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Und sonst nichts -  Irmgard Rosina Bauer

Und sonst nichts (eBook)

Reiseroman
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
320 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7519-6232-2 (ISBN)
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»Das Leben kam über mich, ungefiltert. Jahrzehntelang sagte ich zu allem Ja, und es war irgendwie in Ordnung so - bis ich durch einen Burnout ausgebremst wurde. So also ging es nicht mehr weiter, aber wie dann?« Rosi ist 52. In den vergangenen drei Jahrzehnten hat sie vier Kinder großgezogen und ihrem Mann in seinem Delikatessen-Laden geholfen. Da war keine Zeit, um sich mit sich selbst und den eigenen Bedürfnissen zu beschäftigen, erst recht nicht, da ihr narzisstisches Umfeld dies nicht zuließ. Doch sie schafft den Absprung und erfüllt sich einen alten Wunsch: alleine einen Sommer lang durch die Wildnis Südfrankreichs zu streifen. Ihre Angst gibt sie an den Gott der Reisenden ab, indem sie Ihren Mini-Van, der ihr einziger Begleiter ist, Merkür tauft. Mit nur 10 Euro pro Tag auszukommen ist eine weitere Herausforderung für sie, die in ihrer Ehe viel Luxus erlebt hat. So entstand "Und sonst nichts", ein autofiktionaler Abenteuerroman, inspiriert von Rosis unbändigem Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit.

Irmgard Rosina Bauer ist am 10. Januar 1956 in München geboren. Hier studierte sie Erziehungswissenschaften an der Ludwig-Maximilian-Universität, trat aber bald in den Gourmet-Betrieb ihres Mannes ein, mit dem sie bis zur Scheidung vier Kinder großzog. Sie behielt auch danach ihren Status als Selbständige bei und arbeitete in unterschiedlichen Funktionen: als Werbetexterin, in der Kommunikationsabteilung mehrerer Konzerne, als Redakteurin für Mitarbeiterzeitschriften und als Trainerin für Teambuilding-Maßnahmen. Mit ihrem zweiten Mann lebt sie in München und Südfrankreich.

Freiheit, was bist du?


Ich lasse mich von einem Blick auf die Uhr erschrecken: Es ist inzwischen zwanzig nach vier – ich möchte den Gerbier de Jonc heute erreichen. Also doch schon wieder ein Ziel! Und Druck! Aber so ganz ohne Ziel – könnte ich das denn überhaupt? Schnell vergesse ich meine schwerwiegenden Überlegungen und fahre munter weiter. Denn vielleicht schaffe ich es ja auch noch, ihn zu besteigen. Dass ich stehenbleiben kann, langsam fahren kann, schauen kann, finde ich wunderbar, es ist genau das, was ich mir gewünscht habe, nicht getrieben zu werden, auch nicht von einer zweiten Person, wer auch immer es sei. Vielleicht lerne ich auf diesem Weg mit mir selbst gar, mich noch mehr durchzusetzen: zuerst nämlich mir selbst, später dann auch anderen gegenüber. Zu sagen: Du, ich hab jetzt Lust, langsam zu fahren. Ja, das will ich.

Es ist fünf Uhr und ich fahre und fahre. Ich merke an meinem Körper, dass ich kräftig durchatme, ungeduldig, unzufrieden bin. Mag nicht mehr sitzen. Was soll ich tun? Durchhalten, es sind ja nur noch fünfzehn Kilometer bis zum Gerbier de Jonc. Ich hätte die Freiheit, anzuhalten, aber ich habe doch vor, diesen Berg heute noch zu erreichen, ich möchte gehen, laufen, steigen. Nein, wenn ich noch länger in meinem Auto sitze, drehe ich durch. Aber ich muss zu diesem Berg. Ich will hinauf, und das zeitig. Ich würde sonst in Unzufriedenheit und Ärger schlafen. Oder gar nicht schlafen. Und ich will nicht mehr auf so einem schlechten Platz parkieren wie in Mulhouse. Ich sehne mich nach Landschaft und Freiheit. Nach einem Platz, den ich mir gemütlich bei Tageslicht aussuchen kann. Nun geht auch noch das Benzin gleich aus. Ich muss zu einer Tankstelle! Wenn ich dann schon stehe, werde ich bestimmt der Verführung erliegen, doch nicht weiter zu fahren. Aber ohne Benzin geht’s auch nicht. Ich erinnere mich an den Reservekanister, den ich nur für Notfälle auf Frankreichs Prärien eingeladen hatte. Ich deklariere die Situation zu einem Notfall. Ich will unbedingt den Berg erreichen.

