Flieh, Vöglein, flieh! (eBook)
234 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7519-7419-6 (ISBN)
Papier ist geduldig und es dauerte mehrere Jahre bis ich überhaupt in der Lage war, einigermaßen von "außen" auf mich und meine Situation blicken zu können. Zu sehr hat es mich anfangs emotional mitgenommen, all diese schlimmen Situationen und Szenen durch das Schreiben dieses Buches wieder durchleben zu müssen. Ferner ist mir sehr bewusst, dass ich bei weitem nicht die Einzige bin, die diesen "emotionalen Missbrauch" bis zur lange ersehnten Volljährigkeit erleben musste - und letztlich darüber hinaus, durch die schwerwiegenden Folgen. So möchte ich mit diesem Buch auch meinen "Brüdern und Schwestern im Geiste" ("Leidensgenossen" nenne ich sie bewusst nicht) eine Stimme geben. Es tut schon mal gut, zu wissen, dass man nicht alleine ist mit diesem Schlachtfeld an Gefühlsfetzen und Selbstzweifeln. Darüber hinaus wage ich mit diesem Buch den Versuch aus Sicht einer Betroffenen, das Unerklärliche auch für Außenstehende, respektive Nichtbetroffene erklärbar und verständlich zu machen. Denn es ist so wichtig für die Opfer narzisstischen Missbrauchs, empathische Menschen um sich zu haben, die ihnen offen zuhören, ihnen glauben und einfach nur für sie da sind. Umso mehr, wenn es sich dabei womöglich noch um ein Kind handelt. Das hilft ungemein und öffnet einen kleinen Spalt aus der Isolation des Opfers, die ein Narzisst versucht, sein Leben lang aufrecht zu halten
VERGIFTETE KINDHEIT
Narzisstischer Missbrauch ist nach außen nicht sichtbar. Denn der Narzisst wird alles dafür tun, dass das, was er penibel kontrolliert, für sein äußeres Umfeld und die Gesellschaft blitzblank präsentiert wird.
Ein Erwachsener, der vielleicht an einen narzisstischen Partner gerät, mag sich dagegen noch wehren können und den Narzissten im Zweifel „einfach“ verlassen und „gerade noch so“ mit einigen wenigen Blessuren davonkommen. Ein Kind kann das nicht. Es kann sich auch nicht wirklich wehren. Versucht es das doch, drohen ihm drakonische Strafen seitens der Mutter und sein Leben wird noch mehr zur psychischen und emotionalen Hölle.
Auch kann sich das Kind
niemandem anvertrauen, denn
man glaubt ihm nicht.
Dafür hat die Mutter mit ihrer nach außen gestülpten blütenweißen Weste schon gesorgt!
Das ist ein echtes Dilemma, in dem sich das Kind befindet! Und es gibt weit und breit kein Entkommen! Es ist ganz allein in seiner kleinen Folterkammer aus Verzweiflung, Angst und Ausweglosigkeit gefangen.
Wahrscheinlich wünscht sich jedes Kind ab einem gewissen Alter, endlich auch „groß“ zu sein. Ich wünschte mir schon als kleines Grundschulkind nichts sehnlicher, als endlich volljährig zu sein, um für mich selbst bestimmen zu können, um diesem permanenten Kontrollwahn und den hinterhältigen Machtspielchen meiner Mutter zu entkommen, was ich ja so damals gar nicht hätte beschreiben können. Ich wusste nur, dass ich mich oft traurig fühlte und ständig unter Anspannung stand aus Angst vor der nächsten nie vorhersehbaren Psycho-Attacke.
Beim Schreiben dieses Büchleins fiel mir wieder ein, dass ich als Kind jahrelang an den Nägeln gekaut hatte. Ursachen für Nägelkauen sind wohl nicht selten Anspannung, Stress und Frustration. Passt ins Bild, rückwirkend betrachtet.
