwell nach einigen Minuten müden Schweigens. Er legte die Hand auf die seines fast blinden Vaters, um seine Stimme mit einer sanften Berührung zu verbinden. »Er kann in meiner Kammer schlafen – ich lege mich auf den Boden. Nicht einmal jemand, der die Schäferwege so gut kennt wie Liston, sollte bei dem Wetter und um diese Uhrzeit den Weg nach Top Withens antreten. Zumal Listons Vater inzwischen bemerkt haben könnte, was er getan hat, und keiner wissen kann, was Liston diesbezüglich erwartet. Clifton Bradshaw kann sehr schwierig werden, wenn er aufgebracht ist.«

»Das kann er in der Tat, aber ich werde mich dem morgen früh stellen«, warf Liston sofort ein, mit einer Entschlossenheit, die Emily beeindruckte. »Ich muss nach Top Withens zurückkehren und dem Zorn meines Vaters entgegentreten. Pa ist ein … harter Mann, und auch wenn es allen anderen unverständlich sein mag, so ist Top Withens doch mein Zuhause, der Boden dort ist mein Blut und meine Lunge. Wenn ich nicht dorthin zurückkehren kann, werde ich sterben wie ein Fisch, der aus dem Fluss gezogen wurde.«

Hätte er diese Worte mit weniger Nachdruck oder Überzeugung ausgesprochen, wäre Emily versucht gewesen, angesichts einer solchen Aussage zu lachen. Doch Listons flammende Wangen waren ein klares Zeichen dafür, dass es ihm todernst war. Dieser Mann liebte den Flecken Erde, auf dem er aufgewachsen war, hier fand er Geborgenheit, die ihm durch den Verlust der Mutter genommen worden war. Das alles konnte Emily sehr gut verstehen. Aber Liston umgab auch etwas, was sie noch nicht ganz durchschaut hatte: War es Wachsamkeit? Er sah aus wie ein Mann auf der Flucht, und als würde ihm ein Schatten folgen, der nicht sein eigener war. Vielleicht wusste er viel mehr über die Taten seines Vaters, als er ihnen bisher erzählt hatte. Er war fast noch ein Kind gewesen, als seine Mutter starb, etwa zwölf Jahre alt, also noch nicht groß genug, um allein im Leben zurechtzukommen, aber durchaus in der Lage, Unrecht zu erkennen.

»Kinder, ihr habt heute eine gute Tat vollbracht«, sagte Papa schließlich. Er richtete den Blick nacheinander auf jeden Einzelnen von ihnen, aber Emily bezweifelte, dass er sie überhaupt noch voneinander unterscheiden konnte. Sosehr sein Augenlicht auch nachgelassen hatte – sein irischer Akzent war präsent wie eh und je und gab Emily ein Gefühl der Vertrautheit, auch wenn diese sonore Stimme ihnen – wie jetzt – die Leviten las. »Dennoch muss ich sagen, ihr hättet zuerst zu mir kommen sollen, denn die Aufgabe, derer ihr euch heute Nachmittag angenommen habt, wäre eigentlich meine oder die meines Vikars gewesen. Ganz gleich, wie sehr der Herr mich prüfen will, indem er mir das Augenlicht nimmt, ich bin der Verteidiger und Hirte dieses Kirchspiels und werde das bis zu meinem Tod sein. Hinter meinem Rücken getroffene Entscheidungen zeugen von mangelndem Respekt mir gegenüber. Habe ich mich klar ausgedrückt?«

»Ja, Papa«, murmelten Emily und ihre Schwestern unisono, und auch Branwell brummte mit.

»Augenlicht hin oder her, ich bin im besten Alter, und ich bin überzeugt, Arthur und ich hätten das Kind holen und so unsere Pflicht als Männer Gottes erfüllen können. Dass du, Branwell, derart ungestüm handelst, ist eine Sache – aber junge Frauen sind nun einmal nicht dafür bestimmt, Pfarrer oder Kurat zu werden. Das ist in Gottes Plan nicht vorgesehen.«

»Kein Wunder, dass Kuraten immer so unfähig sind«, brummte Emily und sah zu Anne, die ein Lächeln unterdrückte. So bedrückend ihre kleine Mission auch gewesen war, unter den vieren war heute eine Kameradschaft zu spüren gewesen, wie sie sie als Kinder oft zelebriert hatten: Sie alle zusammen, mit Liston, wie sie mit seinem Pony an ihrer Seite nach Hause marschierten. Sie waren Verbündete. Abenteurer. Sie empfanden neue Solidarität und Sinnhaftigkeit.

»Wie ich höre, Emily Jane, liegt dir eine Einladung angesehener Herrschaften vor, bei einem Wohltätigkeitsabend in Oakhope dein musikalisches Talent unter Beweis zu stellen.«

»Woher weißt du …?«, hob Emily an.