Verkrampft halte ich mich am Lenkrad fest. Und frage mich plötzlich: Hey, wer drängt mich denn so? Hey, auf meine Bedürfnisse wollte ich mehr achten! Auf mich achten, lernen, was ich, ja ich, will, was ich für meine Zufriedenheit brauche. Gleichzeitig bin ich froh, dass ich es überhaupt bemerkt habe. Ist gar nicht so leicht, stelle ich fest. Ein bisher unbemerktes Lernfeld tut sich da vor mir auf. Werde ich am Ende meiner Reise »gelernt« haben, ich selbst, allein mit meinen Bedürfnissen, zu sein?

Und immer noch das Gefühl, ich muss. Aushalten, bis ich fertig bin. Fühle mich schwerfällig. Es ist Viertel nach sieben, noch drei Kilometer bis Lachamp-Raphaël.

Zwei Minuten später komme ich in dieses Lachamp-Raphaël und werde freudig überrascht. Ein Esel! Läuft vor mir über die Straße! Einfach so. Ohne Begleitung. Freilaufend. Ein Esel! Wo gibt’s denn so was! Ein Esel ist mir in München noch nicht über den Weg gelaufen. Wenn es dem Esel zu gut geht, geht er aufs Eis … Mir geht’s gut, weiß ich plötzlich. Der Esel erinnert mich an das Buch Robert Louis Stevensons, das ich zur Vorbereitung auf meine Reise gelesen habe, »Reise mit dem Esel durch die Cevennen«. Meine Cevennen werden plötzlich greifbar. Und dieser Esel, er versöhnt mich. Versetzt mich in Hochstimmung. Versetzt mich in erhabene Hochachtung vor ihm, dem Esel.

Bergschloss


Und dann weitet sich meine Brust und lässt einen begeisterten Seufzer ab: Eine steppenartige Landschaft breitet sich vor mir aus, da weiden Pferde und Rinder, einfarbige, mehrfarbige, die Sonne bescheint dieses Land aufs Reizvollste, eine Stimmung, die ich abrufbar in mein Innerstes einpacken möchte. Und da steht nun auch dieser Berg vor mir.

Als ich mein Auto geparkt habe und direkt vor ihm stehe, kribbelt es heftig in meinen Beinen. Ich will da rauf! Er ist nicht besonders hoch, Höhenunterschied ab Talstation höchstens fünfhundert Meter, rauf und runter scheint bis vor Anbruch der Dunkelheit gut noch zu schaffen, gefährlich sieht er nicht aus. Er hat eine wohl geformte Kuppe, die mit vielen gewaltigen Felsbrocken übersät ist, über die ich mit kindlicher Freude kraxeln werde, ja, der Gerbier du Jonc, nichts wie rauf!

Als ich jedoch den Einstieg in den Wanderweg erreiche, sehe ich: Der Berg ist zugesperrt. So richtig abgesperrt ist der Berg. Wo gibt es denn so was, ein Privatberg? Vor der Kasse in einem Wohnwagen ist ein mannshohes Drehkreuz angebracht, an einer Tafel sind die Eintrittspreise aufgelistet. Eine Kette riegelt das Drehkreuz unüberwindbar ab. Meine Enttäuschung ist groß, doch schmälert sie sich durch meine Verwunderung über diese neue Erfahrung. Eintritt zahlen für einen Berg!

Aufstieg also erst morgen.

Stiere, Ochsen, Bullen, Kühe


Es ist schon acht Uhr am Abend, doch die Sonne steht noch hoch am Himmel. Also werde ich mir einen Ausflug zu den Quellen der Loire gönnen, die mir Danielle ans Herz gelegt hat. Ein Wegweiser führt mich zu einem Waldweg, über kräftige Wurzeln, kleine Felsbrocken, und endlich kann ich die Gegend auch riechen, und endlich komme ich auch zum Wandern. Das wird mich für heute noch zufriedenstellen.

