Frau Beethoven (eBook)
475 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-98720-2 (ISBN)
Verena Maatman, geboren und aufgewachsen im Rheinland, ist Diplom-Übersetzerin für Italienisch, Französisch und Englisch. Nach ihrem Studium an der Universität Mainz arbeitete sie zunächst als Übersetzerin und Lektorin in Bonn und im norditalienischen Modena, heute ist sie im Sprachendienst eines Schweizer Unternehmens tätig. In ihrer Freizeit widmet sie sich dem Schreiben und der Musik und ist als Geigerin in mehreren Kammermusikensembles und Orchestern aktiv. Sie lebt mit ihrem Mann in der Bodensee-Region.
Verena Maatman, geboren und aufgewachsen im Rheinland, ist Diplom-Übersetzerin für Italienisch, Französisch und Englisch. Nach ihrem Studium an der Universität Mainz arbeitete sie zunächst als Übersetzerin und Lektorin in Bonn und im norditalienischen Modena, heute ist sie im Sprachendienst eines Schweizer Unternehmens tätig. In ihrer Freizeit widmet sie sich dem Schreiben und der Musik und ist als Geigerin in mehreren Kammermusikensembles und Orchestern aktiv. Sie lebt mit ihrem Mann in der Bodensee-Region.
4
Am nächsten Tag übte sich Therese die Finger wund. Josephine hatte gar keine Chance, ans Klavier zu kommen. Dabei wünschte sie sich nichts so sehr, wie auf van Beethoven einen guten Eindruck zu machen. Seine Musik, die sie in Martonvásár gespielt und gehört hatte, erfüllte sie auf eine ganz besondere Weise. Was für ein Mensch er wohl war? Er musste noch ziemlich jung sein, nur ein paar Jahre älter als Therese.
Als Therese nach Stunden eine Pause machte, spurtete Josephine ans Klavier und spielte Mozart und Haydn. Sie suchte schwierige Stücke heraus; schließlich wollte sie sich vor dem jungen Klaviervirtuosen nicht als musikalisches Mauerblümchen geben, das im Schatten der großen Schwester stand.
Therese tippte ihr auf die Schulter. »Ich muss weiterüben, Pepi. Bitte lass mich wieder ans Klavier.«
»Noch ganz kurz«, sagte Josephine und wiederholte in Windeseile einen Lauf, der noch nicht richtig saß.
Mama klatschte in die Hände. »Lass Therese ans Klavier! Von ihr hängt es ab, ob euch van Beethoven als Schülerinnen annimmt oder nicht.«
Schmollend stand Josephine auf und verzog sich mit einer Lektüre von Rousseau auf ihr Bett. Sie wollte auch als Pianistin glänzen, nicht nur Therese.
Tags darauf war es so weit. Nach einem späten Frühstück blies ihre Mutter zum Aufbruch. Josephine war merkwürdig aufgeregt. Bestimmt zwanzigmal hatte sie vor dem Spiegel bereits ihre Frisur überprüft und die Schleife ihres rosa Hutes neu gebunden, der perfekt zu ihrem cremefarbenen Kleid passte.
»Du siehst wunderschön aus, Pepi«, neckte Therese sie. »Allerdings gehen wir nicht zu einem Heiratsanwärter, sondern zu einem potenziellen Klavierlehrer. Du musst dich also nicht herausputzen.«
Doch Josephine wollte sich von ihrer besten Seite zeigen, wenn sie sich schon beim Klavierspiel zurückhalten sollte. Vielleicht ist das auch gar nicht so verkehrt, dachte sie. Denn ihre Finger waren kalt und feucht.
Ihre Mutter kam herein. Sie trug wie immer eine hochgeschlossene schwarze Witwenrobe. »Seid ihr endlich fertig? Die Kutsche steht bereit.«
Ein nervöses Kribbeln erfasste Josephine. Fast wollte sie schon eine Magenverstimmung oder Kopfschmerzen vortäuschen, um nicht mitgehen zu müssen. Doch dann riss sie sich zusammen und folgte ihrer Mutter und ihrer Schwester. Schließlich war sie neugierig auf den gefeierten Klaviervirtuosen.
Wien war am Tag sehr viel geschäftiger als am Abend. In den Straßen wimmelte es von Fuhrwerken und Fiakern. Die Kutsche kam nur im Schritttempo vorwärts. Es war warm, und im Innern der Kutsche wurde es stickig. Aber Mama wollte das Verdeck nicht öffnen lassen, damit sie keinen Sonnenstich bekamen.
