Heldenblut (eBook)
480 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-44182-4 (ISBN)
Michael J. Sullivan, geboren 1961 in Detroit, lebt heute mit seiner Frau und drei Kindern in Fairfax in der Nähe von Washington D. C. als freier Autor. Zunächst publizierte er sehr erfolgreich im Eigenverlag, bis ein US-Verlag auf den Autor aufmerksam wurde. Inzwischen wurden seine Romane in 14 Sprachen übersetzt und haben mehr als 100 Preise gewonnen.
Michael J. Sullivan, geboren 1961 in Detroit, lebt heute mit seiner Frau und drei Kindern in Fairfax in der Nähe von Washington D. C. als freier Autor. Zunächst publizierte er sehr erfolgreich im Eigenverlag, bis ein US-Verlag auf den Autor aufmerksam wurde. Inzwischen wurden seine Romane in 14 Sprachen übersetzt und haben mehr als 100 Preise gewonnen. Carina Schnell hat Übersetzungswissenschaft studiert und in verschiedenen Ländern gelebt. Mit ihrer Sommer in Kanada-Reihe eroberte sie die Bestsellerlisten und die Herzen der Leser*innen im Sturm. Dem Norden bleibt sie treu und bringt nun mit A Breath of Winter magische Herzen zum Höherschlagen. Als gelernte Übersetzerin ist Carina Schnell von anderen Sprachen und Kulturen fasziniert, vor allem die nordische Mythologie hat es ihr bis heute angetan. Wenn sie nicht gerade um die Welt reist, ist sie in ihrem Haus am Waldrand anzutreffen, wo sie schreibt, mit ihrer Katze kuschelt oder lange Spaziergänge mit ihrem Mann macht. Ihr Roman A Breath of Winter wurde mit demSERAPH für das Beste Buch 2024 ausgezeichnet.
1
Verlorene Unschuld
Unschuld ist ein seltsamer Schatz, eine Tugend für die Alten und ein Fluch für die Jungen. Sie ist wertvoll und wird doch leichtfertig fortgegeben – die Schönheit makelloser Haut, eingetauscht für die Weisheit von Schwielen und Falten.
– Das Buch Brin
Suri saß mit einem Schwert im Schoß allein am Fuß eines Hügels und starrte das Wesen an, das die meisten als Drache bezeichnet hätten. Für die einstige Seherin von Dahl Rhen war die Kreatur allerdings ein weiterer Splitter ihres gebrochenen Herzens. Nachdem es mehrere Male zerschmettert worden war, waren die Bruchstücke ihres Herzens nun über zwei Kontinente verteilt. Der Splitter, den sie an diesem Morgen betrachtete, war nicht nur riesig, sondern auch der einzige noch sichtbare.
Tagelang hatte sie das drachenähnliche Wesen auf dem Hügel beobachtet. Da sie es erschaffen hatte, fühlte Suri sich verantwortlich für seine zukünftigen Taten. Sie hatte ihre Schöpfung im Auge behalten, doch das Ungeheuer hatte sich nicht mehr bewegt, seit es eine halbe Armee abgeschlachtet und damit die Bewohner von Alon Rhist gerettet hatte. Es hatte noch nicht einmal mit dem Schwanz gezuckt. Das war für fast alle gleichermaßen beruhigend wie besorgniserregend. Die meisten hofften, dass der einst wundersame, aber nun beängstigende Drache, der auf ihrer sprichwörtlichen Türschwelle lag, einfach davonfliegen würde. Sie wollten, dass das heldenhafte Monster wieder an jenen mysteriösen Ort verschwand, von dem es gekommen war. Die wenigsten wussten um seine Herkunft, obwohl sich das Gerücht verbreitet hatte, dass Suri mit seinem Auftauchen zu tun hatte. Die Seherin dachte sich, dass die meisten den Gilarabrywn wohl als eine Art permanentes Inventarstück ansahen, das ihnen allerdings jederzeit gefährlich werden konnte. Etwa wie ein Wespennest auf ihrer Veranda. Nur dass Wespen keine Steinmauern einreißen und kein Feuer speien konnten.
Das Biest lag jedoch weiterhin zusammengerollt auf dem Hügel und rührte sich nicht, wie eine riesige Statue oder eine unnatürliche Gesteinsformation. Ein ruhiger, schlafender Drache war zwar noch lange nicht ideal, aber besser als die Alternative.
Von Suris Standpunkt aus sah es mit der aufgehenden Sonne im Rücken des Wesens so aus, als ob der Gilarabrywn mit dem zerklüfteten Umriss des Hügels namens Wolfskopf verschmölze. Suri musste sich anstrengen, um seine Silhouette überhaupt noch zu erkennen. Sie hatte Mühe, sich daran zu erinnern, wo Kopf und Schwanz lagen. Nur die Flügel hoben sich klar und deutlich von der Hügelkuppe ab. Selbst zusammengefaltet ragten sie noch weit in die Höhe wie zwei spitz zulaufende Fahnenmasten.
