Scheibenwelt All Stars (eBook)
1104 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99828-4 (ISBN)
Terry Pratchett, geboren 1948 in Beaconsfield, England, erfand in den Achtzigerjahren eine ungemein flache Welt, die auf dem Rücken von vier Elefanten und einer Riesenschildkröte ruht, und hatte damit einen schier unglaublichen Erfolg: Ein Prozent aller in Großbritannien verkauften Bücher sind Scheibenweltromane. Jeder achte Deutsche besitzt ein Pratchett-Buch. Bei Piper liegen der erste Scheibenweltroman »Die Farben der Magie« sowie die frühen Bände um Rincewind, Gevatter Tod, die Hexen und die Wachen vor - Meisterwerke, die unter den Fans einhellig als nach wie vor unerreicht gelten. Terry Pratchett erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den »World Fantasy Lifetime Achievement Award« 2010. Zuletzt lebte der Autor in einem Anwesen in Broad Chalke in der Grafschaft Wiltshire, wo er am 12. März 2015 verstarb.
Terry Pratchett, geboren 1948, erfand in den 1980ern eine flache Welt, die auf dem Rücken von vier Elefanten und einer Riesenschildkröte ruht und bis heute Millionen Fans begeistert. Der Autor starb 2015 nach langer Krankheit in Wiltshire.
Dies ist das von flackerndem Kerzenschein erhellte Zimmer mit den Lebensuhren – zahllose Regale, gefüllt mit kleinen Sanduhren, eine für jeden Lebenden. Der Sand darin rinnt von der Zukunft in die Vergangenheit, und das leise Zischen der einzelnen Körner vereint sich zu lautem Tosen.
Dort ist der Herr des Zimmers; er schreitet durch den Raum und wirkt recht nachdenklich. Sein Name lautet Tod.
Natürlich ist er nicht irgendein Tod, sondern ein ganz besonderer. Sein spezieller Wirkungskreis ist, nun, kein Kreis, sondern die flache, runde Scheibenwelt. Sie ruht auf den Rücken von vier riesigen Elefanten, die wiederum auf der gewaltigen Sternenschildkröte Groß-A’Tuin stehen, und von ihrem Rand ergießt sich ein ewiger Wasserfall in die Unendlichkeit des Alls.
Wissenschaftler haben errechnet, dass die tatsächliche Existenzchance für etwas derart Absurdes ungefähr eins zu einer Million beträgt.
Zauberer hingegen wissen aus Erfahrung, wie oft Unmögliches und Verrücktes zur täglichen Norm werden können.
Tod klickt auf knöchernen Zehen über die schwarzweißen Fliesen und murmelt unter seiner Kapuze, während Skelettfinger über die Regale mit den Lebensuhren tasten.
Schließlich nickt er zufrieden, greift vorsichtig nach einem der gläsernen Behälter und trägt ihn zur nächsten Kerze. Er hält ihn ins Licht und beobachtet aufmerksam das winzige Objekt in seinem Innern.
Der Blick leerer, glühender Augenhöhlen gilt der Weltschildkröte, die durch die Tiefen des Alls wandert, ihr Panzer von Kometen und Meteoriten zerkratzt. Tod weiß: Eines Tages wird selbst Groß-A’Tuin sterben. Welche Herausforderung!
Schließlich betrachtet er das blaugrüne Schimmern der Scheibenwelt, die sich langsam unter ihrer winzigen Satellitensonne dreht.
Das Licht des Tages gleitet zu der langen Gebirgskette, die man Spitzhornberge nennt. In jenem Massiv gibt es viele tiefe Täler, steile Grate und, allgemein gesprochen, zu viel Geografie. Es hat sein eigenes, ganz spezielles Wetter, das zum größten Teil aus Schrapnellregen, Peitschenwind und einer gehörigen Portion Blitz und Donner besteht. Manche Leute behaupten, es liege daran, dass die Spitzhornberge Heimat alter, ungebändigter Magie sind. Na ja, die Leute reden eben viel …
Tod zwinkert, hält nach Einzelheiten Ausschau und sieht ein weites Grasland an den drehwärtigen Hängen der Berge.
Jetzt sieht er einen besonderen Hügel.
Jetzt sieht er ein Feld.
Jetzt sieht er einen laufenden Jungen.
Jetzt beobachtet er.
Seine Stimme klingt wie bleierne Tafeln, die auf rauen Granit herabfallen, als er sagt: JA.
