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Abels Auferstehung (eBook)

Historischer Leipzig-Krimi
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
464 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00714-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Abels Auferstehung -  Thomas Ziebula
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Der zweite Teil der packenden Krimi-Reihe um Leipziger Kriminalinspektor Paul Stainer. Die Erinnerung lässt sich nicht begraben... Leipzig, 1920. Der Erste Weltkrieg liegt zwei Jahre zurück, aber Kriminalinspektor Paul Stainer hat nach wie vor mit seinen Dämonen zu kämpfen. Um den traumatischen Erinnerungen an die Schützengräben und den Tod seiner Frau Edith zu entkommen, stürzt sich Stainer mit seinem Kollegen Siegfried Junghans in die Arbeit, denn auch wenn der Krieg vorbei ist, das Töten ist es nicht: Im Park findet man die Leiche eines Soldaten. Wurde das ehemalige Mitglied einer jüdischen Studentenverbindung von radikalen Rechten ermordet? Noch während Stainer in Richtung Stahlhelm und Schwarze Reichswehr ermittelt und einen Verdächtigen festnimmt, gibt es eine weitere Tote: Marlene Wagner, Journalistin der sozialdemokratischen Leipziger Volkszeitung wird am Ufer der Pleiße gefunden. Auch sie ein Opfer der rechten Gewalt? Oder musste sie sterben, weil sie ein unliebsames Interesse an einem weiteren toten Soldaten gezeigt hat, der bei Basel aus dem Rhein gezogen wurde? Dieser trägt ein Zigarettenetui der Leipziger Manufaktur Adamek bei sich. Adrian Adamek, einer von drei Brüdern, ist im Krieg gefallen, wie Stainer von dessen Bruder Konrad erfährt. Der dritte Bruder, Roman, gilt indessen als schwarzes Schaf unterhält tatsächlich Verbindungen in monarchistisch-nationalistische Kreise. Stainer folgt der Spur, ohne zu bemerken, wie sich an anderer Front ein Gewitter zusammenbraut, das nicht nur ihn in Gefahr bringt ...

Thomas Ziebula ist freier Autor und schreibt Krimis, biographische und historische Romane. 2001 erhielt er den Deutschen Phantastik-Preis, 2020 den Goldenen Homer. Seine erste Krimireihe um Inspektor Paul Stainer vereint auf beeindruckende Weise Thomas Ziebulas Leidenschaft fu?r deutsche Zeitgeschichte, spannende Kriminalfälle und seine Liebe zu Leipzig, das bis heute seine Lieblingsstadt in Deutschland ist. Der erste Band der Reihe um Inspektor Stainer, «Der rote Judas», stand auf der Shortlist fu?r den Crime Cologne 2020. Der Autor lebt in der Bonner Region.

Thomas Ziebula ist freier Autor und schreibt Krimis, biographische und historische Romane. 2001 erhielt er den Deutschen Phantastik-Preis, 2020 den Goldenen Homer. Seine erste Krimireihe um Inspektor Paul Stainer vereint auf beeindruckende Weise Thomas Ziebulas Leidenschaft für deutsche Zeitgeschichte, spannende Kriminalfälle und seine Liebe zu Leipzig, das bis heute seine Lieblingsstadt in Deutschland ist. Der erste Band der Reihe um Inspektor Stainer, «Der rote Judas», stand auf der Shortlist für den Crime Cologne 2020. Der Autor lebt in der Bonner Region.

2 Anfang vom Ende


Ihr Untergang begann im Grunde schon am späten Nachmittag des 12. Februars, ein Donnerstag, kurz bevor sie sich auf den Weg zum Duell machte: Ernst Tanner, der stellvertretende Chefredakteur, stand im Gang vor dem Konferenzsaal und wedelte mit einer Handvoll Kuverts. «Leserbriefe, Leni!»

Sie drückte ihre Bürotür zu und runzelte genervt die Brauen. In der Miene ihres Chefs las sie, dass diese Briefe ihr besser nicht gleichgültig sein sollten, also ließ sie die Klinke los und ging auf ihn zu statt zur Treppe. Die Absätze ihrer Stöckelschuhe knallten auf die Fliesen, dass es nur so hallte.

«Hab sie schon gelesen, betreffen mal wieder ausschließlich Texte von dir.» Tanner reichte ihr den Stapel, ohne ihn jedoch gleich loszulassen, als sie danach griff. «Ich habe nichts gegen deine scharfe Zunge, Leni, das weißt du. Du weißt aber auch, dass die Rechten jede Ausgabe nach Verbotsgründen durchforsten.» Er beugte sich zu ihr und senkte die Stimme. «Der Bürgermeister hat Block wegen deiner jüngsten Artikel vorgeladen, die Militärverwaltung macht ihm wohl Druck. Und das Polizeiamt hat per Fernsprecher Mäßigung gefordert und droht mit einem neuerlichen Verbotsantrag.»

«Das Polizeiamt? Wer genau?»