Zufriedenheit bemerke ich außerdem, als ich feststelle: Es ist mir egal, wie ich aussehe. Freilich ist das Gefühl für Schönheit nicht abgestorben und mein Aussehen ist mir nicht wirklich gleichgültig. Aber wie kann ich es messen, ohne Spiegel? Vielleicht sehe ich entsetzlich, schaurig, abstoßend, erschröcklich aus? Vermutlich umhängen die Haare wild mein Gesicht, das mit Runzeln von der langen Fahrt übersät ist, der Hosenboden zeigt noch fleckige Spuren vom Menü auf dem Ackerboden, und sicher sprießt noch Grünzeug zwischen den Zähnen, das jeden Waldschrat auf Abstand halten würde. Im Moment ist mir nur wichtig, dass ich praktisch angezogen bin, et fini!

Auf jeden Fall würde ich mir mehr Gedanken dazu machen, wäre ich mit einer weiteren Person unterwegs.

Ich werde wunderbar belohnt fürs Durchhalten auf dieser anstrengenden langen, langen, langen Autofahrt. Ein schnuckeliger Trampelpfad schlängelt sich durch den Laubwald, gesäumt von kantigen kleinen Felsbrocken. Rechts neben mir fließt ein schmaler Bach, der zwar kaum Wasser führt, aber egal. Es liegt Frieden auf dem Weg, kein Mensch ist mehr unterwegs. Diese Ruhe, wie gut sie mir tut! Das Rascheln der Blätter hoch oben in den Bäumen, das Zwitschern von Vögeln, die ich nicht kenne, unterstreichen die Abgeschiedenheit. Nur meine eigenen Schritte streichen leise in die Stille hinein. Mein langer Schatten schaukelt auf vor mir liegenden weitläufigen Wiesen dahin. Als der Wald hinter mir liegt, öffnen sich vor meinen Augen ringsherum endlos weite Hügel, kein einziges Haus ist zu sehen. Und: Es sieht anders aus als daheim. Ein wenig brauner die Wiesen, es wachsen mehr steppenartige Gräser, im Gegensatz zum saftig grünen Gras, wie wir es bei uns kennen. Trotzdem wirkt die Gegend weich, die klare Sonne gibt aller Verkommenheit einen freundlichen Stich. Vor mir nun uni-braune Kühe. Und an ihrem Hals bimmeln die Kuhglocken auf Französisch.

Der Trampelpfad führt stracks durch die Kuhweide hindurch. Oder sind auch Ochsen dabei, Bullen, Stiere? Ein mulmiges Gefühl ist durchaus angebracht, entscheide ich, die Großstädterin, die nicht täglich Umgang mit solchem Großvieh hat. »Die Viecher tun dir nichts«, pflegen Bauern leichtfertig dahinzusagen. Doch diese Hörner! Und diese Augen! Undurchdringlich schauen sie mich an, sicher haben sie lange keinen Menschen gesehen, und wer weiß, welch schlimme Kindheitserfahrungen dieses Rind gemacht hat. Ob es nicht just beim Anblick ausgerechnet meiner Person an seine Traumata erinnert wird und sich auf mich stürzt? Niemand würde mein Schreien hier hören. Nur ja nicht direkt in die unbeweglichen Rinderaugen schauen! Mal lieber ein bisschen rascher als vorher die Weide durchschreiten!

Schon ein paar Minuten später bin ich am Ziel. Ich lächle beeindruckt vor mich hin.

Gleich werde ich einen Schritt machen, und – und dann habe ich die Quellen der Loire überschritten. Noch letztes Jahr habe ich sie bei unserem Bretagne-Urlaub kurz vor ihrem Eintritt in den Atlantik als mächtigen Strom erlebt. Ich freue mich in mich hinein über dieses Wunder, so besonders erscheint es mir. Die mächtige Loire kommt hier irgendwo aus dem Berg heraus, man kann den Ursprung nicht einmal sehen, angeblich sind es mehrere Kleinstquellen, die sich hier zusammenfinden. Ha, ich tu den Schritt. Gebe mir einen würdigen Gesichtsausdruck und überschreite mit hoch erhobenem Haupt die europäische Wasserscheide Atlantik – Mittelmeer.

Geschütztes Abenteuer


Um neun Uhr bin ich wieder bei Merkür, noch immer ist die Sonne nicht ganz untergegangen, immer noch gibt es einige strahlend helle Flecken, die von ihr beschienen sind.

Aufmerksam habe ich mich beim Herfahren nach einem geeigneten Platz umgesehen, wo Merkür und ich über Nacht stehenbleiben...

Erscheint lt. Verlag 29.4.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7519-6232-8 / 3751962328
ISBN-13 978-3-7519-6232-2 / 9783751962322
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