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Die Fälscherin von Venedig (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
496 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99815-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Fälscherin von Venedig -  Christian Schnalke
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Ein unschuldig zum Tode Verurteilter ermittelt gegen bandenmäßige venezianische Kunsträuber und -fälscher Nach dem napoleonischen Kunstraub wurden viele bedeutende Werke nicht zurückerstattet, sondern gestohlen, um in Venedig kopiert und verkauft zu werden. Franz Wercker, vom Vatikan unschuldig zum Tode verurteilt, wird nur begnadigt, wenn er die Kunstfälscher von Venedig fasst. Er gibt sich als Kunsthändler aus und dringt mit Hilfe der jungen Malerin Irma in die einschlägigen Kreise vor, bis ein Attentat auf ihn verübt wird. Kann Irma ihr Geheimnis bewahren und ihm trotzdem beistehen? Ein mitreißender, kluger und empfindsamer Roman über den Zauber der Kunst und die Macht der Liebe.

CHRISTIAN SCHNALKE, geboren 1965, verbrachte die meiste Zeit seiner Jugend im Internat mit Zeichnen und studierte dann Literatur und Philosophie. Er schrieb zwei Romane gemeinsam mit Volker Kutscher und probierte mehrere Jahre lang erfolgreich die verschiedensten Formen des Schreibens für Bühne und Film aus, was ihn bis nach Moskau und New York führte, wo ein Theaterstück am Broadway aufgeführt wurde. Danach zog er sich mit seiner Frau nach Tokio zurück, um Anlauf für umfassendere Geschichten zu nehmen. Nach zwei Jahren kehrte er mit Kind und vielen Ideen zurück und schrieb Drehbücher für große Mehrteiler und preisgekrönte TV-Events: unter anderem Die Patirarchin, Krupp - eine deutsche Familie, Afrika, mon amour, Duell der Brüder - die Geschichte von Adidas und Puma und Katharina Luther. Er schreibt seit jeher am liebsten unterwegs - in Cafés, auf Reisen oder in freier Natur.

Christian Schnalke, geboren 1965 in Neuss, verbrachte seine Jugend mit Zeichnen und begann ein geisteswissenschaftliches Studium. Nach rastlosen Jahren als erfolgreicher Sketch-, Cartoon- und Showschreiber zog er sich mit seiner Frau nach Tokio und kehrte mit Kind und Drehbüchern zurück, aus denen preisgekrönte TV-Events wurden, u.a. Die Patriarchin, Krupp - eine deutsche Familie, Afrika, mon amour, Duell der Brüder - die Geschichte von Adidas und Puma und Katharina Luther. 2018 erschien sein Roman Römisches Fieber.

1


In eine andere Zeit

Venetien, 1. Oktober 1818

Franz Wercker wurde durch einen Stoß ins Kreuz aus dem Schlaf gerissen. Die Kutsche war durch ein besonders tiefes der unzähligen Schlaglöcher gepoltert, und nur durch ein Wunder war das Rad nicht gebrochen. Franz sah aus dem Fenster. Die Fahrt ging durch eine ebene Landschaft, die keinerlei Ausblicke bot, ein ermüdendes Einerlei von Weizen und Reis. Das Meer konnte Franz noch nicht sehen, nur überflutete Felder, in denen sich der Sonnenuntergang spiegelte. Und in der Dämmerung einen schmalen Fluss, der reglos im Schatten hoher Akazien lag. Die Brenta – oder, wie die Deutschen sie nannten, die Brandau.

Es war dunkel, als die Kutsche endlich hielt. Die Piazza, auf die Franz trat, war nur spärlich beleuchtet und spiegelte in keiner Weise ihre Bedeutung als Eingangstor Venedigs wider. Es war für die Seefahrerstadt eher die Hintertür. Schlichte Häuser mit geschlossenen Fensterläden umstanden das Ufer der müden Brenta, und die einzige Betriebsamkeit spielte sich am Wasser ab. Mehrere Gondeln warteten, während die Barcarioli auf den Stufen saßen, die zum Fluss hinabführten, Wein tranken und mit fliegenden Händen Morra spielten. Trotz der späten Stunde wurde im Schein einiger Fackeln noch ein Lastensegler beladen. Vernagelte Kisten wurden an Bord geschafft – die kleineren von je zwei Männern getragen, einige größere hob ein hölzerner Kran hinüber. Die Arbeiter, grimmige Gestalten, die für die Dunkelheit geschaffen schienen, verrichteten ihren Dienst schweigend. Ein Vorarbeiter oder Lademeister mit einem runden Hut stand auf der Mole und verfolgte jede Bewegung mit argwöhnischen Blicken aus seltsam grünen Augen. Die Hosenbeine seines Anzuges waren zu kurz und ließen scharfkantige braun gebrannte Knöchel sehen. Er hielt eine Fackel, mit der er ungeduldig gestikulierte.