«Kriminalrat Dr. Kasimir.»

Sie verdrehte die Augen. «Dieser Idiot schon wieder. Gib endlich her!» Sie nahm ihm die geöffneten Kuverts ab und las die Schriftzüge auf dem ersten: An die Redaktion der Leipziger Volkszeitung, z.H.v. Frau Marlene Wagner, Tauchaer Straße 19–21, Leipzig, Deutsches Reich.

«‹Zu meinen Händen› – kannst du nicht lesen, Ernst?» Sie blitzte ihren Chef an. «Was fällt dir ein, meine Briefe zu öffnen?»

«Mach kein Theater, Leni! Habe nur ‹an die Redaktion› gelesen und dann gleich geöffnet. Ein Reflex; kommt schon mal vor, oder?»

«Wie man sieht.» Sie zählte die Kuverts durch. «Und das gleich viermal. Außerdem heiße ich Marlene.» Sie zog ein Telegramm aus dem Stapel. «Was ist das hier?»

«Ein Telegramm, siehst du doch. Kam vorhin. Hab gerade am Fernsprecher gehangen, deswegen kriegst du’s erst jetzt. Und wann krieg ich die Geschichte über die Studentenverbindungen, Mar-le-ne?» Er betonte jede Silbe ihres Namens.

«Morgen.» Marlene Wagner steckte die Briefe in ihre Handtasche. «Schönen Feierabend gelegentlich.»

Sie wandte sich ab und ging zur Treppe. Im vergangenen Sommer war sie ein paarmal mit Tanner im Bett gewesen, doch als er Blocks Stellvertreter wurde und anfing, sie wie eine kleine Volontärin zu behandeln, hatte sie damit Schluss gemacht.

«Ich brauche den Text spätestens morgen Mittag!», rief er ihr hinterher. «Du weißt, dass ich ihn für die Sonnabendausgabe eingeplant habe!»

«Ich tu mein Bestes, Ernst!» Schon stöckelte sie die Stufen hinunter, wobei sie das Telegramm überflog. Es stammte von einem Kollegen aus Basel; oder nein: Lampert war mehr als nur ein Kollege, eigentlich war er schon beinahe ein guter Freund. Außerdem ihr Geliebter.

Sie blieb mitten auf der Treppe stehen und erbleichte, während sie die kargen Sätze las: Wasserleiche aus Rhein gezogen – Stopp – deutscher Soldat – Stopp – Leipziger? – Stopp – ruf mich an – Stopp – L.J.

Ihre Knie waren auf einmal weich. Langsamer ging sie weiter; als fürchtete sie zu stolpern, stieg sie die restlichen Stufen ins Erdgeschoss hinunter. Draußen schnappte sie erst einmal nach Luft.

Ein toter Soldat im Rhein? Warum telegraphierte Lampert ihr das? Glaubte er etwa …? Sie wagte nicht zu denken, was die Angst ihr einflüstern wollte, spürte aber, wie ihr das Herz plötzlich in der Kehle schlug und ihr Mund trocken wurde.

Die Elektrische stoppte, die Zwei nach Plagwitz. Sie hätte nicht einsteigen müssen, doch tat es und fuhr eine Haltestelle weit; einfach nur, um sich irgendwo hinsetzen und den Schrecken verdauen zu können.

Während der Triebwagen in Richtung Hauptbahnhof rasselte, las sie noch einmal das Telegramm. Es blieb dabei: Irgendjemand hatte irgendwo bei Basel einen toten deutschen Soldaten aus dem Rhein gezogen, und aus irgendeinem Grund wollte Lampert, dass sie davon erfuhr. Was konnte das anderes heißen, als dass es sich bei dem Toten um Roland handelte? Wenn es aber tatsächlich Roland war, warum telegraphierte Lampert dann nicht: Man hat deinen Bruder ertrunken aus dem Rhein gezogen?

Sie ließ das Telegramm sinken und starrte zum Bahnfenster hinaus. Die Fassade des Krystallpalastes rückte in ihr Blickfeld, die Bahn hielt. Marlene stieg aus, lief ein Stück die Tauchaer Straße zurück und in die Mittelstraße hinein. Die Angst um Roland beschlagnahmte sie so gründlich, dass sie die entgegenkommenden Passanten kaum wahrnahm, auch die Soldaten nicht, die ihr hinterherpfiffen.

In der Mittelstraße Nummer 11 stieg sie die Vortreppe zu einem Lokal hinauf. Bei Ella hieß die Kneipe, Stammlokal vieler Kollegen aus der Leipziger Volkszeitung. Hier wollte man sie zum Duell abholen, irgendwann gegen sechs, zur Mensur, wie ihr Kontaktmann von der philosophischen Fakultät sich ausgedrückt hatte.

An der Theke schlürfte ein Kollege aus der Anzeigenabteilung sein Feierabendbier, am Tisch neben der Garderobe blickten eine Kollegin und zwei Sekretärinnen aus der Kulturredaktion auf, grüßten und steckten wieder die Köpfe zusammen. Am Nebentisch klopften zwei Setzer und ein Kraftdroschkenchauffeur Skat.

