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Klara und die Sonne (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021
352 Seiten
Karl Blessing Verlag
978-3-641-27443-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Klara und die Sonne - Kazuo Ishiguro
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Der neue Roman des Nobelpreisträgers
Klara ist eine künstliche Intelligenz, entwickelt, um Jugendlichen eine Gefährtin zu sein auf dem Weg ins Erwachsenwerden. Vom Schaufenster eines Spielzeuggeschäfts aus beobachtet sie genau, was draußen vor sich geht, studiert das Verhalten der Kundinnen und Kunden und hofft, bald von einem jungen Menschen als neue Freundin ausgewählt zu werden. Als sich ihr Wunsch endlich erfüllt und ein Mädchen sie mit nach Hause nimmt, muss sie jedoch bald feststellen, dass sie auf die Versprechen von Menschen nicht allzu viel geben sollte.

KLARA UND DIE SONNE ist ein beeindruckendes, berührendes Buch und Klara eine unvergessliche Erzählerin, deren Blick auf unsere Welt die fundamentale Frage aufwirft, was es heißt zu lieben.

Kazuo Ishiguro, 1954 in Nagasaki geboren, kam 1960 nach London, wo er später Englisch und Philosophie studierte. 1989 erhielt er für seinen Weltbestseller »Was vom Tage übrigblieb«, der von James Ivory verfilmt wurde, den Booker Prize. Kazuo Ishiguros Werk wurde bisher in 50 Sprachen übersetzt. Er erhielt 2017 den Nobelpreis für Literatur. Der Autor lebt in London.

Als wir neu waren, standen Rosa und ich in der Ladenmitte, wo auch die Zeitschriften auslagen, und hatten den größeren Teil des Schaufensters im Blick. So konnten wir die Außenwelt sehen – die vorbeihastenden Büroarbeiter, die Taxis, die Läufer, die Touristen, Bettelmann und seinen Hund, den unteren Teil des RPO-Gebäudes. Als wir uns schon ein bisschen eingelebt hatten, erlaubte uns Managerin, nach vorn zu gehen, direkt ins Schaufenster, und da erst sahen wir, wie hoch das RPO-Gebäude war. Und wenn wir zum richtigen Zeitpunkt da waren, sahen wir die Sonne auf ihrem Weg von den Dächern auf unserer Seite zum RPO-Gebäude hinüberwechseln.

Wenn ich das Glück hatte, sie so zu sehen, hielt ich ihr das Gesicht entgegen, um so viel von ihrer Nahrung aufzunehmen, wie ich konnte, und wenn Rosa bei mir war, riet ich ihr, dasselbe zu tun. Nach ein, zwei Minuten mussten wir wieder auf unsere Position zurück, und als wir neu waren, machten wir uns ständig Sorgen, dass wir womöglich immer kraftloser würden, weil wir die Sonne von der Ladenmitte aus oft nicht sehen konnten. KF Rex, der damals an unserer Seite war, sagte aber, wir müssten keine Angst haben, die Sonne finde immer Mittel und Wege, uns zu erreichen, egal, wo wir seien. Er deutete auf das Parkett und sagte: »Da, das ist das Muster der Sonne. Wenn ihr euch Sorgen macht, könnt ihr es einfach berühren, und schon werdet ihr wieder stark.«

Es waren keine Kunden da, als er das sagte, und Managerin war damit beschäftigt, etwas in den Roten Regalen zu ordnen, und ich wollte sie nicht stören. Ich fragte also nicht um Erlaubnis, sondern warf Rosa einen Blick zu, und als sie mich ausdruckslos anschaute, trat ich zwei Schritte vor, kauerte nieder und streckte beide Hände nach dem Muster der Sonne auf dem Boden aus. Doch es löste sich im selben Augenblick auf, in dem meine Finger es berührten, und obwohl ich alles versuchte, was ich konnte – ich klopfte auf die Stelle, an der es gewesen war, und als das nicht half, rieb ich mit beiden Händen über die Holzdielen –, kam es nicht zurück. Als ich wieder aufstand, sagte KF Rex: »Klara, das war gierig. Ihr KF-Mädchen seid immer so gierig.«

Ich war zwar noch neu, mir kam aber sofort der Gedanke, dass die Sonne ihr Muster vielleicht rein zufällig genau in dem Moment zurückgezogen hatte, als ich es berührte, dass ich also gar nichts dafürkonnte. Aber die Miene von KF Rex blieb ernst.