Zweifellos verbarg sich etwas Magisches in dem hügeligen Gelände, und dadurch bekam es eine besondere Farbe, weshalb man die Region oktarines Grasland nannte. Es war einer der wenigen Orte auf der ganzen Scheibenwelt, die das Wachstum reannueller Pflanzen ermöglichten.
Solche Pflanzen wachsen rückwärts in der Zeit. Man bringt die Saat in diesem Jahr aus und erntet in der Vergangenheit.
Morts Familie war darauf spezialisiert, Wein aus reannuellen Trauben herzustellen. Die erlesenen Produkte ihrer Arbeit genossen gerade bei Wahrsagern einen ausgezeichneten Ruf, denn sie versetzten Hellseher und ähnliche Zeitgenossen in die Lage, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Es gab dabei nur ein Problem: Man bekam zuerst den Katzenjammer und musste anschließend eine Menge trinken, um ihn loszuwerden.
Die meisten reannuellen Bauern waren groß und kräftig gebaut, und außerdem neigten sie dazu, sich selbst aufmerksam zu beobachten und ständig den Kalender im Auge zu behalten. Wer vergisst, gewöhnliche Saat auszubringen, verliert nur die Ernte. Doch wer es versäumt, Getreide zu säen, das bereits vor zwölf Monaten geerntet wurde, bringt das ganze Gefüge der Kausalität durcheinander und muss damit rechnen, in die eine oder andere peinliche Situation zu geraten.
Die Peinlichkeiten beschränkten sich nicht nur darauf: Mort, jüngster Sohn der Familie, besaß die erstaunliche Gabe, immer wieder für Verlegenheit zu sorgen. Er begegnete den Erfordernissen des Gartenbaus nicht annähernd mit dem nötigen Ernst und zeigte dabei ein Geschick, das sich kaum von dem eines toten Seesterns unterschied. Oh, er ging seinen Verwandten durchaus zur Hand, aber mit jener Art von vager, fröhlicher Hilfsbereitschaft, die ernsthafte Männer schon sehr bald fürchteten, weil sie etwas Ansteckendes und Fatales darin sahen. Mort war groß, hatte rotes Haar und Sommersprossen. Sein Körper schien nur teilweise der Kontrolle des Gehirns zu unterliegen und erweckte den Eindruck, einzig und allein aus Knien zu bestehen.
An diesem besonderen Tag lief Mort über den Hang, winkte und rief unaufhörlich.
Sein Vater und Onkel standen an der Mauer und beobachteten den Jungen verzagt.
»Es ist mir ein Rätsel, dass die Vögel nicht einmal fortfliegen«, sagte Vater Lezek. »Ich würde mich aus dem Staub machen, wenn eine solche Gestalt auf mich zuliefe.«
»Oh, ein wahres Wunder. Der menschliche Körper, meine ich. Sieh dir nur seine Beine an. Man erwartet ständig, dass sie einknicken; stattdessen ist er ziemlich flink damit.«
Mort erreichte das Ende der Ackerfurche. Eine dicke Ringeltaube watschelte gleichgültig beiseite.
»Wenigstens hat er das Herz am richtigen Platz«, sagte Lezek vorsichtig.
»Oh, was man vom Rest allerdings nicht behaupten kann.«
»Er hält das Haus sauber«, fügte Lezek hinzu. »Und er isst nicht viel.«
»O ja, das sehe ich.«
Lezek musterte seinen Bruder, der zum Himmel emporstarrte.
»Wie ich hörte, ist auf deiner Farm eine Stelle frei, Hamesh«, sagte er.
»Oh. Ich habe inzwischen einen Lehrling eingestellt. Glaube ich.«
»Oh«, machte Lezek düster. »Wann denn?«
»Gestern«, log sein Bruder sofort und errötete nicht einmal. »Ein Vertrag mit Unterschrift und Siegel. Tut mir leid. Weißt du, ich habe nichts gegen deinen Sohn. Ein netter Junge – wenn man ihn besser kennt. Es ist nur …«
»Ich weiß, ich weiß«, brummte Lezek. »Er hat zwei linke Hände.«
»Zwei linke Knie«, sagte Hamesh.
Sie beobachteten die Gestalt in der Ferne. Mort war gerade gefallen, und einige Tauben wankten neugierig näher.