»Signor di Stargard?«

Franz beachtete die Stimme zunächst nicht. Er hatte sich noch nicht an den Klang seines Namens gewöhnt. Erst als die Anrede wiederholt wurde, begriff Franz, dass er gemeint war, und wandte sich um. Vor ihm stand ein Junge, barfüßig, in eine schmutzige Hose und ein reines weißes Hemd gekleidet. Er drehte schüchtern eine Mütze in der Hand und verbeugte sich. »Gondola!« Er wies auf die Stufen, wo ein schlohweißer Barcariol neben seiner schwarzen Gondel wartete, und fügte hinzu: »Mi prendo il tuo bagaglio

Franz wollte gleich selber anpacken, doch ein vornehmer Herr trägt seine Koffer natürlich nicht, und so sah er mitleidig zu, wie der Junge seine drei großen, neuen und mit einem kleinen Wappen der Familie Stargard bemalten Koffer tapfer alleine schleppte. Die Besitztümer seines alten Lebens hätte er sich mit Leichtigkeit über die Schulter werfen können, aber vor der Abreise aus Rom hatte Franz sich bei einem Schneider großzügig eingekleidet, Schuhe anfertigen lassen, Hüte gekauft und dazu eine Unzahl Toilettenartikel, die einer Fürstin zur Ehre gereicht hätten.

Franz wurde von einem lauten Krach aus seinen Gedanken gerissen, als eine große, längliche Holzkiste aus der Schlinge rutschte, an der sie vom Ausleger des Kranes baumelte. Die Arbeiter schrien erschrocken auf. Der Lademeister mit dem runden Hut hörte gar nicht mehr auf, die Männer anzubrüllen. Einige Bretter wurden durch die Wucht des Aufpralls aufgehebelt, und aus der Öffnung quoll Stroh auf das Straßenpflaster. Aus dem Stroh aber ragte deutlich sichtbar eine bleiche Frauenhand hervor.

Franz erstarrte: Die Hand bewegte sich!

Der Lademeister kam herbeigelaufen und leuchtete mit seiner Fackel in die Kiste, wobei er achtgab, das Stroh nicht zu entzünden. Im hellen Feuerschein erkannte Franz schließlich seinen Irrtum: Es war nur eine Statue! Deutlich war das Glitzern des weißen Marmors zu sehen. Die Illusion der Bewegung war durch das flackernde Licht hervorgerufen worden. Der Lademeister blickte sich nach allen Seiten um. Als er sah, dass er beobachtet wurde, musterte er Franz misstrauisch aus seinen grünen Augen, die in eigentümlichem Kontrast zu seiner sonnengebräunten Haut standen. Er legte seine Fackel aufs Pflaster, stopfte das Stroh wieder in die Kiste und befestigte die losen Bretter, aus denen die spitzen Nägel herausragten, mit Fußtritten. Schließlich winkte er einige Arbeiter heran, die die große Kiste mit vereinten Kräften zu den übrigen wuchteten.

Als Franz die schwankende Gondel betrat, begrüßte ihn der weißhaarige Barcariol nicht, sondern blickte ihn nur grimmig an. Dafür nickte das hoch geschwungene silberne Bugeisen zur Begrüßung.

Ein wahrer Charon, dachte Franz, als er sich in die weichen Polster setzte. Ich hoffe, er rudert mich nicht in die Unterwelt … Der Bootsjunge stieß die Barke ab und kletterte vor zum Bug, wo er sich mit einer trübe leuchtenden Laterne hinhockte. Der Nebel über dem offenen Wasser war schwer und dicht geworden, sodass die Mole und die Häuser schnell unsichtbar wurden. Im wolkigen Dunst, der bedrückend leblos über dem Wasser hing, glitten sie durch verwirrende Flüsse, vorbei an Bäumen, die im Wasser wurzelten und die blass im Schimmer der Laterne auftauchten, um sich dann wieder im Dunkel aufzulösen. Geisterhaft zog hartblättriges Gebüsch an ihnen vorbei, dann nur noch mannshohe starre Halme, und schließlich verlor sich alles Sichtbare. Lautlos glitt das Boot über die Lagune, nur das Plätschern des Ruders war zu hören. Bleischwer und schwarz lag das Wasser unter ihnen, und die Laterne des Jungen beleuchtete um sie herum nur milchigen Nebel.

Niemand sprach ein Wort. Der Alte ruderte mit ruhigen Bewegungen, und der Junge spähte voraus. Franz drückte die gespannte Erwartung aufs Gemüt, und er saß reglos in seinen weichen Polstern. Er hatte sich auf den ersten Anblick Venedigs gefreut, auf die sagenhafte Silhouette, die sich mit Dutzenden von Kirchtürmen und Kuppeln aus dem strahlenden Meer erhob. Doch in der Dunkelheit und umhüllt von Nebel war nichts zu sehen. Ob es noch weit zur Stadt war? Ob sie schon fast angekommen waren? Unmöglich zu sagen. Sosehr Franz die Augen auch anstrengte, er erkannte nichts.