»Du hast dir die ganze Nahrung allein genommen, Klara. Schau, es ist fast dunkel geworden.«

Tatsächlich war es im Laden jetzt ziemlich düster. Sogar das Abschleppzonenschild am Lampenmast draußen auf dem Gehsteig sah grau und blass aus.

»Entschuldigung«, sagte ich zu Rex, dann zu Rosa. »Entschuldigung. Ich wollte mir nicht alles allein nehmen.«

»Deinetwegen«, sagte KF Rex, »werde ich am Abend kraftlos sein.«

»Du machst einen Scherz«, sagte ich. »Das weiß ich genau.«

»Ich mache keinen Scherz. Es könnte sein, dass ich gleich krank werde. Und was ist mit den KFs hinten im Laden? Mit denen stimmt ohnehin schon etwas nicht. Jetzt wird es ihnen noch schlechter gehen. Du bist gierig, Klara.«

»Das glaube ich dir nicht«, sagte ich, war mir aber nicht mehr sicher. Ich sah Rosa an, doch ihre Miene war nach wie vor ausdruckslos.

»Ich fühle mich schon ganz krank«, sagte KF Rex. Und er sackte nach vorn.

»Aber du hast doch selber gesagt, dass die Sonne immer Mittel und Wege finde, uns zu erreichen. Du machst einen Scherz, das weiß ich genau.«

Schließlich schaffte ich es, mich davon zu überzeugen, dass KF Rex sich über mich lustig machte. An diesem Tag aber ahnte ich, dass ich, ganz ohne Absicht, Rex dazu gebracht hatte, ein unangenehmes Thema anzusprechen, eines, das die meisten KFs im Geschäft lieber mieden. Kurze Zeit später passierte etwas mit KF Rex, das mich auf den Gedanken brachte, dass sein Scherz, wenn es denn einer war, jedenfalls einen wahren Kern hatte.

Es war ein strahlender Morgen, und Rex war nicht mehr an unserer Seite, Managerin hatte ihn in die vordere Nische gestellt. Managerin sagte immer, jede Position sei genauestens durchdacht und die Wahrscheinlichkeit, dass wir ausgesucht würden, überall gleich hoch. Dennoch wussten wir alle, dass der Blick eines Kunden, der den Laden betrat, zuallererst in die vordere Nische fiel, und natürlich freute sich Rex, dass er jetzt hier stehen durfte. Wir beobachteten ihn von der Ladenmitte aus, wie er mit hocherhobenem Kopf dastand, über und über vom Muster der Sonne bedeckt, und Rosa beugte sich einmal zu mir und sagte: »Er sieht wirklich wunderbar aus! Ganz bestimmt findet er bald ein Zuhause!«

An seinem dritten Tag in der Nische kam ein Mädchen mit seiner Mutter herein. Damals konnte ich das Alter noch nicht so gut bestimmen, aber ich weiß noch, dass ich das Mädchen auf dreizehneinhalb schätzte, und heute denke ich, das stimmte. Die Mutter war eine Büroarbeiterin, und an ihren Schuhen und ihrem Kostüm erkannten wir, dass sie ranghoch war. Das Mädchen ging schnurstracks auf Rex zu und stellte sich vor ihn, während die Mutter in unsere Richtung schlenderte, einen Blick auf uns warf, dann weiter nach hinten ging, wo zwei KFs auf dem Glastisch saßen und mit den Beinen baumelten, wie Managerin sie angewiesen hatte. Dann rief die Mutter ihre Tochter zu sich, aber die hörte nicht, sondern starrte Rex unverwandt ins Gesicht. Irgendwann streckte das Mädchen die Hand aus und fuhr ihm über den Arm. Rex sagte nichts, natürlich nicht, aber er lächelte auf sie hinunter und hielt still, genau so, wie wir uns verhalten sollten, wenn ein Kunde besonderes Interesse zeigte.

»Schau!«, flüsterte Rosa. »Sie wird sich für ihn entscheiden! Sie liebt ihn. Was für ein Glück er hat!« Ich versetzte ihr einen harten Stoß, damit sie den Mund hielt; man konnte uns ja ohne Weiteres hören.