»Er ist keineswegs dumm, nein, das bestimmt nicht«, fuhr Hamesh fort. »Ich meine, wirkliche Dummheit sieht anders aus. Glaube ich.«
»Er hat ein Gehirn im Kopf«, räumte Lezek ein. »Manchmal denkt er so angestrengt nach, dass man ihm eine Ohrfeige geben muss, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Oma hat ihm das Lesen beigebracht. Ich fürchte, die Belastung war zu groß für ihn.«
Mort stand auf, stolperte über den Saum seines Umhangs und fiel erneut.
»Du solltest ihn ein Gewerbe erlernen lassen«, schlug Hamesh vor. »Das Priestertum. Oder vielleicht die Zauberei. Zauberer lesen viel.«
Die beiden Brüder wechselten einen besorgten Blick und stellten sich vor, was Mort anrichten mochte, wenn er magische Bücher in die ungeschickten Hände bekam.
»Es gibt noch andere Berufe«, fügte Hamesh hastig hinzu. »Bestimmt kann sich Mort irgendwo und irgendwie nützlich machen. Glaube ich.«
»Sein Problem besteht darin, dass er zu viel denkt«, sagte Lezek. »Sieh ihn dir nur an. Normale Jungen überlegen nicht, wie man Vögel erschreckt. Man verscheucht sie einfach, und damit hat es sich. Aber Mort braucht für alles Erklärungen. Das bringt ihn in Schwierigkeiten. Ihn und seine Umwelt.«
Hamesh rieb sich das Kinn und überlegte.
»Vielleicht kann sich jemand anderer um dieses Problem kümmern«, sagte er.
Lezeks Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, aber in seinen Augen blitzte es kurz.
»Worauf willst du hinaus?«, fragte er.
»Nächste Woche findet in Schafrücken der Gewerbemarkt statt. Schick ihn als Lehrling dorthin. Sein neuer Herr nimmt ihn unter die Fittiche und sorgt dafür, dass er pariert, dass er sich anständig benimmt.«
Lezek starrte über den Acker. Mort betrachtete gerade einen Stein.
»Oh, ich möchte nicht, dass ihm etwas zustößt«, erwiderte er skeptisch. »Seine Mutter und ich … Wir mögen ihn recht gern. Ich meine, man gewöhnt sich an ihn.«
»Es wäre nur zu seinem eigenen Besten. Jemand soll einen Mann aus ihm machen.«
»O ja«, sagte Lezek und seufzte. »Rohmaterial gibt’s sicher genug.«
Mort fand Interesse an dem Stein. Er enthielt kleine, verschnörkelte Schalen, die aus den Anfangstagen der Welt stammten. Niemand wusste, warum der Schöpfer damals solchen Wert darauf gelegt hatte, steinerne Wesen entstehen zu lassen.
Mort interessierte sich für viele Dinge, zum Beispiel dafür, weshalb die menschlichen Zähne so gut zusammenpassten. Er hatte lange über diese Frage nachgedacht. Auch darüber, aus welchen unerfindlichen Gründen die Sonne ausgerechnet am Tag über den Himmel kroch, obgleich ihr Licht während der Nacht weitaus nützlicher gewesen wäre. Er kannte die üblichen Erklärungen, aber sie befriedigten seine Neugier nicht.
Mit anderen Worten: Mort gehörte zu den Leuten, die gefährlicher sind als ein Sack voller Klapperschlangen. Er war entschlossen, über die elementare Logik des Universums Aufschluss zu gewinnen.
Was enorm schwierig sein musste, weil es überhaupt keine gab. Der Schöpfer hatte einige bemerkenswert gute Ideen, als er die Scheibenwelt formte, doch Verständlichkeit stand nicht auf der Liste seiner Optionen.
Tragische Helden stöhnen immer, wenn die Götter ihre Aufmerksamkeit auf sie richten. Doch wirklich arm dran sind diejenigen, die von den Göttern nicht beachtet werden.
Mort hörte die wie üblich...
Erscheint lt. Verlag | 1.3.2021 |
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Übersetzer | Andreas Brandhorst |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Buch • Bücher • discworld • eBook • Fantasy Bücher • Fantasy Klassiker • Funny Fantasy • Hexen • Humor • humoristische Fantasy • Humorvolle Fantasy • lustig • Nachtwache • Oma Wetterwachs • Sammelausgabe • Sammelband • Scheibenwelt • Scheibenwelt Fans • Scheibenwelt romane • The Watch • Tod |
ISBN-10 | 3-492-99828-3 / 3492998283 |
ISBN-13 | 978-3-492-99828-4 / 9783492998284 |
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