Als Teenager dachte ich sogar mal daran, mir beim Jugendamt Hilfe zu suchen. Traute mich aber am Ende nicht, denn in jener fränkischen Kleinstadt, in der jeder jeden kannte, hatte ich kaum ein Chance, dass mir zum einen jemand geglaubt hätte, zum anderen auch tatsächlich geholfen worden wäre. Denn nach außen hin waren wir ja eine sauber polierte, gutbürgerliche und angesehene Vorzeigefamilie. Darüber hinaus wollte ich mir wirklich nicht ausmalen, wie schlimm es danach noch hätte werden können, wenn man mich nach diesem offenen „Affront“ gegen meine Eltern ergebnislos wieder nach Hause geschickt hätte.
No Exit!
So musste ich durchhalten und weiterhin die täglichen Beleidigungen, Demütigungen und Übergriffe über mich ergehen lassen.
- „Du kannst das nicht!“,
- „Du bist zu blöd dazu“,
- „Ja, kapierst du das denn nicht?!“
- „Was bist du nur für eine Schlampe“,
- „Das gefällt dir doch gar nicht“,
- „Das brauchst du nicht“,
- „Dafür bist zu viel zu unreif“,
- „Das ist nichts für dich“,
- „Immer bist du so schwierig!“,
- „Immer willst du mit dem Kopf durch die Wand“,
- „Nie lässt du dir was sagen“,
- „Ich hab’s dir ja gleich gesagt! Du hörst ja nicht! Jetzt sieh‘ zu, wie du damit klarkommst!“
- „Schau dich bloß an wie du wieder aussiehst!“
- „Mit dir kann man nicht reden!“
- „Was führst du dich immer so auf?!“
- „Sei doch nicht so empfindlich!“
- „Es dreht sich nicht immer alles um dich!“
- „Du spinnst wohl, was bildest du dir eigentlich ein?!“
- „Wie, du willst nicht? Dir werde ich helfen…!!!“
- „Stell dich nicht so an!“
- „Was glaubst du eigentlich, wer du bist?!!!“
- etc.
Nun, diese Liste ließe sich endlos fortsetzen – und dies sind nur die harmloseren Varianten. Es geht schon auch noch krasser und oft reichte auch nur dieser eiskalte, böse Blick meiner Mutter, der jedes Mal wie ein Pfeil direkt ins Schwarze traf.
Die Crux ist, dass sich die Frustrationsgrenze, respektive die Beleidigungsgrenze, mit der Zeit immer weiter nach oben verschiebt. Man nimmt als Betroffene/r gar nicht mehr wahr, dass die Art und Weise, wie hier „Kommunikation“ stattfindet, nicht in Ordnung ist. Zwar hatte ich oft dieses dumpfe, unspezifische Gefühl in der Bauchgegend, das eigentlich sagen wollte, „Das geht so nicht!“ doch man ignoriert es irgendwann einfach und zwar solange, bis man es – und sich selbst - tatsächlich nicht mehr spürt oder als permanentes „Grundrauschen“ als normal empfindet!
Das geht so weit, dass man im späteren Leben manch eine Beleidigung gar nicht mehr registriert. Je subtiler der Übergriff, desto weniger. Dafür sensibilisiert wurde ich ganz langsam erst wieder durch Außenstehende. Während das womöglich unbeteiligte Publikum entsetzt reagiert, ob jener Unverschämtheiten und fragt: „Wieso lässt du dir das denn gefallen?“ und ich innehalte und verständnislos nachfrage „… was genau jetzt?“ oder „… was meinst du?“
Die jüngste und definitiv letzte Beleidigung in ihrem und meinem Leben – das habe ich mir geschworen - warf mir meine Mutter einmal mehr hysterisch kreischend mit hasserfülltem, hochrotem Gesicht und maximal bösem Blick an den Kopf, als ich bereits 41 Jahre alt war: „Bist du wohl matschig in der Birne, oder was?!“
Gern genommen war auch die Variante, in meiner Anwesenheit über mich mit Fremden zu sprechen und ihnen zu sagen wie ich denn angeblich sei. Ich selbst durfte als Kind sowieso nicht frei sprechen. „Jetzt rede ich und du hast Sendepause“, „Halt jetzt den Mund“, „Sei nicht so laut!“, „Belästige Herrn/Frau XY nicht“, etc. Richtete sich eine andere Person in Gegenwart meiner Mutter direkt an mich, antwortete selbstverständlich sie! „Sagen Sie ihr nicht, dass sie hübsch ist, sonst wird sie eingebildet“ Das versuchte sie sogar noch, als ich erwachsen und bereits Jahre und Jahrzehnte aus ihrer Reichweite war! Nun allerdings mit wenig Erfolg, denn sie hatte ja das Druckmittel der Abhängigkeit nicht mehr und musste befürchten, dass ich ihr vor einer anderen Person widerspreche. Das wiederum hätte in ihren Augen ihrem Ansehen immens geschadet! Ihr Konstrukt der „tollen, liebevollen Mutter“ wäre ins Wanken gekommen. Dieses Risiko konnte sie nicht eingehen.