Jetzt war es das Mädchen, das die Mutter herbeirief, und bald standen sie beide vor KF Rex und musterten ihn von oben bis unten, und das Mädchen streckte dabei manchmal die Hand aus und fasste ihn an. Die zwei beratschlagten leise miteinander, und irgendwann hörte ich das Mädchen sagen: »Aber er ist perfekt, Mom! Wunderschön!« Und einen Moment später: »Och, Mom, komm schon, bitte.«

Unterdessen war Managerin leise hinter sie getreten, und die Mutter drehte sich zu ihr um und fragte: »Was für ein Modell ist das?«

»Er ist ein B2«, sagte Managerin. »Dreierserie. Für das richtige Kind ist Rex der perfekte Gefährte. Vor allem glaube ich, dass er bei einem jungen Menschen Pflichtbewusstsein und Lerneifer fördert.«

»Das wäre bei dieser jungen Dame hier durchaus angebracht.«

»Oh, Mutter, er ist genau richtig!«

Dann sagte die Mutter: »B2, Dreierserie. Da gibt es doch Probleme bei der Absorption der Sonneneinstrahlung, oder?«

Das sagte sie einfach so, vor Rex, immer noch ein Lächeln im Gesicht. Auch Rex lächelte weiter, das Kind aber war perplex und blickte von Rex zur Mutter.

»Es stimmt«, sagte Managerin, »dass es bei der Dreierserie ein paar kleine Startschwierigkeiten gab, aber die entsprechenden Berichte waren maßlos übertrieben. Bei normalen Lichtverhältnissen tritt keinerlei Problem auf.«

»Ich habe gehört, dass eine Absorptionsstörung weitere Probleme nach sich ziehen kann«, sagte die Mutter. »Sogar in punkto Verhalten.«

»Mit Verlaub, Madam, die Modelle der Dreierserie haben viele Kinder unglaublich glücklich gemacht. Solange Sie nicht in Alaska oder in einem Grubenschacht leben, besteht kein Grund zur Sorge.«

Die Mutter betrachtete Rex noch eine Weile, und am Ende schüttelte sie den Kopf. »Tut mir leid, Caroline. Ich verstehe, warum er dir gefällt. Aber er ist nichts für uns. Wir finden einen, der perfekt für dich ist.«

Rex lächelte weiter, bis die Kunden fort waren, und selbst danach war ihm keine Enttäuschung anzumerken. Aber da fiel mir ebendieser Scherz wieder ein, und ich war mir sicher, dass ihm die Fragen nach der Sonne und der Menge an Nahrung, die wir von ihr bekommen konnten, schon eine ganze Weile durch den Kopf gingen.

Heute ist mir natürlich klar, dass Rex damit gewiss nicht der Einzige war. Offiziell war das überhaupt kein Thema – unser aller Spezifikationen garantierten, dass uns Faktoren wie unsere Position im Raum nichts anhaben konnten. Dennoch begann ein KF, wenn er einige Stunden nicht in der Sonne gewesen war, lethargisch zu werden, und sorgte sich, dass mit ihm etwas nicht stimmte – dass er einen Fehler habe und, wenn das bekannt würde, nie ein Zuhause fände.

Das war der eine Grund, weshalb wir alle so viel über den Platz im Schaufenster nachdachten. Managerin hatte uns versprochen, dass jeder von uns an die Reihe kommen werde, und jeder sehnte diesen Moment herbei. Zum Teil hatte es auch mit dem zu tun, was Managerin die »besondere Ehre« nannte, den Laden nach außen zu repräsentieren. Und egal, was sie sagte, wir wussten alle, dass man im Fenster natürlich eher ausgesucht wurde. In Wahrheit ging es aber um etwas anderes, nämlich um die Sonne und ihre Nahrung, und das war uns allen stillschweigend klar. Rosa sprach mich einmal flüsternd darauf an, kurz bevor wir an der Reihe waren.

»Klara, glaubst du, dass uns im Fenster so viel Güte zuteilwird, dass uns nie wieder etwas fehlt?«

Damals war ich noch ziemlich neu und wusste nicht, was ich darauf sagen sollte, obwohl...

Erscheint lt. Verlag 15.3.2021
Übersetzer Barbara Schaden
Sprache deutsch
Original-Titel Klara and the Sun
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Coming of Age • Dystopie • eBooks • Empathie • Familie • Freundschaft • Geheimnis • Großbritannien • Jugendliche • Klassenunterschiede • Künstliche Intelligenz • Literaturnobelpreis • Nahe Zukunft • Roman • Romane
ISBN-10 3-641-27443-5 / 3641274435
ISBN-13 978-3-641-27443-6 / 9783641274436
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