»Ich kenne Lady Hartley recht gut persönlich«, schaltete Mr Nicholls sich ein wenig selbstzufrieden ein. »Es ist mir immer wieder eine große Freude, Lady Hartley bei ihren wohltätigen Aktivitäten zu assistieren, wenn sie in Yorkshire ist. Ich erhielt heute einen Brief von ihr, in dem sie mich über die ausgesprochene Einladung informiert. Das muss Ihnen doch ungemein schmeicheln, Miss Brontë. Zumal Lady Hartley und Sie sich noch nie begegnet sind.«

»Das könnte ein entscheidender Grund dafür gewesen sein, dass die Einladung überhaupt ausgesprochen wurde«, brummte Charlotte. »Aber jedenfalls siehst du das doch auch so, Papa, ja? Emily muss zusagen. Es würde ein sehr schlechtes Licht auf unsere Familie werfen, wenn sie ablehnt, meinst du nicht auch?«

»Ich neige dazu, dir zuzustimmen, Charlotte«, sagte Papa. »Jedoch ist Emily ein eigenständiger Mensch, der selbstverständlich frei entscheiden darf. Dazu habe ich euch seit jeher erzogen, dass ihr euer Schicksal selbst gestaltet. Und das gilt auch in dieser Angelegenheit.«

Charlotte machte ein unzufriedenes Geräusch, als sich am Tisch wieder Schweigen einstellte. Emily empfand die Stille als angenehm. Nach dem heutigen Tag war ihr weder danach, sich über Liederabende irgendwelcher Damen der höheren Gesellschaft Gedanken zu machen, noch danach, über die merkwürdigen Ereignisse zu schreiben. Jedenfalls bis auf Weiteres.

Denn jetzt bestand ihre Aufgabe darin, herauszufinden, wer den Tod jenes Kindes zu verbergen versuchte, indem er es im Schornstein eines seit dreizehn Jahren verriegelten Raumes versteckte.

Mr Arthur Bell Nicholls jedenfalls, mit seinen unter schweren Brauen liegenden ernsten Augen und seiner geraden, feinen Nase, hätte ganz sicher kein Geheimnis gewittert. Emily war überzeugt, dass dieser Mann über keinen Funken Fantasie verfügte. Wenn sein Gesicht ein Spiegel seines Geistes war, dann musste es sich bei ihm um eines der stumpfsinnigsten Wesen unter der Sonne handeln. Mochte Gott verhindern, dass Charlotte jemals auf die Idee kam, die ihr von diesem Mann entgegengebrachte Bewunderung zu erwidern. Denn sollte sie ihn jemals heiraten, würde Charlotte ganz sicher binnen Jahresfrist vor Langeweile eingehen – obschon ihre Schwester auf diese Weise Zugang zu Lady Hartleys Salon bekommen würde.

»Was Sie heute getan haben, würde Lady Hartley ganz sicher nicht gutheißen«, sagte Mr Nicholls streng und agierte dabei fast schon wie ein Ehemann. »Sie müssen sich die Frage gefallen lassen, wie klug das war, Ihre Schwestern auf diese Unternehmung mitzunehmen, Branwell.«

Bevor Emily darauf reagieren konnte, antwortete Branwell bereits: »Es tut mir furchtbar leid, Ihnen mitteilen zu müssen, Sir, dass es meine Schwestern waren, die mich mitnahmen, und sie haben sich bei der ganzen Angelegenheit weit robuster und tapferer gezeigt als ich selbst, ja, vielleicht als jeder andere Mann es getan hätte.« Branwell lächelte schief. »Was mich selbst betrifft, so haben mir die heutigen Strapazen sehr deutlich vor Augen geführt, dass ich nicht mehr der Jüngste bin, denn meine Glieder sind schwer wie Blei.«

»Du hast dich heute ganz hervorragend geschlagen«, sagte Emily, weil sie das tatsächlich so empfand. »Du hast uns angeführt wie immer, wir sind dir gefolgt. Und als wir fertig waren, hast du uns alle wieder heil nach Hause gebracht – sogar Mr Liston und sein treues Pony Piper. Du bist ein bemerkenswerter Mann, Branwell, wenn du es selbst zulässt.«

Branwell und Emily blickten einander für einen Moment an – eine stille Geste der Zuneigung zwischen den beiden. Die bleichen Wangen und die dunklen Ringe unter den Augen des Bruders waren nicht zu übersehen. Emily dachte an den Schädel...

Erscheint lt. Verlag 3.5.2021
Reihe/Serie Die Brontë-Schwestern
Die Brontë-Schwestern
Übersetzer Kathi Linden
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Historische Kriminalromane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Anne Bronte • Atmosphärisch • Bella Ellis • Belletristik Neuerscheinung • Bronte-Schwestern • Charlotte Bronte • Cosy Crime • Cosy-Crime-Reihe • Die Bronte-Schwestern ermitteln • Die verschwundene Braut • einfach unvergesslich • Eingemauerte Leiche • Emily Bronte • England • Ermittlung • Frauenpower • Gothic novel • Historischer Kriminalroman • Kriminalfall • Moor • Neuerscheinung 2021 • Rätselhafter Tod • Rosie Walsh • Rowan Coleman • Schauerroman • Yorkshire • Zwanzig Zeilen Liebe
ISBN-10 3-492-99808-9 / 3492998089
ISBN-13 978-3-492-99808-6 / 9783492998086
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