Ein weißer Schwan in Tabernacle Street (eBook)
432 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43755-4 (ISBN)
Ben Aaronovitch wuchs in einer politisch engagierten, diskussionsfreudigen Familie in Nordlondon auf. Er hat Drehbücher für viele TV-Serien, darunter >Doctor Who<, geschrieben und als Buchhändler gearbeitet. Inzwischen widmet er sich ganz dem Schreiben. Er lebt nach wie vor in London. Seine Fantasy-Reihe um den Londoner Polizisten Peter Grant mit übersinnlichen Kräften eroberte die internationalen Bestsellerlisten im Sturm.
Ben Aaronovitch wuchs in einer politisch engagierten, diskussionsfreudigen Familie in Nordlondon auf. Er hat Drehbücher für viele TV-Serien, darunter ›Doctor Who‹, geschrieben und als Buchhändler gearbeitet. Inzwischen widmet er sich ganz dem Schreiben. Er lebt nach wie vor in London. Seine Fantasy-Reihe um den Londoner Polizisten Peter Grant mit übersinnlichen Kräften eroberte die internationalen Bestsellerlisten im Sturm.
1 Januar: Manche Schwäne sind weiß
Mein letztes und entscheidendes Vorstellungsgespräch bei der Serious Cybernetics Corporation führte der Sicherheitschef des Unternehmens, Tyrel Johnson, persönlich mit mir. Er war Mitte fünfzig und so ein Schrank von Mann, der dank gesunder Lebensweise und viel Sport nicht fett geworden war, sondern eine kompakte Spannkraft wie Teakholz hatte. Ziemlich hellhäutig, kurzes graues Haar, maßgeschneiderter marineblauer Nadelstreifenanzug mit zitronengelbem Baumwollhemd, keine Krawatte.
Da die Kleidung der restlichen Belegschaft eher in Richtung Gammellook ging, war ein Anzug ein ziemliches Statement. Ich war froh, dass auch ich meinen angezogen hatte.
In Anbetracht der pastellfarbenen Wände, des staksigen Edelstahlmobiliars und des Deko-Schriftzugs in MS Comic Sans Ask me about my poetry quer über eine Wand tippte ich darauf, dass Mr. Johnson sein Büro nicht selbst eingerichtet hatte. Ich saß auf dem niedrigen bananengelben Sofa, er lehnte mit verschränkten Armen an seinem Schreibtisch. Ohne irgendwelche Unterlagen in der Hand, fiel mir auf.
»Peter Grant.« Seine Aussprache war westindisch, vermutlich Trinidad, wobei ich das nie so genau identifizieren kann. »Achtundzwanzig Jahre alt, geboren in London, Schulabschluss nicht schlecht, trotzdem kein Studium. Danach Jobs bei Tesco und kleineren Einzelhändlern sowie bei Spinnaker Office Services – was war das?«
»Eine Büro-Reinigungsfirma.«
»Ah, dann können Sie also mit einem Schrubber umgehen?« Er grinste.
»Leider nur zu gut.« Mannhaft widerstand ich dem Drang, jeden Satz mit einem »Sir« zu beenden. Tyrel Johnson war in dem Jahr aus der Polizei ausgetreten, in dem ich geboren wurde, aber manche Dinge wird man sein Leben lang nicht los.
Irgendwann würde ich mich auch selbst damit auseinandersetzen müssen, dachte ich plötzlich.
»Dann zwei Jahre Polizeiausbildung und Eintritt in die Metropolitan Police. Wo Sie es ganze sechs Jahre ausgehalten haben.« Er nickte, als leuchtete ihm das voll und ganz ein – ich wünschte, mir auch.
»Nach der Probezeit kamen Sie in die Abteilung Spezielle, Organisierte und Wirtschaftskriminalität. Was genau haben Sie dort gemacht?«
Alle waren sich einig gewesen, dass es absolut kontraproduktiv wäre, wenn ich die Einheit Spezielle Analysen alias Folly alias »Oh Gott, bitte nicht die« erwähnen würde. Dass es in der Met eine Spezialeinheit gab, die sich mit abstrusem Scheiß befasste, war in der Polizei vielen bekannt; dass es darin Beamte mit Magieausbildung gab, war nicht unbedingt ein Geheimnis, aber definitiv nichts, worüber man gern sprach. Insbesondere nicht bei einem Bewerbungsgespräch.
»Operation Rummelplatz«, sagte ich.