Irgendwann sagte der Junge etwas. Ein gedämpft gesprochenes Wort, bei dem er sich umwandte und die Laterne höher hob. Franz folgte seinem Blick, der nach hinten ging, von wo sie gekommen waren und wo die geübten Ohren des Jungen irgendein Geräusch aufgefangen hatten. Ein fahles Licht glomm auf, das langsam klarer wurde. Darunter verdichtete sich das eintönige Grau des Nebels zu einem länglichen Schatten, und eine Gondel nahm Gestalt an. Sie war größer als die ihre, vorne und hinten standen je zwei Ruderer, und in der Mitte war ein Baldachin aufgesetzt, dessen geschwungenes Dach sich zu einer Krone erhob. Das Boot glitt schemenhaft und still an ihnen vorbei, die Ruderer blickten nicht herüber. Unter dem Baldachin saß in würdevoller Gelassenheit eine Dame. Die reichen Falten ihres Mantels und ihres schimmernden Kleides schienen einem Gemälde zu entstammen. Auf ihrem Hut zitterten Fasanenfedern im sanften Fahrtwind, und ihre Hand, die in einem seidenen Handschuh steckte, lag elegant auf dem glänzenden Lack der Reling. Ihr Gesicht war hinter einem Schleier mit feinem Strich angedeutet, als habe der Künstler dieses Gemäldes vermieden, ihre Schönheit direkt darzustellen, und ihre Vollendung der Sehnsucht des Betrachters überlassen.

Während das Boot an ihnen vorbeiglitt, wandte die Dame den Kopf und blickte Franz aus müden Augen an. Sie war auf eine bedrückende Art schön. Eine Schönheit, die aus alter Zeit überliefert schien.

Sie wandte den Blick wieder ab, und Franz sah nur noch ihr edles Profil, bevor ihr Boot im Nebel verschwand. Die Formen lösten sich auf, und sie waren wieder vollkommen allein auf dem Wasser. Der Alte hatte im Rudern innegehalten und brauchte eine Weile, bis er seinen alten Rhythmus wieder aufnahm. Immer noch sprach niemand ein Wort.

Und dann begannen erste gelbe Lichter durch den Nebel zu glimmen, und riesenhaft erschien in ihrer schwarzen Pracht die Serenissima. Kuppeln wölbten sich auf, Türme reckten sich aus dem Dunst, das gewaltige Geisterschiff einer Kirche schob sich heran, und die unzähligen Kanten, Ecken und Winkel der Wohnhäuser drängten sich in ihrem Schutz. Die Gondel näherte sich auf bedrohlichem Kollisionskurs dem Gewirr der Mauern, bis sich vor ihnen eine Schlucht auftat und sich Häuser an ihnen vorbeischoben, deren Fenster sämtlich dunkel waren. Wenn nicht vereinzelt Wäsche vor den Fenstern hing oder Blumen in einem kleinen Kasten wuchsen, war es unmöglich zu sagen, ob überhaupt eine lebende Seele darin wohnte. Plätze und Gärten lagen öde im diffusen Mondlicht.

Sie glitten unter einer Brücke hindurch, wo der Barcariol im Rudern innehielt, sodass nicht einmal mehr sein Plätschern zu hören war. Für einen verstörenden Moment waren Stille und Finsternis vollkommen. Als sie in den großen Kanal einbogen, wies der Bootsjunge mit seinem dünnen Arm nach vorne. »Palazzo Peldrini«, flüsterte er. Eine Ruine erhob sich aus dem kriechenden Nebel. Durch die Fensterhöhlen des verfallenen Baus war der Nachthimmel zu sehen, und ein Balken des eingestürzten Daches ragte hervor. Das reich geschnitzte Eingangstor zum Kanal hin war mit rohen Brettern vernagelt und die Stufen bedeckte Unrat.

All die verlassenen Plätze und Häuser, sein archaisches Fortbewegungsmittel, das völlige Fehlen von Wagen – nicht einmal Licht brannte irgendwo! –, und jetzt sollte er sogar in einem längst verfallenen Palazzo wohnen? Er war in eine andere Zeit geglitten. Vielleicht beim Durchfahren des dichten Nebels in der Lagune?

Doch dann erkannte Franz, dass der Junge den Palazzo nebenan meinte, der nur durch einen schmalen Kanal von der Ruine getrennt war. Auf der Fassade war ein Mosaik...

Erscheint lt. Verlag 15.3.2021
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 19. Jahrhundert • Canal Grande • historischer Spannungsroman • Kunstfälscher • Kunstfälschung • Kunsthandel • Künstlerroman • Kunstraub • Laokoongruppe • Literarischer Spannungsroman • Rom • Venedig
ISBN-10 3-492-99815-1 / 3492998151
ISBN-13 978-3-492-99815-4 / 9783492998154
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