Schließlich erreichten sie den Petersplatz. Der Kutscher ließ sie aussteigen. Sogleich befanden sich die Brunsvik-Damen inmitten von parkenden Fuhrwerken, die haushoch mit Lebensmitteln beladen waren. Ein paar Handlanger entluden die Ware und trugen sie schwitzend in eine Gaststätte.
»Vorsicht!«, rief ein bärtiger Mann und wuchtete sich einen Kartoffelsack über die Schultern. Josephine sprang zur Seite. Fast wäre sie auf einem Kohlblatt ausgerutscht.
Mama bekam sie am Handgelenk zu fassen. »Die Gegend ist alles andere als vornehm«, konstatierte sie. »So leid es mir tut, der junge Beethoven war nicht gewillt, sich zu uns ins Hotel zu begeben. Daher müssen wir nun sehen, wie wir heil zu seiner Wohnung gelangen.«
Josephine achtete jetzt auf jeden Schritt. Sie raffte ihre Röcke, damit der Saum ihres hellen Kleids nicht den ganzen Schmutz der Straße aufnahm, und folgte ihrer Mutter, die ihr und Therese den Weg durch das Getümmel wies.
»Hier muss es sein.« Mama deutete mit ihrem Schirm auf ein hohes Mietshaus. Josephine ließ den Blick die graue Hauswand hinaufwandern. Nicht sehr einladend! Sie wunderte sich, dass es sich ein einfacher, wenngleich berühmter Musiker herausnehmen konnte, Damen von Adel in dieses unwirtliche Mietshaus kommen zu lassen. Er muss wirklich außergewöhnlich sein, schlussfolgerte sie.
Mama hatte indes die Haustür aufgestoßen und winkte sie und Therese herbei. Über eine enge, knarzende Holztreppe begannen sie den Aufstieg zur obersten Etage. Spielende Kinder turnten auf den Treppenabsätzen herum, Wäscheleinen waren notdürftig an Haken befestigt und allerlei Gerüche nach Bratfett und Unrat drangen aus den Wohnungen in den Hausflur. Josephine hielt sich ihr Taschentuch vor Mund und Nase und überlegte, ob sie nicht wirklich gleich an einer Magenverstimmung leiden würde.
Als sie ganz oben angelangt waren, tupfte sich Mama eine Schweißperle von der Stirn. »Ich weiß nur, dass er auf der obersten Etage wohnt, nicht aber, hinter welcher der Türen.«
Josephine stand hinter ihrer Mutter und Therese und musste sich den Hals verrenken, um den ganzen Flur überblicken zu können. »Stehen keine Namen an den Türen?«
Mama schüttelte den Kopf. »Hoffen wir, dass wir gleich bei der ersten Tür Glück haben.« Beherzt klopfte sie an die nächstgelegene Tür.
Dahinter rumpelte es. »Moment!«, rief eine Männerstimme. Aber es dauerte doch eher zwei Momente, bis sich die Tür öffnete. Ein Mann Ende zwanzig stand im Türrahmen. Seine dunkelbraunen Haare standen wild in alle Richtungen, sein oberster Hemdsknopf war geöffnet und seine Ärmel hatte er bis zu den Ellbogen hochgeschoben.
Josephine fiel angesichts des überwältigend gut aussehenden Mannes beinahe die Kinnlade herunter. Fasziniert betrachtete sie seine muskulösen Unterarme und kraftvollen Hände. Wenn das der gefeierte Pianist ist, dann kann er mit diesen Händen ohne Zweifel die Klaviertastatur hinauf- und hinunterlaufen wie ein Athlet eine Langstrecke, dachte sie.
»Ludwig van Beethoven?«, fragte Mama.
»Ja, der bin ich«, erwiderte der Mann und blickte sie mit seinen dunklen Augen fragend an. Plötzlich erhellte sich sein Gesicht, als ob ihm in diesem Moment ein Gedanke gekommen wäre. »Sie müssen Gräfin Brunsvik sein!«
»Sehr wohl. Und das sind meine Töchter Therese und Josephine.« Mama deutete auf sie.
»Sehr erfreut, sehr erfreut.« Er machte einen Schritt zur Seite und bedeutete ihnen einzutreten. »Bitte entschuldigen Sie die Unordnung, ich habe bis gerade eben an einer neuen Komposition gearbeitet und bin noch nicht zum Aufräumen gekommen.«
Mama hob die Augenbrauen.