«Hast du noch ein bisschen was Warmes, Ella?», fragte Marlene die kleine grauhaarige und etwas stämmige Frau hinter der Theke nach der Begrüßung. «Hab seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Eine Suppe würde mir schon reichen.» Sie hängte den dunkelgrauen Mantel an die Garderobe und knöpfte die lange Strickjacke auf, die sie über dem schwarzen Wollkleid trug.

Ella drückte ihre Zigarette aus. «Für dich habe ich doch noch immer was in der Küche gefunden, Rotkäppchen.» Sie sächselte stark, und ihre Stimme klang rau und dennoch mütterlich zärtlich. Marlene liebte die Wirtin. Seit dem Tod ihrer Eltern vor zwei Jahren kam sie mindestens dreimal die Woche hierher zu Ella.

«Und mach mir einen Kaffee, ja? Und einen Cognac könnte ich auch brauchen.» Marlene setzte sich an einen freien Fenstertisch. Während sie ihre Zigaretten und die Kuverts aus der Tasche holte, verschwand Ella in der Küche. Jeden ihrer Stammgäste, den sie besonders gern bei sich sah, pflegte die Wirtin irgendwann mit einem Spitznamen zu adeln. Rotkäppchen passte eigentlich nicht zu Marlene, denn sie war groß, stark gebaut und berüchtigt für ihr resolutes Auftreten. Doch ihr dichter kupferroter Lockenschopf, der ihr knapp unterhalb der Ohren vom Kopf abstand wie der Rand einer Sturmhaube, hatte ihr diesen Namen eingebracht. Und vermutlich Ellas Beobachtung, dass sie spätabends mit unterschiedlichen Männern die Kneipe verließ, und das, nach Ellas Geschmack, ein wenig zu oft.

Marlene schielte nach Ellas Fernsprecher, der an der Wand über der Schmalseite der Theke hing, während sie in ihrer Tasche nach Lamperts Nummer kramte. Sie fand sie, legte sie bereit und überflog dann die Leserbriefe. Lauter tadelnde Zeilen hatte sie sich wieder eingehandelt, üble Beschimpfungen teilweise sogar:

Für ihre harsche Kritik an der Stadtverwaltung und der Großen Leipziger Straßenbahn, weil nun auch die letzten Frauen entlassen werden sollten, die noch als Schaffnerinnen und Fahrerinnen arbeiteten.

Für ihren schwarz auf weiß gedruckten Verdacht, dass die Polizei jenen einarmigen Offizier, der für das schreckliche Blutbad in Gohlis verantwortlich war, bewusst in die Pleiße und den Tod gejagt hatte, damit er nicht mehr gegen seine Auftraggeber in der Schwarzen Reichswehr aussagen konnte.

Dafür, dass sie jene Reichsheersoldaten arme Teufel genannt hatte, die vor knapp zwei Wochen im Badischen Bahnhof zu Basel aus einem Zug gestiegen waren, der sie aus der französischen Kriegsgefangenschaft gebracht hatte. Arme Teufel, deren beste Jahre Regierung und Kaiser in einem sinnlosen Angriffskrieg verheizt haben. Genau das hatte Marlene geschrieben, und genau das würde sie jederzeit wieder schreiben. Vaterlandsverräterin war noch das gelindeste Schimpfwort, das sie nun lesen musste.

Ihr Chef hatte sie nach Basel geschickt, worum sie ihn zwei Tage lang hatte anbetteln müssen. Sie hatte um jeden Preis über die Heimkehrer schreiben wollen, denn einer dieser «armen Teufel» hätte eigentlich ihr Bruder sein sollen.

In seinem letzten Brief aus einem Gefangenenlager bei Metz hatte er jedenfalls angekündigt, dass man ihn Ende Januar in ebenjenem offiziellen Gefangenentransport über die Grenze bringen würde. Doch am 31. Januar hatte Marlene unter ihrem großen Pappschild mit Rolands Namen vergeblich zwischen den Zigtausenden, die im Badischen Bahnhof aus dem Zug gestiegen waren, nach ihm Ausschau gehalten.

Und jetzt sollte man ihn tot aus dem Rhein...

Erscheint lt. Verlag 26.1.2021
Reihe/Serie Paul Stainer
Paul Stainer
Zusatzinfo Mit 1 4-farb. Karte
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1920er Jahre • 1. Weltkrieg • Babylon Berlin • Erster Weltkrieg • Gefangenentransport • historischer Krimi • Historischer Kriminalroman • Leipzig • Leipziger Prozesse • Morde • Paul Stainer • Polizeiarbeit • Schwarze Reichswehr • Vatertagsgeschenk • Volker Kutscher • Weimarer Republik • Zeitgeschichte
ISBN-10 3-644-00714-4 / 3644007144
ISBN-13 978-3-644-00714-7 / 9783644007147
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