»Nie gehört.«
»Es ging um nigerianische Fälscherbanden.«
»Haben Sie verdeckt ermittelt?«
»Nein. Zeugenbefragungen, Vernehmungen, Spurenverfolgung. Der Kleinkram, Sie wissen schon.«
»Kommen wir doch mal zur Kernfrage«, sagte Johnson. »Warum sind Sie gegangen?«
Als Expolizist hatte Johnson natürlich noch Kontakte in der Met – garantiert hatte er sich nach mir erkundigt, sobald meine Bewerbung in die engere Auswahl genommen wurde. Andererseits, die Tatsache, dass wir dieses Gespräch überhaupt führten, wies darauf hin, dass er nicht alles wusste.
»Jemand, den ich verhaftet hatte, starb in meinem Gewahrsam«, sagte ich. »Ich wurde suspendiert.«
Er beugte sich ein wenig vor. »Hand aufs Herz, Junge. Waren Sie dafür verantwortlich?«
Ich sah ihm in die Augen. »Ich hätte es kommen sehen müssen. Ich habe nicht schnell genug reagiert, um es zu verhindern.« Es ist so viel leichter zu lügen, wenn man die Wahrheit sagt.
Er nickte. »Einen Sündenbock braucht’s immer. Und Sie wollten nicht einfach die Zähne zusammenbeißen und es durchstehen?«
»Man legte mir nahe zu gehen. Es war klar, dass es einen treffen musste, und die wollten so wenig Aufsehen wie möglich.« Wer »die« waren, sagte ich nicht, aber das schien Johnson nicht zu stören. Er nickte verständnisvoll.
»Wie stehen Sie zu Computern?«, fragte er – was bewies, dass auch der Verhörtrick des plötzlichen Themenwechsels etwas war, was einem nach dem Austritt aus unserer Truppe erhalten blieb.
Unsere Truppe. Als könnte man sich, sobald man erst mal dabei ist, nicht vorstellen, je wieder etwas anderes zu machen.
Sei einfach du selbst, hatte Beverley gesagt, als ich mich heute Morgen fertig gemacht hatte.
»Ich hab mal vierundzwanzig Stunden lang nonstop Red Death Redemption durchgespielt«, sagte ich.
Johnson kniff die Augen zusammen, aber in seinen Mundwinkeln stand ein Hauch Belustigung. Dann schwand sie. »Ich will ganz ehrlich mit Ihnen sein, Junge. Alles in allem wären Sie eigentlich ein bisschen überqualifiziert für diesen Job. Aber ich habe ein Problem.«
»Sir?« Ich versuchte den Anschein milden Interesses zu wahren.
»In der Belegschaft gibt’s jemanden, der irgendwas im Schilde führt«, sagte er, und ich entspannte mich. »Ich kann regelrecht spüren, wie da jemand durch die Gegend schnüffelt wie eine Ratte. Ich selbst habe nicht die Zeit, mich damit zu befassen, also brauche ich einen Rattenfänger. Jemanden, bei dem ich mir sicher sein kann, dass er die Sache ordentlich erledigt.«
»Ich war eine Weile am Revier Oxford Street. Da hab ich das Rattenfangen gründlich gelernt.«
»Ja«, sagte er langsam. »Sie sind ganz gut geeignet. Wann können Sie anfangen?«
»Sofort.«
»Schön wär’s. Zuerst müssen wir Sie durch die Personalabteilung kriegen. Montag ist völlig ausreichend. Seien Sie pünktlich.«
Er stieß sich von der Schreibtischkante ab, und ich sprang auf die Füße. Er reichte mir die Hand – es war, als würde man einem Baum die Hand schütteln.
»Aber eins muss klar sein«, sagte er, ohne meine Hand loszulassen. »Egal, was irgendwer hier glaubt – der Oberhobbit inklusive –, Sie arbeiten für mich und sonst niemanden. Verstanden?«
»Ja, Sir«, sagte ich.
»Gut.« Und er begleitete mich hinaus.
Johnson hatte betont den Ausdruck »Personalabteilung« verwendet und nicht die offizielle unternehmensinterne Bezeichnung »Magratheanische Agentur zum sinnvollen Einsatz vom Affen abstammender Lebensformen«, genau wie er die Abteilung, zu der ich soeben gestoßen war, »Sicherheitsabteilung« genannt hatte statt »Vogonisches Vollzugskommando«.
Weder das noch die Tatsache, dass die Angestellten offiziell als »Mäuse« bezeichnet wurden, hielt die Magratheanische Agentur zum sinnvollen Einsatz vom Affen abstammender Lebensformen übrigens davon ab, mir sowohl in Papier- wie elektronischer Form einen zwölfseitigen Arbeitsvertrag samt Geheimhaltungsvereinbarung zu schicken, die schlimmer war als das Gesetz zur Wahrung von Staatsgeheimnissen.