All das über Jahre, ja Jahrzehnte verstärkt das Gefühl des Kleinmachens beim Kind: „ich bin nichts wert“, „Ich kann nichts“, „Ich bin der letzte Dreck.“ Und „Meine Gefühle und Gedanken sind offenbar grundsätzlich falsch.“ Letzteres geht so weit, dass man sich selbst tatsächlich nicht mehr spürt und als Erwachsener erst wieder lernen muss, ein eigenes Gespür zu haben und seinen eigenen Gefühlen auch wieder zu vertrauen!
Ja, Geringschätzung und das Kleinmachen anderer ist eine der Königsdisziplinen von Narzissten.
Warum? Nun, wenn sie Andere niedermachen, stellen sie sich selbst auf eine höhere, vermeintlich bessere Stufe. So einfach ist das!
Meine narzisstische Mutter suhlte sich geradezu in dem Leid und dem emotionalen Schmerz, den sie versprühte. Das konnte ich nicht selten an dem triumphierenden Blick sehen und dem kaum merklichen, bösen Grinsen, das sie nicht zu verbergen vermochte.
Als Kind einer narzisstischen Mutter wird man sehr schnell sehr sensibel für Mimik und Körpersprache.
Hungerstreik
Zerrissen und frustriert wie ich war, stopfte ich als Kind alles in mich hinein, was mir irgendwie kurzfristig Trost spendete. Frustessen nennt man das wohl. Ich war nicht wirklich fett aber doch recht pummelig.
Zwischen meinem 11. Und 12. Lebensjahr beschloss ich von einem Tag auf den anderen, nichts mehr zu essen. Auslöser war die Aussage eines Mitschülers, der zwei Stufen über mir war und der mir sehr gefiel. Kurt hieß er, das weiß ich noch. Ihm wurde wohl zugetragen, dass ich ihn toll fand und seine Reaktion darauf war „Was soll ich denn mit dem kleinen Pummelchen!“.
Das hatte gesessen.
So ernährte ich mich fortan täglich nur noch von zwei Scheiben Knäckebrot und einem Apfel. Wochenlang, monatelang. Mit meiner „Diät“ hatte ich sehr schnell Erfolg. Die Pfunde purzelten nur so und ich verlor binnen kürzester Zeit an die 20 Kilo und noch mehr und immer mehr, bis ich tatsächlich nur noch aus Haut und Knochen bestand.
Was man heute als Essstörung, bzw. Magersucht bezeichnet, hatte damals keinen Namen und niemand kam auf die Idee, mich zu einem Arzt oder Psychologen zu schaffen. Letzteres wäre sowieso ein Affront gegen die Familienehre gewesen.
Gleichzeitig nahm ich diesen „Zustand“ tatsächlich als „Sucht“ wahr. Ich konnte einfach nicht...
Erscheint lt. Verlag | 21.7.2020 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung | |
ISBN-10 | 3-7519-7419-9 / 3751974199 |
ISBN-13 | 978-3-7519-7419-6 / 9783751974196 |
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Größe: 243 KB
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