Suri spürte das Gewicht des schwarzen und bronzefarbenen Schwertes in ihrem Schoß und überlegte, ob sie näher herangehen sollte. Sie würde die Kreatur irgendwann freilassen müssen, doch es schien immer einen Grund zu geben, diese Verpflichtung auf den nächsten Tag zu verschieben. Stattdessen saß sie auf einem Felsen neben einem toten Baum, während die Wogen ihrer Schuld über sie hereinbrachen.
Wenn ich da hochgehe, wird er die Augen öffnen. Dessen war Suri sich sicher. Die riesigen Pupillen würden sich auf sie richten und sie anstarren, so voller … ja, was? Hass? Furcht? Mitleid? Suri war sich nicht sicher und hatte keine Ahnung, ob sie den Unterschied erkennen würde. Das Schlimmste an einem Gilarabrywn ist, dass ich ihn zweimal töten muss.
Trotz tagelanger Regengüsse war das Schlachtfeld von Grandford immer noch blutbefleckt. Der beigefarbene, felsige Untergrund hatte einen rostroten Ton angenommen, und es stank abscheulich, vor allem wenn der Wind von Westen kam. Nicht alle Leichen waren begraben worden. Viele Fhrey hatte man verrotten lassen. Es gab zu viel Arbeit und zu wenige Leute, um sie zu verrichten, sodass es nicht gerade eine Priorität war, den Feind zu begraben.
»Dies ist ein grauenhafter Ort«, sagte Suri und sah zu dem Wesen auf. »Aber das hast du immer gewusst, nicht wahr?«
Sie hatte die Trostlosigkeit der Hochebene von Dureya schon lange vor dem Tag gespürt, an dem sie die Vorahnung von Raithes Tod zu überwältigen gedroht hatte. Die Kunst verlieh ihr ein zweites Gesicht, einen sechsten Sinn. Arion hatte es manchmal als drittes Auge bezeichnet, aber das stimmte nicht. Das Gefühl hatte nichts mit Suris Sehvermögen zu tun. Es schickte ihr Gefühle, Eindrücke, und meistens erreichten sie sie in Form eines verworrenen, unübersichtlichen Wirrwarrs. Normalerweise stach die naheliegendste und stärkste Wahrnehmung aus den vielen Hintergrundgeräuschen heraus, aber an diesem Ort war der Lärm ohrenbetäubend. Mehrere Generationen hatten auf dieser Ebene gekämpft und waren hier gestorben.
Und nichts hat sich verändert.
Suri hielt Arions Mütze in den Händen. Sie rieb mit beiden Daumen über den dicken Wollstoff und erinnerte sich an Arions Stimme. Trotzdem fühle ich ihn, diesen kleinen Faden, der dich mit dem Frieden verbindet. Wenn ich dich ansehe, spüre ich Hoffnung. Du bist wie ein Licht in der Dunkelheit, und du scheinst jeden Tag heller. Das hatte Arion vor nur wenigen Tagen gesagt, doch es fühlte sich so an, als wäre es in einem anderen Leben gewesen. Suri fühlte sich nicht heller.
Hinter ihr ertönten Geräusche. Jemand kam von den Ruinen der Festung über den blutgetränkten Boden zu ihr. Malcolm. Sie musste sich nicht umdrehen oder die Kunst benutzen, um zu wissen, wer da kam. Malcolm war der Einzige, der sich nicht vor dem Wespennest auf der Veranda oder dessen Schöpferin fürchtete. Und sie hatte ihn erwartet.
Seit Raithes und Arions Beerdigung hatte Suri die meiste Zeit an diesem Ort verbracht. Sie und der Gilarabrywn waren ungleiche Zwillinge, die miteinander verbunden waren. Suri verließ ihren Platz manchmal, um sich auf die Suche nach Essen zu begeben, achtete aber stets darauf, anderen aus dem Weg zu gehen. Sie wollte mit niemandem sprechen, keine Fragen beantworten und sich keinen mitleidigen oder ängstlichen Blicken stellen müssen. Sie wollte auch nicht mit Malcolm sprechen. Obwohl er nichts mit Arions Tod zu tun hatte, hatte er sie doch dazu gedrängt, Raithe zu töten und so den Gilarabrywn zu erschaffen.
»Ist schon komisch«, sagte er im Näherkommen, »wie mit der Zeit ganz einfache Dinge, alberne kleine Dinge wie Wollmützen, so wichtig für uns werden können. Hat irgendwie etwas Magisches.«
Suri sah auf die Mütze herab und nickte.
»Sie hat sie nur für kurze Zeit getragen. Hat gesagt, dass sie juckt. Aber so ist sie mir am klarsten in Erinnerung geblieben.«
Malcolm setzte sich neben sie. Seine großen, dürren Knie standen wie die eines Grashüpfers in die Höhe.