Meine Mum warnte mich, dass die Firma bei Reinigungskräften keinen guten Ruf hatte. »Sind zähe Hunde, und es kommt nicht viel rum«, sagte sie mir.
»Es kommt nicht viel rum« bedeutete, die Bezahlung war weit unter Mindestlohn.
Meine Mum wollte außerdem wissen, ob ich mit Beverley einen Geburtsvorbereitungskurs machte und dafür sorgte, dass sie auch ordentlich aß. Ordentlich essen hieß bei Mum, dass Bev täglich möglichst ihr eigenes Gewicht in Reis zu sich nehmen sollte, also log ich und sagte ja. Ich selbst fragte Bev, ob sie eigentlich Heißhungerattacken auf irgendwelches ausgefallene Zeug hätte. Sie meinte, bisher nicht. »Ich kann aber so tun als ob«, sagte sie kurz nach Weihnachten. »Wenn’s dir hilft.«
Beverley Brook wohnte südlich des Wimbledon Common in beiden Hälften eines Doppelhauses in einer Straße, die passenderweise Beverley Avenue hieß. Zwischen den beiden Hälften waren Wanddurchbrüche gemacht und einige Räume umfunktioniert worden, aber wenn man im Hauptbadezimmer herumlief, war an der unterschiedlichen Bodenbeschaffenheit noch immer der Geist der Küche der rechten Haushälfte zu spüren. Seit ich dauerhaft eingezogen war, hatte sich noch einiges mehr verändert, hauptsächlich was die Schaffung von Stauraum anging, in dem Beverley eigentlich ihre Klamotten unterbringen sollte. Noch war das Ergebnis verbesserungswürdig.
Unser Schlafzimmer lag im Erdgeschoss, weil Beverley die Göttin des Beverley Brook war, der hinter dem Grundstück entlangführte, und es ihr wichtig war, so schnell wie möglich bei ihrem Gewässer sein zu können, wann immer es nötig war.
Sie war jetzt im fünften Monat – ein Anlass, aus dem sie sich von einer ihrer Schwestern einen etwas weiteren Neoprenanzug ausborgte, in den das Bäuchlein besser hineinpasste. Außerdem hatte sie mit ihrer Dissertation angefangen, »Positive ökologische Aspekte der Gewässerrenaturierung«, an der sie gewöhnlich auf einem der hochlehnigen Stühle in der Küche schrieb.
An jenem Abend saß ich am anderen Ende des Küchentischs und ging den Arbeitsvertrag durch, dessen Hauptanliegen es zu sein schien, ausführlich die vielfältigen Möglichkeiten zu beschreiben, wie die Serious Cybernetics Corporation mich fristlos und ohne Entschädigung feuern konnte. Es war harte Arbeit, von der ich ständig durch Beverleys schöne Augen abgelenkt wurde, die zwischen dem Laptopbildschirm und ihren Notizen hin- und herhuschten, und ihren schlanken braunen Fingern, die mit einem Textmarker über den Lehrbüchern schwebten.
Sie sah auf. »Was ist denn?«
»Nichts«, sagte ich.
»Okay.«
Ich beobachtete, wie sie sich vorbeugte, um etwas in einem der Bücher nachzusehen, wobei ihre Locken ihr über die Schultern fielen und die glatte Kurve...
Erscheint lt. Verlag | 23.10.2020 |
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Reihe/Serie | Die Flüsse-von-London-Reihe (Peter Grant) | Die Flüsse-von-London-Reihe (Peter Grant) |
Übersetzer | Christine Blum |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Ada Lovelace • AI • Alex Verus • BAME • benedict jacka • Bestseller Autor • Bestseller-Autor • Bibliothekar • Charles Babbage • Computertechnik • Datenanalyse • Der Gefangene von London • Detektiv • Die Flüsse von London • Differenz-Maschine • England • Ermittlungen • Fantasy • Fantasyliteratur • Flüsse von London • Geister • Harry Dresden • Harry Potter • Jim Butcher • Kevin Hearne • Krimi • Kriminalfall • Kriminalroman • kulturpass • Künstliche Intelligenz • London • london library • Magie • Magier • Metropolitan Police • neuerscheinung 2020 • Nightingale • people of colour • Peter Grant • Police Constable • Polizei • Science Fiction • Science Fiction Fantasy • Science Fiction Fantasy Neuerscheinung 2020 • Sci-fi • SciFi • Start up • Start-up • Tech-Konzern • Tinte und Siegel • Übernatürliches • Urban Fantasy • Urban-Fantasy-Serie • Verbrechen • Zauberer • Zauberlehrling |
ISBN-10 | 3-423-43755-3 / 3423437553 |
ISBN-13 | 978-3-423-43755-4 / 9783423437554 |
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