Josephine wusste, dass ihrer Mutter weder der Anblick des chaotischen Zimmers noch der Anblick von Beethovens offenem Hemdsknopf große Freude bereitete. Sie unterdrückte ein Kichern.
Van Beethoven schien Mamas wortlosen Tadel ebenfalls zu bemerken. Schnell entschuldigte er sich, drehte sich um und brachte sein Hemd in Ordnung. Dann fuhr er sich mit der Hand durch die Haare und verbeugte sich ritterlich vor Mama, hauchte ihr einen Kuss auf die Hand und wiederholte die Geste bei Therese.
Als Josephine an der Reihe war, spürte sie, dass ihre Knie zitterten. Seine leichte Berührung brachte sie vollkommen aus dem Gleichgewicht.
Doch Mama nahm sofort das Heft in die Hand und trug ihr Anliegen vor. Gekonnt verwickelte sie den Komponisten in ein Gespräch über seine Bonner Herkunft, sein Wohlbefinden in Wien, seine letzte Konzertreise nach Prag und seine Werke.
Van Beethoven beherrschte die Kunst der Plauderei perfekt. Er bot ihnen eine Erfrischung an und räumte, während er Mama Rede und Antwort stand, mehrere Notenstapel vom Sofa weg, auf das er sie sodann Platz nehmen ließ.
Josephine saß angespannt neben Therese auf der Sofakante, als Mama zu ihrem nächsten Schachzug ansetzte.
»Herr van Beethoven, meine Töchter Therese und Josephine spielen seit ihrem vierten Lebensjahr Klavier. Mein verstorbener Gatte und ich waren stets darum bemüht, sie von den besten Lehrern unterrichten zu lassen. So kann ich heute mit Stolz behaupten, dass meine beiden Töchter, vor allem Therese, ganz herausragend spielen.«
Josephine versank vor Scham fast im Boden.
»Dennoch wäre es uns eine große Ehre, wenn sie ihr Spiel unter Ihrer Führung vervollkommnen könnten.« Mama nahm einen Schluck Tee. »Natürlich wissen wir, dass Ihre Zeit begrenzt ist, aber wenn Sie gestatten, Herr van Beethoven, wird Ihnen Therese etwas vorspielen.«
»Aber gern!« Er wies aufs Klavier. »Bitte sehr.«
Therese stand artig auf. »Ich habe eines Ihrer Klaviertrios einstudiert, Herr van Beethoven.« Sie setzte sich auf den Klavierschemel und begann zu spielen. Ihr Spiel war anmutig, die Läufe perlten mühelos über die Tasten, und schließlich summte sie auch die Geigen- oder die Cellostimme mit. So wie Mama es verlangt hatte.
Josephine beobachtete van Beethoven aus dem Augenwinkel. Er musste die Pocken gehabt haben, denn sein Gesicht war vernarbt. Trotzdem fand sie ihn anziehend. Seine dunklen Augen sprühten vor Energie, sein kräftiger, aber dennoch schlanker Körper strotzte vor Vitalität, seine Stimme war tief und einnehmend. Er hatte sich vorgebeugt und lauschte angetan dem Vortrag ihrer Schwester. Keine Frage: Sie überzeugte ihn. Als Therese endete, klatschte er in die Hände. »Wertes Fräulein, Sie haben meine Komposition mit so viel Eleganz und Würde gespielt, dass ich Ihnen gar nicht zu sagen vermag, wie groß meine Begeisterung ist!«
Therese errötete.
Auch auf sie macht der junge Beethoven Eindruck, stellte Josephine fest.
»Und was hören wir von der jüngeren Schwester?«, fragte er nun und sah Josephine lächelnd an.
Ihr schlug das Herz bis zum Hals, als sie van Beethovens intensiven Blick auf sich spürte. Sie fühlte sich wie gelähmt. Das war ihr noch nie passiert. Dabei hatte sie schon viele Male vor Publikum gespielt. Und er war auch nicht der erste Mann, der sie...
Erscheint lt. Verlag | 6.7.2020 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 250. Geburtstag Ludwig van Beethovens • Aufbau Künstlerbiografien • Beethoven • Beethoven Jahr • Beethovens Geliebte • Biografischer Roman • Die Muse von Wien • Für Elise • Große Liebe • Historischer Liebesroman • Historischer Roman • historisches Frauenschicksal • Liebesroman • neuerscheinung 2020 • neunzehntes Jahrhundert • Wien |
ISBN-10 | 3-492-98720-6 / 3492987206 |
ISBN-13 | 978-3-492-98720-2 / 9783492987202 |
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