»Bist du ein …?« Suri wollte Miralyith sagen, doch während sie noch sprach, erkannte sie, dass er keiner war. Miralyith sendeten eine Art Signal aus, eine Art Hitze, ein Licht. Malcolm schien wie jeder andere zu sein, aber irgendwie war da noch mehr. Es war ihr vorher nie aufgefallen, aber wenn er ein Baum wäre, wäre er keiner der alten. Malcolm wäre die perfekt geformte Eiche im grünen Blätterkleid, die man sich vorstellte, wenn man an einen Baum dachte. Er war nicht gewöhnlich, das war eindeutig, und er war auch nicht leicht zu verstehen. Wenn sie ihn ansah, war es, als ob sie versuchte, eine Wolke zu fassen. Sie gab es auf, Malcolm verstehen zu wollen. Nicht jedes Rätsel musste gelöst werden, und manche waren den Aufwand nicht wert. Das traf wohl auf ihn zu.
»Bin ich was?«
»Nichts.« Sie schüttelte den Kopf. »Vergiss es.«
»Wie geht es dir? Alles in Ordnung?«
»Nein.«
Sie schwiegen, während der trockene Wind vergeblich versuchte, das spröde Gras zum Tanzen zu bringen.
»War es das?«, fragte Suri schließlich. »War das alles?«
Malcolm hatte verraten, dass er die Zukunft voraussehen konnte, und sie wusste nicht, wie viel mehr sie noch verkraften konnte.
»Das musst du schon ein bisschen genauer formulieren.«
Suri hatte angenommen, dass er wusste, worauf sie hinauswollte, dass er ihre Gedanken lesen konnte, aber das war wohl ungerecht. Es gab auch Leute, die glaubten, dass sie Gedanken lesen konnte.
»Arion glaubte, dass es Frieden zwischen unseren Völkern geben würde, wenn der Fhan wüsste, dass ein Rhune die Kunst beherrscht.« Sie nickte in die Richtung des Gilarabrywn. »Na ja, der Fhan hat es mit eigenen Augen gesehen, also müsste der Krieg doch vorbei sein. Ist er das?«
Malcolm schüttelte betrübt den Kopf. »Nein, ist er nicht.«
»Aber warum hast du dann …« Suris Augen füllten sich mit Tränen. »Wenn du gewusst hast, dass es nicht reichen würde, warum hast du mich dann Raithe opfern lassen?«
»Du kennst die Antwort darauf. Die Streitkräfte des Fhans hätten uns überrannt, und alle wären gestorben. Raithe hat uns gerettet. Du hast uns gerettet. Und …«
»Und?«
»Es war nötig, im Hinblick auf das, was noch kommen wird.«
»Und was ist mit mir? Habe ich meine Rolle gespielt? Ist es vorbei? Ich meine, ich habe getan, was Arion von mir wollte und was du verlangt hast, also bin ich doch jetzt fertig, oder?«
Die Zukunft war Suri egal, da sie von der Vergangenheit zerschmettert worden war. Sie war an einem ganz neuen Höhepunkt des Selbsthasses angelangt, nachdem sie zwei ihrer besten Freunde getötet hatte und eine Dritte nicht hatte retten können. Dies waren nicht die Taten einer tugendhaften Person. Es hatte sich herausgestellt, dass Schmetterlinge gar nicht schön waren. Sie waren Ungeheuer, genauso wie die Splitter eines gebrochenen Herzens....
Erscheint lt. Verlag | 27.8.2020 |
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Reihe/Serie | Zeit der Legenden | Zeit der Legenden |
Übersetzer | Carina Schnell |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Abenteuer • action • Action und Abenteuer • Aufstand gegen die Götter • Drachenwinter • Entführung • epische Fantasy • Fall der Götter • Falsche Götter • Fantasy • Fantasy-Abenteuer • Fantasy Bücher Erwachsene • fantasy geschichte • fantasy götter • Fantasy Krieg • Fantasy Reihe • fantasy romane für erwachsene • Fantasy Saga • Fantasy Serie • Fhrey • First Empire • Geschichtenerzähler • Gilarabryn • Götter • Göttertod • Helden • Heldenblut • Held wider Willen • Heroische Fantasy • High Fantasy • High Fantasy Bücher • Kampf gegen Götter • Lande der Toten • Magie • Magie und Mythen • Meisterwerk • Michael J. Sullivan • Michael J Sullivan The First Empire • Mythen • Nyphron • Persephone • Rebellion • Rettungsmission • Rhune • Riyria • Riyria-Chroniken • Seherin • sterbliche Götter • Suri • The First Empire • Waffenstillstand • Weitere Titel der Reihe • Zeit der Legenden • Zeit der Legenden Band 4 • Zeitenfeuer |
ISBN-10 | 3-426-44182-9 / 3426441829 |
ISBN-13 | 978-3-426-44182-4 / 9783426441824 |
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